| # taz.de -- „Schluckspecht“ von Peter Wawerzinek: Suff in den Zeiten des Pi… | |
| > Peter Wawerzinek erzählt in „Schluckspecht“ von jemandem, der das Leben | |
| > nur gedimmt erträgt. Zugleich ist es eine Liebeserklärung an den Rausch. | |
| Bild: Besetzung wie aus der Eckkneipe: Peter Wawerzinek großer Trinkerroman. | |
| Es beginnt mit einem Glas Likör. „Kirsche mit Nussgeschmack. | |
| Sonnengereift.“ Köstlich und gefährlich. Gleich in der ersten Szene trinkt | |
| Tante Luci dieses Glas Likör vor den Augen des Jungen. Jenes Kindes, das im | |
| weiten Verlauf seines Lebens zum Säufer werden wird. Ein Trinker, ein Alki, | |
| ein Saufaus ohne Limit. Immer im Rausch, immer duhn und breit. So trägt es | |
| sich zu in Peter Wawerzineks jüngstem Roman. Und so hat es sich auch im | |
| realen Leben des Berliner Autors zugetragen. | |
| Peter Wawerzinek erzählt in dem Roman mit dem überaus passenden Titel | |
| „Schluckspecht“ seine eigene Geschichte. Es ist die eines Menschen, der das | |
| Leben nur gedimmt erträgt. Der sich zulötet. Der sich anderen zumutet mit | |
| seiner versoffenen Grandiosität und Anmaßung, seinen Pöbeleien und | |
| Gedankenblitzen. Es ist ein großartiges Buch geworden über Suff in den | |
| Zeiten des Pietismus, über die komischen, die peinlichen und dramatischen | |
| Aspekte des Saufens, über das, was der Alkohol mit dem Trinker und seinen | |
| Mitmenschen macht. Viel Schlimmes. Viel Absurdes. | |
| Das Buch ist aber nicht nur eine kritische Würdigung des Alkoholismus, es | |
| ist auch eine Liebeserklärung an den Rausch. Und die Geschichte einer | |
| Heilung. Wawerzinek weiß, wovon er schreibt. In den achtziger Jahren sah | |
| man ihn als Stegreifpoeten durch Prenzlauer Berg ziehen. „ScHappy“ war sein | |
| Künstlername, ein Wortspiel mit dem Glück. Er war laut und rau und blau. Er | |
| war genial und wirkte gefährlich. Zu viel Suff. Zu viel Text. Zu wenig | |
| Peilung. | |
| Nach dem Mauerfall wurde aus ihm ein Literat. Wawerzinek griff sich sein | |
| eigenes Leben als Stoff. Als Kind war er von seiner Mutter verlassen | |
| worden, er wuchs in Heimen und bei Adoptiveltern auf. 2010, er ist da Mitte | |
| fünfzig, legt er mit „Rabenliebe“ diese Geschichte seiner lieblosen | |
| Kindheit vor. | |
| ## Saufen im Sozialismus | |
| In „Schluckspecht“ nun wendet er sich dem zerstörerischen Element seines | |
| Selbst zu. Er erzählt, wie der Duft des Kirsch-Nuss-Likörs ihn antörnt, wie | |
| er sich später in die Schwarze Johanna verliebt, wie er dem Mostwein, dem | |
| Eierlikör verfällt. Es geht um die große zerstörerische Liebe zum Alkohol. | |
| „Man muss sich schädigen, weil der Staat die Beschädigten nicht braucht“, | |
| sagt der Ich-Erzähler einmal über das Saufen im Sozialismus. | |
| „Junge“ nennt ihn Tante Luci. Sie und andere Figuren hat Wawerzinek sich | |
| zur Seite gestellt: ein soziales Panoptikum, dessen Besetzung einer | |
| Eckkneipe entsprungen sein könnte. Die Tante als Sinnbild der Versuchung | |
| und der Familie, den Onkelonkel als ihren Kotrinker. Es treten Saufkumpane | |
| jeden Alters und jeder Profession auf und wieder ab. | |
| Wawerzinek findet dafür einen hämmernden erzählerischen Rhythmus. Die | |
| Flaschen ploppen und die Gläser klirren. Besoffene schlagen lang hin und | |
| finden irgendwie heim, zerhauen und verbeult. Roboter nennt Wawerzinek sie, | |
| Abdankmaschinen. Ein flüssiger Albtraum. „Am Anfang“, schreibt er, „ist … | |
| Säufer noch Mensch. Am Ende ist dieser Mensch nur noch Säufer.“ | |
| Irgendwann ist es aus mit der Ironie. Dann ist Elend: „Das Zimmer ein Lager | |
| der Müllabfuhr. Der wache Blick fährt wie eine Kamera meinen Wohnbereich | |
| ab. Über die Nachtleuchte, die umgefallen ist. Über den lädierten Schirm. | |
| Über Glas, Splitter, Spitzer, Papier, Speisereste, Blut oder Erbrochenes. | |
| […] So legt sich kein Held zu Bett. So wirft Abfall sich in die Ecke.“ | |
| ## Wunsch nach Neuanfang | |
| Schließlich Reue und Furcht. „Ich hätte jenes Kind bleiben sollen, das in | |
| der ersten Kneipe sich geschworen hat, nie wieder so ein stinkendes, | |
| rauchiges Loch, angefüllt mir widerlichen Typen, zu betreten“, schreibt | |
| Wawerzinek. | |
| Sein Wunsch nach einem Neuanfang erfüllt sich. Wie eine gute Fee kommt | |
| Tante Luci, die lebenskluge Sucht in Menschengestalt, daher und schleift | |
| ihren „Jungen“ in eine Entzugsklinik. Dort, unterm Reetdach hinterm Deich, | |
| verlangsamt sich der Erzählrhythmus schlagartig. Der„ Junge“ soll sich | |
| selbst therapieren, soll in sich hineinschauen. Ein „Doktor“ betritt die | |
| Lebensbühne und lehrt den Säufer, ein kontrollierter Trinker zu werden, der | |
| sein Leben niederschreibt. | |
| Was klingt wie die Fantasie eines Abhängigen, ist Peter Wawerzinek | |
| tatsächlich widerfahren. Als er ein Literaturstipendium im | |
| schleswig-holsteinischen Wewelsfleth bekam, lernte er dort den Leiter der | |
| örtlichen Rehaklinik für Alkoholkranke kennen. Wawerzinek blieb auf Jahre. | |
| Er schrieb sich frei. Er war ein Süchtiger. Er bleibt einer. Nämlich der, | |
| der diesen großartigen, traurigen Trinkerroman geschrieben hat. | |
| 15 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
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