| # taz.de -- Dokumentarfilm über den Holocaust: Ganz ohne Histotainment | |
| > Ukrainische Juden überleben die Shoa in einem unterirdischen | |
| > Höhlenversteck: „Kein Platz zum Leben“ zeigt, wie gutes | |
| > Geschichtsfernsehen geht. | |
| Bild: Atmosphärisch, begleitend, bebildernd: Szene aus „Kein Platz zum Leben… | |
| Eine Geschichte für die vorderen Ränge der Kategorie: unglaublich, aber | |
| wahr. Existenziell, voller abenteuerlicher Einzelepisoden, und schließlich | |
| – mit einem Happy End. Es ist anzunehmen, dass Steven Spielberg sich die | |
| Rechte für die Spielfilmadaption längst gesichert hat. | |
| Die Erste, die die Geschichte von 38 ukrainischen Juden erzählt, die den | |
| Holocaust versteckt in zwei Höhlensystemen überlebt haben, wird aber nun | |
| Janet Tobias bleiben. Ihr Dokumentarfilm erzählt über die 511 Tage, die die | |
| jüdischen Familien versteckt unter der Erde verbrachten, bis am 12. April | |
| 1944 endlich die Rote Armee kam. | |
| Wenn im Film die inzwischen rund 90-Jährigen aus New York und Montreal mit | |
| ihren Enkeln an den Ort der Ereignisse zurückkehren, dann erinnert einen | |
| das schon ein bisschen an die letzten Einstellungen von „Schindlers Liste“. | |
| Ja, doch: Der – vom deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen | |
| kofinanzierte – amerikanische Film geizt nicht mit Pathos. | |
| Namentlich der Höhlenforscher Chris Nicola zeigt sich mächtig stolz auf | |
| sich und seine Leistung, die Geschichte der Familien Stermer und Dodyk | |
| buchstäblich ausgegraben zu haben: Er fand in den weltberühmten Gipshöhlen | |
| im Westen der Ukraine alte Schuhe und Knöpfe – und fing an zu | |
| recherchieren. | |
| Dabei war die Geschichte gar nicht vergessen. Die bescheidenen Leute hatten | |
| sie nur, bis Nicola kam und das übernommen hat, nie an die ganz große | |
| Glocke hängen wollen: „Wir haben ja anderen nur selten davon erzählt. Wenn | |
| wir von der Höhle redeten, dann nur untereinander. Es war einfach zu | |
| unglaublich.“ | |
| ## Unter der Erde: frei | |
| Matriarchin Esther Stermer hat die Geschichte sogar aufgeschrieben. Auf | |
| ihren Erinnerungen beruhe der Film, erzählt sie aus dem Off: „In der Höhle | |
| hatten wir unser Schicksal in der eigenen Hand. Es gab niemanden, dem wir | |
| unsere Sicherheit zu verdanken hatten oder von dem wir abhängig waren. Wenn | |
| die Männer von draußen zurückkehrten und sich den Schlamm abwischten, der | |
| ihnen an den Kleidern hing, waren sie freie Männer.“ | |
| Neben Esther erzählen die noch lebenden Sonia und Sima Dodyk sowie Saul, | |
| Sam und Yetta Stermer. Oral History, wie wir das auch aus dem deutschen | |
| Geschichtsfernsehen kennen. Was hingegen neu ist: Regisseurin Tobias, die | |
| lange Zeit vor allem als Produzentin für amerikanische | |
| Fernsehgesellschaften tätig war, beweist, dass Reenactment funktionieren | |
| kann. | |
| Nicht als pseudodokumentarische Histotainment-Inszenierung mit schlechten | |
| Schauspielern, die noch schlechter ausgedachte Dialoge aufsagen. Sondern | |
| atmosphärisch, begleitend, bebildernd. Da erzählen also die Dodyks und | |
| Stermers, erst im Bild und dann aus dem Off, und der Zuschauer sieht, was | |
| sie erzählen, er sieht die Erzähler in ihrer Kindheit, er ist mittendrin. | |
| Handwerklich ist das gut gemacht. | |
| Und die Geschichte ist – die erinnerten Geschichten sind – eben schlicht | |
| unglaublich. Die erste Höhle wird irgendwann von den Deutschen ausfindig | |
| gemacht. Einige der Juden können in dem verzweigten Höhlensystem entkommen, | |
| fünf werden gefasst, an die kollaborierende ukrainische Polizei übergeben. | |
| Doch die Polizei war bestechlich: „Der ukrainische Polizist sagte uns, legt | |
| euch einfach hin, ich schieße fünfmal in die Luft, und ihr lauft danach | |
| weg!“ Der Polizist schießt tatsächlich fünfmal, aber nur dreimal in die | |
| Luft – zwei der Juden dürfen von den Dorfbewohnern auf keinen Fall | |
| wiedererkannt werden. | |
| ## Draußen: die Sonne | |
| Ein Dorfbewohner entdeckt später das zweite Höhlenversteck. Die Juden | |
| überlegen, ihn zu töten, vertrauen ihm dann doch. Er kommt mit anderen | |
| Dorfbewohnern zurück, sie verschütten den einzigen Zugang zur Höhle: | |
| „Draußen wärmte die Sonne die Felder, die allmählich grün wurden. Alles | |
| erwachte zum Leben. Doch wir saßen da wie zum Tode verurteilt. Für uns gab | |
| es keinen Platz zum Leben auf dieser Erde.“ | |
| Zum Glück weiß man ja um das Happy End, das da kommen muss. | |
| 20 Jan 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Müller | |
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