# taz.de -- NS-Live-Adventure in London: Flucht als Rätselspiel | |
> In „Fluchtplan, das Abenteuer beginnt“ schlüpft man in die Rolle eines | |
> Kriegsgefangenen. Ziel ist es, aus einem NS-Lager zu entkommen. | |
Bild: Geschichte fühlen: Stellen Sie sich vor, Sie wären im Kriegsgefangenenl… | |
London taz | Mit einem Etagenbett, Unterhosen auf der Wäscheleine und | |
weiteren Utensilien aus den 1940er Jahren samt einem Lagersoundtrack im | |
Hintergrund will eine englische Firma bis zu sechs Personen das Gefühl | |
vermitteln, in einem Kriegsgefangenenlager des Dritten Reiches zu stecken. | |
Die Gruppe erhält das hinterlassene Tagebuch eines Entflohenen und soll, so | |
das Ziel des Spiels, innerhalb einer Stunde aus dem Lager fliehen. Dieses | |
neue Abenteuerspiel, Idee der Londoner Firma Escape Plan, verspricht | |
hierbei „Spaß in authentischem Zweiter-Weltkriegs-Ambiente für Freunde und | |
Familie oder zum Teamaufbau”. | |
Die Erinnerung an einen der beliebtesten Filme in Großbritannien, „The | |
Great Escape” (1963, deutsch „Gesprengte Ketten“), liegt nahe. Dieser | |
beruhte auf den Geschichten tatsächlicher Fluchtversuche aus dem | |
Kriegsgefangenenlager Stalag Luft III, heute nahe der Stadt Żagań in Polen. | |
Hier gelang einigen Gefangenen 1943 und 1944 die Flucht durch Tunnel, die | |
nur durch den Zusammenhalt und den Einfallsreichtum vieler Gefangener | |
hatten entstehen können. | |
Als 76 Gefangene in einer einzigen Nacht 1944 die Flucht versuchten, | |
konnten nur drei von ihnen entkommen, während die anderen wieder aufgespürt | |
wurden. 50 von ihnen wurden daraufhin widerrechtlich hingerichtet. | |
Computerspiele und kleine Film-und-Fernseh-Szenen, zuletzt sogar im | |
Kinderfilm Shaun das Schaf, bezeugen die ungebrochene Popularität des | |
Filmklassikers. | |
Das Erlebnisspiel zu diesem Thema beginnt in einer viktorianischen | |
Südlondoner Gasse. Man geht eine hölzerne Treppe hinauf und wird von den | |
Gründern und Firmeninhabern, dem Ehepaar Kerry und Brendan Mills, | |
freundlich empfangen. Nach einer kurzen Einführung geht es mit | |
Walkie-Talkie und dem alten Tagebuch in das nachgebaute Barackenzimmer. | |
Verschiedene Gegenstände im Raum sind mit Kombinationsschlössern versehen, | |
und nun muss man erraten, welche Codes die Truhen und Schatullen öffnen, um | |
weitere Hinweise zu erhalten. | |
Mit etwas Spielerfolg öffnet sich die Tür in den zweiten Raum, das Büro des | |
Lagerkommandanten. Hier wird zwar in einem Rätsel einer der ehemaligen | |
Fluchttunnel in Stalag Luft III erwähnt, mehr aber nicht. Ist das Team gut, | |
schafft es die „Flucht“ aus dem Lager. Die Spielszenen sollen der Anfang | |
einer Serie sein, erklären Kerry und Brendan Mills, das durchaus später | |
auch auf größerem Gelände angeboten werden kann und vielleicht sogar von | |
Schulklassen gespielt wird. | |
## Frei von Angst | |
Wichtig ist ihnen, dass die Abenteuer stets frei von Angst sind. Die | |
tatsächliche Geschichte glauben sie später in der Lobby zugänglicher machen | |
zu können. Einen Modellnachbau Stalags Luft III haben sie bereits gekauft. | |
Auch sehen sie durchaus eine mögliche Zusammenarbeit mit Museen und | |
Gedenkstätten. | |
Keiner dürfte hierfür besser geeignet sein als Marek Lazarz, der das | |
„Museum des Märtyrertums der Kriegsgefangenen“ in Żagań leitet, das die | |
Erinnerung an Stalag Luft III wachhält. Er befürwortet Versuche, Geschichte | |
spielerisch zu vermitteln, wenn man dabei nah an den wahren Ereignissen | |
bleibe. Brendan Mills glaubt jedoch, dass Kompromisse mit der Authentizität | |
akzeptabel seien, um ein besseres Spielvergnügen zu erreichen. | |
Aber mit dem, was die Gefangenen in Stalag Luft III geleistet haben, gäbe | |
es eigentlich eine Menge wirklichkeitsnaher Herausforderungen: etwa wie man | |
mit wenigen vorhandenen Gegenständen improvisiert oder wie man gefälschte | |
Papiere herstellt, Wachen ablenkt oder besticht. Dass sich das Spiel | |
„Escape Plan“ auf herkömmliche Rätsel für Nummernschlösser beschränkt,… | |
trotz der vielen zeitgetreuen und originalen Gegenstände enttäuschend. | |
Ein verbesserter Ausbau des Konzepts könnte durchaus zum Lernen und | |
Erfahren der Geschichte des Zweiten Weltkriegs beitragen. Escape Plan | |
müsste dazu nur die Biografien der Prisoners of War genauer studieren, | |
Lager und Gedenkstätten besuchen und sich von Historikern beraten lassen. | |
Notwendig ist das allein schon zur würdevollen Erinnerung an jene, die | |
solche Lager in Wirklichkeit durchlitten haben. | |
6 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
London | |
Dokumentarfilm | |
Erinnerungskultur | |
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