# taz.de -- Naziaufmarsch in Magdeburg: Praxistraining mit Schlagstock | |
> 1.000 Neonazis, 10.000 Gegendemonstranten, 2.500 Polizisten: Magdeburg | |
> erwartet einen der größten Nazi-Aufmärsche Deutschlands. | |
Bild: Der „Gedenkmarsch“ zur Bombardierung Magdeburgs am 16. Januar 2012 | |
MAGDEBURG taz | Freitagnachmittag vor dem Hauptbahnhof, acht Tage noch bis | |
zum Aufmarsch. Auf dem Platz haben junge Männer und Frauen einen Kreis | |
gebildet, sie tragen Wollmützen und Handschuhe und haken ihre Arme fest | |
ineinander. Ein eisiger Wind bläst. Dann rammen zwei Männer ihre Schultern | |
in die Menschenkette und schlagen mit Plastikflaschen auf sie ein – so wie | |
mit Knüppeln. Dies ist eine Übung. | |
Aus der Ferne beobachtet ein Trupp von Polizeibeamten das Geschehen, die | |
Aktion ist als Kundgebung angemeldet. Ein [1][Blockadetraining] für den | |
Ernstfall. Es ist ein Vorgeschmack dessen, was sich am morgigen Samstag | |
hier in Magdeburg abspielen könnte. | |
Anhänger der rechten Szene wollen sich hier anlässlich der Bombardierung | |
Magdeburgs durch die Alliierten am 16. Januar 1945 in der Stadt versammeln. | |
Dieser Aufmarsch hat sich über die Jahre zu einem der wichtigsten für die | |
deutsche Neonaziszene entwickelt. Rund tausend von ihnen kamen im letzten | |
Jahr, und für dieses Wochenende erwartet die Polizei mindestens genauso | |
viele. Zugleich haben sich etwa 10.000 Gegendemonstranten angekündigt. | |
Mehr als 40 Demonstrationen und Kundgebungen wurden insgesamt für Samstag | |
angemeldet, zum Beispiel vom [2][Aktionsbündnis Magdeburg Nazifrei]. Hier | |
engagiert sich auch Luisa Bischoff. Sie trägt eine dunkle Sonnenbrille, die | |
Kapuze ihrer schwarzen Jacke hat sie tief ins Gesicht gezogen. Ihren | |
richtigen Namen will sie nicht preisgeben, wegen der Nazis, sagt sie, und | |
wegen des Verfassungsschutzes. Sie beobachtet das Geschehen aus ein paar | |
Metern Entfernung, am Blockadetraining beteiligt sie sich nicht. | |
„Ich habe bereits ausreichend solcher Trainings mitgemacht“, sagt sie. | |
Wenige Tage vor dem geplanten „Gedenkmarsch“ der neonazistischen | |
„Initiative gegen das Vergessen“ ist ihr Alltag voll und ganz durch die | |
Vorbereitungen für den Protest bestimmt. Sie ist eine erfahrene Aktivistin. | |
## Verfolger abschütteln | |
Bischoff trägt drei Handys bei sich: ein privates, ein geschäftliches und | |
eines für Protestangelegenheiten. Seit 2007 ist sie gegen die rechten | |
Aufmärsche in Magdeburg aktiv. Flyer verteilen, Plakate kleben, | |
Veranstaltungen organisieren – Bischoff begreift sich als Teil der | |
antifaschistischen Szene. Beim Einkaufen bemerkte sie einmal auffällige | |
Blicke von einer Gruppe Neonazis. Sie flüchtete in ihr Auto, die Neonazis | |
verfolgten sie. Sie konnte die Verfolger abschütteln, aber die Erinnerung | |
brannte sich in ihrem Gedächtnis fest. Fotos von ihr lehnt sie ab. Sie | |
sagt: „Manchmal habe ich das Gefühl, ich werde ein bisschen paranoid.“ | |
Im Jahr 2012 machte Luisa Bischoff noch bei der „Meile für die Demokratie“ | |
mit, die vom Magdeburger Bündnis gegen Rechts in diesem Jahr zum sechsten | |
Mal veranstaltet wird. Es ist das älteste bestehende Protestbündnis gegen | |
die Nazis in Magdeburg, das Bands und Infostände organisiert und der Stadt | |
nahesteht. Heute ist Bischoff da raus. „Mir ist klar geworden: Ein paar | |
Luftballons verteilen reicht nicht. Wir müssen uns was anderes einfallen | |
lassen, wenn wir verhindern wollen, dass die Nazis hier durchmarschieren.“ | |
Das Bündnis, dem sie sich nun angeschlossen hat, heißt „Magdeburg Nazifrei�… | |
und verstand sich von Anfang an als Blockadebündnis. Die | |
Nazifrei-Aktivisten bieten im Moment Rechtsberatung unter der Überschrift: | |
„Was tun, wenn’s brennt?“ | |
Keine Aussagen bei der Polizei machen. Keine Fotos, schon gar nicht auf | |
Facebook. Kein Alkohol, keine Drogen. Bei den Informationsveranstaltungen, | |
die Bischoffs Bündnis in den Wochen vor dem Aufmarsch anbietet, gibt ein | |
Anwalt „praktische Hinweise“. Danach erklärt er das deutsche Versammlungs- | |
und Polizeirecht. | |
## Aufmarsch und Lokalpolitik | |
Einer der wenigen im Nazifrei-Bündnis, die kein Problem mit Fotos von sich | |
haben, ist Oliver Wendenkampf. 52 Jahre alt, ergrauter Vollbart, | |
Kapuzenpulli. Er ist parteiloser Stadtrat und Geschäftsführer des Bundes | |
für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Magdeburg. Er leiht dem Bündnis sein | |
Gesicht, sagt er, und er scheue sich nicht, die Konflikte der Aktivisten | |
auch vor Gericht auszutragen – „auch dann nicht, wenn sie im Rahmen von | |
Aktivitäten des zivilen Ungehorsams mich selbst betreffen“. Schon in den | |
70er Jahren riss er von zu Hause aus, um in Gorleben zu blockieren. | |
Mittlerweile scheint ihm die Aufmerksamkeit zu gefallen. Er denkt darüber | |
nach, für das Amt des Oberbürgermeisters zu kandidieren. | |
Magdeburgs aktueller Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) distanziert sich | |
von den geplanten Straßenblockaden. Wendenkampf sagt, Trümper versuche, die | |
Blockaden in der Öffentlichkeit als illegal darzustellen. Für dessen „Meile | |
der Demokratie“ hat er nicht viel übrig. | |
Für Samstag hat Wendenkampf eine Kundgebung am Bahnhof Neustadt angemeldet, | |
dort vermuten er und seine Mitkämpfer den Aufmarsch der Rechtsextremen am | |
ehesten. Wie im letzten Jahr hält die Polizei die Route bis zum Schluss | |
geheim. Bei den Demonstrationen im vergangenen Jahr wurde der Demozug, dem | |
Wendenkampf angehörte, von der Polizei eingekesselt. Als er sich der | |
Polizei näherte, um mit der Einsatzleitung zu sprechen, sei er von einem | |
Beamten zu Boden geworfen und mit den Knien fixiert worden. „Dabei war | |
unser Demozug nachweisbar friedlich“, empört er sich. Wäre er noch so jung | |
wie seine Mitstreiterin Luisa Bischoff, dann hätte er sich das nicht | |
gefallen lassen. | |
Im vergangenen Jahr hatte die Polizei die Marschroute der Neonazis | |
großräumig abgeschirmt und keine Blockade zugelassen. Morgen wird sie mit | |
2.500 Beamten aus dem gesamten Bundesgebiet im Einsatz sein. Aber dieses | |
Mal hat der Einsatzleiter der Magdeburger Polizeidirektion Nord | |
angekündigt, dass friedliche Blockaden nicht unter Einsatz von | |
Schlagstöcken oder Tränengas geräumt würden. Zum Einsatz käme allenfalls | |
„einfache Gewalt“, ohne Waffen. Man werde alles daran setzen, | |
Auseinandersetzungen zwischen den Gruppierungen zu vermeiden, heißt es aus | |
der Pressestelle der Polizei. | |
## Über die Stadt verteilt | |
Zu den Vorwürfen der Polizeigewalt im letzten Jahr will die | |
Pressesprecherin kein Statement abgeben. Als Konsequenz der massiven | |
Abschirmung der Demonstranten durch die Polizei im vergangenen Jahr | |
verfolgen die Aktionsbündnisse dieses Mal eine dezentrale Strategie: mit | |
Kundgebungen und Kleingruppen in der ganzen Stadt. | |
Nicht nur deshalb sind die Blockaden eine logistische Herausforderung für | |
die Organisatoren. In Magdeburg gibt es zehn Bahnhöfe, über die die | |
Rechtsextremisten anreisen können, außerdem ist die Stadt durch die Elbe | |
geteilt. Die tatsächliche Route der Neonazis wird wohl erst feststehen, | |
wenn sie ihren Marsch beginnen; die Organisatoren des Gedenkmarsches haben | |
sieben Demonstrationen angemeldet. Einen alliierten „Bombenholocaust“ | |
werden sie dann skandieren, das deutsche Volk als Opfer darstellen. Allein | |
Bischoffs Bündnis „Magdeburg Nazifrei“ hat an drei Orten in der Stadt zu | |
Blockaden aufgerufen, die den Gedenkmarsch stoppen sollen. | |
„Fest einhaken!“, befiehlt der Blockadetrainer durch ein Megafon. Damit | |
Einzelne nicht von der Polizei aus der Mitte der Demonstrierenden gerissen | |
werden können. Dass längeres Sitzen auf kalten Oberflächen Hämorrhoiden | |
verursache, das sei ein hartnäckiger, aber falscher Mythos, sagt ein | |
Aktivist. Er habe das genau recherchiert. | |
Sitzpolster gegen die Kälte sollen die Demonstranten trotzdem mitnehmen. | |
Die Blockadetrainer haben einige rote Demo-Sitzpolster aus Schaumstoff | |
mitgebracht, sie sehen aus wie Schneidebretter. Die Aufschrift: „Wenn’s mal | |
wieder ungemütlich wird. Die LINKE“. Die Partei verkauft die Sitzpolster in | |
ihrem Onlineshop, 2,50 Euro zuzüglich Versand. Sie gehört zu den | |
Unterstützern der Proteste, ebenso wie die Grünen, die SPD, auch einige | |
kirchliche Organisationen – und die Antifa. Die Aktivisten hoffen | |
allerdings auf möglichst viel Beteiligung von Politikern auf Bundes- und | |
Landesebene, um der Stigmatisierung der Blockade als Protestform | |
entgegenzuwirken. | |
## Spaß muss sein | |
Mit ineinandergehakten Armen marschieren die Teilnehmer los, im | |
Gleichschritt. Damit sie Ruhe bewahren. Friedlich soll der Protest sein und | |
auch ein bisschen Spaß machen. „Ein wenig schieben, das dürfen wir“, tönt | |
es aus dem Megafon. Auf ein Transparent könne man nicht nur Parolen | |
schreiben, es helfe außerdem, die Augen vor Tränengas zu schützen, erklärt | |
einer der Trainer. Dann zeigen sie den jungen Teilnehmern, wie man sich auf | |
eine Polizeikette zubewegt. | |
In einiger Entfernung beobachten die uniformierten Polizeibeamten das | |
Geschehen mit einem Stirnrunzeln. In der Nacht zu Mittwoch hat jemand die | |
Scheibe eines Cafés eingeworfen. „Rassisten werden hier nicht bedient“, | |
habe auf einem Plakat im Schaufenster gestanden, [3][berichtet die] | |
[4][Mitteldeutsche Zeitung]. Anspannung liegt in der Luft, hier in | |
Magdeburg. Ob und wie sich diese entladen wird, wird der Samstag zeigen. | |
17 Jan 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.facebook.com/blockmagdeburg | |
[2] http://magdeburg-nazifrei.com/ | |
[3] http://www.mz-web.de/mitteldeutschland/tag-der-bombardierung-von-magdeburg-… | |
[4] http://www.mz-web.de/mitteldeutschland/tag-der-bombardierung-von-magdeburg-… | |
## AUTOREN | |
Moritz Lehmann | |
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