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# taz.de -- Michel-Gondry-Film auf der Berlinale: Charmant genutztes Missverste…
> Der französische Filmemacher trifft auf Noam Chomsky und dokumentiert das
> Gespräch als Animation. Vieles, was unerwähnt bleibt, wird im Gekrakel
> erhellt.
Bild: Schüler und Lehrer: Ausschnitt aus „Is The Man Who Is Tall Happy“.
Michel Gondry hat sich schon immer für Psychologie, Philosophie und das
interessiert, was in der angloamerikanischen Welt „Cognitive Science“
heißt: Gedächtnis und Identität oder Stabilität der Zeit waren Themen
seiner Filme und Musikvideos. Jetzt hat er direkt bei Noam Chomsky
nachgefragt. Der Mann ist zwar nicht gerade unterdokumentiert und Filme wie
„Manufacturing Consent“ sind aus dem antiimperialistischen Arthouse nicht
mehr wegzudenken.
Doch Gondry hat sich weniger für den nimmermüden Ankläger amerikanischer
Verbrechen interessiert als für den größeren Zusammenhang: Chomskys
Positionen zur Universalität des Spracherwerbs, ein strukturell
einheitliches Sprachvermögen, eine für alle Sprachen gültige „generative“
Grammatik und sein politisches Engagement sollen offenkundig in einem
Zusammenhang gebracht werden.
Gondry erwähnt schon zu Beginn Chomskys Begriff einer psychic continuity
als Argument dafür, seine mit einer alten Kamera gedrehten Bilder von
Gesprächen mit dem großen alten Linguisten nur im Kontext eines ansonsten
ganz animierten Films einzusetzen.
Kamerabilder und Montage würden manipulieren, weil sie eine falsche
Kontinuität vorspiegeln. Bei Chomsky meint der Begriff aber die schon bei
Kindern zu beobachtende Neigung, benannten Objekten eine Kontinuität
zuzusprechen; bei Chomsky ist das für unsere Erschließung der Welt
essenziell, Gondry meint dagegen so was wie falsches Bewusstsein. So
verfehlt Gondry seinen Gesprächspartner manchmal.
## Keine Expertenfragen
Gondry fragt nicht als Experte, sondern als unbedarft neugieriger Besitzer
eines französischen Akzents, der zu charmant ausgenutzten
Missverständnissen führt. Gut die Hälfte der Fragen hätte er auch jedem
anderen herzensguten, geduldigen Opi mit Grundkenntnissen der
(angloamerikanisch-sprachanalytischen) wissenschaftlichen Tradition stellen
können (Was ist moderne Wissenschaft? Was sind die Entdeckungen von Galilei
und Newton? Was dachte Plato, was Descartes?).
Dann fragt er rührend nach der Person Chomsky, dessen Eltern und wie der
anarchistische Atheist über den Tod und die Liebe denkt – und kriegt
beruhigende Antworten: Nein, es ist nicht schlimm, dass Gondrys Freundin an
Astrologie glaubt.
## Kurden und Kolumbianer
Erst am Schluss geht’s kurz um Kurden und Kolumbianer: Doch der kontroverse
Chomsky bleibt ausgespart. Gondry illustriert indes in einem fort gerade
die abstraktesten Stellen mit kleinen humorigen Zeichnungen im
Dalli-Klick-Doodle-Stil, immer wieder zwischen Diagramm und bewegten
Männchen hin- und herschaltend. Heutzutage gehören solches Schnellzeichnen
und die zugehörige Idee von Anschaulichkeit ja auch als
Live-Diskussionsprotokoll zur gehobenen Firmenkultur.
Gondry macht es trotz blöder Witze erstaunlich luzide: Vieles, was er im
Gespräch verfehlt oder unkommentiert lässt, wird im Gekrakel blitzartig
erhellt. So wird’s ein ganz anregender kleiner Film, in dem zwei Männer
sich vor allem in didaktischer Geschicklichkeit überbieten: der geduldig
Grundwissen aufbereitende Chomsky und der mutig in die tendenziell uncoole
Rolle des übersetzenden und anwendungsbegeisterten Schülers schlüpfende
Gondry.
11 Feb 2014
## AUTOREN
Diedrich Diedrichsen
## TAGS
spex
Fieber
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