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# taz.de -- „Über-Ich und Du“ auf der Berlinale: Dresche von den Geldeintr…
> Auf der Flucht vor Gläubigern und im moralischen Konflikt: In Benjamin
> Heisenbergs „Über-Ich und Du“ geht es um den Doppelsinn von Schuld.
Bild: André Wilms und Georg Friedrich in „Über-ich und Du“.
Georg Friedrich ist niemand, dem man ohne weiteres die Obhut über das
eigene Heim, geschweige denn über den eigenen, der Alterssenilität nahen
Vater anvertrauen würde. Der österreichische Schauspieler, der in fast
jedem seiner Filme einen ziemlich ähnlichen oder jedenfalls
unverwechselbaren, proletarischen Charme versprüht, kommt in Benjamin
Heisenbergs „Über-Ich und Du“ an den Job der Vaterbetreuung auch nur durch
eine Kombination aus Zufall und Geistesgegenwart.
Er spielt den windigen Buchhändler und Tagedieb Nick Gutlicht, der auf der
Flucht vor Gläubigern in die Villa des Philosophen Curt Ledig (André Wilms)
einsteigt. Dort bekommt er zufällig mit, dass dessen Angehörige einen
Aufpasser benötigen, der den widerspenstigen Alten beschützen und im Zaum
halten soll. Gutlicht zögert keine Sekunde und legt sich eine neue
Identität zu.
„Über-Ich und Du“ wurde gelegentlich als „erste Komödie der Berliner
Schule“ angekündigt, zumindest formal löst der Film das ein. Durchaus
elegant führt Heisenberg seine Prämisse ein und entwirft im Folgenden ein
Verwirrspiel um die Interaktionen der beiden ungleichen Männer, das als
intellektualisierte Buddy Comedy durchgehen kann.
Am lustigsten – und auch sonst am stärksten – ist der Film in kleinen
Beobachtungen: Die amerikanische Verwandtschaft, die Ledigs Familie nach
Österreich einfliegt, lässt sich von den Marotten des alten Meisterdenkers
nicht nennenswert aus der Ruhe bringen, auch Ledigs Enkel riskieren
amüsierte Seitenblicke auf den Betrieb, den der Film veranstaltet. Und der
auf entspannte Art bizarre, familienartig organisierte Geldeintreiberclan,
mit dem sich Gutlicht anlegt, hätte gern etwas mehr Screentime erhalten
können.
## Eine Traumaaufarbeitungsposse
Leider hat der Film insgesamt anderes im Sinn, er konzentriert sich fast
durchgängig auf die Annäherung und Verstrickungen der beiden Hauptfiguren.
Das ist schon deshalb problematisch, weil Friedrichs ausgestellter,
wurstiger Vitalismus die Tendenz hat, jeden Film über Gebühr zu dominieren.
Ein größeres Problem liegt in der Art der Verstrickung: Die beiden
Hauptfiguren bekommen vom Drehbuch eine Art psychoanalytische Übertragung
auf die Leiber geschrieben. Ausgangspunkt ist der Doppelsinn des deutschen
Wortes „Schuld“: Gutlicht steht bei besagten Geldeintreibern in der Kreide,
Ledig hat an einer moralischen Schuld mit Ursprung im Dritten Reich zu
kämpfen. Im Film wird das dadurch ausagiert, dass der Altintellektuelle
anstatt des jungen Herumtreibers Dresche kassiert; und dieser Herumtreiber
dafür das Trauma eines anderen aufarbeiten muss, fast bis zum bitteren
Ende.
Das ist eine durchaus originelle Idee, zugegeben. Ob man sie als eine Form
des Nachdenkens über Praktiken der Vergangenheitsbewältigung ernst nehmen
kann, ist schon eine andere Frage – wobei der Film immerhin um Längen
sympathischer und klüger ist als die jüngsten Primetime-Nazimelodramen
(„Unsere Mütter, unsere Väter“). Vor allem jedoch sorgt die
Traumaaufarbeitungsposse gerade in der zweiten Hälfte des Films dafür, dass
sich die am Anfang so angenehm offene Welt des Films auf eher schematische
Psychopathologien verkürzt.
Was möglich ist, wenn man auf derartige Schließungen verzichtet, kann man
in dem wunderbaren Forumfilm „L’enlevement de Michel Houellebecq“
nachvollziehen, der ebenfalls um ungewöhnliche Männerbeziehungen herum
gebaut ist, sich aber konsequent weigert, die Dynamiken zwischen dem
Skandalschriftsteller und seinen Entführern in Neurosen stillzustellen.
11 Feb 2014
## AUTOREN
Lukas Foerster
## TAGS
Deutscher Film
Komödie
Fieber
Film
Heinrich Himmler
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