# taz.de -- Jan Schmitts Doku-Film über seinen Vater: Schnurrige Weisheiten | |
> In „Mein Vater, sein Vater und ich“ geht Jan Schmitt seiner | |
> Familiengeschichte nach. Die Trauerarbeit mischt er mit Humor. | |
Bild: Das Kind im Mann. David Rischin zeigt Gefühle. | |
Paradies hieß der Ort einmal, an dem Jan Schmitt seinem fremd gebliebenen | |
Vater nachspürt. Es war ein Restaurant gleichen Namens, das die | |
Urgroßeltern und die Großmutter in einem adretten Gründerzeit-Haus in der | |
Mannheimer Neckar-Vorstadt betrieben und zu dem sein Film-Essay „Mein | |
Vater, sein Vater und ich“ immer wieder zurückführt. | |
Jan Schmitts Onkel Karl-Heinz, ein guter Musiker und Erzähler, hat ein | |
Klavierstück für seinen verstorbenen Bruder geschrieben – in Moll, was | |
sonst? Lebhaft schildert er, was für ein ideales Terrain die Straße mit | |
ihren Vorgärten und Hinterhofbäumen, den Ruinen und heimlichen Verstecken | |
für ihre wilden Jungsspiele in der Nachkriegszeit war. Doch Wolfgang, Jan | |
Schmitts 1938 geborener Vater, fiel mit neun aus diesem Paradies in die | |
Hölle, als ihn die Mutter in ein katholisches Konvikt steckte und wie | |
üblich hinnahm, dass in dieser Erziehungsanstalt der NS-Geist von Zucht und | |
Ordnung, Prügel und Demütigung weiterherrschte. | |
Ein Junge weint nicht, Opfer müssen gebracht werden, Gefühlsdinge sind | |
Seelenblähungen. Solche eingebläuten Merksätze kennen die alten Herren in | |
Jan Schmitts Film, gute Freunde des Vaters, von früher nur zu gut. | |
Anekdoten dieser charismatischen Typen, die mit dem Krieg und der | |
seelischen Zerrüttung ihrer Soldaten-Väter aufwuchsen und doch grosso modo | |
mit den brutalen Männlichkeitsidealen fertig wurden, lassen das Bild der | |
entscheidenden Jahre von Jan Schmitts Vater erstehen. Er selbst bleibt ein | |
Phantom. | |
Die Ehe der Eltern ging früh auseinander, der Kontakt zu ihm brach ab. | |
Sprachlosigkeit breitete sich aus, bis der Vater früh verstarb, ohne sich | |
noch an viel erinnern zu können. Der Filmemacher sucht seine verlorenen | |
Wurzeln und schafft es zugleich, über die subjektive Perspektive hinaus | |
Fragen zur Kontinuität und Diskontinuität männlicher Rollenbilder in der | |
deutschen Geschichte der letzten 150 Jahre zu stellen. | |
## Surreale Ortserkundung | |
Sein Mittel ist die Collage, eine eigenwillige Mixtur aus schnurrigen | |
Weisheiten der Alten und einer surreal anmutenden Ortserkundung, die an | |
Kinderträume erinnert und verschmilzt mit Einlagen eines Knabenchors, | |
tänzerischen Elementen und einer überraschend leichten (gelegentlich | |
sichtbar gespielten) Vibrafon- und Tangomusik. Alexander Scheers und Thomas | |
Thiemes geprüfte Hörbuch-Stimmen schaffen Distanz zum allzu Privaten. Das | |
ewige „Kind im Mann“ wird von einem vielleicht vierzehnjährigen androgynen | |
Jungen (David Rischin) dargestellt, der sparsam gestisch männliches | |
Probeverhalten durchspielt. | |
Und dann sind da noch alte Fotografien und Filme, zum Beispiel | |
Bilddokumente einer NS-Trutzburg, die Jan Schmitts Großvater, ein | |
Architekt, als Fliegerschule für die Nazis baute, ehe er sich bei | |
Kriegsende von seiner Familie absetzte und die Karriere in Frankreich | |
fortsetzte. Männlichkeit, so Jan Schmitts These, hat viel mit | |
wohlverstandener Vaterschaft zu tun. Sein Zeuge ist der Schlagerheld Gunter | |
Gabriel, der auf einem Pferd sitzend an seinen prügelnden Vater erinnert | |
und die Losung ausgibt: „Brutalität ist Schwäche.“ | |
Jan Schmitts Debütfilm „Wenn einer von uns stirbt, geh’ ich nach Paris“ … | |
das Protokoll seiner Recherche über den Selbstmord seiner Mutter, das ihn | |
mit der Geschichte ihres Missbrauchs durch den eigenen Vater und einen | |
katholischen Priester konfrontierte und in der öffentlichen | |
Auseinandersetzung um zahlreiche Missbrauchsverbrechen in Kirchen, Heimen | |
und Schulen ein großes Echo fand. „Mein Vater, sein Vater und ich“ setzt | |
die tragische Familiengeschichte fort, ohne explizit Bezug auf das Debüt zu | |
nehmen. Das Paradies ist verloren, aber eine Prise Humor bleibt in der | |
Trauerarbeit über den Vater bewahrt. | |
18 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
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