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# taz.de -- Kurzfilmtage Oberhausen: Der Film steckt im Anzug
> Wenn das Kino überall ist, braucht es noch Film? „Memories can’t wait –
> Film without Film“, ein Sonderprogramm der Kurzfilmtage Oberhausen.
Bild: Experimente mit dem Revolverobjektiv der 16mm-Kamera betreibt Robert Beav…
Das Kinematografische besetzt weit über den Kinosaal hinaus die Räume des
Gesellschaftlichen. Die gesamte Lebenswelt hat inzwischen eine dem Kino
oder Fernsehen ähnliche mediale Form angenommen. Etwa, wenn wir mittels
audiovisueller Empfangs- und Steuerungsgeräte unser Handeln über
Entfernungen hinweg koordinieren oder wenn wir durch ständig mitgeführte
Sendefunktionen selbst zu Instrumenten der Bewegungsaufzeichnung werden.
Diese Entwicklung an den Grundlagen und Ästhetiken des Kinos zu
reflektieren, haben sich die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen
vorgenommen: in ihrem nunmehr 60. Jahrgang unter dem bezeichnenden Titel
„Memories can’t wait – Film without Film“.
Als Gastkurator hierfür beauftragt, hatte der finnische Künstler Mika
Taanila sowohl VertreterInnen des historischen Expanded Cinema wie auch
jüngere KünstlerInnen zur Reflexion des Kinos ohne Film eingeladen. Unter
den Älteren war es vor allem William Raban, der das Thema lakonisch auf den
Punkt brachte.
Als Wiederaufführung seines „Taking Measure“ (1973) verkürzte er in der
Oberhausener Lichtburg einen Filmstreifen auf das Entfernungsmaß zwischen
Vorführgerät und Leinwand, so dass für die Projektion und ein damit
gezeigtes Zählwerk nur Sekunden übrig blieben, bevor das leere Licht des
ohne Film laufenden Projektors die Leinwand füllte.
## Illuminierte Gitter
Ebenfalls auf das Projektionsprinzip zielte Tony Hills raumgreifendes
Schattenspiel „Point Source“, bei dem er mittels Handlampe Korb- und
Gitterwerke illuminierte. Valie Export ließ in „Abstract Film No. 2“
(1967/2014) Flüssigkeit über Spiegel rinnen und lenkte darauf den
Lichtstrahl, dessen Reflexion dann die Leinwand erreichte.
Dagegen setzten die jüngeren KünstlerInnen eher an der Peripherie des
Projektionsstrahls an. So kam „Stations of Light: Installation for Two
Movie Theaters, One Audience, and Musician“ von Sandra Gibson und Luis
Recoder erst zur Wirkung, als das Publikum im Gefolge des Musikers den
Kinosaal verließ und in einen anderen überwechselte, wie bei einer
Prozession, in gemeinsamer Stille.
Ganz ohne Filmapparatur bezog sich Joseph Dabernig auf einen Randaspekt. Er
trug das Groß- und Kleingedruckte historischer Eintrittskarten vor, wobei
den Steuer-, Registrier- oder Telexnummern nicht weniger Gewicht zukam als
den eigentlichen Veranstaltungshinweisen. Dass diese sich auf
Fußballpartien statt auf Filme bezogen, unterstrich die Entgrenzung des
Kinosaals, zumal der Künstler, gefragt, warum er seine Performance als Film
verstehe, spitzfindig auf seinen Straßenanzug verwies. Der diente ihm in
einem früheren Film als Kostüm.
## Dem Revolverobjektiv treu
Die so ironisch reflektierte Deterritorialisierung des kinematografischen
Raums lässt sich zurückbeziehen auf die Dramaturgien der Filme selbst; umso
mehr wenn, wie in Oberhausen, dokumentarische und fiktionale Absichten
aufeinandertreffen, ebenso wie digitale und analoge Herstellungsweisen.
Überzeugend hält Robert Beavers dem Revolverobjektiv der traditionellen
16-mm-Kamera die Treue. Bei laufendem Betrieb wechselt er deren auf eine
Drehscheibe verteilten Objektive hin und her. Die so aufgenommenen
räumlichen Unschärfen untersucht er am Montagetisch nach geeigneten
Schnittstellen.
Dabei gelingt ihm der unprätentiöse Blick auf eine Privatheit, die von
FreundInnen, NachbarInnen gleichermaßen wie vom Filmenden selbst bewohnt zu
sein scheint („Listening to the Space in my Room“, 2013).
Anders „Now eat my script“ der Libanesin Mounira al Solh. Auch ihr Film
setzt vor dem eigenen Haus an. Die Sicht auf ein dort geparktes,
vollbeladenes syrisches Auto verknüpft die Regisseurin allerdings mit den
traumatischen Fluchterfahrungen von Familienangehörigen sowie mit
Selbstreflexionen über das Drehbuchschreiben. Der digitale Kamerablick geht
von der Wagenladung über auf ein vor klinischem Weiß zerlegtes Opferlamm;
der Film steigert sich zur stillen wie auch obszönen Allegorie auf die
existenzielle Bedrohung des privaten Raums.
Abwechslungsreich spürten die in Oberhausen präsentierten Filme der
Verunsicherung räumlicher Gewissheiten nach. Mitunter belegten dies bereits
Titel wie etwa der von Sasha Pirker bei Georges Perec entlehnte „Es gibt
Bilder, weil es Wände gibt – Ein Prolog“. Dass der in diesem Film
porträtierte Künstler Christian Ruschitzka stets die gesamte Materialität
eines Gebäudes für seine skulpturalen Ziegelwerke demontiert, vermag indes
nicht nur die Transformation des Räumlichen versinnbildlichen, sondern
überdies gleichnishaft eine Wiederkehr des Kinematografischen versprechen.
9 May 2014
## AUTOREN
Rainer Bellenbaum
## TAGS
Harun Farocki
Graphic Novel
Kurzfilm
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