# taz.de -- Kurzfilmtage Oberhausen: Das Alte sagt nicht einfach tschüss | |
> Am Dienstag gingen die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen zu Ende. | |
> „Mavericks, Mouvements, Manifestos“ erinnerten an das berühmte Manifest. | |
Bild: Das weltweit erste Kurzfilmfestival seiner Art gibt es seit 1954. | |
OBERHAUSEN taz | Im Jahr 1962 setzten etwa zwei Dutzend Filmemacher auf den | |
Westdeutschen Kulturfilmtagen ihre Unterschrift unter eine Erklärung: „Der | |
alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen.“ Zwar ließ der „Neue deutsche | |
Film“ dann noch knapp ein weiteres Jahrzehnt auf sich warten. Aber mit dem | |
„Oberhausener Manifest“ war in der bundesrepublikanischen Filmlandschaft | |
zumindest einmal ausgesprochen, dass es nicht mehr weitergehen konnte mit | |
Heimatfilm, Schnulzenkartell und „Opas Kino“. | |
Zur Erinnerung an dieses Ereignis vor fünfzig Jahren zeigten die 58. | |
Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen ein Sonderprogramm namens | |
„Mavericks, Mouvements, Manifestos“. Nicht nur in der Republik von Adenauer | |
rief eine neue Generation von Filmemachern dazu auf, das Kino von den | |
Rändern her umzukrempeln. Zwischen 1950 und 1970 gab es zwischen Japan, | |
Europa und den USA eine Flut filmischer Gegenbewegungen und | |
Kollektivbildungen, die die Kuratoren Ralph Eue und Olaf Möller in zehn | |
Programmen versammelten. Gemeinsam war den Filmen der unbedingte Wille zum | |
Neuen. Interessant war, wie sich das Alte dann doch nicht immer so leicht | |
verabschieden ließ. | |
„Le Chant de Styrène“ verbindet die quietschbunte Welt des Plastik mit dem | |
Ursprung der Welt. Der Film erzählt die Geschichte der Produktion von | |
Kunststoff im Rückwärtsgang. Zu Beginn wachsen Plastiklöffel im | |
Zeitumkehrtrick wie bunt schillernde Gewächse in die Höhe, dann werden Form | |
und Farbe wieder getrennt. Der Film endet bei Kohle und Rohöl, den | |
Ausgangsstoffen des allumfassenden Plastikuniversums. Alain Resnais führte | |
Regie bei dieser von der Industrie in Auftrag gegebenen Dokumentation, die | |
sich als philosophische Spekulation über Materie und Existenz entpuppte. | |
Ähnliches Thema, anderer Gestus: Auch „Der heiße Frieden“ von Ferdinand | |
Khittl präsentierte industrielle Produktion als Fetisch aus glänzendem | |
Stahl, aber nicht im Stil eines surrealen Gesangs, sondern als Lehrstunde | |
mit melancholischer Resonanz. Der noch ungebrochene Fortschrittsglaube der | |
1950er Jahre wird mit allen Tricks des Bildungsfernsehens in Szene gesetzt, | |
während ein Sprecher mit ernster Miene physikalische Formeln an die Wände | |
von Maschinen schreibt. Trotz der altväterlichen Ansprache hält „Der heiße | |
Friede“ eine erstaunlich aktuelle Einsicht parat: Firmen brauchen nicht die | |
besseren Produkte, sondern vor allem die besseren Patente und Lizenzen, | |
wenn sie sich durchsetzen wollen. | |
## Das neue Frauenbild und alte männliche Machtverhältnisse | |
Bernhard Dörries’ „Das Mannequin“ ist eine hoch verdichtete Studie darü… | |
dass hinter dem „neuen“ Frauenbild, das die Magazine und Zeitungen der | |
1960er Jahre verbreiteten, alte männliche Machtverhältnisse stehen. Leider | |
waren die Ansichten von Dörries im anschließenden Publikumsgespräch, das | |
sich um das Frauenbild der Unterzeichner von Oberhausen selbst drehte, so | |
schwarz-weiß wie sein Film. Die jungen Frauen, die Hans Loeper 1962 in | |
„Jahrgang 1942 – weiblich“ porträtiert, zeigen wenig Interesse daran, mit | |
den alten Verhältnissen zu brechen: „Die Barrikaden stürmen, das lohnt sich | |
nicht“, gibt eine der Interviewten zu Protokoll. Stattdessen: Konkrete | |
Vorstellungen vom künftigen Ehemann („Geld muss er haben“). Auf eine | |
dermaßen saturierte Jugend antwortet Ulrich Schamoni ein paar Jahre später | |
mit einem parodistischen Home-Movie. In „Für meine Kinder – von Vati“ da… | |
die ältere Generation den Jungen endlich zeigen, was hinter ihrer | |
autoritären Maske wirklich steckte: Clownereien und die größte brennende | |
Tüte des Jahres 1969. | |
Auf der Podiumsdiskussion zur Reihe herrschte Einigkeit über zweierlei: | |
dass aktuell mehr Manifeste geschrieben werden als jemals zuvor. Und dass | |
sie kaum mehr jemand liest. Kann sein, dass Manifeste nun selbst aufs | |
Altenteil gehören und sich historisch erledigt haben. Darauf zielte die | |
Bemerkung eines Diskutanten, dass es vielleicht an der Zeit sei, ein | |
Erklärung gegen das Filmemachen zu verfassen, weil es einfach zu viele | |
Filme gebe. Kann aber auch sein, dass das neue Manifest schon geschrieben | |
ist, das alles wieder verändern wird. | |
1 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Dietmar Kammerer | |
## TAGS | |
Kurzfilm | |
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