# taz.de -- Kurzfilmtage Oberhausen: Verpixelte Totale | |
> Flache Bilder, von „Flatness“ keine Spur: Die Kurzfilmtage Oberhausen | |
> beschäftigen sich in diesem Jahr mit den Neuen Medien. | |
Bild: Direktor Lars-Henrik Gass' Idee: dass in Zukunft die Beiträger für die … | |
Ausgerechnet Angela Merkel sorgte bei den [1][Oberhausener Kurzfilmtagen] | |
fürs melancholische Innehalten und ein paar Momente lakonischer Komik. Der | |
Maler und Filmemacher Jochen Kuhn begegnete ihr in „Sonntag 3“, einem Teil | |
aus seiner Serie filmischer Sonntagsausflüge, die er in Pastellkreide | |
gezeichnet und per Stopptrick liebevoll animiert hat. | |
Die Kanzlerin – erzählt der Filmemacher aus dem Off – habe er bei einem | |
Blind Date getroffen. Müde von der Macht sehne sie sich nach ein bisschen | |
Kuscheln und habe deshalb auf seine anonyme Partnersuche im Internet | |
reagiert. Der absurde Tagtraum bleibt nur eine kurze Begegnung der schiefen | |
Art – inmitten des flirrend voll gepackten Festivalprogramms ein angenehm | |
gelassenes Impromptu und eine seltene Gelegenheit zum Lachen. | |
Das älteste deutsche Kurzfilmfestival zieht jedes Jahr ein buntes, | |
vielsprachiges, vor allem junges Publikum in die einstige Industriestadt. | |
In der sterbenden Fußgängerzone leuchtet das Festivalkino Lichtburg bis | |
spät in die Nacht. Ohne diese Insel und die angrenzenden temporären | |
Stationen für Gespräche wäre Oberhausen nur halb so attraktiv. | |
Einst ein Treffpunkt mit Volkshochschulcharme, hebelten die Kurzfilmtage | |
symbolisch den Kalten Krieg aus. 1962 verkündeten die Kurzfilmrebellen des | |
neuen deutschen Films ihr [2][Oberhausener Manifest], drehten dann aber | |
lange Filme in München und Berlin. | |
## Kino und Fernsehen schwinden | |
In den siebziger Jahren saugte [3][Christoph Schlingensief], der Sohn des | |
Apothekers am Oberhausener Altmarkt, die wilden Filmformen des Festivals | |
auf und drehte schon als Schüler im Schatten der Herz-Jesu-Kirche. Die | |
Dresdner Bank gegenüber, wo er einmal einen waschecht wirkenden Überfall | |
inszenierte, existiert nicht mehr. | |
In Oberhausen liegt offen zutage, dass die kreative Produktion weltweit | |
enorm zunimmt, die alten Dispositive Kino und Fernsehen als Publikumsmedien | |
jedoch im Schwinden begriffen sind. Was tun? Ob Festivals in Zukunft ihren | |
Beiträgern ein Honorar für die Teilnahme bezahlen, weil ihre Arbeit sich | |
durch den Filmvertrieb nur noch selten amortisiert, wäre im Sinne des | |
Oberhausener Festivaldirektors Lars-Henrik Gass. Die Idee stößt jedoch im | |
deutschen Fördersystem auf peinliches Schweigen. | |
Dem amerikanischen Bildhauer und Performance-Künstler Luther Price war | |
dieses Mal eine Werkreihe gewidmet, deren radikale Auseinandersetzung mit | |
Super8- und 16-mm-Überbleibseln der eigenen Home-Movie-Geschichte unter die | |
Haut ging. „Mother“ reiht Aufnahmen seiner verstorbenen Mutter, Close-ups | |
ihres verschlossenen Gesichts, Nahaufnahmen ihrer Hände, ihres Halsschmucks | |
und ihrer Zigarettenpackungen, dazwischen Posen für Kamera, die wie | |
unwirsche Geduldsproben wirken, zu einer aufreibend sinnlichen, grausam | |
voyeuristischen Bildkomposition. | |
„Shelley Winters“ spielt mit dem Namen der Schauspielerin auf | |
melodramatische Kinoverheißungen an, bringt aber ohne Bilder auf der | |
zerkratzten weißen Leinwand eine dokumentarische Collage von Berichten über | |
häusliche Gewalt zu Gehör. Die harten Geräusche der alten Projektoren, auch | |
die Spuren der Verletzlichkeit des Found-footage-Materials verdichtet | |
Luther Price zu manisch rituellen Beschwörungen der Familienhölle, die ihn | |
verfolgt. | |
## Neue Medien produzieren „Flatness“ | |
Stimmt es, dass das Kino die äußeren Erscheinungen der Wirklichkeit so zu | |
gestalten weiß, dass die Oberfläche im besten Fall durchdrungen wird und | |
tiefere Dimensionen erscheinen, die neuen Medien dagegen jedoch | |
ausschließlich „Flatness“ produzieren? | |
Die verschwurbelte Flachheitsthese, die dialektisch zu einer neuen | |
Sensibilität unserer überforderten Wahrnehmungssensoren führen soll, wurde | |
im diesjährigen Programm durch schier unverständlich heruntergeleierte | |
Statements des Kuratorenteams verschenkt. | |
Ein Juwel des beliebigen, in Teilen dennoch faszinierenden | |
„Flatness“-Programms war [4][Chris Markers] letzte Arbeit „Stopover in | |
Dubai“. 2011, ein Jahr vor seinem Tod, kompilierte der Meister der | |
politischen Blickanalyse eine Unzahl von Aufnahmen aus Überwachungskameras, | |
die von Ermittlungsbehörden der arabischen Emirate gesammelt worden waren, | |
um die Umstände des Mordes an dem Hamas-Führer Mahmoud al-Mahbouh 2010 in | |
Dubai zu rekonstruieren. | |
Marker erzählt allein durch die zeitliche Abfolge verpixelter Totalen aus | |
der Airporthalle, diversen Hotellobbys, Einkaufszentren und Parkhäusern die | |
Geschichte eines Mordkomplotts. Bildunterschriften resümieren die | |
Identifizierung der handelnden Personen, ihre wechselnde Tarnkleidung und | |
das Zusammenspiel zwischen überwachenden Agenten und Exekutoren – knapp | |
dreißig Minuten eines realen Thrillers, in dem ein missliebiger Militanter | |
von einer angeheuerten irisch-englisch-deutschen Agententruppe observiert, | |
eingekreist und diskret liquidiert wird. Flache Bilder, aber von „Flatness“ | |
keine Spur. | |
7 May 2013 | |
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## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
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