# taz.de -- Kurzfilmtage Oberhausen 2017: Alles existiert nebeneinander | |
> Die Zukunft, die Technik, und das Chaos: Sie sind eng verflochten in den | |
> Filmen, die bei den Kurzfilmtagen Oberhausen zu sehen waren. | |
Bild: Still aus „Die Herberge“ von Ulu Braun | |
In Oberhausen, während der Kurzfilmtage (11. – 16. Mai), konnte man sich in | |
diesem Jahr immer wieder in ähnlichen Szenarios wiederfinden: In | |
apokalyptischen Welten voll Endzeitstimmung und in Spähren euphorischer | |
Zukunftsseligkeit. Vor allem letzteres kam unvermutet mit dem von Tilman | |
Baumgärtel konzipierten Themenschwerpunkt „Soziale Medien vor dem | |
Internet“. | |
In diesem Programm waren die jüngsten Filme knapp zehn Jahre alt, die | |
ältesten um 1968 entstanden. Wie schön das doch damals war, dachte man sich | |
etwa während Nam June Paiks „Good Morning Mr. Orwell“ (1984), einem irren, | |
ambitionierten und übersteuerten Pop-Gefüge eines nächtlichen | |
Live-Zusammenschnitts zweier Fernsehstationen in Paris und New York, teils | |
unmittelbar von Nam June Paik zurechtgemacht. Eine sagenhafte Nacht, die | |
man sich in Stücken sogar auf Youtube ansehen kann. | |
Nein, dies soll kein von Nostalgie durchtränkter Bericht werden, zumal | |
beides ja irgendwie zusammengehört: der Wunsch nach sozialer Zusammenkunft | |
via Technik – und das Chaos, wenn die Utopie an Geschwindigkeit aufnimmt. | |
Doch was in „Good Morning Mr. Orwell“ noch nett anmutete und von einer | |
Zukunft kündete, in der alles möglich schien (ein Konzert der Thompson | |
Twins trifft auf eine (Mode-)Performance von Joseph Beuys; ein | |
Fernsehmoderator erklärt einer Kollegin seine Liebe, während Laurie | |
Anderson etwas von abstürzenden Flugzeugen erzählt), bekam in Hinblick auf | |
einige aktuelle Oberhausener Filmbeiträge einen komischen Beigeschmack. | |
## Die Tiere fahren Karussell | |
Man muss da nur einmal an „Animal Year“ des Chinesen Zhong Su denken, der | |
leider nicht prämiert, dafür aber mit mehreren „Lobenden Erwähnungen“ | |
bedacht wurde. In ihm streift eine Gruppe tierähnlicher Figuren durch eine | |
animierte Welt in Schutt und Asche, über die von Kindern (mit riesigen | |
Köpfen) gesteuerte Flugobjekte kreisen. Sie beschießen die Ruinen unter | |
sich aus reiner Spielfreude, die Wesen auf dem Boden müssen dann in Deckung | |
gehen. | |
Bald erhebt sich völlig unvermittelt ein Vergnügungspark aus den Trümmern, | |
eine willkommene Abwechslung: die Tierbewohner fahren nun Karussell. Bis | |
sie sich kurz darauf allesamt von einer Klippe stürzen, wahrscheinlich ein | |
gemeinsamer Suizid, doch im Fall verwandeln sie sich in jene kriegerischen | |
Kinder, die ihr Zuhause in einem Land über den Wolken haben. | |
Das ist ein schwer erklärlicher Kreislauf, den Zhong Su in nur sieben | |
Minuten präsentiert, den man aber dennoch auf eine komische Art intuitiv | |
verstehen kann. Gut zu lesen ist das kurze Statement, das der | |
Animationskünstler zum Film verfasst hat: „Animal Year“ sei eine „auf | |
meinen Erinnerungen beruhende Geschichte über das Schicksal. Dieser Film | |
ist meine vierte Arbeit, und wie üblich habe ich vom Bild über den Ton bis | |
zur Musik alles selbst gemacht.“ | |
Auch das steht in Kontrast zu Baumgärtels gezeigten Fundstücken, in denen | |
es gerade auf die Kooperative ankam, auf das gemeinschaftliche Wirken – das | |
Soziale an den Medien eben. | |
## Fernsehgrüße von Ost nach West | |
Zeugnis dieses Wunsches (den insbesondere das Fernsehen auf ungekannte | |
Weise ermöglichen sollte und dem es zu einem gewissen Grat auch tatsächlich | |
nachkam) war beispielsweise „Fernsehgrüße von Ost nach West“ (1986) von | |
Michaela Buescher und Gerd Conradt. Hier stellten doch recht | |
unterschiedliche Personen, welche die DDR gerade erst verlassen hatten, | |
Videobotschaften an Familie und Freunde her: Sie berichteten vom Leben in | |
West-Berlin, äußerten Sehnsüchte und verteilten Kussbotschaften. | |
Zurück in den Wettbewerb, denn einer der seltsamsten Filme schaffte es, | |
alles zu vereinen – Utopie, Dystopie, Hirten und Motorradfahrer, GTA-Optik | |
und gemalte Tableaus: „Die Herberge“ von Ulu Braun, welcher dann auch den | |
Deutschen Wettbewerb gewann. In dieser vor- wie nachsintflutlichen | |
Landschaft brauchte man gleich gar nicht mehr nach Erklärungen zu suchen, | |
vielmehr schien es ausdrücklich um das absurde Nebeneinander zu gehen, das | |
möglicherweise viel mit der Gegenwart zu tun hat. | |
Es wirkt, als hätte Ulu Braun alles an Wirklichkeit in einem einzigen | |
Bildrahmen versammeln wollen, quasi Hieronymus Bosch als Videokunst. Das | |
ist eine andere Art der Gleichzeitigkeit, wie sie zum Beispiel in „Good | |
Morning Mr. Orwell“ zu sehen war, auch weil sich die beiden Kanäle in Paris | |
und New York auf eine gemeinsame kulturelle Referenz einigen konnten, | |
während in Brauns Arbeit alles interessant und apokalyptisch und | |
wesensfremd nebeneinander existiert. Simultanität ereignet sich hier im | |
Bild und ist keine Event-hafte Abfolge. Das sorgt für Konfusion und ist | |
mental gar nicht leicht zu verarbeiten. Was wiederum gut zu den | |
Kurzfilmtagen passt. | |
18 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Carolin Weidner | |
## TAGS | |
Harun Farocki | |
Arthouse | |
Filmförderung | |
Horrorfilm | |
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