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# taz.de -- Sam Mendes' neuer Film „Empire of Light“: Gefühlskino mit Gebr…
> Wo finden wir Hoffnung? In der Liebe, in Gemeinschaft – und im Kino. Sam
> Mendes drängt in „Empire of Light“ stark auf ganz große Emotionen.
Bild: Eine unwahrscheinliche Annäherung: Stephen (Micheal Ward) und Hilary (Ol…
Das Licht finden, wo Dunkelheit herrscht. Wie eine Aufforderung prangt das
Zitat über einem der prachtvollen Säle des altehrwürdigen „Empire“-Kinos,
das zum alles bestimmenden Kosmos wird. Es ist der erste Film, bei dem der
britische Regisseur Sam Mendes („American Beauty“) das Drehbuch allein
verfasste. Der Titel, „Empire of Light“, führt die beiden Komponenten, die
die zu Beginn der achtziger Jahre spielende Handlung des Melodrams
durchdringen, vielsagend zusammen: Das Licht als Metapher für Hoffnung, das
Kino als Reich des Lichts. Vielsagend ist der Titel auch, weil er
verdeutlicht, wie reizlos direkt Mendes die Motive einer Geschichte angeht,
die um jeden Preis berühren soll.
Hilary Small (Olivia Colman) steht wortwörtlich in ihrem Zentrum: Zuständig
für den Verkauf von Snacks, weilt sie während ihrer Schicht in adretter
Arbeitsuniform hinter der kreisrunden Theke in der Mitte des
eindrucksvollen Foyers, nimmt das korrekte Überreichen von Schokoladen,
Bonbons und Popcorn pedantisch ernst. Kein Wunder, ist ihr Leben abseits
des Arbeitsalltags des Kinos von Finsternis bestimmt.
## Außenseiter wie sie selbst
Einsam nimmt sie ihre Mahlzeiten im Restaurant ein, einsam verbringt sie
Weihnachten mit Buch und Wein in der Badewanne. Ihre einzigen sozialen
Kontakte sind ihre Kollegen. Zu ihnen gehören vor allem Außenseiter wie sie
selbst: Die Goth-Musik hörende Janine (Hannah Onslow), der einfühlsamen
Neil (Tom Brooke) und der stille Filmvorführer Norman (Toby Jones).
Doch auch vor ihnen macht sie sich, auch hier ist nomen gleich omen, klein.
Dass Hilary die Welt über sich ergehen lässt, hängt auch mit den
Medikamenten zusammen, die sie allmorgendlich einnimmt. Das Lithium betäubt
sie, sodass sie auch den Missbrauch durch ihren wichtigtuerischen Chef
(Colin Firth) ohne größeren Widerstand geschehen lässt.
## Charismatisch und charmant
Wenn Roger Deakins’ Kamera ([1][„Blade Runner 2049]“), die dem Film eine
Nominierung bei der diesjährigen Oscar-Verleihung einbrachte, erstmals das
sich noch oft wiederholende Spiel mit dem Licht einfängt, ahnt man, was
geschehen wird. Die Scheinwerfer vorbeifahrender Autos, die über die Decke
von Hilarys dunklem Schlafzimmer schnellen, sind Vorboten der Hoffnung, und
diese Hoffnung heißt Stephen (Micheal Ward).
Charismatisch, charmant, und scheinbar stets guter Laune zieht der junge
Mann – der den Job im Kino antritt, weil College-Zusagen aufgrund von
rassistischer Diskriminierung ausbleiben – umgehend in seinen Bann. Mit
ähnlicher Vehemenz, schon fast märchenhaft anmutend, erzählt Mendes von der
unwahrscheinlichen Annäherung zwischen der etwa fünfzigjährigen Hilary und
dem ungefähr halb so alten Stephen.
## Gegen die klischierte Zeichnung der Figur
Obwohl grobschlächtige Sinnbilder auch vor ihrer zarten Liebe nicht Halt
machen und der gefühlige Score von Trent Reznor und Atticus Ross
([2][„Bones and All“]) stets daran erinnert, dass man als beiwohnender
Zuschauer gefälligst gerührt zu sein hat, bringt dieser Handlungsstrang
doch die herausragendsten Momente hervor. Meist spielen sie sich in der
verlassenen oberen Etage des Kinos ab, die den beiden Außenseitern zum
sonnendurchfluteten Dorado werden soll.
Dass dem so ist, liegt auch am erweichenden Spiel Colmans ([3][„The
Father“]), die in der Verkörperung von tragisch-traurigen Rollen seit jeher
besonders einzunehmen weiß und mit all ihrem Können gegen die klischierte
Zeichnung ihrer Figur anspielt.
## Mit der erzählerischen Brechstange
„Empire of Light“ will aber nicht nur Romanze, sondern auch Sozialdrama
sein. Die Proben, auf die die Beziehung zwischen Hilary und Stephen
gestellt wird, gehören damit ganz und gar nicht dem Reich des Fabulösen,
sondern der harten Realität des Thatcher-Empires an. Skinheads ziehen durch
die von Trost- und Arbeitslosigkeit gebeutelte kleine Küstenstadt, auch
während der Arbeit werden Stephen mitunter rassistische Ressentiments
entgegengebracht. Leider weiß Mendes hier ebenfalls nur mit der
erzählerischen Brechstange vorzugehen.
Insgesamt krankt der Film an einem Drehbuch, das sich meist für
größtmögliche dramatische Wendungen entscheidet, offensichtlich in der
Absicht, größtmögliche emotionale Reaktionen zu provozieren. So kommt es
obendrein dazu, dass Hilarys Schizophrenie voll zutage tritt, nachdem sie
aus euphorischer Beschwingtheit heraus leichtsinnig ihre Medikamente
absetzt. Doch viel hilft eben nicht viel, wenn es darum geht, der Fakultät
der Seele nachzuspüren. Das führt Sam Mendes während der knapp
zweistündigen Spielzeit eindrucksvoll vor Augen.
## Das Kino wird zum Surrogat
Selbst das zentrale Vorhaben von „Empire of Light“, eine innige Würdigung
des Kinos zu sein, geht nicht recht auf. So wird es nicht etwa als
sinnstiftende und selbstbewusste Kunstform, sondern schlicht als Ort
beklatscht. Als einer der anonymen Zuflucht für die Ausgestoßenen und
Randständigen. Es ist ein Beifall mit Beigeschmack, der das Kino auf die
Größe eines bloßen Surrogats schrumpft, das Lücken zu schließen hat, die
die Entbehrungen des „echten Lebens“ reißt.
So erweist sich das eingangs erwähnte Zitat, das das Kino „Empire“
schmückt, als unfreiwillig prophetisch. Es stammt aus William Shakespeares
Stück „Verlorene Liebesmüh“. Ein Titel, der sich liest wie die ehrliche
Kurzbeschreibung eines Films, der in einer bleiernen Atmosphäre des guten
Willens jede echte Gefühlsregung seines Publikums erstickt.
26 Apr 2023
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## AUTOREN
Arabella Wintermayr
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