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# taz.de -- Compilation „Woman, Life, Freedom“: Mehr als akustisches Parfum
> Ästhetische Erfahrungen können Solidarität schaffen: Die Kompilation
> „Woman, Life, Freedom“ iranischer Musiker*innen ist ein gutes
> Beispiel dafür.
Bild: Der Track von Kimia Koochakzadeh-Yazdi ist ein Highlight des Samplers
Wow, dieser Sound. Er fühlt sich an wie warmes Wasser, das den Körper
umhüllt. Er klingt [1][wie rückwärtsgespult], oder nein, wie eine Welle,
die sich langsam aufbäumt und bricht. Aber sie fließt nicht sofort wieder
zurück, sie hängt in der Luft, als sei sie auf Pause gestellt.
Dann stürzt sie hinab und wird wieder eins mit dem Ozean – und was zunächst
wie ein einzelner Klang wirkte, besteht eigentlich aus vielen einzelnen
Klängen. Eine Welt in einer Welt.
Der fünfminütige Ambient-Track „Emanation“ [2][der iranischen Musikerin]
und Komponistin Kimia Koochakzadeh Yazdi ist ein Highlight der Compilation
„Woman, Life, Freedom“. Und auch das ähnlich atmosphärische Stück
„Sarnevesht“ von Nesa Azadikhah mit seiner zähflüssigen Synthesizermelodie
und dem düsteren Hintergrunddröhnen sowie der energetische Elektro-Pop-Song
„Be Mahsa Be Nika“ von Mentrix sind wunderbar abstrakt.
Sie scheinen die Welt nicht abzubilden, sondern neue Welten zu erschaffen.
Utopische, schöne Welten, in denen es ums Zuhören, Tanzen, Verharren geht
oder nur darum, da und zugleich so zu sein, wie es gerade beliebt. Welten,
die im krassen Kontrast zu jener stehen, in der all das kaum möglich ist.
Der Sampler des iranisch-US-amerikanischen Labels Apranik positioniert sich
mit den 12 Stücken von iranischen Musiker*innen gegen das menschen- und
frauenfeindliche Terrorregime in Iran unter dem Präsidenten Ebrahim Raisi.
Wo Mädchen schon ab neun Jahren verheiratet werden dürfen, wo sie beim
Tragen von Sportsocken von der Schule verwiesen werden können und wo Frauen
wegen des falschen Tragens eines Kopftuchs sterben müssen.
So wie die 22-jährige Jina Mahsa Amini, die im Herbst 2022 in
Polizeigewahrsam brutal umgebracht wurde und deren Tod die landesweiten
Proteste auslöste.
## Schöpfung einer neuen Welt
Was kann ein Sampler und was können die womöglich vorwiegend
euroamerikanischen und US-amerikanischen Hörer*innen zu diesem Protest
beitragen? Sollten die sich nicht vielmehr informieren oder Allianzen
aufbauen, statt Musik zu hören?
Es ist zynisch, diese Frage auch nur zu stellen. Eine rein
informationsbasierte Erfahrung ist anders als eine ästhetische.
Erstere versucht eine möglichst neutrale Beschreibung von dem, was gegeben
ist. Eine [3][ästhetische Erfahrung] schafft Solidarität mit dem, was
gegeben ist. Gerade weil Musik für viele oft nur so was ist wie akustisches
Parfum oder Stimmungsmodulation beim Ausfüllen von Excel-Tabellen, lohnt es
sich daran zu erinnern, dass elektronische Musik einst erfunden wurde, um
persönlichen Ausdruck und individuelle Freiheit zu feiern – etwa in
[4][Schwarzen] und LGTBQ-Communities.
Ihre enorme Kraft besteht nicht darin, die Welt eins zu eins abzubilden
oder mit Slogans zu überladen, sondern neue, bessere zu erschaffen. Eine
Welt in einer Welt. Für die, wenn nötig, auch mit ästhetischen Waffen
gekämpft werden muss.
Dieser Text stammt aus der Verlagsbeilage „Global Pop“
4 Jul 2023
## LINKS
[1] /Japanische-Postpunk-Kuenstlerinnen/!5939140
[2] /Todesstrafen-in-Iran/!5931888
[3] /Rock-Produzent-Rick-Rubin-ueber-sein-Werk/!5933832
[4] /Jahresbericht-zu-Antidiskriminierung/!5943050
## AUTOREN
Philipp Rhensius
## TAGS
Proteste in Iran
elektronische Musik
Solidarität
Ästhetik
Queerfeminismus
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Schwerpunkt Iran
wochentaz
Underground
Musik
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