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# taz.de -- Verband der iranischen Komponistinnen: Musik als Überlebensmittel
> Der Verband der iranischen Komponistinnen (IFCA) vernetzt weltweit in der
> Diaspora lebende Künstlerinnen, die Revolte gegen die Mullahs trägt er
> mit.
Bild: Wichtige Stimme, nicht nur der iranischen Diaspora: Aida Shirazi am Misch…
Eine Cellosaite vibriert wie ein murmelndes Geheimnis durch die Stille.
Dazu mischen sich weitere Streicher zu einer zerbrechlich wabernden
Klangfläche. Ihre Schwingungen folgen den graziösen Handbewegungen einer
schmalen Frau mit langem offenem Haar. Die Dirigentin kehrt schließlich dem
Notenpult den Rücken zu und erhebt ihre Stimme: Geschmeidig windet sich ihr
Gesang um die Liegetöne des Orchesters und gleitet durch den Raum wie ein
Vogel durch einen wolkenlosen Sternenhimmel.
Von dieser meditativen Musikperformance hat es leider nur ein kleiner
Probenmitschnitt aus der Philharmonie de Paris über Instagram an die
Öffentlichkeit geschafft: Die ausverkaufte Uraufführung von „Je ne suis pas
une fable à conter“ der iranischen Komponistin Golfam Khayam, interpretiert
von Sängerin und Dirigentin Barbara Hannigan, fiel zwei Stunden vor
Konzertbeginn einem Streik des Orchesters der Philharmonique de Radio
France zum Opfer.
Was für die Pariser Musiker Arbeitskampf gegen die Anhebung des
Rentenalters ist, bedeutet für Golfam Khayam, die mitsamt ihrem
neugeborenen Kind aus Teheran angereist war, eine verpasste Chance: „Sie
wissen nicht, wie gut sie es haben, dass sie in diesem schönen Konzertsaal
mit einer Dirigentin musizieren dürfen, dass sie Zugriff auf all die
Ressourcen haben, für die wir so hart kämpfen müssen.“
## Ständige Angst
Wer im Iran als Berufsmusiker überleben will, dem bleibt nur das
Unterrichten. Das Kulturleben unterliegt der Zensur. Musiker spielen häufig
unbezahlt und leben in ständiger Angst vor Veranstaltungsabsage und
Auftrittsverbot. [1][Nach der islamischen Revolution 1979] war das
Teheraner Sinfonieorchester jahrelang geschlossen. Frauen ist es bis heute
verboten, öffentlich solistisch zu singen.
Für Golfam Khayam sind berufliche Kontakte ins Ausland deshalb von
existenzieller Bedeutung. Hilfestellung bekommt die 40-Jährige von der
Iranian Female Composers Association (IFCA). Die Organisation setzt sich
für die Werke iranischer Komponistinnen ein und wurde 2017 von [2][Aida
Shirazi] (*1987), Niloufar Nourbakhsh (*1992) und Anahita Abbasi (*1985) im
US-amerikanischen Exil gegründet.
Ursprünglich planten sie nur ein Konzert und sammelten dafür Namen und
Stücke iranischer Kolleginnen. Als diese Liste immer länger wurde, stand
fest: Eine Organisation muss her. Ein Jahr später präsentierte die IFCA in
New York die Vielfalt ihrer Künstlerinnen.
## Musik sichtbar machen
„Viele von uns komponieren klassische Konzertmusik, aber bei uns sind auch
Filmmusikerinnen und Performance- und Improvisationskünstlerinnen mit
dabei. Wir wollen ihre Arbeit sichtbar machen und Kontakte herstellen“,
sagt Aida Shirazi, deren Komposition „Shadows“ (Stimme, live electronics,
Klarinette, Kontrabass) Anfang Mai in der Kölner Philharmonie Premiere hat.
Auch für Golfam Khayam ist die IFCA ein Türöffner: 2020 vermittelte sie ihr
einen Kompositionsauftrag des renommierten North West Symphony Orchestra in
Seattle, dem sie ihr Stück „Simorgh“ (Name eines phoenixähnliches
Fabelwesen aus der persischen Mythologie) widmete.
Für die Künstlerinnen ist die IFCA ein Zuhause in der Fremde und in der
fremd gewordenen Heimat ein Anker der Hoffnung. Komponistin und Pianistin
Homa Samiei schreibt auf Instagram: „When I think about IFCA, Two words
come to mind: ‚Hope ’&’ Home‘.“ Mittlerweile hat der Verein über 70
Mitglieder, auf der ganzen Welt verstreut.
## Künstlerischer Widerstand
Dass es ausgerechnet im Iran so viele danach dürstet, neue Töne zu
erschaffen, erklärt Aida Shirazi mit der Funktion von Kunst als
Überlebensmittel: „Wir haben es hier mit einer Diktatur zu tun, die den
Alltag der Bevölkerung bis ins letzte Detail kontrollieren will. Sich
künstlerisch auszudrücken, ist eine Form des politischen Widerstandes.“
Ein anderer Grund [3][liegt in der iranischen Musikkultur]. Anders als in
der westlichen Tradition, wo die Rolle des ausführenden Musikers und des
Komponisten getrennt sind, lässt traditionelle persische Musik mehr Raum
für individuelle Kreativität. Jeder Interpret muss nicht nur sein
Instrument, sondern auch die Kunst der Improvisation beherrschen. Dieses
Erbe greift Golfam Khayam in „Je ne suis pas une fable à conter“ auf, läs…
das Orchester über festgelegte Motive improvisieren und baut traditionelle
persische Verzierungen in die Gesangsstimme ein.
Der Text des Stückes basiert auf einem Text des Lyrikers Ahmad Schamlou.
Auch die Dichtkunst ist Teil des Kulturerbes: Verse berühmter Lyriker sind
im öffentlichen Raum allgegenwärtig. Man findet sie auf Mauern, über
Hauseingängen und sogar auf den Ladeflächen von Lastwagen. „Nachdem ich
ausgewandert bin, sind Sprache und Literatur alles, was mir von zu Hause
geblieben ist“, sagt Aida Shirazi.
## Jung und selbstbewusst
Während daheim ultrakonservative Mullahs die Deutungshoheit iranischer
Kulturgeschichte beanspruchen, sind es in Wahrheit die Musikerinnen der
IFCA, die inmitten der Diaspora die Kulturschätze ihres Landes hüten.
Scrollt man auf der Facebook-Seite des Vereins an den selbstbewusst
strahlenden Gesichtern seiner Mitglieder entlang, fällt auf, wie jung sie
sind – die Mehrzahl zwischen 20 und 40.
Aus der gleichen jugendlichen Kraft speist sich die
Woman-Life-Freedom-Bewegung, die seit September 2022 überall auf den
Straßen des Irans gegen den Schleierzwang und für Menschenrechte
demonstriert. Was können wir von diesen Frauen lernen, die seit mehr als
sechs Monaten unter Lebensgefahr für ihre Freiheit auf die Straße gehen?
Aida Shirazi findet klare Worte: „Sowohl in den USA als auch in Europa sehe
ich reaktionäre Trends gegen universelle Werte wie freie Meinungsäußerung
und das Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen. Ich hoffe, dass der
Kampf der iranischen Frauen die Menschen in den westlichen Demokratien
daran erinnert, dass ihnen diese Freiheiten jederzeit genommen werden
können, wenn sie sie nicht verteidigen.“
[4][Unterstützung kommt auch von deutschen Kulturinstitutionen]. Das
Berliner Ensemble lud anlässlich des altpersischen Frühlingsfestes Nouruzzu
einer Solidaritätsveranstaltung ein. Zu Nouruz springen die Menschen über
Feuer und rufen: „Ich gebe dir meine Schwäche. Gib mir deine Stärke.“ Die
Frauen der IFCA werden wohl noch über viele Feuer springen müssen.
Und doch gibt es Lichtblicke: IFCA-Mitglied Farzia Fallah wurde von der
Gema mit dem Deutschen Musikautor*innenpreis 2023 ausgezeichnet und
am 15. Juni bringt das Isländische Sinfonieorchester Golfam Khayams „Je ne
suis pas une fable à conter“ doch noch auf die Bühne.
16 Apr 2023
## LINKS
[1] /Vergessenes-iranisches-Poptalent/!5852801
[2] /Konzert-von-Aida-Shirazi-in-Berlin/!5904520
[3] /Iranischer-Pop/!5779804
[4] /Festival-Tehran-Contemporary-Sounds/!5810408
## AUTOREN
Anna Schors
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