# taz.de -- AfD und die Frankfurter Buchmesse: Attraktiver Behälter ohne Inhalt | |
> Die Bedrohung der Demokratie von rechts ist auch auf der Buchmesse Thema. | |
> Auf Veranstaltungen wurden wichtige Fragen zum Erstarken der AfD | |
> gestellt. | |
Bild: Leider längst eine Alternative für viele: AfD-Wahlkreisbüro Heiligenst… | |
FRANKFURT taz | Der September 2024 könnte ein Monat der Wahrheit für | |
Deutschland werden, und es sollte eigentlich jeden demokratisch denkenden | |
Menschen zutiefst beunruhigen, dass es nur noch elf Monate bis zu den dann | |
stattfindenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sind. | |
Für die AfD sehen die Umfragewerte hervorragend aus, eine reale Machtoption | |
ist nicht ausgeschlossen. In Thüringen würde nach jetzigem Umfragestand | |
eine laut Verfassungsschutz gesichert rechtsextreme Partei mit Abstand | |
stärkste Kraft. Rund ein Drittel der Bürger*innen würde die AfD – Stand | |
jetzt – in allen drei Bundesländern wählen. Die Ergebnisse in Bayern und in | |
Hessen könnten also nur ein Vorgeschmack gewesen sein. | |
Einen von vielen alarmierenden Sätzen, die am Donnerstagabend während des | |
FAZ-Talks „AfD im Aufwind: Kippt die Demokratie?“ in der Evangelischen | |
Akademie Frankfurt fallen, sagt die aus Wismar stammende | |
[1][Schriftstellerin und Allroundkünstlerin Anne Rabe]: „Ich sehe derzeit | |
keine politische Kraft, die in der Lage wäre, den Erfolg der AfD im | |
kommenden Jahr zu verhindern“, erklärt sie. | |
Nun könnte sich das politische Tableau zwar noch mal bedeutend ändern, wenn | |
Sahra Wagenknecht tatsächlich mit einer neuen (vermutlich auch | |
populistischen) Partei antritt, beängstigend sind die Perspektiven so oder | |
so. Die Normalisierung der AfD nehme zu, auch im Westen, konstatiert Rabe, | |
die gerade mit [2][ihrem Wenderoman „Die Möglichkeit von Glück“] auf der | |
Shortlist des Deutschen Buchpreises stand. | |
## Nicht „nur“ ein Frustwähler*innen-Phänomen | |
Die Diskussion, an der neben Rabe die FAZ-Feuilletonist*innen Sandra | |
Kegel, Melanie Mühl und Patrick Bahners teilnehmen, ist auch deshalb | |
hochinteressant, weil sie alle den Erfolg der Partei nicht „nur“ zu einem | |
Frustwähler*innen-Phänomen machen. Sondern fragen, was und wen die | |
Partei richtig adressiert – und wie. Bahners, der gerade ein Buch über die | |
AfD geschrieben hat („Die Wiederkehr. | |
Die AfD und der neue deutsche Nationalismus“) sagt, die Partei nehme „die | |
Demokratie vielleicht ernster als die Parteien, mit denen sie konkurriert“. | |
Zumindest bekenne sie sich zum politischen Streit. Er führt den | |
AfD-Aufschwung auch auf eine zunehmend pragmatischere Politik in den | |
Merkeljahren und die Rede von der Alternativlosigkeit zurück. Dabei gehe es | |
der AfD natürlich eigentlich nicht um demokratische Werte. | |
Schon am Nachmittag hatte Bahners bei einer Diskussion („AfD – bald | |
normal?“) mit dem [3][Görlitzer Schriftsteller Lukas Rietzschel] davon | |
gesprochen, dass man die AfD als Container, als Behältnis begreifen müsse, | |
das, unabhängig vom Inhalt, gerade sehr attraktiv sei. Das liege auch | |
daran, dass sich die anderen großen Parteien von der Idee der direkten oder | |
wirklich bürgernahen Demokratie zunehmend verabschiedet hätten. | |
Beide nannten das Schlagwort „nichtmajoritäre Institutionen“ (NMI) als | |
Problem – also etwa Expertengruppen, Institutionen, Lobbyvereine, deren | |
Einfluss bei der politischen Entscheidungsfindung zunimmt. Bürger*innen | |
fühlten sich so ohnmächtiger, weiter entfernt vom politischen Prozess, sind | |
sich beide einig. | |
## Gauland-Weidel-Partei im Kern undemokratisch | |
Rietzschel, der mit dem Roman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ (2018) | |
bekannt wurde und Mitglied der SPD ist, sieht Auswege des | |
Demokratieproblems nur in mehr Bürgerbeteiligung. Er macht sich für das | |
Losverfahren stark, durch das Bürger*innen zur Partizipation | |
„verdonnert“ werden – ähnlich, wie es der belgische Historiker David Van | |
Reybrouck seit Jahren fordert. | |
Rietzschel erkennt eine Schieflage: Einerseits wünschten sich 85 Prozent | |
der Bürger*innen laut einer Studie der Körber-Stiftung mehr | |
Mitbestimmung auf Bundesebene, andererseits hat ein Großteil (54 Prozent) | |
weniger großes oder geringes Vertrauen in die Demokratie. Man könnte aus | |
dieser Umfrage – 71 Prozent glauben, dass „führende Leute in Politik und | |
Medien in ihrer eigenen Welt leben“ – auch ableiten, dass die Erzählung von | |
der Elite verfängt, dass die AfD also erfolgreich mit ihrem Narrativ ist. | |
Rietzschel ist natürlich klar, dass die Gauland-Weidel-Partei im Kern | |
undemokratisch ist – sie sei ein „aktiver Untergraber unserer | |
demokratischen Ordnung“. So spricht er sich auch für ein Verbot der Partei | |
aus. Ein Demokratieproblem sieht auch Schriftstellerin Anne Rabe, ebenfalls | |
SPD-Mitglied, beim Gespräch am Abend. An dem Gedanken, für viele sei | |
Politik heute einfach eine Serviceleistung, sei etwas dran. Das bürgerliche | |
Engagement nehme allerorten ab – da müsse man ansetzen. | |
Wie sehr es im Osten brodele, habe die Debatte um und der Erfolg von Dirk | |
Oschmanns Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ gezeigt. Allerdings | |
dürfe man den Osten nicht als homogene Masse verstehen, so Rabe, das sei | |
schon bei der Mystifizierung der friedlichen Revolution falsch gewesen und | |
setze sich bis heute fort. | |
[4][Ein Ostphänomen will] – spätestens nach den Erfolgen in Hessen und in | |
Bayern – aber auch keiner der Diskutant*innen mehr aus der Partei | |
machen. Bahners erinnert daran, dass sie 2013 im Speckgürtel Frankfurts, in | |
Oberursel, gegründet wurde, er stellt zudem die Erzählung von der | |
Radikalisierung der Partei infrage: „Ist es eigentlich wirklich so, dass | |
sich die Partei so weit wegbewegt hat von ihren Anfängen? War die | |
Radikalität nicht schon bei der Gründung angelegt?“ | |
Es ist gut, dass sich die Diskussionen über die AfD dem Phänomen fragend | |
und unideologisch nähern, nur so kann man Schlüsse über den Erfolg der | |
Partei ziehen. Die Journalistin und Autorin Melanie Mühl weist darauf hin, | |
dass viele Menschen den klassischen Medien während der Coronapandemie den | |
Rücken zugekehrt hätten und sich seither nur aus fragwürdigen Quellen | |
informierten – auch das sei ein Faktor. | |
Dass die AfD Social Media, nun auch Tiktok, beherrscht, dass es ihr | |
gelingt, die Empörungsklaviatur auf allen Seiten zu bedienen, kann man erst | |
mal nur feststellen. Diese Mechanismen sind vielen sozialen Medien | |
immanent. „Die AfD will den Diskurs zerstören“, sagt Anne Rabe – mit den | |
sozialen Medien haben sie Plattformen, die wie dafür gemacht scheinen. | |
Nachdenklich machen entsprechend die Sätze von Patrick Bahners, der sagt, | |
das Habermas’sche Prinzip des Diskurses, nach dem man dem Gegenüber | |
unterstellt, am (besseren) Argument interessiert zu sein, sei im | |
politischen Streit unserer Zeit gewissermaßen aufgekündigt. | |
Es ist, so viel nimmt man mit, zu kurz gedacht, wenn man nur von einem | |
kleinen konjunkturellen [5][Hoch der AfD] in der Mitte der Legislatur | |
spricht. Wir müssen über politische Partizipation, über die Krise der | |
medialen Vermittlung, über neue Politikmodelle nachdenken. | |
20 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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