# taz.de -- Interview mit Antisemitismus-Expertin: „Klare Parteilichkeit ist … | |
> Nach den Hamas-Angriffen verbreiten auch deutsche Medien antisemitische | |
> Vorurteile. Kim Robin Stoller über die hohe Bedeutung, Sprache zu | |
> entlarven. | |
Bild: Sicherheitskamera zeigt Hamas-Kämpfer in einer Siedlung in Süd-Israel | |
taz: Frau Stoller, die Sicherheit Israels ist [1][deutsche Staatsräson]. | |
Das steht im Koalitionsvertrag. Auch die Ampelparteien betonen das | |
angesichts des Terrors, den die islamistische Hamas an israelischen | |
Zivilist:innen verübt hat. Was bedeutet das für Medienschaffende? | |
Kim Robin Stoller: Für die Bundesregierung hat dieser Grundsatz | |
gegebenenfalls eine militärische Dimension. Um Israels Sicherheit zu | |
schützen, würde die deutsche Bundeswehr auch kriegerisch eingreifen. Diese | |
Dimension gibt es für Journalist:innen nicht. Aus den Erfahrungen des | |
Ukrainekriegs wissen wir aber, dass eine klare Parteilichkeit bei einem | |
Angriffskrieg möglich ist. Nach der Kriegserklärung und dem [2][genozidalen | |
Massake]r der Hamas ist das geboten. | |
Wie könnte so eine Positionierung in der Berichterstattung aussehen? | |
Medien sollten vermitteln, dass es sich bei der Hamas um eine | |
vernichtungsantisemitische Terrororganisation handelt. Eine solche | |
Terrororganisation wird ihre Taten weiter umsetzen, wenn sie nicht gestoppt | |
wird. Diese Dimension sollte in der Berichterstattung deutlich werden. | |
Sie beobachten in der deutschen Berichterstattung über Israel Sprachbilder, | |
die antisemitische Ressentiments transportieren. Welche Sprachbilder sind | |
das? | |
Ein verbreitetes Sprachbild ist die sogenannte jüdische Rache. Israels | |
Handeln oder Reaktionen auf Angriffe der Hamas werden dann als solche | |
dargestellt. Ein Bild, das permanent reproduziert wird, ist, Israel als | |
intentionaler Kindermörder, solche O-Töne gab es in einem Radiobeitrag. | |
Immer wieder finden sich in der Berichterstattung über Israel asymmetrische | |
Darstellungen, in denen insbesondere auf die militärische Überlegenheit | |
Israels abgestellt wird: David gegen Goliath, also der starke Unterdrücker, | |
gegen den sich [3][„die“ armen Palästinenser] wehren. Hierbei werden | |
Akteure wie die terroristische Hamas nicht genannt. Ein Großteil der | |
Menschen verbreitet diese Falschdarstellungen und antisemitischen Topoi | |
vermutlich nicht bewusst. | |
Welche Instrumente können Medienschaffende nutzen, um israelbezogenen | |
Antisemitismus in der journalistischen Praxis zu erkennen? | |
Sie könnten Vergleiche ziehen zu anderen kriegerischen Auseinandersetzungen | |
und überlegen: Wie haben wir im Kontext des Ukrainekrieges berichtet? | |
Welche Bilder wurden damals produziert? Wie berichten wir jetzt in Bezug | |
auf Israel und die Hamas-Angriffe? Es gibt eine internationale | |
Arbeitsdefinition von Antisemitismus, die sogenannte IHRA-Definition, die | |
viele Beispiele von israelbezogenem Antisemitismus enthält. Medienhäuser | |
sollten prüfen, ob sie auf die eigene Berichterstattung zutrifft. | |
In proisraelischen Kreisen ist das Schlagwort „Pallywood“ verbreitet. Die | |
Behauptung: Palästinenser würden mithilfe gestellter Szenen gewaltsame | |
israelische Übergriffe vortäuschen. Wie bewerten Sie das? | |
Es gibt auf jeden Fall zivile Opfer. Bekannt ist allerdings auch, dass | |
Bildmaterialien aus anderen Kriegssituationen, wie dem syrischen | |
Bürgerkrieg, oder inszenierte Szenen genutzt werden, um zu behaupten, dass | |
gerade Massaker von israelischer Seite verübt werden. Eine Herausforderung | |
ist, dass Bilder, Videos und Informationen der Hamas teilweise von | |
Nachrichtenagenturen oder von prominenten Sendern verbreitet werden. Selbst | |
wenn Falschmeldungen im Nachhinein als solche benannt werden, ist es kaum | |
möglich, sie wieder aus den Köpfen zu bekommen. Wenn die Bereitschaft | |
besteht, zu glauben, dass Israel gezielt palästinensische Kinder tötet oder | |
die Tötung absichtlich in Kauf nimmt, wirkt auch eine nachträgliche Meldung | |
über eine Falschdarstellung nicht. | |
Die Hamas hat ihr barbarisches Vorgehen gegen israelische | |
Zivilist:innen selbst gefilmt. Sollten Medien solche Videos zeigen? | |
Es ist einerseits wichtig, jüdische Opfer zu thematisieren. Andererseits | |
wird mit der Verbreitung von Hamas-Material die Perspektive der Täter | |
eingenommen. Wir wissen aus Untersuchungen zum Nationalsozialismus, dass | |
Bilder von Opfern häufig von Nazi-Tätern aufgenommen und inszeniert wurden. | |
Das hat Auswirkungen darauf, wie wir auf diese Opfer blicken – und | |
inwiefern wir zu Empathie für sie fähig sind. Aktuell werden Videos von | |
Hamas-Geiseln, die medizinisch versorgt werden, verbreitet. Deshalb würde | |
ich raten, andere Bilder und Erzählungen über jüdische Opfer in den | |
Vordergrund zu stellen. | |
Die Grünen-Innenpolitikerin Lamya Kaddor fordert eine strafrechtliche | |
Verfolgung von Personen, die Propagandavideos verbreiten. Die Bilder würden | |
Radikalisierungspotenzial bergen. Wie stehen Sie dazu? | |
Das Abfeiern der Massaker gegen israelische Zivilist:innen ist eine | |
Form der Radikalisierung. Dies hat unter Islamisten und ihren | |
Anhänger:innen zu einem Selbstbewusstseinsschub geführt. Man sollte die | |
Verbreitung von Propagandamaterial und Terrorverherrlichung rechtlich | |
unterbinden. | |
Israel wird wohl mit einer Bodenoffensive in Gaza auf den Großangriff der | |
Hamas reagieren. Wie bereits in vorangegangenen Kriegen wird es auch auf | |
der palästinensischen Seite zivile Opfer geben. Wofür sollten | |
Medienschaffende in den nächsten Wochen in ihrer Berichterstattung | |
sensibilisiert sein? | |
Medien sollten auf ihre Sprache achten. Es handelt sich bei der Hamas nicht | |
um „militante Kämpfer“ oder „Widerstandskämpfer“, sondern um Terroris… | |
einer terroristischen Organisation, die Massaker verübt haben. Außerdem | |
sollte sensibel mit Formulierungen wie der „Spirale der Gewalt“, | |
„Eskalation“ oder der Forderung nach Verhältnismäßigkeit umgegangen werd… | |
So eine Forderung würde bedeuten, dass die Israelis im gleichen Verhältnis | |
agieren sollten wie die Hamas, was natürlich völliger Humbug ist. Medien in | |
Deutschland sollten bedenken: Ihre Berichterstattung hat massive | |
Auswirkungen auf Jüdinnen und Juden in Deutschland. Eine empathische | |
Berichterstattung gegenüber Israel und den israelischen Opfern sollte ein | |
Gebot sein. | |
18 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Erica Zingher | |
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