| # taz.de -- Osama bin Laden auf TikTok: Ein Like für Osama | |
| > Der ehemalige Al-Qaida-Anführer trendet mit seinem „Letter to America“ in | |
| > den sozialen Medien. Der TikTok-Konzern bemüht sich um | |
| > Schadensbegrenzung. Was ist da los? | |
| Bild: Hat so einen Bart, aber manche jungen Leute mögen's halt: Osama bin Laden | |
| Zwölf Jahre nach seinem Tod kämpft die Welt wieder gegen Osama bin Laden. | |
| Die Social-Media-Plattform Tiktok sperrt seit Donnerstag Videos, die eine | |
| alte Nachricht des ehemaligen Al-Qaida-Führers bewerben. Bin Laden hatte | |
| darin die Terrorangriffe des 11. Septembers 2001 gerechtfertigt. | |
| Die Plattform sah sich zu diesem Schritt genötigt, nachdem Nutzer*innen | |
| die Propaganda bin Ladens bewarben und sie als eine Art Erleuchtung | |
| darstellten. [1][Bin Ladens „Letter to America“ („Brief an Amerika“) sei | |
| „krass und jeder sollte ihn lesen“, sagt eine blonde Frau in einer | |
| Strickjacke in einem der Videos]. | |
| „Ich werde das Leben nie wieder so sehen wie vorher“, erklärt eine andere. | |
| Jahrelang sei den Leuten Terrorismus als etwas verkauft worden, bei dem | |
| Menschen grundlos hassten, heißt es in einem weiteren Video. Ein junger | |
| Mann stellt einen Bezug her zum Krieg in Nahost: „Unter dem | |
| Siedlerkolonialismus wird jede Art von Widerstand als terroristisch | |
| gebrandmarkt.“ | |
| Der „Letter to America“, auf den sich die Leute beziehen, ist die | |
| Übersetzung einer Botschaft von Osama bin Laden in arabischer Sprache, die | |
| im November 2002 veröffentlicht wurde. „Ihr habt uns in Palästina | |
| angegriffen“, heißt es darin zu den Gründen, warum al-Qaida die USA | |
| attackiert hat. Die Nachricht strotzt von reaktionärer Ideologie, wie der | |
| Ablehnung von Homosexualität, und ist durchzogen von Antisemitismus – etwa, | |
| indem den Juden eine vermeintliche Kontrolle über Wirtschaft und Medien | |
| unterstellt wird. | |
| ## Videos mit mehr als einer Million Aufrufe | |
| Es sind Teenager, junge Erwachsene, die nun in den sozialen Medien ihr | |
| Erstaunen darüber ausdrücken, dass sie der Botschaft des Terroristen | |
| zustimmen. Die Videos erhielten teilweise über eine Million Aufrufe. [2][In | |
| einem Statement von Tiktok hieß es], die Videos würden „proaktiv und | |
| aggressiv“ entfernt. Der Konzern bemühte sich um öffentliche | |
| Schadensbegrenzung: Die Anzahl der Videos sei gering, von einem „Trend“ zu | |
| sprechen unzutreffend. | |
| Die chinesische Plattform Tiktok steht schon länger in der Kritik, für die | |
| [3][Verbreitung von Antisemitismus und Verschwörungsideologie | |
| verantwortlich zu sein]. 60 Prozent der Nutzer:innen sind unter 30 Jahre | |
| alt, viele davon minderjährig. Ein Blick in die [4][Trend-Analyse von | |
| Google zeigt, dass in den letzten Tagen vermehrt nach der | |
| Al-Qaida-Botschaft gesucht wurde]. Die Suchanfragen nach „Letter to | |
| America“ schnellten in die Höhe. Interesse bestand vor allem in westlichen | |
| Regionen, in den USA und Europa. | |
| Das Publikum der Videos ist vermutlich nach den Anschlägen vom 11. | |
| September geboren. „Wir haben es mit einer Kluft zwischen den Generationen | |
| zu tun“, sagt [5][Moustafa Ayad, Exekutivdirektor für die Regionen Afrika, | |
| Naher Osten und Asien am Londoner Institute for Strategic Dialogue], der | |
| taz. „Terroristische Gruppen haben Palästina schon seit langem als Vehikel | |
| für ihre Argumentation benutzt. Auch dieser spezielle Brief tat dies“, so | |
| Ayad. | |
| Dabei sei Palästina nicht das Ziel von al-Qaida gewesen, sondern | |
| populistisch genutzt worden, um Muslime weltweit zu überzeugen. Der Experte | |
| hält den aktuellen Trend für gefährlich. „Das Problem ist, dass | |
| terroristische Propaganda das Potenzial hat, jemanden zu radikalisieren“, | |
| erklärt Ayad. Das sei aktuell auch von Islamisten erkannt worden. | |
| ## Versagen des Bildungssystems | |
| Zu finden war eine Übersetzung der Nachricht bin Ladens jahrelang auf der | |
| Webseite des britischen Guardian. [6][Die Sonntagzeitung The Observer, die | |
| zum Guardian gehört, hatte 2002 berichtet, dass die Nachricht bin Ladens | |
| auch unter britischen Islamisten zirkuliere], und dazu den vollen Text | |
| dokumentiert. | |
| Am [7][Mittwoch löschte der Guardian das Dokument]. Auf Anfrage erklärte | |
| die Presseabteilung, es werde „in den sozialen Medien weithin ohne den | |
| vollständigen Kontext geteilt“. Daher habe man beschlossen, das Dokument zu | |
| entfernen. Die Löschung hatte in den sozialen Medien die Aufmerksamkeit | |
| verstärkt. Manche Nutzer*innen sahen darin die antisemitische | |
| Verschwörungsideologie bestätigt, dass die Juden die Medien kontrollierten. | |
| [8][Aaron Y. Zelin, Senior Fellow am Washingtoner Institut für | |
| Nahostpolitik], erklärte der taz, dass auch Versatzstücke von linken Ideen | |
| in die dschihadistische Ideologie einfließen. „Die jungen Leute suchen sich | |
| also etwas aus, und ein Teil davon erscheint ihnen aufgrund der | |
| antiamerikanischen Strömung innerhalb der Linken rebellisch.“ Das | |
| verdeutliche ein Versagen des Bildungssystems. | |
| 17 Nov 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.instagram.com/p/CzsAmwtRiu8/ | |
| [2] https://x.com/TikTokPolicy/status/1725198557936852994?s=20 | |
| [3] /Hass-durch-Memes-auf-TikTok/!5968017 | |
| [4] https://trends.google.com/trends/explore?date=now%207-d&q=Letter%20to%2… | |
| [5] https://www.isdglobal.org/isd_team/moustafa-ayad/ | |
| [6] https://www.theguardian.com/world/2002/nov/24/alqaida.terrorism | |
| [7] https://www.theguardian.com/info/2023/nov/15/removed-document | |
| [8] https://www.washingtoninstitute.org/experts/aaron-y-zelin | |
| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
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