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# taz.de -- Hamas-Angriff auf Israel: Europas Linke streiten über Nahost
> Es gibt nicht die eine linke Perspektive auf den Nahost-Konflikt. Was es
> aber immer gibt, ist Streit.
Bild: Labourchef Starmer besucht am 12. Oktober Rabbi Eli Levin in einer Synago…
LONDON/PARIS/MADRID taz | Die Probleme der britischen Labour-Partei [1][mit
Antisemitismus] und dem akut einseitigen Einsatz für palästinensische
Anliegen schienen zum Ende des Parteitags in der vergangenen Woche
bewältigt. Selbst die nach der Terrorattacke der Hamas wieder entfachte
Nahostkrise brachte die Partei nicht aus der Bahn. Mit klaren Aussagen von
Parteichef Keir Starmer und anderen Mitgliedern des Schattenkabinetts
solidarisierte sich die linke Oppositionspartei mit Israel und seiner
Bevölkerung.
Für viele Beobachter war es ein Symbol für die Regierungsfähigkeit der
Partei. Doch dann zerbröckelte die Einheit kurz vor Ende des Parteitags
wieder. Auslöser war [2][ein Interview Starmers beim britischen Radiosender
LBC]. Israel sei berechtigt, den Menschen in Gaza das Wasser und den Strom
abzudrehen, solange dies mit internationalem Recht in Einklang stünde,
sagte er dort.
Das Netzwerk muslimischer Labourpolitiker:innen brauchte für seinen
Protest nicht lange. Starmer habe mit seiner Aussage die „kollektive
Bestrafung“ der Menschen in Gaza befürwortet. Es folgten erste
Parteiaustritte unter muslimischen Labour-Mitgliedern.
Ein offener Brief an Starmer, der von vielen muslimischen
Labouranhänger:innen unterschrieben wurde, verurteilt den Angriff auf
israelische Zivilisten, jedoch ohne ihn in den Zusammenhang mit Hamas zu
bringen. Dort heißt es: „Ihre durchgehende Verteidigung der Maßnahmen
Israels, oft mit wenig Beachtung der humanitären Notsituation der
Palästinenser:innen, hat vielen Mitglieder der muslimischen Gemeinschaft
das Gefühl gegeben, nicht gehört und repräsentiert zu werden.“
Der Brief verurteilt Labours Position, dass nur die Hamas für das
Nichterreichen von Frieden in der Region verantwortlich sei, und weist auf
Berichte internationaler Organisationen über „Israels diskriminierende
Praktiken, [3][Siedlungsbau] und Bewegungseinschränkungen“ hin. Starmer
müsse den palästinensischen Kampf und die Gründe des Konflikts anerkennen.
Sollte er dies nicht tun, sei seine Stellung als Labourchef für Muslime
unvertretbar.
Mitglieder aus dem Schattenkabinett, darunter auch Starmer selbst, stellten
daraufhin klar, dass man über das Wohl der Zivilbevölkerung Gaza sehr wohl
besorgt sei und dass Israel im Rahmen des internationalen Rechts handeln
müsse. Doch ein Bericht der britischen Financial Times über eine Mahnung
von David Evans, Labour-Generalsekretär, an Genoss:innen in
kommunalpolitischen Führungspositionen, sich von propalästinensischen
Demonstrationen fernzuhalten, goss erneut Öl ins Feuer.
Am Mittwoch verteidigte Starmer Israels Recht zur Selbstverteidigung im
Unterhaus, unterstrich jedoch, dass Hamas nicht mit der palästinensischen
Bevölkerung gleichzusetzen sei. Alle Seiten des Konflikts müssten sich dem
internationalen Recht beugen und die Sicherheit der Zivilbevölkerungen
gewährleisten. Unter den Trauernden der vergangenen Wochen seien Israelis,
Palästinenser:innen, Muslim:innen und Jüdinnen und Juden, so Starmer.
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski, London
## Letzter Sargnargel für Frankreichs Nupes-Bündnis
Ist die Hamas eine terroristische Organisation oder nicht? Tatsächlich ist
das eine Frage, an der das [4][linke Bündnis Nupes] in Frankreich, die Neue
Ökologische und Soziale Volksunion, aus Sozialisten, Kommunisten, Grünen
und der linkspopulistischen Bewegung La France insoumise (LFI) gerade
zerbricht.
Kurz nach dem Überfall der Hamas auf Israel hatte die LFI-Fraktion in der
Nationalversammlung in einem Kommuniqué die Gewalt beider
Nahostkonfliktparteien gleichermaßen verurteilt und erklärt: „Die
palästinensische militärische Offensive der Hamas erfolgt im Kontext einer
verstärkten israelischen Politik der Besetzung in Gaza, im Westjordan und
in Jerusalem.“ Am Dienstag schlug die Abgeordnete Danièle Obono in dieselbe
Kerbe: Für sie sei die Hamas eine „Widerstandsbewegung“. Frankreichs
Innenminister Gérald Darmanin will Obono nun wegen der „Rechtfertigung von
Terror“ anklagen.
Auch die Führung von LFI, in der [5][Jean-Luc Mélenchon] als
Ex-Präsidentschaftskandidat der Linken immer noch den Ton angibt, möchte
sich der Verurteilung der Hamas nicht anschließen. Stattdessen versucht man
sich mit einer differenzierenden Definition aus der Klemme zu helfen: „Es
handelt sich (bei der Hamas) um eine politische islamistische Gruppe mit
einem militärischen Ableger, die zu den palästinensischen politischen
Organisationen gehört und die sich zum Ziel gesetzt hat, gegen die
Besetzung zu kämpfen und Palästina zu befreien.“
Das ist eine Spitzfindigkeit, mit der sich LFI in der politischen
Landschaft Frankreichs isoliert hat – auch innerhalb der Nupes. So bewerten
die anderen Parteien die LFI-Stellungnahme sowohl als strategischen wie
moralischen Fehler, der die gesamte Linke belasten würde.
Die Kommunistische Partei hat sich bereits explizit aus diesem Bündnis
verabschiedet, die Sozialisten erwägen es, die Grünen ebenso. In den
politischen Kommentaren der französischen Medien wird die Nupes bereits für
tot erklärt.
Auch innerhalb von LFI sind nicht alle auf der von Mélenchon diktierten
Linie: Sein wichtigster Rivale, François Ruffin, der bei der letzten
Umgruppierung aus der Parteileitung entfernt wurde, kritisierte öffentlich
die Stellungnahme. Er fordert die französische Linke dazu auf, die
„terroristischen Verbrechen der Hamas“ mit eindeutigen Worten zu
verurteilen.
Der Streit über die Einschätzung der Hamas könnte damit der Sargnagel für
das linke Bündnis in Frankreich sein. Schon vorher gab es Spannungen wegen
des Umgangs mit den Protesten gegen die [6][Rentenreform]. Auch eine
gemeinsame Haltung zur Atomenergie gab es nicht.
Möglicherweise spielen auch wahlpolitische Interessen eine Rolle.
Kommunisten, Grüne und Sozialisten wollen bei den Europawahlen im nächsten
Jahr nicht eine gemeinsame Nupes-Liste, sondern separat eigene
Kandidat*innen aufstellen, während La France insoumise auf einer
Einheitsliste besteht. Doch außer einigen Sympathisanten an der Basis der
betroffenen Parteien glaubt daran niemand mehr. Rudolf Balmer, Paris
## Spaniens Sozialministerin verurteilt Israel
Der Nahostkonflikt wird immer mehr zum Problem der alten und [7][wohl auch
kommenden] spanischen Regierungskoalition aus der sozialistischen PSOE von
Ministerpräsident Pedro Sánchez und dem linksalternativen Bündnis Sumar.
Mitten in den Verhandlungen für eine Neuauflage der Minderheitsregierung
machen namhafte Sumar-PolitikerInnen durch alles andere als ausgewogene
Aussagen zum Thema auf sich aufmerksam. Sie sorgen damit nicht nur für
Missstimmung innerhalb des Regierungslagers, sondern auch für einen
diplomatischen Konflikt mit Israel.
Vor allem Ione Belarra, Spaniens bisherige Sozialministerin und
Generalsekretärin der in Sumar aufgegangenen Podemos sorgt für Aufregung.
Sie forderte angesichts des „Willens zur Vernichtung des palästinensischen
Volkes“ nicht nur die Einstellung von Waffenverkäufen an Tel Aviv, sondern
auch die „Einstellung der diplomatischen Beziehungen“.
Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu möchte sie vor dem
Internationalen Strafgerichtshof wegen Völkermord angeklagt sehen. Wer dem
nicht folge, „mache sich mitverantwortlich“, griff sie Sánchez an. Spaniens
Ministerpräsident vertritt eine abwägende Position, indem er sowohl den
Terror der Hamas als auch die Antwort Israels kritisierte.
Es ist genau das Wort „Terror“, das Belarra, die als einzige Ministerin an
propalästinensischen Demonstrationen in Madrid teilnahm, und anderen
Sumar-PolitikerInnen nur in Zusammenhang mit den Kriegshandlungen der
israelischen Armee über die Lippen kommt. Ihr Fraktionskollege Enrique
Santiago, ehemaliger Staatssekretär und Chef der Kommunistischen Partei,
erklärte nur zwei Tage nach dem Angriff der Hamas, dass dieser die logische
Folge der „zionistischen Apartheidpolitik“ sei.
Auch er weigerte sich, das Wort Terrorismus auf die Hamas anzuwenden. „Wir
wissen ganz einfach nicht, was eine Terrorgruppe ist. Jeder definiert das
so, wie er will. Und bisher entspricht die Aufnahme von Organisationen in
die Terroristenlisten den politischen Kriterien der Staaten“, erklärte der
Kommunist, der sich in den sozialen Netzwerken auch als
Menschenrechtsanwalt bezeichnet.
Bei dem Aufruf zu den Demonstrationen, an denen auch Santiago teilnahm,
waren sie freilich weniger zurückhaltend. „Dringlichkeitskundgebung gegen
den israelischen Terror“ stand auf den Plakaten.
Die Reaktion aus Israel ließ nicht lange auf sich warten. Die Botschaft in
Madrid verurteilte die „Äußerungen einiger Mitglieder der spanischen
Regierung auf das Schärfste“. Diese seien „unmoralisch“. Spaniens
Außenminister José Manuel Albares bezeichnete das Schreiben als eine „nicht
freundschaftliche Geste“. In jeder Regierung gebe es unterschiedliche
Meinungen, versuchte er gegenüber der Presse zu beschwichtigen. Das Letzte,
was Sánchez und die Sozialisten während der Regierungsbildung brauchen
können, ist ein offener Koalitionsstreit. Reiner Wandler, Madrid
20 Oct 2023
## LINKS
[1] /Antisemitismusvorwuerfe-gegen-Corbyn/!5724741
[2] https://www.lbc.co.uk/news/sir-keir-starmer-hamas-terrorism-israel-defend-i…
[3] /Beobachter-ueber-Israels-Siedlungspolitik/!5912949
[4] /Linksbuendnis-in-Frankreich/!5850576
[5] /Franzoesischer-Kandidat-Melenchon/!5398995
[6] /Umstrittene-Rentenreform-in-Frankreich/!5938145
[7] /Ergebnis-der-Parlamentswahlen-in-Spanien/!5948979
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
Reiner Wandler
Rudolf Balmer
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