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# taz.de -- Deutscher Blick auf Israel und Palästina: Ungeteiltes Mitgefühl
> Ist palästinensisches Leid weniger wert als anderes? Die deutsche
> Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Palästinenser:innen
> ist beängstigend.
Bild: Eine Frau steht in den Trümmern eines Hauses, das durch israelischen Bes…
Der Schock über den Überfall der Hamas sitzt tief. Im Morgengrauen
überwanden ihre Kämpfer die Grenzanlagen zum Gazastreifen und ermordeten
über 1.300 Menschen – Soldaten und Zivilisten, darunter Hunderte Besucher
eines Musikfestivals und Bewohner angrenzender Ortschaften. Ganze Familien
sind unter den Opfern, viele Frauen, Kinder, sogar Babys. Knapp 200
Menschen nahmen die Terroristen als Geiseln und entführten sie in den
Gazastreifen. Unter ihnen sind viele junge Menschen, die familiäre
Verbindungen in alle Welt hatten. Es könnten Freunde oder Angehörige von
uns sein – so denken und fühlen viele, auch ich.
Man muss das als Terror bezeichnen, denn er verbreitet Angst und Schrecken,
und Massaker an Zivilisten sind ein Kriegsverbrechen. Auch wer der Meinung
ist, Palästinenser:innen hätten das Recht, Widerstand zu leisten
gegen ihre andauernde Unterdrückung, muss das anerkennen. Denn auch für
Widerstand gelten die Regeln des Völkerrechts.
An Regeln halten müssen sich aber auch jene, die auf solchen Terror
reagieren müssen. Regierungen müssen dabei die Verhältnismäßigkeit wahren.
Zweifel sind angebracht, dass die israelische Regierung sich daran hält.
Keine zwei Tage nach dem Angriff der Hamas kündigte der israelische
Verteidigungsministers Joaw Galant eine vollständige Blockade des
Gazastreifens an – „kein Strom, keine Lebensmittel, kein Wasser, kein Gas�…
Zur Begründung sagte er, sein Land kämpfe gegen „menschliche Tiere“. Das
ist eine gefährliche Sprache, und die Totalblockade kommt einer kollektiven
Bestrafung der Bevölkerung von Gaza gleich.
In der ersten Woche des Kriegs hat die israelische Armee nach eigenen
Angaben mehr als 6.000 Bomben über Gaza abgeworfen, so viel wie noch nie in
so kurzer Zeit, und unter anderem das zentrale Geschäftsviertel Rimal
verwüstet. Dort hatten Einkaufszentren und Ministerien, die Büros
internationaler Medien und Hilfsorganisationen ihren Sitz, nun gleicht die
Gegend einer Mondlandschaft. Seit den israelischen Angriffen sind nach
palästinensischen Angaben bis Donnerstag bereits mehr als 3.700 Menschen
getötet worden, darunter viele Frauen und Kinder – mehr Menschen als nach
dem letzten großen Gazakrieg im Sommer 2014, der immerhin 50 Tage
andauerte. Auch damals gab es eine Bodenoffensive, jetzt steht wieder eine
bevor. Doch Israels Premier Netanjahu drohte, das sei erst der Anfang
gewesen. Israels Reaktion auf den Angriff der Hamas werde „über
Generationen nachhallen“.
Israel wirft der Hamas vor, Menschen als „Schutzschilde“ zu missbrauchen,
sich inmitten der Zivilbevölkerung zu verstecken oder Waffen zu lagern. Das
mag stimmen – es entbindet die israelische Armee aber nicht von ihrer
Verantwortung, Zivilisten zu schonen. Stattdessen hat sie jetzt rund 1,1
Millionen Zivilisten aufgefordert, den Norden des Gazastreifens zu
verlassen – eine Forderung, die UN-Generalsekretär Antonio Guterres als
„extrem gefährlich“ bezeichnet hat.
[1][Juden und Jüdinnen weltweit fühlen sich durch Bilder von ganzen
Familien mit Kindern, die von den marodierenden Mörderbanden der Hamas
ermordet wurden, an Pogrome und an den Völkermord durch die Deutschen
erinnert], dem rund sechs Millionen Juden zum Opfer fielen. Palästinenser
fühlen sich angesichts der Bombardierung und der Aufrufe der israelischen
Armee, ihre Heimat zu verlassen, an die Schrecken [2][der Nakba] erinnert,
die gewaltsame Vertreibung und Flucht von rund 700.000
Palästinenser:innen im Zuge der israelischen Staatsgründung 1947.
Gegen Gefühle kann man schlecht argumentieren.
Es ist nachvollziehbar, dass viele Deutsche mit jüdischen Israelis und
ihren jüdischen Nachbarn in Deutschland mitfühlen. Weniger verständlich
ist, wie manche hierzulande die Gewalt gegen Palästinenser:innen
relativieren oder rechtfertigen.
Und wie will die Bundesregierung glaubwürdig in anderen Konflikten auf das
Völkerrecht pochen, wenn sie jetzt schulterzuckend reagiert, als seien die
Menschen in Gaza an ihrem Schicksal irgendwie selbst schuld? Das ist ein
politisches Versagen. Die Menschen in Israel und in den palästinensischen
Gebieten verdienen unser ungeteiltes Mitgefühl und unsere Hilfe.
Knapp 200 israelische Geiseln sollen sich in den Händen der Hamas befinden.
Sollte die israelische Armee mit den Bombardierungen fortfahren und im
Gazastreifen einmarschieren, sind auch deren Leben bedroht.
## Es braucht eine dauerhafte politische Lösung
Wer glaubt, [3][ohne die Hamas würde Frieden in Gaza herrschen], ist naiv
oder kennt die vergangenen 75 Jahre dieses Konflikts nicht. Sollte die
Hamas „vernichtet“ werden, wie es jetzt heißt, wird eine andere Gruppe an
ihre Stelle treten – jedenfalls solange sich nicht die Bedingungen ändern,
die dazu geführt haben, dass so eine mörderische wie selbstmörderische
Organisation überhaupt entstehen und sich im Gazastreifen etablieren
konnte. Israel kann die Hamas militärisch schwächen, aber der Preis wird
das Leben von tausenden Zivilisten sein. Der Glaube, das Problem damit zu
beseitigen, wird sich wie schon so oft als Illusion erweisen. Es wird keine
militärische Lösung geben.
Statt sich vorbehaltlos hinter Israels Regierung zu stellen, wäre es
besser, die deutsche Regierung würde sich für einen Waffenstillstand und
für eine dauerhafte politische Lösung einsetzen. Angesichts von Übergriffen
auf Synagogen und antisemitischen Slogans auf deutschen Straßen ist es
selbstverständlich, dass deutsche Politiker sich schützend vor Jüdinnen und
Juden in Deutschland stellen und diese Straftaten verurteilen.
Doch ein Wort des Mitgefühls gegenüber Palästinenserinnen und
Palästinensern hierzulande, die um die Menschen im Gazastreifen bangen und
zugleich unter Pauschalverdacht geraten, würde auch nicht schaden und
helfen, ihnen ihre Ängste zu nehmen.
20 Oct 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Daniel Bax
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