Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Krieg im Gazastreifen: Mühevoller Gleichmut
> Wem das palästinensische Leid egal ist, der kann nicht glaubwürdig gegen
> Rassismus sein. Eine Gewissensprüfung würde gerade der Linken gut
> anstehen.
Bild: Wieder waren Kinder unter den Todesopfern der israelischen Bombardierunge…
Die meisten Dinge des Lebens erfordern anstrengende Arbeit. Es erfordert
Anstrengung, eine Familie zu ernähren und Freundschaften
aufrechtzuerhalten. Ein Haus zu bauen oder auch ein Haus zu zerstören,
erfordert Anstrengung. Vor allem aber erfordert es unfassbare Anstrengung,
gleichgültig zu bleiben. Diese Arbeit wird nicht nur von
Politiker*innen verrichtet, sondern von uns allen. Gleichgültig, dass
Menschen sterben, und gleichgültig, dass wir als Nation daran beteiligt
sind.
Aber auch die Gleichgültigkeit gegenüber dem wirklichen Ausmaß der vielen
Gewalttaten, an denen Deutschland historisch beteiligt war. Die
anstrengende Arbeit der Gleichgültigkeit hat mehrere Schauplätze. Zum einen
die sehr konkrete Arbeit des Zusammenbaus der Waffen in den Fabrikhallen
der Republik, die dann andernorts Infrastruktur und Leben zerstören. Zum
anderen ist da die unschärfere, weniger klar erkennbare Arbeit des
Sich-gleichgültig-Machens, während Menschen sterben.
Teil dieser zweiten Arbeit ist auch die Gleichgültigkeit gegenüber der
Tatsache, dass das eigene Weltbild genau die Entmenschlichung enthält, die
auf ironische Weise auch den Kern von Antisemitismus und Rassismus
ausmacht. In dem Moment, in dem jegliche Kritik Israels durch den
Antisemitismusvorwurf unmöglich gemacht wird, wird auch jegliche
Staatsgewalt in die Ecke des Unkritisierbaren geschoben.
Selbst dass Palästinenser*innen als „Tiere“ bezeichnet werden, kann
dann nur als bedauerlicher Einzelfall und nicht als systematische
Entmenschlichung gesehen werden. All dies mit dem Vorwurf des
Antisemitismus vor Kritik zu schützen, funktioniert nur, wenn nicht alles
Leben als schützenswert gesehen wird. Ein wesentlicher Teil der
Gleichgültigkeitsarbeit besteht darin, die Folgen dieser Entmenschlichung
unsichtbar zu machen und all die geschundenen Körper und die Zerstörung von
unseren Bildschirmen verschwinden zu lassen.
## Feministische Außenpolitik und Waffenlieferungen
Während Israel Gaza systematisch aushungert, verschwindet die Gewalt
systematisch aus den deutschen Medien – eine absolute Schande. Gleichgültig
gegenüber dem Leid anderer zu bleiben, ist also kein passiver Zustand,
sondern erfordert mühevolle Arbeit an einem Fundament für ein Haus, das vor
allem der eigenen Abschottung dient und deren Wände aus einer wattierten
Ignoranz gegossen werden.
Wir sind nun mit der erschreckend klaren Tatsache konfrontiert, dass Israel
seit dem [1][7. Oktober 2023] im Gazastreifen mindestens 50.000 Menschen
tötete und dass dies nicht nur [2][mithilfe von deutschen Waffen] geschah,
sondern auch von der Mehrheit der Deutschen – inklusive vieler vermeintlich
Linker – entweder toleriert oder sogar als notwendig angesehen wird. Diese
Tatsache kann auch jegliche rhetorische Gymnastik nicht verstecken.
Aber es scheint, dass sich ein Großteil der deutschen Linken nicht mal zu
der Einsicht durchringen kann, dass auch die Menschenwürde der
Palästinenser*innen unantastbar ist. Ob „universelle“ Rechte für alle
gelten, ist eigentlich keine besonders interessante Frage, denn man braucht
nur einen kurzen Blick in das Geschichtsbuch zu werfen, um zu erkennen,
dass dies noch nie der Fall war. Welche Frauen meinte Ex-Außenministerin
[3][Annalena Baerbock mit ihrer feministischen Außenpolitik], während sie
Waffenlieferungen an Israel genehmigte.
Das Problem ist natürlich nicht nur die offensichtliche Doppelmoral
Baerbocks und die Aushöhlung des Feminismusbegriffs, sondern dass so viele
vermeintlich Linke dem so gleichgültig gegenüberstehen. Tagtäglich wird
also an diesem Haus der Gleichgültigkeit gewerkelt, das anscheinend die
deutsche Nation beherbergen soll und über dessen Eingang Orwells bekanntes
Zitat als Schriftzug hängen könnte: „[4][Alle Tiere sind gleich, aber
manche sind gleicher.]“
## Minderjähriger „Kollateralschaden“
Wie viele relativierte Tote stecken in den Mauern dieses Hauses?
Mitläufer*in zu sein wird oft fälschlicherweise als ein passiver Zustand
beschrieben. Zu laufen heißt jedoch, die eigenen Muskeln zu bewegen, und
dies erfordert Anstrengung. Während sie gerade aktiv einen Schleier der
Gleichgültigkeit über Deutschland legen, fragen sich manche, wie können wir
den Faschismus stoppen?
Mit Schrecken und bürgerlicher Empörung wird auf den globalen Rechtsruck
hingewiesen, ohne zu erwähnen, dass Donald Trump zuallererst auf
propalästinensische Aktivist*innen zielte. Oder dass der israelische
Ministerpräsident Benjamin [5][Netanjahu die Rechtsextremen Europas] nach
Jerusalem einlädt. Und Personen, die denken, sie könnten einerseits
Menschen, die in Krankenhausbetten verbrennen oder Kinder deren zerfetzte
Körper an Wänden hängen, zu „Kollateralschaden“ erklären, wollen im
gleichen Atemzug vor aufsteigendem Rassismus in Deutschland warnen.
Aber ist die menschenverachtende Gleichgültigkeit einmal mühevoll
erschaffen, lässt sie sich schwer wieder ablegen. Und so stellt sich am
Ende nicht nur die Frage, welche Arbeit es erfordert, gleichgültig zu
bleiben, sondern auch, welche Arbeit diese Gleichgültigkeit leistet. Was
macht das mit einer Gesellschaft? Wenn es schon als radikal bezeichnet
wird, darauf hinzuweisen, dass es sich in Palästina um Menschen handelt,
dann ist die Frage, in welchem Wahnsinn sich die deutsche Öffentlichkeit
befindet. Und wohin diese Gleichgültigkeit führt.
Worte von links, die an Solidarität und Verantwortung appellieren und
gleichzeitig aktiv Menschen ihr Menschsein absprechen, klingen jeden Tag
hohler für all jene, denen [6][die Palästinenser*innen] nicht
gleichgültig sind. Für andere wiederum bereitet diese kognitive Dissonanz
von links das perfekte Sprungbrett, um in Deutschland die eigenen Formen
der Entmenschlichung voranzutreiben. Dieses Haus, das auf dem Fundament der
Gleichgültigkeit und moralischem Bankrott entsteht, ist ein grundlegend
instabiles, egal wie viel Arbeit darin steckt.
12 May 2025
## LINKS
[1] /7-Oktober--ein-Jahr-danach/!6034819
[2] /Waffenexporte-nach-Israel/!6069183
[3] /Konflikt-um-feministische-Aussenpolitik/!6042920
[4] https://www.deutschlandfunk.de/george-orwells-animal-farm-schweine-sind-auc…
[5] /Israelisch-ungarische-Freundschaft/!5946751
[6] /Ausweitung-des-Gaza-Krieges/!6086552
## AUTOREN
Aisha Kadiri
## TAGS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Palästinenser
Gaza
Genozid
GNS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Gaza-Krieg
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Israelkritik der Linkspartei: Der Missbrauch des Antisemitismusvorwurfs
Die Linke beschließt eine Resolution gegen Judenhass und wird dafür
desselben bezichtigt. Dabei geht es eher um die Deutungshoheit im
Nahost-Konflikt.
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Angriffe im südlichen Gazastreifen
Die Hamas hat einen US-Israeli freigelassen. Er ist zurück in Israel. Ein
Journalist wurde laut der Hamas bei einem israelischen Angriff getötet.
USA und Israel: Zunehmende Entfremdung
Die USA einigen sich mit der Hamas auf die Freilassung einer
israelisch-amerikanischen Geisel – wohl ohne israelische Beteiligung.
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Netanjahu schließt Waffenruhe trotz Geise…
Die Hamas hat angekündigt, einen US-amerikanischen Israeli freizulassen.
Deutschland und Israel feiern 60 Jahre diplomatische Beziehungen.
Hunger in Gaza: In Gaza gehen die letzten Lebensmittelvorräte aus
Seit zwei Monaten lässt Israel keinerlei Hilfslieferungen mehr in den
Gazastreifen. Die USA stellen sich aber weiter hinter Israel.
Zum 7. Oktober: Verführerische Apokalypse
Die Hamas verherrlicht den Tod nicht nur ihrer Gegner, sondern auch ihrer
eigenen Kämpfer. Damit steht sie konträr zur biblischen Botschaft.
Deutscher Blick auf Israel und Palästina: Ungeteiltes Mitgefühl
Ist palästinensisches Leid weniger wert als anderes? Die deutsche
Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Palästinenser:innen ist
beängstigend.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.