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# taz.de -- Zum 7. Oktober: Verführerische Apokalypse
> Die Hamas verherrlicht den Tod nicht nur ihrer Gegner, sondern auch ihrer
> eigenen Kämpfer. Damit steht sie konträr zur biblischen Botschaft.
Bild: Eine Panzerpatrouille im Grenzgebiet zum Gazastreifen, am Tag vor dem Mas…
Die Benennung von Kriegen ist ein interessantes Thema. Die Urheber von
Kriegen geben ihnen Namen, die das Bild, das Gefühl oder Ethos
widerspiegeln, das sie mit dem Krieg verbinden. In den meisten Fällen
bleiben diese Namen, die eher dramatisch und pompös sind, allerdings nicht
hängen, und der Krieg bekommt einen viel nüchterneren, prosaischeren Namen.
Oft unterscheiden sich die Bezeichnungen bei den Kriegsparteien.
So ist der Krieg von 1948 in Israel/Palästina auf israelischer Seite als
Unabhängigkeitskrieg in die Geschichte eingegangen, während er auf
palästinensischer Seite als Nakba (Katastrophe) bekannt ist. [1][Der Krieg,
der am 7. Oktober begann], bekam auf israelischer Seite den Titel „Eiserne
Schwerter“, aber niemand nennt ihn so. Die Hamas nannte ihn „Tufan
al-Aksa“: Sintflut von al-Aksa.
Es ist ein Name, der einerseits mit der palästinensischen Nationalbewegung
in Verbindung gebracht wird, zum anderen mit der Hamas als einer fanatisch
religiöse Bewegung, die die Al-Aksa-Moschee zu einem Symbol im Kampf für
palästinensische Souveränität gemacht hat. Historisch gesehen ist das
völliger Unsinn. Neben der religiösen Ideologie steckt noch eine andere
Bedeutung in diesem Namen: Apokalypse.
Die Sintflut wird in der Bibel mit dem Ende der Welt gleichgesetzt, genauer
gesagt mit dem göttlichen Entschluss, das Leben auf der Erde zu vernichten.
Nicht zum ersten Mal lässt Gott es zu, dass eine mörderische Mentalität die
Oberhand gewinnt. Die Gründe dafür sind vage, sie implizieren indes, dass
die Welt nur nach einer solchen Auslöschung die Chance hat, in einem
unschuldigen Modus neu erschaffen zu werden. Natürlich scheitert auch
dieses Projekt völlig.
## Eher extremistisch als pragmatisch
Die Hamas-Männer drangen in die Kibbuzim ein, ermordeten,
[2][vergewaltigten] und zerstörten, und an vielen Orten blieben sie einfach
dort und warteten auf die Armee. Warum warteten sie auf eine Schlacht, die
sie nicht gewinnen konnten? Wahrscheinlich, das zeigen Befragungen der
Gefangenen – um vor dem eigenen Tod möglichst viel Tod und Zerstörung zu
verursachen. Das Ziel war, mit dieser blutigen Orgie der totalen
Zerstörung, Schock und Chaos in der israelischen Gesellschaft zu
verbreiten.
Im Koran ist das göttliche Verhalten etwas verständlicher: Die Sintflut ist
eine Reaktion auf die Weigerung der Menschen, an einen einzigen Gott zu
glauben. Die Flut wird als Strafe für die Bösen beschrieben, die den
Monotheismus ablehnen. Nimmt man die Auslegung vom Hamas-Chef Jahia Sinwar
ernst, sind die in Palästina lebenden Juden und Jüdinnen böse, weil sie
palästinensisches Land besetzen und aus dieser Perspektive ketzerisch sind.
Unter israelischen Kommentatoren gab es Debatten darüber, ob die Hamas eine
pragmatische Organisation mit rationalen Zielen ist, die nur vorgibt,
extremistisch zu sein, oder ob sie eine extremistische religiöse
Organisation ist, die manchmal pragmatisch wirkt, um Feinde zu täuschen.
Äußerungen einiger Hamas-Führer, die kein Interesse an der Infrastruktur
Gazas zeigen, erweckten den Eindruck, dass die Organisation nicht
pragmatisch ist.
Die Hamas hat den Gazastreifen in einen befestigten Bunker verwandelt.
Unter der Erde erstreckt sich über Hunderte Kilometer ein Tunnellabyrinth.
Normales Leben erscheint wie die Tarnung für ein apokalyptisches
Unternehmen. Einige Ziele der Hamas sind vielleicht nicht völlig
unrealistisch, aber sie sind in endzeitlichen Farben gemalt. In das Chaos
der Hamas mischen sich Hass, Rache, Sadismus und Mord, aber auch eine
selbstzerstörerische Freude.
## Kriegsfreunde auch in Israel
Die Flut soll nicht nur Feinde des Islam, sondern auch die Krieger selbst
auslöschen. Es ist eine Kultur der Verherrlichung des Todes. In der
Geschichte, die der Koran erzählt, bleiben Noah und seine Familie am Leben.
In der Version der Hamas sterben auch die „Gerechten“. Auch auf
israelischer Seite gibt es Stimmen, die eine mildere Version der
apokalyptischen Geschichte übernehmen. Einige sitzen in der Regierung. Im
Umkreis von Finanzminister [3][Bezalel Smotrich] wird der Krieg begrüßt.
Krieg verfeinert, reinigt und erbaut uns. Das ist eindeutig Faschismus,
eingepackt in religiöse Rhetorik. Auf beiden Seiten gibt es Menschen, die
der Blutgeruch erregt und die ihre Gesellschaften in den Untergang reißen.
Die Frage ist, wie viele vernünftige Menschen es noch gibt, die gegen diese
apokalyptische Entwicklung halten können.
Die Hamas hat ein strenges Indoktrinationssystem geschaffen, um diese
Denkweise in der palästinensischen Gesellschaft zu verankern. Wie
erfolgreich sie dabei ist, lässt sich schwer sagen. Klar ist, dass trotz
des immensen Leids, das die Palästinenser ertragen müssen, die
Hamas-Ideologie noch immer Anhänger findet und keinen offenen Widerstand
hervorruft. Die Mehrheit der Palästinenser macht Israel, allenfalls
arabische Länder und die westliche Welt für ihr Leid verantwortlich, nicht
aber ihre eigenen Führer.
Anders in Israel, wo wöchentlich [4][Hunderttausende gegen die Regierung]
und die religiösen Fanatiker protestieren. Gleichzeitig scheint sich jedoch
auch ein großer Teil der israelischen Gesellschaft mit der Vorstellung
eines ewigen, blutigen Krieges abzufinden. Die Apokalypse ist
verführerisch, weil sie einen starken Kontrast zur frustrierenden
Mittelmäßigkeit des Lebens darstellt. Neil Young singt: „[5][It’s better …
burn out than to fade away].“ Aber das Leben, so mittelmäßig es auch ist,
ist immerhin ein Leben.
Die Apokalypse bringt nur den Tod. Am [6][Ende der biblischen
Sintflutgeschichte] scheint es Gott zu bereuen und er verspricht, die Erde
nie wieder zu zerstören: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat
und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Es ist eine
Lebensbotschaft, eine Botschaft der Hoffnung. Bedauerlich, dass Sinwar und
andere Fanatiker diese Geschichte nie bis zum Ende gelesen haben.
7 Oct 2024
## LINKS
[1] /Nahost-Diskurs-seit-7-Oktober/!5967886
[2] /Sexualisierte-Gewalt-der-Hamas/!5996758
[3] /Israels-Finanzminister-Bezalel-Smotrich/!5915764
[4] /Proteste-von-Geiselangehoerigen-in-Israel/!6032314
[5] https://www.youtube.com/watch?v=LQ123T3zD2k
[6] https://www.die-bibel.de/bibel/LU17/GEN.8
## AUTOREN
Hagai Dagan
## TAGS
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