| # taz.de -- Israelkritik der Linkspartei: Der Missbrauch des Antisemitismusvorw… | |
| > Die Linke beschließt eine Resolution gegen Judenhass und wird dafür | |
| > desselben bezichtigt. Dabei geht es eher um die Deutungshoheit im | |
| > Nahost-Konflikt. | |
| Bild: Sauer macht lustig: Ist der Streit um Antisemitismusdefinitionen nur ein … | |
| Kaum etwas ist so deprimierend an der politischen Kultur in Deutschland | |
| wie der inflationäre Missbrauch des Antisemitismusvorwurfs. Eben weil sich | |
| Antisemiten durch ihr Denken und Handeln unmöglich machen, sollte die | |
| Anschuldigung ihre Schärfe behalten und nicht wie ein stumpfes Schwert | |
| jedem übergezogen werden, dessen Haltung gerade nicht passt. Als aber die | |
| Linkspartei sich auf ihrem Parteitag Anfang Mai für eine | |
| Antisemitismusdefinition aussprach – die [1][Jerusalem Declaration on | |
| Antisemitism] (JDA) –, wurde sie kurzerhand zur judenfeindlichen | |
| Organisation erklärt. | |
| Für die Bild-Zeitung war klar, dass mit der Annahme der JDA die Linke | |
| „[2][immer mehr in Richtung Israelhass]“ rutsche. Josef Schuster, der | |
| Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, spricht von einem | |
| „radikalen Kern der Partei, der – getrieben von Israelhass – dazu beiträ… | |
| den Antisemitismus unserer Zeit zu verschweigen“. Er behauptet: „[3][Linker | |
| Antisemitismus hat einen Platz] innerhalb der Partei Die Linke.“ | |
| Rechte Presse und radikalisierte Mitte machen so die orwellsche | |
| Tatsachenverdrehung perfekt: Die [4][Verabschiedung einer Definition], die | |
| für Judenhass sensibilisieren soll und von führenden Wissenschaftlern | |
| unterstützt wird, deuten sie zu einem quasi antisemitischen Akt um. | |
| Diese Propaganda soll verschleiern, dass es nicht vorrangig um | |
| Antisemitismus geht, sondern um die Deutungshoheit im | |
| Israel-Palästina-Konflikt. Und es geht wie so oft, wenn sich gerade | |
| Deutsche über den Nahostkonflikt streiten, am Ende eigentlich um sie | |
| selbst. | |
| ## IHRA dient staatlichen Gesinnungsprüfungen | |
| Die JDA entstand als Reaktion auf eine andere Antisemitismusdefinition, | |
| nämlich die der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Die | |
| IHRA wird mittlerweile von mehreren Staaten offiziell anerkannt, wird aber | |
| wohl mindestens ebenso lange skeptisch beäugt, da sie nicht scharf genug | |
| zwischen Kritik am Staat Israel und judenfeindlichen Einstellungen | |
| unterscheidet. Sieben der elf Beispiele für Antisemitismus in der IHRA | |
| beziehen sich auf Israel. | |
| Laut [5][der IHRA-Definition] kann etwa die Aussage als antisemitisch | |
| gelten, die Existenz des Staats Israel sei ein rassistisches Unterfangen. | |
| Nun haben die neuen Historiker in Israel aber offengelegt, dass die | |
| Staatsgründer auch gezielt Palästinenser vertrieben haben, weil sie einen | |
| Staat mit jüdischer Mehrheit wollten. Ferner kommen rassistische Gesetze | |
| nicht nur in den besetzten Gebieten, sondern [6][auch im israelischen | |
| Kernland] bis heute zur Anwendung. | |
| Als antisemitisch laut IHRA gelten auch „Vergleiche der aktuellen | |
| israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten“. Die Rede ist | |
| hier wohlgemerkt von Vergleichen, nicht von einer Gleichsetzung. | |
| Vergleichen sollte man erst mal alles können. Aber auch sonst scheint das | |
| Diktum überholt, wenn die Regierung die Palästinenser in Gaza ethnisch | |
| säubern und [7][im Süden des Küstengebiets „konzentrieren“] will. Oder w… | |
| ein israelischer TV-Produzent öffentlich [8][Gaskammern für „Männer, Frauen | |
| und Kinder“ fordert]. | |
| Die Schwächen der IHRA wären nicht so bemerkenswert, wenn das eigentlich | |
| als „Arbeitsdefinition“ gedachte Papier heute nicht für staatliche | |
| Gesinnungsprüfungen dienen würde, sei es in Deutschland oder den USA. Gegen | |
| diese Repression spricht sich selbst ein Verfasser der IHRA aus, der | |
| Antisemitismusforscher Kenneth Stern. [9][Seine Definition werde | |
| missbraucht], sagt Stern, um „propalästinensische Einstellungen“ als | |
| antisemitisch zu disqualifizieren. Die Berliner Praxis, etwa die | |
| Fördergeldvergabe an Kulturbetriebe von einer Zustimmung zur IHRA abhängig | |
| zu machen, bezeichnet Stern als „McCarthyismus“. | |
| Es ist gut, dass die Linkspartei sich als einzig nennenswerte politische | |
| Kraft in Deutschland gegen diesen Missbrauch positioniert. Das heißt | |
| natürlich nicht, dass es keinen israelbezogenen Antisemitismus gäbe. | |
| Entgegen ihrem Ruf befasst sich auch die JDA eindringlich mit dem | |
| Verhältnis zwischen Staatskritik und Ressentiment. Nur versucht sie, beides | |
| genauer zu unterscheiden. | |
| ## Lediglich Arbeitsdefinitionen | |
| Nicht per se judenfeindlich sind demnach gegen den Staat Israel gerichtete | |
| Boykottaufrufe oder Forderungen nach Gleichheit für alle Bewohner zwischen | |
| Jordan und Mittelmeer, „ob in zwei Staaten, einem binationalen Staat, einem | |
| demokratischen Einheitsstaat, einem föderalen Staat oder in welcher Form | |
| auch immer“. Sehr wohl antisemitisch sei es hingegen, Juden im Staat Israel | |
| ihr Recht abzusprechen, „kollektiv und individuell als Juden zu existieren | |
| und zu gedeihen, gemäß dem Grundsatz der Gleichheit“. Ein Existenzrecht | |
| haben Menschen, nicht Staaten. | |
| Der Leiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv, Gil Shohat, begrüßte | |
| den Entschluss der Linken. Er fügte aber an, er könne „die Kritik | |
| derjenigen nachvollziehen, die bemängeln, dass man solch komplexe Fragen | |
| nicht durch eine Abstimmung auf einem Parteitag entscheiden kann“ und dass | |
| die Linke die Perspektive der Betroffenen „nicht zur Genüge in Betracht | |
| zieht“. | |
| Linke müssen also aufpassen, dass sie sich nicht auf das Spiel der | |
| Politisierung einlassen. Ihnen fällt die Doppelrolle zu, den Antisemitismus | |
| ebenso wie seine Instrumentalisierung durch rechts zu bekämpfen. | |
| Wenn es aber um die Bestimmung von Judenfeindschaft geht, sollten alle | |
| rhetorisch abrüsten. Die IHRA und die JDA bieten nicht mehr und nicht | |
| weniger als Arbeitsdefinitionen, die erweitert, korrigiert, verbessert | |
| werden müssen. Die Arbeit geht weiter. | |
| 17 May 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://jerusalemdeclaration.org/ | |
| [2] https://www.bild.de/politik/inland/antisemitismus-skandal-beschluss-der-lin… | |
| [3] https://www.bild.de/politik/inland/antisemitismus-skandal-beschluss-der-lin… | |
| [4] https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteitag/hallescher-parte… | |
| [5] https://holocaustremembrance.com/resources/arbeitsdefinition-antisemitismus | |
| [6] https://www.amnesty.org/en/latest/news/2022/02/israels-apartheid-against-pa… | |
| [7] https://www.timesofisrael.com/smotrich-says-gaza-to-be-totally-destroyed-po… | |
| [8] /Rechte-Medien-in-Israel/!6083367 | |
| [9] https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/debatte/berliner-antidisk… | |
| ## AUTOREN | |
| Leon Holly | |
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