# taz.de -- Alena Jabarine über Nahost-Debatte: „Auch in Deutschland ist Ver… | |
> Die Deutsch-Palästinenserin Alena Jabarine hat ein Buch über ihre Zeit in | |
> Ramallah geschrieben. Sie kritisiert die eingeengte Debattenkultur in | |
> Deutschland. | |
Bild: Kriminalisiertes Volk, kriminalisierter Protest: Die Kufiyah als Ausdruck… | |
taz: Frau Jabarine, Sie haben zwischen 2020 und 2022 im Westjordanland | |
gelebt und Ihre Erfahrungen in Ihrem Buch „Der letzte Himmel“ festgehalten. | |
Was war Ihre Motivation für diese Reise? | |
Alena Jabarine: Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, die | |
Familie meines Vaters sind Palästinenser:innen mit israelischer | |
Staatsbürgerschaft. Ich kannte also die Realität von | |
Palästinenser:innen in Israel in Ansätzen, aber nicht die von | |
Millionen von Palästinenser:innen unter israelischer | |
Militärbesatzung. Ich wollte mein Wissen und meine Erfahrungen erweitern. | |
Als ich dann ein Jobangebot einer deutschen Stiftung in Ramallah erhielt, | |
sah ich dies als Anlass, den Schritt zu wagen, ins Westjordanland zu | |
ziehen. | |
taz: Sie waren also nicht für einen journalistischen Auftrag vor Ort? | |
Jabarine: Ursprünglich nein. Ich hatte mich bewusst nicht auf eine | |
journalistische Stelle beworben, weil ich die deutsche | |
Nahost-Berichterstattung als problematisch empfand. Aus Praktika und | |
Gesprächen mit Korrespondenten vor Ort wusste ich, wie schwierig es ist, | |
bestimmte Themen unterzubringen und wie viel Gegenreaktionen man allein | |
dafür bekommt, [1][Realitäten abzubilden]. Journalist:innen mit | |
persönlichem Bezug wird zudem häufig die Expertise abgesprochen, die | |
Fähigkeit, „neutral“ zu berichten. Ich wollte meine Erlebnisse nicht durch | |
den Filter der Verwertbarkeit betrachten, nicht dem Kontext der deutschen | |
Debatte unterordnen. Vielmehr wollte ich meine Zeit dort als persönliche | |
Erfahrung und Recherche begreifen. | |
taz: Und dann? | |
Jabarine: Als im Mai 2021 ein neuer Krieg begann [Israel-Gaza-Konflikt | |
2021, auch Operation Guardian of the Walls genannt A. d. R.], habe ich noch | |
deutlicher die enorme Diskrepanz erlebt zwischen dem, was ich selbst | |
gesehen habe, und dem, was in Deutschland berichtet wurde. Das war für mich | |
der Punkt, an dem ich mich entschied, doch zu berichten. Journalismus ist | |
kein Job, nichts, für das ich mich entschieden habe, um Geld oder Applaus | |
zu verdienen. Es ist eine Haltung und ein inneres Anliegen, es bedeutet | |
auch, Verantwortung zu tragen. Also begann ich, zu dokumentieren und Videos | |
von vor Ort auf Instagram zu teilen. Abstrakte Begriffe wie Siedlungen und | |
Checkpoints zu bebildern, betroffene Menschen zu interviewen. Ich wusste, | |
dass dies mein Leben nach meiner Rückkehr nach Deutschland verändern würde. | |
Aber die Rückmeldungen, die ich aus Deutschland erhielt, zeigten mir, was | |
für ein Mangel an der Dokumentation palästinensischer Lebensrealität in | |
Deutschland herrscht. | |
taz: Sie beschreiben in Ihrem Buch Erlebnisse in Israel und Palästina vor | |
dem 7. Oktober 2023. Wieso haben sie diese erst jetzt veröffentlicht? | |
Jabarine: Während meiner Zeit in Palästina fragten mich Freund:innen oft, | |
wofür ich die ganzen Aufnahmen mache, abgesehen von flüchtigen | |
Instagram-Stories. Doch ich wusste, dass die Geschichten, die ich mit | |
meiner Kamera und meinem Mikrofon dokumentierte, ihren Platz finden würden. | |
Wenige Wochen nach dem 7. Oktober schrieb ich einen Artikel in der | |
Süddeutschen Zeitung über meine Kufiyah. Das Tuch, das für mich Familie, | |
Heimat und warme Erinnerungen bedeutet, war nun plötzlich kriminalisiert, | |
wurde als Symbol des Terrors bezeichnet. Dies stand sinnbildlich für das | |
Gefühl, als Palästinenser:in in dieser Gesellschaft nicht sein zu | |
dürfen. Auf den Artikel hin meldete sich ein Literaturagent. Ich ignorierte | |
ihn, es waren traumatische Wochen, ich hatte einen Vollzeitjob und bekam | |
plötzlich zahlreiche Anfragen von Formaten, die palästinensische | |
Perspektiven zuvor wochenlang ausgeblendet hatten. Doch bald | |
kristallisierte sich für mich heraus, dass die klassische journalistische | |
Arbeit in Deutschland dem, was ich fühlte und tun wollte, nicht mehr | |
gerecht wurde. Ich wollte ungefilterte, unbequeme Geschichten, erzählen. In | |
dem System, in dem ich mich bewegte, gab es dafür keinen Raum. Also | |
entschied ich mich, das Buch zu schreiben. | |
taz: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie in Deutschland oft einen | |
‚Filter‘ über sich legen, wenn Sie über Israel und Palästina sprechen. W… | |
dieser Filter auch beim Schreiben Ihres Buches präsent? | |
Jabarine: Als marginalisierte Menschen haben wir es gelernt, zu reagieren, | |
uns immer wieder zu erklären oder zu rechtfertigen, in unserer Sprache | |
mögliche Reaktionen zu antizipieren. Das geschieht unbewusst. Es war also | |
meine größte Herausforderung, mich davon freizumachen. Zu versuchen, meine | |
eigene Sprache wiederzufinden, in Kauf zu nehmen, dass Menschen sich | |
dadurch gestört fühlen könnten. Aber ich wollte, dass das Buch wahrhaftig | |
ist. Ich glaube daran, dass auch in Deutschland Veränderung möglich ist, | |
[2][dass wir klarer über das werden sprechen und berichten können], was | |
passiert und was unsere Rolle in all dem ist. Aber dafür muss man immer | |
wieder Grenzen überwinden, auch wenn das beängstigend und schmerzhaft sein | |
kann. | |
taz: Sie haben ihre palästinensischen Wurzeln angesprochen, leben in | |
Deutschland und besitzen einen israelischen Pass. Wie wirken sich diese | |
drei Welten auf ihre Identität aus? | |
Jabarine: Es fällt schwer, mich in eine Schublade zu stecken. Ich habe | |
sowohl eine deutsche, als auch eine palästinensische Familie, unter meinen | |
vielen Familienmitgliedern gibt es Christen und Muslime, Konservative und | |
Anarchisten, wir haben ein enges Verhältnis und debattieren eigentlich | |
ständig. Seit meiner Kindheit weiß ich, dass Menschen unterschiedlich | |
leben, sprechen, glauben. Und ich denke, dass das meine Arbeit prägt. Ich | |
versuche, zu verstehen, warum Menschen tun, was sie tun, warum einige ihre | |
Haltungen ändern und andere nicht, und auch mich selbst immer wieder zu | |
hinterfragen. Gleichzeitig habe ich durch meinen israelischen Pass mehr | |
Möglichkeiten als Millionen staatenloser Palästinenser:innen. Ich kann mein | |
Heimatland bereisen und auch Kontakt zu jüdischen Israelis aufbauen, was | |
vielen Palästinenser:innen verwehrt bleibt. Auch das ist ein Privileg | |
und eine Verantwortung, Orte und Begegnungen durch mein Schreiben auch | |
dorthin zu tragen, wo sie anderen verwehrt werden. | |
taz: Planen Sie ein weiteres Buch, das auch die Entwicklungen nach dem 7. | |
Oktober aufgreift? | |
Jabarine: Ich werde weiterschreiben. Die Reaktionen auf das Buch haben mir | |
einerseits verdeutlicht, wie wichtig es ist, die Lebensrealitäten von | |
Palästinenser:innen zu beschreiben und einzuordnen. Aber auch, welch | |
verbindende Kraft insbesondere menschliche Geschichten haben können. Sie | |
machen politische Zusammenhänge zugänglich, erwecken das Abstrakte zum | |
Leben. Ich erlebe zudem, wie viel es Menschen, die unsichtbar gemacht | |
werden, bedeutet, ein Buch in den Händen zu halten, das ihre Geschichten | |
beinhaltet. Und auch wenn das Schreiben sich gerade in diesen Zeiten, | |
während die Menschen in Gaza ausgehungert und in Massen getötet werden, | |
sinnlos und fast schon anmaßend anfühlt, ich glaube an die Macht der | |
Sprache, Veränderungen herbeizuführen. | |
23 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Elias Feroz | |
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