Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Designierte Chefin der Berliner Linken: „Das Potenzial für linke…
> Kerstin Wolter will Berliner Linken-Vorsitzende werden. Ein Gespräch über
> das Wachstum ihrer Partei, den Umgang mit Antisemitismus – und Katja
> Kipping.
Bild: „Mir ist es egal, ob jemand Kuh- oder Hafermilch trinkt“: Kerstin Wol…
taz: Frau Wolter, die Linke war in Berlin mit 20 Prozent [1][stärkste
Partei bei der Bundestagswahl], das Stadtmagazin Tip nannte Ihre Partei
noch im April die „aufregendste“ Berlins. Zuletzt sah eine Umfrage zur
Abgeordnetenhauswahl die Linke nur bei 13 Prozent, seit dem Bundesparteitag
vergangenes Wochenende gibt es wieder einen Antisemitismus-Streit. Ist der
Hype schon wieder vorbei?
Kerstin Wolter: Im Gegenteil. Die Linke ist die spannendste Partei, die es
gerade in Berlin gibt. Wir erleben eine Erneuerung, durch die vielen neuen
Mitglieder und gleichzeitig durch die neue Motivation derer, die schon
lange dabei sind. Mit dem Wachstum unserer Partei wächst auch unsere
gesellschaftliche Bedeutung und es wird wieder genauer hingeschaut. Die
Bundestagswahl hat gezeigt, wie groß das Potenzial in dieser Stadt für
linke Politik ist. Aber wir wissen auch, dass Gewinnen kein Selbstläufer
ist.
taz: Hat man sich mit dem [2][Beschluss, die Jerusalemer Erklärung als
Grundlage für die eigene Antisemitismus-Definition zu verwenden] und nicht
die weit verbreitete IHRA-Formel nicht selbst geschadet?
Wolter: Nein, in der Sache nicht, auch wenn aus meiner Sicht nötig gewesen
wäre, dass die Debatte darüber vorher breiter geführt wird. Aber viele, die
das jetzt kritisieren, nutzen unzutreffende Interpretationen. Der Schutz
jüdischen Lebens ist zentral für uns und steht nicht im Widerspruch zu dem
Beschluss auf dem Bundesparteitag. Angesichts des verbrecherischen Angriffs
der Hamas auf Israel und israelische Zivilisten und der Verbrechen, die
jetzt durch die israelische Armee in Gaza stattfinden, werden wir die
Debatte über Nahost weiterführen. Es wird in der Gesellschaft diskutiert
und natürlich auch unter unseren Mitgliedern.
taz: Sie waren auf dem letzten Landesparteitag im Oktober 2024 daran
beteiligt, [3][einen Antrag zum Thema Antisemitismus abzuändern], was im
Nachgang zum Austritt von Klaus Lederer und anderen führte. Sorgen Sie sich
vor der Wiederholung eines solchen Szenarios?
Wolter: Der Landesvorstand und die bisherigen Vorsitzenden haben seitdem
einen wichtigen Diskussionsprozess angestoßen, der Gesprächskanäle eröffnet
hat, nicht nur in unserer Partei, sondern auch mit der Zivilgesellschaft.
Beispielsweise zu Organisationen, die Monitoring und Opferberatung zu
Antisemitismus betreiben. Das hat die Sensibilität erhöht, dass wir nicht
noch einmal in so eine Situation hineinlaufen. Ich habe mir vorgenommen,
diesen Dialog zu intensivieren und zu verstetigen. Wir sind als Partei hier
in einem fortlaufenden Lernprozess und da auch schon ein gutes Stück
vorangekommen.
taz: Die Berliner Linke hat seit Oktober ihre Mitgliederzahl auf 15.000
verdoppelt. Wie gehen sie organisatorisch mit diesem Wachstum um?
Wolter: Wir haben bereits im Bundestagswahlkampf den Neumitgliedern viele
Angebote gemacht, mitzumischen. Ohne sie und auch ohne die langjährigen
Mitglieder und Unterstützung von Nichtmitgliedern wären wir auch nicht in
diesen Massen an den Haustüren gewesen. Jetzt organisieren wir
Aktionskonferenzen, wo wir vorstellen, was wir bislang machen und vor allem
auch Räume öffnen für neue Ideen, neue Arbeitsgruppen. Wir wollen
Möglichkeiten schaffen, damit sich die Neuen schnell
inhaltlich-programmatisch, aber auch ganz praktisch einbringen können.
taz: Welche Konflikte gibt es, wenn die vielen jungen Neumitglieder auf die
bestehenden Strukturen treffen?
Wolter: In meiner Ortsgruppe sagte eine junge Genossin, sie würde gerne,
dass wir beim nächsten Mal bei der Vorstellungsrunde unsere Pronomen sagen.
Ein älterer Genosse über 80 hat das erst nicht richtig verstanden,
nachgefragt, und nach der Wiederholung der Bitte sagte er nur: „Ach so,
nee, bei der Linken, da sind wir alle per Du.“ Das brachte alle gemeinsam
zum Schmunzeln. Aber das bringt auch ganz gut auf den Punkt, dass manche
Fragen heute eine ganz andere Rolle spielen als früher, ob das
Geschlechtergerechtigkeit ist, Klima oder Arbeitszeitverkürzung. Da kann es
auch mal zu Missverständnissen kommen. Zentral ist dabei nur, dass wir uns
zuhören und voneinander lernen.
taz: Die Linke setzt wieder vermehrt auf Sozial- und Mieterberatung. Erst
kürzlich hat sich die Arbeitsgemeinschaft „Die Linke Hilft“ gegründet. Ist
das etwas Neues oder die Rückbesinnung auf PDS-Zeiten als Kümmerer-Partei?
Wolter: Im Grunde gibt es das Konzept schon ewig in der Linken. Da spielen
natürlich auch die Erfahrungen aus den 1990er Jahren mit hinein. Manche
nennen es Kümmerer-Partei, für mich ist es eine sorgende helfende Partei.
Unsere Abgeordneten bieten schon immer Sozialsprechstunden und
Mieterberatungen an, aber jetzt wird das Ganze ausgeweitet, sodass auch
unsere Mitglieder Beratungen durchführen. Dazu gehört auch, dass wir weiter
an die Haustüren gehen, um zu hören, was bei den Leuten los ist. In dieser
Kombination, als einheitliches Konzept gedacht, ist das tatsächlich etwas
Neues.
taz: Sie sind seit 6 Jahren Vorsitzende des Bezirksverbands
Friedrichshain-Kreuzberg. Was haben Sie dort gelernt, was Sie nun als
Landeschefin einbringen wollen?
Wolter: Manchmal kann ich es eigentlich immer noch kaum glauben, dass wir
bei der Bundestagswahl erstmals mit Pascal Meiser das Direktmandat im
Bezirk gewonnen haben. Der Schlüssel zum Erfolg ist die Verankerung unserer
Mitglieder und auch unserer Abgeordneten im Bezirk, Abgeordnetenhaus und im
Bundestag. Das sind alles Leute, die ständig in Kontakt sind zu
Initiativen, zu Verbänden, die versuchen, bei allen Problemen, ob in Kitas
oder auf Spielplätzen, präsent zu sein.
Der Bezirksverband ist ein Melting Pot aus sehr unterschiedlichen Leuten.
So unterschiedlich wie alle sind, so stark sind wir dann auch zusammen. Was
wir geschafft haben, ist die Arbeit vor Ort in den Mittelpunkt zu stellen
und uns weniger um ideologische Fragen zu streiten. Diese Herangehensweise
möchte ich gerne auch in den Landesvorstand einbringen.
taz: Was hat Sie eigentlich bewogen für den Landesvorsitz zu kandidieren?
Wolter: Die Berliner Linke steht vor einer riesengroßen Aufgabe, an der ich
gern mitarbeiten möchte. Vorrangig ist das der Kampf gegen die fatale
Kürzungspolitik von Schwarz-Rot. Der Senat redet über Zahlen, aber nicht
mit den Betroffenen. Ich möchte hingegen Ansprechpartnerin für die Menschen
und die Zivilgesellschaft dieser Stadt sein, für alle, die in unserer Stadt
regelrechte Existenzangst haben.
Angesichts einer großen Verunsicherung durch Kriege, Klimawandel, die
Trump-Wahl, Rechtsruck muss die Berliner Politik zumindest den Sorgen der
Menschen im Alltag begegnen und ihnen Sicherheit geben. Die Menschen müssen
sich darauf verlassen können, dass sie einen Schulplatz für ihr Kind
kriegen, dass sie ihre Miete weiterbezahlen können, dass der Bus zur Arbeit
pünktlich kommt.
taz: Wieso kandidieren Sie im Duo mit dem bisherigen Landesvorsitzenden
Maximilian Schirmer?
Wolter: Weil es wichtig ist, dass Vorsitzende auch im Team funktionieren.
Wir beide kennen uns gut, machen seit vergangenem Jahr zusammen den Podcast
der Berliner Linken und haben eine ähnliche Vorstellung davon, was wir
gemeinsam voranbringen möchten. Wir haben beide eine ähnliche Geschichte,
die trotzdem ganz unterschiedlich ist.
Wir sind Nachwendekinder, er aus Ost-Berlin, ich vom Land aus
Mecklenburg-Vorpommern, waren an verschiedenen Stellen in der Partei aktiv.
Er hat eine große Landeserfahrung, ich weiß wie mein Bezirk, aber auch die
Bundesebene tickt. Maximilian Schirmer kommt mehr aus der
antifaschistischen, ich aus der feministischen Arbeit. Das ergänzt sich
gut, auch weil wir, glaube ich, unterschiedliche Leute ansprechen.
taz: In Ihrer Instagram-Bio steht unter Lieblingsessen Currywurst und
Weißweinschorle. Kann man das übersetzen mit den Zielgruppen, die Sie
ansprechen wollen?
Wolter: Ein bisschen ist es das, ja. Ich will mich dagegen wehren, dass man
durch das, was man konsumiert, in Schubladen gesteckt wird. Mir ist es
egal, ob jemand Kuh- oder Hafermilch trinkt und welche Klamotten man trägt.
Die Frage, ob Bier oder Wein, ist keine nach Proletarier oder Hipster,
sondern eher eine nach der regionalen Herkunft. Mich interessiert vielmehr,
was die Leute wollen, woran sie arbeiten, wofür sie brennen.
taz: Der Leitantrag beim Parteitag am Samstag trägt den Titel „Wir holen
die Stadt zurück.“ Zentrales Thema ist die Mietenpolitik. Damit sagt die
Linke eigentlich das, was sie immer sagt. Zieht das noch?
Wolter: Angesichts dessen, dass der Wegner-Senat neoliberale Instrumente
aus der Mottenkiste holt, ernsthaft wieder über Privatisierungen nachdenkt,
statt in der Krise zu investieren und für einen gut funktionieren
Sozialstaat zu sorgen, ist das „Zurückholen“ vielleicht ein wiederholter,
aber auch ein aktueller Kampf. Und auch bei den Mieten werden
Errungenschaften, die es unter Rot-Rot-Grün gab, etwa der Mietenstopp bei
den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, zurückgedreht.
[4][Und wie undemokratisch ist es eigentlich, dass der Senat den
Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ immer weiter verschleppt?]
Dessen Umsetzung bleibt für uns eine zentrale Forderung. Bei den
Hunderttausenden Haustürgesprächen, die wir in Berlin geführt haben, waren
die hohen Mieten Thema Nummer Eins. So lange die Mietenkrise nicht gelöst
ist, wird sie immer Schwerpunkt linker Politik sein.
taz: Die Linke will eine Vision für eine „rote Metropole“ erarbeiten. Wie
stellen Sie persönlich sich die vor?
Wolter: Die Wohnungen in unserer Stadt befinden sich zum allergrößten Teil
in kommunaler Hand. Darüber hinaus sind auch weitere Bereiche
vergesellschaftet, wie die Energie oder leerstehende Shopping-Center, die
dann als Sorgezentren für Gesundheitsversorgung, soziale Treffpunkte oder
Kitas dienen. Es wird nur noch versiegelt, wenn an anderer Stelle genauso
viel Grünfläche entsteht, um dem Klimaschutz gerecht zu werden. Und das
Wahlrecht ist ausgeweitet auf die 20 Prozent der Menschen mit
Migrationsgeschichte, die bislang nicht wählen dürfen.
taz: Braucht die Linke bei der Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2026 einen
Spitzenkandidaten, der selbstbewusst das Amt des Regierenden Bürgermeisters
anstrebt?
Wolter: Wir können mit breiten Schultern und Selbstbewusstsein in diese
Wahlen gehen und das werden wir auch tun. Über Personalfragen wird sich der
neu gewählte Landesvorstand dann zunächst mal intern verständigen und dann
einen Vorschlag machen.
taz: Alle prominenten Gesichter sind ausgetreten oder in Richtung Bundestag
verschwunden.
Wolter: Die Berliner Linke hat wunderbare Politikerinnen und Politiker, die
einen vielleicht bekannter, die anderen noch nicht so bekannt. Mit wem wir
in die Wahl gehen, werden wir später entscheiden.
taz: Sie waren Mitarbeiterin von Katja Kipping, Wäre sie eine geeignete
Kandidatin?
Wolter: Katja Kipping hat als Arbeits- und Sozialsenatorin eine sehr gute
Politik gemacht.
taz: Wie ist ihr Verhältnis?
Wolter: Super. Ich gehe gerne mit ihr im Treptower Park spazieren.
15 May 2025
## LINKS
[1] /Wahlerfolg-der-Linken/!6068497
[2] /Linkspartei-und-Antisemitismus/!6084443
[3] /Linkspartei-streitet-ueber-Antisemitismus/!6039646
[4] /Deutsche-Wohnen--Co-enteignen/!6080499
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
Die Linke Berlin
Linksfraktion
Katja Kipping
Linke Szene
GNS
Die Linke Berlin
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Friedrich Merz
Die Linke Berlin
Die Linke
## ARTIKEL ZUM THEMA
Landesparteitag der Linken: „Believe the hype!“
Die Linke Berlin ist euphorisch. Sie wählt Kerstin Wolter zur neuen Chefin.
Maximilian Schirmer bleibt Co-Chef, doch sein mäßiges Ergebnis hat Gründe.
Israelkritik der Linkspartei: Der Missbrauch des Antisemitismusvorwurfs
Die Linke beschließt eine Resolution gegen Judenhass und wird dafür
desselben bezichtigt. Dabei geht es eher um die Deutungshoheit im
Nahost-Konflikt.
Nach der Bundeskanzlerwahl: Beschluss zur Unvereinbarkeit weicht auf
Die Kanzlerwahl zeigte eine erste Annäherung der Union an die Linke.
Thorsten Frei (CDU) plädiert für eine Neubewertung, Fraktionschef Spahn
bremst.
Berliner Linke sortiert sich neu: Parteichefin kündigt Rückzug an
Franziska Brychcy will nicht erneut für den Vorsitz der Berliner Linken
kandidieren. Als Nachfolgerin bringt sich Kerstin Wolter in Stellung.
Wahlerfolg der Linken: Das rote Berlin
Überraschend hat die Linke in Berlin die Bundestagswahl gewonnen. Sie
positioniert sich als Bollwerk gegen den Rechtsruck – und als
Kümmererpartei.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.