# taz.de -- Nahost-Debatte in Großbritannien: Meuterei auf dem Labourdampfer | |
> Auch die britische Linke streitet über den Nahost-Krieg: 58 | |
> Labour-Abgeordnete stimmen gegen einen Antrag der eigenen Partei. | |
Bild: Der britische Labourchef Keir Starmer, hier beim Parteitag in Liverpool a… | |
LONDON taz | Bisher hieß es volle Kraft voraus für den britischen | |
Labourchef Keir Starmer. Mehr als 20 Prozent Vorsprung hatte die | |
[1][Labour-Partei viele Monate gegenüber den Tories]. Doch am Mittwochabend | |
stand Starmer vor der bisher größten Herausforderung, seit er vor | |
dreieinhalb Jahren bei der Partei ans Ruder kam. | |
Bei einem von der [2][Schottischen Nationalpartei (SNP)] gestellten Antrag, | |
der einen Waffenstillstand zwischen Israel und Hamas forderte, und der | |
Abstimmung dazu folgten acht Minister:innen des | |
Labour-Schattenkabinetts nicht dem strikten Fraktionszwang und entledigten | |
sich so ihrer Posten. | |
Insgesamt 58 der 198 Labour-Abgeordneten, also etwas weniger als ein | |
Drittel der Labourfraktion, stimmten nicht mit der eigenen Partei, sondern | |
stattdessen für den Vorschlag der SNP. Viele der „Rebell:innen“ waren | |
Abgeordnete vom Linksaußen-Flügel der Partei, teils ehemals dem | |
Ex-Labourchef Jeremy Corbyn nahestehende Parlamentarier:innen, aber auch | |
Abgeordnete, die Wahlkreise mit höherem muslimischem Bevölkerungsanteil | |
vertreten. | |
Die acht inzwischen aus dem Schattenkabinett ausgetretenen Abgeordneten | |
waren Naz Shah aus Bradford, Yasmin Quershi aus Bolton South East, Afzal | |
Khan aus Manchester Gorton, Jess Phillips aus Birmingham Yardley, Paula | |
Barker aus Liverpool Wavertree, Sarah Owen und Rachel Hopkins aus Luton und | |
Andy Slaughter aus London Hammersmith. Schattenstaatssekretäre Dan Carden | |
aus Liverpool und Mary Foy aus Durham sind auch nicht mehr im Dienst. | |
## Starmer bedauert mangelnde Unterstützung | |
Trotz der Unterstützung der Labour-Abgeordneten verlor die SNP die | |
Abstimmung für einen Waffenstillstand, 293 stimmten dagegen, nur 125 dafür. | |
Für Starmers eigenen Vorschlag einer humanitären Feuerpause stimmten | |
immerhin 183 Abgeordnete, also mehr als für den Vorschlag der SNP, es gab | |
jedoch auch 290 Gegenstimmen. | |
Der Labour-Vorsitzende bedauerte, dass Abgeordnete seiner Partei sich nicht | |
hinter seinen Vorschlag stellten. Führung bedeute, das Richtige zu tun, | |
sagte er. Er betonte, dass der Konflikt durch die Terrorangriffe der Hamas | |
am 7. Oktober begann. Keine Regierung würde nach einem derartigen Vorfall | |
nicht reagieren. Alle bisherigen Versuche, den Konflikt einzugrenzen oder | |
ihm nur wenig Aufmerksamkeit zu schenken, hätten bislang versagt. | |
Starmer hatte in seinem Vorschlag den Wunsch nach einem Ende der Gewalt | |
zwischen Gaza und Israel geäußert, da der Konflikt bereits zu viel Leid und | |
zu viele tote Zivilist:innen, darunter mehrere Tausend Kinder, in Gaza | |
gefordert hätte. Er verurteilte die terroristischen Angriffe der Hamas, | |
forderte die Freilassung aller Geiseln und bestätigte Israels | |
Selbstverteidigungsrecht. | |
Er forderte zudem den Schutz von Krankenhäusern und eine Aufhebung der | |
Versorgungssperren. Der Vorschlag erkannte die bisherigen humanitären | |
Feuerpausen Israels an, doch sollten diese länger dauern. So bald wie | |
möglich müsste ein glaubhafter diplomatischer und politischer Prozess | |
beginnen, der Frieden und die Zweistaatenlösung zum Ziel habe. | |
Doch offenbar ging das den 58 Labour-Abgeordneten, die für die SNP | |
stimmten, nicht weit genug. Naz Shah, eine von ihnen, sagte in der | |
Unterhausdebatte, es sei ein unrecht, nicht von den Terrortaten von Hamas | |
zu sprechen, doch genauso unrecht wäre es, blind gegenüber dem Leiden | |
unschuldiger palästinensischer Zivilist:innen zu sein, „welche | |
stündlich ermordet werden würden.“ | |
Jess Phillips, die eigentlich als Starmer-nah gilt, schrieb in einem Brief | |
an den Labour-Parteichef, dass sie sich hinter ihre Wahlgemeinde stellen | |
müsse, und glaube, dass die momentanen militärischen Aktionen den Frieden | |
und die Sicherheit aller in der Nahost-Region weiter gefährden würden. | |
## Druck auf Labourführung wächst | |
Der Druck auf die Labourführung wächst. Starmer hat sich zuletzt in einem | |
Radiointerview vage ausgedrückt und dabei Interpretationsspielraum offen | |
gelassen. Manche verstanden seine Aussagen so, dass er Israels | |
Lebensmittel- und Wassersperre des Gazastreifens im Namen des | |
Selbstverteidigungsrechts für angemessen halte. Obwohl er danach betonte, | |
das nicht gemeint zu haben, traten zahlreiche | |
Kommunalvertreter:innen der Partei mit der Begründung aus, die | |
Stellung Labours zum Nahostkonflikt ließe sich nicht mit ihrem Gewissen | |
vereinbaren. | |
Allein in der nordenglischen Stadt Burnley traten elf | |
Kommunalvertreter:innen zurück, in Oxford verlor Labour wegen der | |
Rücktritte sogar seine Mehrheit. Auch der schottische Labourchef Anas | |
Sarwar und die Bürgermeister von Manchester und London, Andy Burnham und | |
Sadiq Khan, sprachen sich für einen Waffenstillstand entgegen der Position | |
der Parteiführung aus. | |
Der britische Verteidigungsminister Grant Shapps erklärte im Unterhaus, | |
dass die Forderung nach einem Waffenstillstand grünes Licht für die Hamas | |
bedeuten würden, weitere Terrorangriffe zu verüben. Auch Margaret Beckett, | |
einstige Außenministerin unter Tony Blair, gab an, dass ein | |
Waffenstillstand nur Israel stoppen würde. Sie hielt Starmers Vorschlag | |
einer lediglich humanitären Feuerpause für die beste Idee. | |
Binnen einer Woche stehen nun sowohl Labourchef Starmer als auch | |
[3][Premierminister Rishi Sunak vor Herausforderungen] im eigenen Lager. | |
Sunak musste sich giftige Kritik seiner ehemaligen Innenministerin Suella | |
Braverman sowie vom rechten Flügel der Tories gefallen lassen. Es gibt | |
bereits erste Misstrauensanträge gegen ihn. | |
16 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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