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# taz.de -- Labour-Parteitag in Großbritannien: Alles auf Rot
> Der Labour-Parteitag dürfte der letzte vor der Regierungsübernahme 2024
> gewesen sein. Man habe „seine Hausaufgaben gemacht“.
Bild: Ein Aktivist schüttet Glitzer über Labour-Vorsitzenden Keir Starmer auf…
Liverpool taz | Dass der alljährliche Parteitag der britischen
Labour-Partei diesmal ein besonderes Ereignis wird, war von Anfang an klar,
denn es könnte der letzte vor den Wahlen 2024 gewesen sein. Für die Partei
war es eine Gelegenheit, die Genoss:innen zu animieren. Für alle, die
glauben, dass es Zeit für einen Wechsel in 10 Downing Street ist, eine
Gelegenheit, Labour auf Herz und Nieren zu prüfen.
So war es ein Heer dunkelblauer Anzüge, wie es bei einem Labour-Parteitag
seit den Blair-Jahren nicht gesehen wurde, das sich zwischen Ständen und
Veranstaltungen drängelte. Darunter nicht nur Parteimitglieder, sondern
auch Leiter und Führungspersonal nationaler und internationaler Unternehmen
und Organisationen – so viele, als hätten sie bereits jetzt auf das rote
Pferd gesetzt.
Das Motto des Parteitages war „Britain’s Future“. Vielleicht sollte es eh…
„Back to the Future“ heißen, denn so manche dachten bei Keir Starmer an
eine Art Wiedergeburt Tony Blairs, der 1997 fast zwei Jahrzehnte
konservative Herrschaft beendete. Starmer soll nun 13 Jahre „Tory-Chaos“
ablösen. „Starmer hat Wind in den Segeln“, beschreibt Peter Mandelson es
gegenüber der taz. Er muss es wissen, denn Mandelson war Blairs einstiger
Kampagnenleiter.
„Meiner Meinung nach ist Starmer kein Tony Blair, ihm fehlt der Status
eines Stars, aber ich glaube, in seiner Denkweise, in seinen Verbindungen
mit Menschen, ist Starmer das Nächstbeste.“ Ein dickes Lob von einem
Politveteran wie Mandelson. Das Wichtigste sei, dass Starmer ein Programm
habe, sagt er dann noch.
## Schnelle Veränderungen – aber nicht zu schnelle
In einer Nebenveranstaltung bringt es der ehemalige Vorsitzende der
schottischen Labourpartei Jim Murphy auf den Nenner: Starmer hätte aus Tony
Blair, aber [1][auch aus Liz Truss gelernt]. „Starmer versteht, dass er für
schnelle Veränderungen sorgen muss, und gleichzeitig, dass sie nicht so
schnell kommen dürfen wie die von Liz Truss“, sagt er. Einer der ersten
Veränderungen, versprach die stellvertretende Parteiführerin Angela Rayner,
wären verstärkte Arbeiterrechte und das Ende von „Nullzeitverträgen“, al…
Arbeitsverträge ohne garantierte Mindestarbeitszeit und Mindestverdienst.
Es gibt inzwischen viele Einzelheiten zu Labours Plänen. Ganzheitlich geht
es vor allen um das wirtschaftliche Wachstum, wie Schattenfinanzministerin
Rachel Reeves erklärte. Die ehemalige Angestellte der britischen
Zentralbank könnte die erste Finanzministerin in 800 Jahren britischer
Parlamentsgeschichte werden. Es gehe um „Wachstum von unten nach oben und
von der Mitte nach außen“, sagte sie, ein Hinweis auf Joe Biden. Mit
„Securomonics“ stehe Labour für wirtschaftliche Berechenbarkeit und
Zuverlässigkeit, außerdem für eine Bevorzugung eigener Ressourcen statt
Abhängigkeit von Außen. All dies mit starkem Ausbau grüner Investitionen.
Unabhängige Prüfstellen würden alle politischen Programme vor ihrer
Einführung prüfen, um eine Politik gegen Betrug, Verschwendung und
Ineffizienz zu gewährleisten. Der Saal tobte, als Reeves eine Sondereinheit
zum Aufspüren veruntreuter Corona-Staatshilfen ankündigte. Als sie mit
ihrer Rede fertig war, hieß der ehemalige Zentralbankchef Mark Carney per
Videobotschaft die Pläne von Reeves gut. Selbst er setzt anscheinend auf
rot.
## Beschleunigung bei Klimazielen und Wohnungsneubau
Am Dienstagnachmittag hielt schließlich Parteichef Keir Starmer seine
Grundsatzrede in einem knüppelvollen Raum. Wieder ging es um
Wirtschaftswachstum und größere Produktionskapazität, um eine
„Partnerschaft des Vertrauens“ mit Industrie und Handel.
Seine Labour-Regierung würde [2][die vom konservativen Premierminister
Rishi Sunak verlangsamten britischen Klimaziele] wieder auf Tempo bringen
und das schwerfällige britische Bau- und Planungssystem reformieren, für
den Bau von 1,5 Millionen Wohnungen sowie neue Städte binnen der ersten
fünf Jahre. Eine neue staatliche Energiefirma mit Sitz in Schottland werde
die Energieversorgung koordinieren. Es gab noch vieles andere. Aber worum
es beim Parteitag vor allem ging, war die Frage der Glaubwürdigkeit und
immer wieder die Betonung, alles sei zum Wohl arbeitender britischer
Menschen.
Verschwörungstheorien hätten nun ihr Zuhause bei den Tories, während Labour
seine Hausaufgaben gemacht habe. Diesen Punkt unterstrich Starmer bereits
am Anfang seiner Rede, als ein Aktivist für Bürger:innenparlemente
auf ihn zustürmte und unerwartet Glitzerkleber über ihn schüttete.
Nur kurz angeschlagen verkündete Starmer, dass genau dies der Grund sei,
weshalb Veränderungen in der Partei durchgeführt worden seien: Labour sei
keine Protestpartei mehr. Vor stehend applaudierenden Delegiert:innen
verurteilte Starmer zudem die Mordangriffe der Hamas auf Israelis und
sagte, dass Labour weiterhin an eine Zweistaatenlösung glaube, aber auch an
das Selbstverteidigungsrecht Israels. Auch zahlreiche andere
Schattenminister:innen verurteilten die Hamas-Aktionen in ihren
Reden.
## Schweigeminute für israelische Opfer
Dominierte einst unter Jeremy Corbyn Palästina die Auslandsinteressen
vieler Genoss:innen, blieb das Thema diesmal auf Nebenveranstaltungen
begrenzt, darunter eine mit dem Vertreter der palästinensischen Mission in
Großbritannien, Husam Zomlot. Auch dort verurteilten fast alle die Gewalt,
sprachen jedoch ausgiebig über die Besatzung als Hintergrund. Fast konnte
man meinen, die toten Israelis seien an ihrem Tod selber schuld.
Zur gleichen Zeit war eine Veranstaltung der Holocaust-Bildungsstiftung
(HET) mit der Shoah-Überlebenden Hannah Lewis überfüllt. Die Vorsitzenden
der „Labour-Freunde Israels“ und der Vereinigung „Jewish Labour Movement�…
(JLM) versicherten gegenüber der taz, dass Labour eine veränderte Partei
sei und die Erfahrungen [3][mit dem unter Corbyn aufgeblühten
Antisemitismus] heute Vergangenheit. Palästina-Solidaritätsaktionen am
Rande des Parteitags seien „belanglos“ im Vergleich zu früheren
Konfrontationen, so JLM-Chef Michael Katz.
Eine zum Parteitag parallele dreitägige Veranstaltung sozialistischer und
linker Gruppen „The World Transformed,“ auf der auch Labour- und
Gewerkschaftsmitglieder anzutreffen waren, änderte aufgrund der Ereignisse
ihr Programm mit einer „Aussprache“ im Namen internationaler
palästinensischer Solidarität. Doch auf dem Parteitag selbst standen die
Delegierten vereint in einer Schweigeminute für die israelischen Opfer.
## Begeisterung über Parteitag: „It was amazing!“
Befragte Labour-Mitglieder äußern einmütig Begeisterung über den Parteitag.
Perran Moon, 53, ein Parlamentskandidat in Cornwall und Besitzer eines
Unternehmens für E-Auto-Ladegeräte, meint, der Parteitag habe das
angesprochen, was die verarmten Kommunen in seiner Region brauchen: weg vom
Stückwerk, hin zu einer Vision für das Land, die die wahren
Herausforderungen angreift, von den Sorgen der Unternehmen bis zum
Gesundheitssystem und zur Wohnungsnot, mit Versprechen erneuerbarer
Energie, die auf Cornwalls Mineralien wie Blei und Lithium zurückgreifen
werde. „Labour hat uns gehört und will uns direkt unterstützen.“
Lola Oyewusi, 58, Bildungsexpertin aus Maidenhead im südenglischen Kent,
sieht im Parteitag die Bestätigung, dass sie ihre Partei zurückgewonnen
hätte, nach all den Problemen mit dem Antisemitismus. „Wir sind alle
miteinander vereint, um für eine Labour-Regierung zu sorgen. Wir sind die
Partei der wiedergeschaffenen Hoffnung.“ Der 19 Jahre alte Politikstudent
Nathan Mitz aus Cardiff sagt schlicht: „It was amazing!“
12 Oct 2023
## LINKS
[1] /Urwahl-der-britischen-Konservativen/!5879066
[2] /Grossbritannien-verschiebt-Klimaziele/!5961627
[3] /Untersuchung-wegen-Antisemitismus/!5724684
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
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