# taz.de -- Britische Labour-Partei vor Wahlen 2024: Radikal war gestern | |
> Jeremy Corbyn, Liebling der Linken, tritt nicht mehr als Kandidat für die | |
> britische Labour-Partei an. Der Kurswechsel von Parteichef Starmer sorgt | |
> für Unruhe. | |
Bild: Jeremy Corbyn, ehemaliger Labour-Chef, gilt als einer der Alt-Linken in d… | |
LONDON taz | Islington North in London ist ein Stadtteil mit ziemlich | |
harten Kontrasten: Dominiert wird die Gegend vom Finsbury Park und einem | |
gleichnamigen, unattraktiven Bahnhof, neben dem Hochhäuser stehen. Es gibt | |
hier viele kleine Textilläden, im südlichen Teil dominieren vor allem | |
algerische Geschäfte. Nach Norden hin wälzen sich lange Straßen mit | |
dreistöckigen Reihenhäusern aus dem viktorianischen Zeitalter einen Hügel | |
hinauf – hier ist es grüner und annehmlicher. Dazwischen stehen soziale | |
Wohnbausiedlungen aus den 1960er und 1970er Jahren. | |
In einigen Ecken, wie etwa in Crouch End, gibt es viele teure Cafés – die | |
Treffpunkte der bürgerlichen Linken. Doch es gibt auch schockierende Armut | |
in Nord-Islington: 43 Prozent der Kinder leben in verarmten Haushalten, 42 | |
Prozent der Menschen über 60 Jahre beziehen Sozialleistungen. 37 Prozent | |
der Bevölkerung gehören ethnischen Minderheiten an, während viele der | |
weißen, englischen Mehrheit aus traditionellen Arbeiterfamilien stammen. Es | |
gibt hier viele [1][Arsenal-London-Fans], der Fußballclub hat hier sein | |
Stadion, auch das prägt den Bezirk. Und: Alle diese Bewohner:innen | |
werden an den Rand gedrängt von der Gentrifizierung, typisch für alle | |
Londoner Viertel, die nicht allzu weit vom Zentrum entfernt sind. | |
Seit 40 Jahren vertritt [2][Jeremy Corbyn] diesen Wahlkreis, Islington | |
North, im britischen Unterhaus. Als er 1983 dort erstmals gewählt wurde, | |
war er 33 Jahre alt, ein Vertreter der jungen radikalen Linken um den | |
damaligen Parteichef Michael Foot, der Labour in eine empfindliche | |
Niederlage gegen Margaret Thatcher führte. | |
Heute ist Corbyn 73 Jahre alt und vertritt die alte radikale Linke. Er | |
führte Labour als Parteichef 2019 in eine krachende Niederlage gegen Boris | |
Johnson. Als er danach zurücktrat und der gemäßigtere Keir Starmer ihm | |
nachfolgte, wurde Corbyn aus der Labour-Fraktion im Parlament | |
ausgeschlossen. | |
Corbyns politischer Niedergang fand dann am Dienstagnachmittag schließlich | |
seinen vorläufigen Schlusspunkt: Der Parteivorstand beschloss auf Antrag | |
Starmers, dass Corbyn bei der nächsten Wahl 2024 nicht mehr für Labour | |
kandidieren dürfe. Corbyn erwägt nun eine Kandidatur für seinen Wahlkreis | |
als Unabhängiger – aber der Bruch mit Labour ist wohl endgültig. | |
In seinem Wahlkreis ist Corbyn weiterhin beliebt. Fragt man Menschen in | |
Islington nach ihm, hört man nur Lob, denn er setze sich effektiv für die | |
Belange seiner Wähler ein, schreibe Briefe und E-Mails und tue, was er | |
verspreche. | |
Aber für Labour ist er eine Belastung geworden, kurz vor den | |
Unterhauswahlen, die wohl 2024 stattfinden werden und Labour einen hohen | |
Sieg bescheren könnten. Corbyn hatte gegen Ex-Premier Johnson nicht nur | |
eine der größten Niederlagen in der Geschichte der Partei eingefahren. Die | |
britische Gleichberechtigungs- und Menschenrechtskommission EHRC hatte | |
außerdem Antisemitismusvorwürfe geprüft und für stichhaltig befunden. | |
Corbyn habe als Parteichef zu wenig getan, um Antisemitismus in der Partei | |
zu begegnen. | |
Corbyn bagatellisierte diese Vorwürfe, statt sie ernst zu nehmen, was ihm | |
schließlich den Fraktionsausschluss einbrachte. Konkurrent Starmer wälzte | |
die Partei um, schuf neue Auswahlverfahren für Kandidaten sowie eine | |
unabhängige Beschwerdestelle und entließ Mitglieder aus der Partei und der | |
Fraktion, vor allem aus dem Corbyn-Sympathisantenkreis. | |
„Der Unterschied zwischen Starmer und Corbyn war wie zwischen Tag und | |
Nacht“, erzählt Mike Katz, Vorsitzender des jüdischen Labour-Verbands JLM, | |
Jewish Labour Movement. Katz ist 50 Jahre alt, er hat einen markanten | |
Undercut-Haarschnitt, Linksscheitel und schwarze Hornbrille. Labour trat er | |
in den 1990er Jahren als Student bei. „Als Teenager war ich entsetzt, dass | |
Rentner sterben konnten, weil sie nicht in der Lage waren, ihre Wohnung zu | |
heizen, und dass der Staat am Gesundheitssystem sparte“, erinnert er sich | |
an die damalige Endphase der langen konservativen Regierungszeit. | |
Aktiv geworden sei er erst kurz vor Tony Blairs Wahlsieg 1997, als Labour | |
für 13 Jahre an die Macht kam: „Ich unterstützte seine Ausrichtung.“ | |
Jahrzehnte später, inzwischen war Corbyn Parteichef, der 2015 die | |
Parteiführung übernahm, wäre Katz fast wieder ausgetreten. Er sah, dass | |
jüdische Abgeordnete wie Louise Ellman und Luciana Berger aus der Partei | |
gedrängt wurden. Viele radikale Linke sahen Israel als Hauptfeind, Juden | |
bei Labour standen unter Generalverdacht, und es gab antisemitische | |
Äußerungen bin hin zur Holocaustleugnung. | |
Katz sagt, die Mitgliederzahlen des Jüdischen Labour-Verbands seien in | |
dieser Zeit aber zugleich „immens“ angestiegen, die Solidarität sei sehr | |
groß gewesen. Dann kam Starmer statt Corbyn, „plötzlich standen wir im | |
Mittelpunkt und erhielten Respekt“, erinnert Katz sich. „Null Toleranz | |
gegen Antisemitismus und Entgiftung der politischen Kultur“, sagt er. | |
Labour sei heute „eine sozialdemokratische Partei, die versteht, dass die | |
Märkte unter Aufsicht und Kontrolle stehen müssen, um soziale Gerechtigkeit | |
gewährleisten zu können“, findet Katz. Und: „Wer nun nicht glaubt, dass | |
Antisemitismus ein Problem ist, muss nicht Parteimitglied bleiben.“ Dann | |
meint er: „Ich glaube, dass Starmer damit die nächsten Wahlen gewinnen und | |
das Land in den Wohlstand führen kann, den es zuletzt unter Blair und Brown | |
genoss.“ | |
Was Katz lobt, sehen jüngere Aktivistinnen wie Nabeela Mowlana kritisch. | |
Die 26-jährige Mowlana ist die Vorsitzende von Young Labour, hier sind | |
Parteimitglieder im Alter von 14 bis 26 Jahren vertreten. Außerdem ist sie | |
Stadträtin in Sheffields Bezirk Park and Arbourthorne. In diesem von | |
Sozialwohnungen geprägten Stadtviertel Sheffields – von der Sozialstruktur | |
ist die Stadt ähnlich von Kontrasten geprägt wie Islington North in London | |
– ist Mowlana aufgewachsen. | |
Zum Interview mit der taz tritt Mowlana ganz in Weiß auf, inklusive | |
Hidschab, und überlegt sorgfältig vor jeder Antwort. Man merkt, dass sie | |
ihre politische Rolle sehr ernst nimmt. „Die Chancen von Menschen aus | |
dieser Gegend sind im Vergleich zu benachbarten Stadtteilen begrenzt“, sagt | |
sie. „Als Labour-Mitglieder besteht unsere Aufgabe nicht darin, uns nur | |
gegen die Torys zu stellen, sondern auch, ein alternatives Weltbild zu | |
vermitteln.“ | |
Ein alternatives Weltbild, das ist es auch, was sie zu Labour brachte, als | |
Corbyn Parteichef war: „Ich sah, dass die Labour-Partei einen fundamentalen | |
Gesellschaftswechsel ansteuerte, eine freie und gerechte Gesellschaft: | |
Dinge wie die Abschaffung der Studiengebühren oder die Einführung eines | |
sozialen Zivildienstes“, sagt sie mit ansteckender Begeisterung. | |
Starmer geht für sie nicht weit genug. Sie würde gerne die Bahn, Post, | |
Strom und Wasser in öffentlicher Hand sehen, und sie will starke | |
Gewerkschaftsrechte, Wohnungsbau, eine verantwortliche Kommunalpolitik und | |
öffentlichen Zugang zum Internet. Starmer als Parteichef ist ihrer Meinung | |
nach gar nicht so wichtig: „Das Rückgrat der Labour-Partei waren immer die | |
Mitglieder und Aktivist:innen, insbesondere die jüngeren Menschen, die von | |
Tür zu Tür gehen, Leute anrufen und sich für die Partei einsetzen – weil | |
sie glauben, dass eine Welt, die der Mehrheit dient, möglich ist.“ Die | |
Parteiführung solle überhaupt viel mehr auf die jungen Leute hören, findet | |
sie. | |
Es gibt viele linke Kritiker des Starmer-Kurses an der Labour-Basis, aber | |
sie halten derzeit eher still. Viele Genoss:innen verweigern auf Anfrage | |
das Gespräch oder beantworten Anfragen nicht einmal. | |
Phil Smith, 32, will nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung | |
stehen, da er Angst hat, dass er seinen Status als kommunaler | |
Labour-Kandidat in einer konservativ regierten Gemeinde nahe London | |
verlieren könnte. Labour bedeute für ihn, der im Erziehungswesen arbeitet, | |
eine Politik nach „skandinavischem“ Vorbild, wie er sagt: „Ein | |
sozialdemokratisches System, mit Programmen wie die Wiederverstaatlichung | |
von Wasser und Strom und einem ausgedehnten sozialen Wohnungsbau.“ | |
Smith trat Labour 2019 bei, „weil ich mich persönlich schuldig fühlte, | |
nicht genug getan zu haben, um Boris Johnson zu verhindern“, sagt er ernst. | |
Er vermittelt das Gefühl, dass er wirklich etwas loswerden will in diesem | |
Interview, und jetzt, wo es anonym ist, kann er frei reden. | |
Seine Partei erlebe er als gespalten: „Da sind zum einen die Mitglieder wie | |
ich, die wollen, dass Menschen genug zu essen und ein Dach über den Kopf | |
haben.“ Zum anderen gebe es die Labour-Führung und die | |
Labour-Parlamentsfraktion. „Die befürworte ich persönlich weniger.“ Das | |
habe Gründe: Zum Beispiel habe Starmer versprochen, Gesetze abzuschaffen, | |
die die Arbeit der Gewerkschaften einschränken – „doch später feuerte er | |
einen Schattenminister, nur weil der sich mit Streikenden in eine | |
Streikpostenkette gestellt hatte. Das schockierte viele von uns und | |
verursachte viel Unsicherheit, weil wir nicht mehr wussten, ob wir als | |
Labour-Genossen Streiks unterstützen dürfen“. | |
Aktuell verursacht die Auswahl der Parlamentskandidat:innen für die | |
nächsten Wahlen große parteiinterne Spannungen – ein weiterer Grund, warum | |
so viele Mitglieder nicht offen reden wollen. „Starmer hatte versichert, | |
dass Ortsverbände weiterhin das Sagen hätten, doch in Wirklichkeit treten | |
ganze Vorstände zurück, weil sich die Parteispitze Leute aussucht, die | |
nicht die Mehrheit vor Ort hinter sich haben“, sagt Smith. | |
Er fürchtet, dass Labour momentan zu sehr auf Nummer sicher spielt. „Sie | |
werden die nächsten Wahlen gewinnen, weil die Tories keiner mehr will.“ | |
Moralisch sei das jedoch halbherzig. „Was genau ist das Ziel einer | |
Labour-Regierung unter Starmer?“ Corbyn sei ihm lieber gewesen: „Er wäre | |
zwar auf großen Widerstand in der Partei gestoßen, aber er setzte sich für | |
das ein, woran er glaubte.“ | |
Halbherzigkeit und Unbeweglichkeit nach außen, aber um so ruchloseres | |
Vorgehen gegen Kritiker nach innen – diesen Vorwurf erheben so manche | |
Labour-Mitglieder gegen ihren Chef. In der britischen Öffentlichkeit ist | |
Keir Starmer kein Star. Er landet zwar nicht auf negativen | |
Beliebtheitswerten wie der konservative Premier Rishi Sunak oder wie dessen | |
Vorgängerin Liz Truss und Boris Johnson kurz vor seinem Rücktritt im Sommer | |
2022. | |
Aber es deutet eben auch nichts auf die Art von Begeisterung hin, die dem | |
letzten Labour-Wahlsieger Tony Blair 1997 entgegenschlug. Starmer ist | |
weniger beliebt als seine Partei, die in den Umfragen konstant mit weitem | |
Abstand vorne liegt, teils mit Zustimmungswerten von 50 Prozent. | |
Starmer sei plump, er könne die Leute nicht begeistern, heißt es – auch | |
wenn er analytisch und thematisch gut sei, lautet das ungeschminkte Urteil | |
von James O’Flynn, ein Labour-Aktivist in Colne Vallex in Yorkshire im | |
Norden Englands. „Mister Woody“ nennt er seinen Parteichef – Herr Hölzer… | |
„Aber“, fragt sich O’Flynn, „vielleicht braucht das Land ja nach all den | |
Jahren mit Boris Johnson und Liz Truss einen ausdruckslosen, grauen Mann?“ | |
Zwei Jahre lang war O’Flynn während der Corbyn-Jahre Labour-Vorsitzender in | |
Colne Valley – es sind Gegenden wie diese, die Labour zurückholen muss, | |
wenn es zurück an die Regierung will. Weil sie den Brexit wollten, stimmten | |
diese ehemals blühenden, heute kriselnden alten Industrieregionen 2019 | |
massiv für Boris Johnsons konservative Tories. Mit dem Finanzexperten Rishi | |
Sunak können sie wenig anfangen. Und mit Keir Starmer? | |
„Die Politik der Partei unter Keir Starmer würde ich als ziemlich verhalten | |
beschreiben“, sagt O’Flynn, ein leicht ergrauter Verkaufsmanager mit | |
strengem Blick. Gerade jetzt, findet er, müsse man doch den Energiesektor | |
verstaatlichen. „Doch Starmer will weder staatliche Energieversorgung noch | |
ein staatliches Stromunternehmen, sondern allein staatliche | |
Energiegewinnung – und die an private Firmen verkaufen, die es dann | |
wiederum an die Öffentlichkeit weiterverkaufen sollen“. | |
Das sei „halbgare“ Politik – vielleicht aus Angst, zu sehr mit Corbyn | |
assoziiert werden. „Wir haben diese historische Chance, mit 30 Punkten | |
Vorsprung zu den Konservativen, und trotzdem haben wir so eine zaghafte | |
Politik – das frustriert mich!“ | |
Positiver fällt das Urteil bei Labour-Mitgliedern in Wales und Schottland | |
aus. „Was wir wirklich in dieser gespaltenen Gesellschaft brauchen, ist | |
eine Regierung, die sich mehr um Chancengleichheit und Fairness kümmert“, | |
sagt Gareth Sandilands, seit 2012 Gemeinderat für Welsh Labour in Prestatyn | |
South West, Denbighshire. Mit Keir Starmer komme endlich ein „frischer | |
Wind“, findet der 43-Jährige. | |
Sandilands hat Starmer auf dem walisischen Labour-Parteitag getroffen, und | |
er war begeistert: Wie Starmer in Partnerschaft mit Menschen arbeite! Und | |
er habe mit dem Fokus auf Wirtschaftswachstum, einem „grüneren | |
Großbritannien“ und einem besseren Gesundheitssystem „die Prioritäten | |
richtig gesetzt“. | |
Sandilands Wahlbezirk Rhyl West, ein verblichenes Strandbad an der | |
walisischen Nordküste, gilt als eine der ärmsten Gegenden im ganzen Land. | |
„Die Leute hier haben die Wahl zwischen Essen oder Heizung“, sagt | |
Sandilands. „Sie wollen jemanden, der sie ernst nimmt, und ich halte | |
Starmer für diesen Mann. Wenn unser erster Minister und Labour-Chef in | |
Wales, Mark Drakeford, und Keir Starmer zusammenarbeiten, werden sich die | |
Fesseln lösen und es wird eine eindrucksvolle Kraft entstehen.“ Sandiland | |
klingt, als übe er schon seine Wahlkampfreden. | |
Nicht minder begeistert ist Sandra Macdonald, eine 65-jährige | |
Labour-Gemeinderätin im schottischen Aberdeeen. In der alten Industrie- und | |
Werftstadt dominiert heute nicht mehr Labour, sondern die SNP (Schottische | |
Nationalpartei), aber seit Nicola Sturgeons Rücktritt als schottische | |
Regierungschefin und dem innerparteilichen Zank bei der SNP fühlt sich | |
Labour in ganz Schottland beflügelt. | |
Macdonalds kann im Gespräch ein breites, zuversichtliches Grinsen nicht | |
unterdrücken. „Das Land braucht eine große Veränderung“, findet sie, und | |
dafür stehe Keir Starmer. „Er beeindruckte mich, als er auf unserem | |
schottischen Parteitag sprach, weil er zuhörte und Dinge lernen wollte.“ | |
Auch habe er ein gutes Team um sich geschart. Endlich sei Labour nun wieder | |
im ganzen Land ein Machtfaktor. | |
„Wir müssen die Menschen mit Einsatz für soziale Gerechtigkeit, Fairness | |
und Integrität mitreißen“, sagt die Politikveteranin. „Ich glaube wirklic… | |
dass den Leuten langsam klar wird, dass nur Starmer in 10 Downing Street | |
Dinge ändern kann“. Sie klingt, als wolle sie sofort losrennen und | |
Wahlkampf machen. | |
In Islington müssen die Labour-Aktivisten jetzt erst mal die Nachricht | |
verdauen, dass ihr geliebter Abgeordneter Jeremy Corbyn nun außerhalb der | |
Partei steht. „Er ist beeindruckend gut, er sorgt sich sehr um die | |
Wahlgemeinde und ist ansprechbar“, so beschreibt Jasmin Walker ihren | |
Abgeordneten. Selbst für kleine Treffen habe er sich Zeit genommen, | |
berichtet die 28-Jährige, die ein Online-Geschäft führt. Sie weiß, dass | |
Corbyns Verbannung etwas mit Antisemitismus zu tun hat, aber genau versteht | |
sie das nicht. „Die Maßnahmen gegen Corbyn finde ich scheinheilig. Boris | |
Johnson hat klar rassistische Sachen von sich gegeben und ihm ist so etwas | |
nicht passiert.“ | |
Auch Kunstdozent Jacob Paskins und Karolina Kendall-Bush, beide 40 Jahre | |
alt, sind Corbyn-Anhänger. „Wir sind in diese Gegend wegen Corbyn gezogen“, | |
sagt er. Sie meint: „Was zählt, ist, dass wir eine Labour-Regierung | |
kriegen.“ Genau das ist das Dilemma der Corbyn-Unterstützer heute. Aber | |
beide haben Angst, dass Starmer zu viele Kompromisse macht, so wie einst | |
Tony Blair. | |
Der Friseur Peter, 65, der nur seinen Vornamen nennen will, erkennt einen | |
Unterschied zwischen dem Abgeordneten Corbyn und dem Parteichef Corbyn. | |
„Als Abgeordneter ist er einmalig, aber ich glaube, dass er dem Job als | |
Parteiführer nicht gewachsen war“, findet der 65-Jährige. | |
Paul, 68, ehemaliger Maler und Dekorationsarbeiter, will ebenfalls nicht | |
mit vollem Namen genannt werden. Er erzählt der taz, er lebe schon seit | |
über 40 Jahren in Islington North – also noch länger, als Corbyn hier | |
Abgeordneter ist. „Jeremy“, wie er Corbyn nennt, sei hervorragend, | |
anständig und fair. Was ihm zugestoßen sei, liege allein an seiner | |
Unterstützung für die Palästinenser. „Starmer ist eine Marionette der | |
zionistischen Rechten, die die Medien, die Banken und den Staat | |
kontrollieren“, schimpft Paul. | |
Das ist genau das Gedankengut, das Corbyn untragbar machte und das Starmer | |
aus der Labour-Partei verbannen will, um sie wählbar zu machen. Dieses Ziel | |
überlagert alles andere, und das rechtfertigt aus Sicht der Labour-Führung | |
auch die publikumswirksame Verbannung Corbyns aus der | |
Labour-Kandidatenriege. Vielleicht hat deshalb O’Flynn in Yorkshire recht, | |
wenn er sich fragt: „Vielleicht hält die Labour-Führung nur die Munition | |
trocken und sie servieren dann vor den Wahlen schlagkräftige Vorschläge?“ | |
Bis dahin will er mit einem endgültigen Urteil zu Keir Starmer warten. In | |
Islington North müssen sich die Leute auch schon mal Gedanken machen – ob | |
sie einen unabhängigen Kandidaten Corbyn unterstützen wollen oder eine | |
Labour-Partei ohne ihn. | |
30 Mar 2023 | |
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