# taz.de -- Postkoloniale Linke und Antisemitismus: Alle auf die Straße, jetzt | |
> Auch die postkoloniale Linke muss gegen den aufflammenden Antisemitismus | |
> aufstehen – will sie sich nicht mit Rechtsextremen gemeinmachen. | |
Bild: Anschlagsort in Berlin: Haus der jüdischen Gemeinde in der Brunnenstraß… | |
Das linke Milieu in Deutschland ist in den ersten zwei Wochen nach dem | |
Massaker der Hamas an israelischen Zivilist*innen auffallend still | |
geblieben. Auf der Handvoll Solidaritätsdemos, die es gab, waren höchstens | |
ein paar Tausend, oft nur einige Hundert Menschen. Von | |
zivilgesellschaftlichen Organisationen und linken Gruppen war nicht viel zu | |
sehen. Das ist angesichts [1][der brutalen Morde an rund 1.400 unschuldigen | |
Männern, Frauen und Kindern] erschreckend, aber irgendwie noch zu erklären: | |
Der Nahostkonflikt ist kompliziert, die Linke bei dem Thema traditionell | |
gespalten. | |
[2][Nicht mehr zu erklären ist die Untätigkeit spätestens seit Mittwoch], | |
als Unbekannte versuchten, eine Synagoge in der Berliner Brunnenstraße | |
anzuzünden. Es war der bisherige Höhepunkt einer ganzen Reihe klar | |
antisemitischer Angriffe auf Jüd*innen in Deutschland und ihre | |
Einrichtungen. Zu der Mahnwache am Abend nach der Tat kamen rund 70 | |
Personen. | |
Das ist eine Katastrophe. Wenn in Deutschland wieder versucht wird, | |
Synagogen niederzubrennen, darf die deutsche Gesellschaft und vor allem die | |
Linke nicht mehr untätig bleiben. Das gilt auch für die [3][antiimperiale | |
Linke, die traditionell den Palästinser*innen nahesteht]. Keine Frage: | |
Es ist legitim, um die unschuldigen Toten in Gaza zu trauern. Es ist auch | |
legitim, gegen die Luftangriffe Israels zu demonstrieren und das Elend der | |
Zivilbevölkerung in Gaza zu beklagen. Auch wenn man darin bisweilen ein | |
merkwürdig einseitiges Mitleid erkennt, sollte klar sein: Für [4][diese | |
Positionen und Gefühle muss es Ausdrucksmöglichkeiten geben]. | |
Aber viel von dem, was sich da derzeit in Deutschland abspielt, hat damit | |
nichts mehr zu tun. Es ist der alte Hass auf Jüd*innen in neuer Form. | |
Hiergegen muss sich die gesamte Linke nicht nur klar abgrenzen, sondern sie | |
muss aktiv dagegen ankämpfen. Und sie muss endlich erkennen, dass | |
unentschuldbarer Antisemitismus nicht erst da anfängt, wo es um tätliche | |
Gewalt gegen Jüd*innen geht. | |
## Kontinuitäten zwischen Nazizeit und Gegenwart | |
Um sich zu vergegenwärtigen, was für ein Geist da gerade teils durch | |
deutsche Straßen weht, lohnt es, sich genauer anzuschauen, was am | |
Mittwochabend vor dem Auswärtigen Amt geschah. Da kamen etwa 100 junge | |
Leute für eine Sitzblockade zusammen, um gegen die deutsche Unterstützung | |
für Israel zu demonstrieren. „Free Palestine from German guilt“, | |
skandierten sie, wie auf einem Video zu hören ist, auf Deutsch: „Befreit | |
Palästina von der deutschen Schuld.“ | |
Das ist unbestreitbar nah dran an der Forderung vieler Rechtsextremer, den | |
„deutschen Schuldkult“ zu beenden. Mehr oder weniger explizit steckt darin: | |
Sobald es um die aktuelle Lage in Nahost geht, stört die Erinnerung an die | |
deutschen Verbrechen nur noch. Weg damit. | |
Diese Nähe zu rechtsextremen Positionen ist kein Zufall. Die Kontinuitäten | |
zwischen dem, was Nazideutschland in den 40er Jahren zum Massenmord trieb, | |
und dem, was heute Jüd*innen weltweit und gerade in Nahost | |
entgegenschlägt, sind relativ gut erforscht. Da sind deutsche Radiosender, | |
die während des Zweiten Weltkriegs gezielt auf Arabisch den antisemitischen | |
Wahn im Nahen Osten verbreiteten. Da ist der Mufti von Jerusalem, der mit | |
den Nazis kollaborierte und der SS beitrat. Da sind die deutschen | |
Kriegsverbrecher, die nach dem Sieg der Alliierten in Syrien Aufnahme | |
fanden. | |
All das sollte endlich aufräumen mit dem Gerede vom „importierten | |
Antisemitismus“, das gerade wieder bevorzugt von solchen | |
Politiker*innen kommt, die vor wenigen Wochen noch zu Hubert Aiwangers | |
Holocaust-Fantasien geschwiegen oder sie als Jugendsünden schöngeredet | |
haben. Studien weisen auch in der deutschen Bevölkerung ohne | |
Migrationshintergrund erschreckend hohe Zustimmungswerte für antisemitische | |
Aussagen nach. Der Hass auf Jüd*innen mag in unterschiedlichen | |
Schattierungen auftreten, er ist und bleibt ein globales und auch gerade | |
ein Problem Deutschlands, das ihn nicht nur mit Auschwitz zu seinem | |
grauenhaften Höhepunkt getrieben, sondern ihn auch gezielt exportiert hat. | |
Genau deswegen muss die Linke – gerade in Deutschland – Antisemitismus | |
bekämpfen, von wem immer er ausgeht. Und ja: Ein erster Schritt dazu könnte | |
es sein, endlich demonstrieren zu gehen. Gleichzeitig muss gelten: Zusammen | |
mit Antisemit*innen wird nicht demonstriert. Das schließt nicht nur | |
all diejenigen aus, die Jüd*innen angreifen, sondern auch die, die mit | |
antisemitischen Parolen und Forderungen geistige Vorarbeit leisten. Sie | |
haben linke Solidarität nicht verdient. | |
Das muss unabhängig davon gelten, ob es um Nazis in Sachsen geht, Bayern im | |
Karohemd, Studierende, die sich im postkolonialen Befreiungskampf wähnen, | |
oder eben um Islamisten und ihre Unterstützer*innen in Neukölln. | |
20 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-dem-Massaker-in-Israel/!5963661 | |
[2] /Juedisches-Leben-in-Deutschland/!5964942 | |
[3] /Debatte-auf-der-Buchmesse/!5963830 | |
[4] /Nach-Randale-auf-Pro-Palaestina-Demos/!5963941 | |
## AUTOREN | |
Frederik Eikmanns | |
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