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# taz.de -- Propalästinensische Demos in Berlin: Immer wenn es nicht regnet
> Seit Tagen eskalieren die „Free Palestine“-Demos in Neukölln. Es
> kursieren Fake News über einen getöteten Demonstranten.
Bild: Bei propalästinensischen Demos in Neukölln sind manchmal antisemitische…
Berlin taz | Zweimal knallt es, zwei der vielen Polizistengruppen spurten
los. Donnerstagabend, Punkt acht Uhr auf der Sonnenallee in
Berlin-Neukölln. „Ich glaub, langsam fängt’s wieder an“, sagt eine
Verkäuferin und huscht zurück in ihren Spätkauf.
[1][Wie am Abend zuvor], als Palästina-Unterstützer:innen sich hier
sammelten und „Viva Palästina“ schrien, „Free Palestine“, „Allahu Ak…
vereinzelt auch „[2][Israel – Kindermörder]“. Flaschen, Steine, Böller
flogen auf die Polizei, die sprühte Tränengas. So berichteten es
verschiedene Medien.
Demonstrierende wurden verletzt, Unbeteiligte. Müllcontainer brannten,
später fünf Autos. Nicht tödlich zwar, aber mit Wucht schlägt sich der
[3][Nahostkonflikt] in Deutschland nieder, besonders in der Hauptstadt.
Angeheizt durch den [4][Raketeneinschlag auf einem Klinikgelände in Gaza],
der vorschnell Israel zugeschrieben wurde.
Früher am Mittwoch hatte es vor dem Außenministerium in Berlin-Mitte schon
eine propalästinensische Sitzblockade gegeben. Trotz Verbot. „[5][Free
Palestine from German guilt]“ wurde dort gerufen. Und: In der Nacht davor
hatten zwei bislang Unbekannte Molotowcocktails in Richtung eines jüdischen
Gemeindehauses mit Kita geworfen. Ein Schock. „Die antijüdische Gewalt auf
den Straßen Berlins hat damit eine neue Dimension erreicht“, sagte der
Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde.
„Für das Angreifen jüdischer Gebetsstätten gibt es keine Rechtfertigung“,
hieß es von der propalästinensischen Gruppe „Jüdische Stimme für gerechten
Frieden in Nahost“, die in den letzten Tagen immer wieder an
Palästina-Demos beteiligt war. Und weiter: „Der Kampf um jüdische Befreiung
ist untrennbar vom Kampf palästinensischer Befreiung. Lasst euch das nicht
von Rechtsextremisten ausreden.“
## Fake News über einen getöteten Jugendlichen machen die Runde
Andere wie [6][die Hamas-nahe Gruppe Samidoun] posteten nichts zu dem
versuchten Brandanschlag, nur zu Repression, Rassismus und Polizeigewalt
bei ihren verbotenen Versammlungen. Tatsächlich warnen auch anerkannte
Antirassismus-Stellen wie Reachout vor Vorverurteilungen.
In den sozialen Medien zeigten viele Nutzer jedoch nicht nur tatsächliche
Gewalt, sondern deuteten auch fälschlich an, ein Jugendlicher könnte in
Polizeihand umgekommen sein. Das war am Mittwoch.
Am Donnerstagabend strahlt von hohen Polizei-Masten Flutlicht über die
Sonnenallee. 30 Mannschaftswagen säumen die Straße, die Fernsehkameras
laufen, genauso wie die Handykameras der Jugendlichen in den Hauseingängen.
Spannung, ob es heute wieder knallt.
Beamte kontrollieren Flugblätter. Aufgereiht am Bürgersteig halten sie vier
Zwanzigjährige fest, die ihnen auffällig erscheinen. Und einen 15-Jährigen
mit Palituch, der Victory-Finger gezeigt hatte. Zwölf Beamte führen ihn in
Handschellen zu ihrem Bus.
## Skurrile Ukraine-Vergleiche und zertretene Kerzen
Ins Flutlicht tritt ein Mann, ebenfalls mit schwarz-weißem Tuch, er nickt
den Beamten an der Ecke zu. „Die Gewalt der Polizei ist erschreckend“, sagt
der Mittvierziger, der nicht mit Namen genannt werden will. Er ist im
[7][Westjordanland] geboren, seit 20 Jahren in Berlin. Ein Intellektueller
aus einem anderen Stadtteil, Vorbeilaufende erkennen ihn und grüßen.
Er zeigt ein Video vom Vorabend: Eine Gruppe hatte statt Müllcontainern
Kerzen angezündet, in Trauer um die Toten in Gaza. Die Polizisten im Video
zertreten die Kerzen. „Ich habe das heute früh gesehen und geweint.
Darüber, wie mit den Menschen umgegangen wird“, sagt der Mann.
Was ist mit der Trauer um die Hamas-Opfer in Israel? „Wenn das ein Angriff
von Ukrainern auf Russland gewesen wäre, hätten sich die Deutschen
gefreut“, sagt er. Ein mehr als schiefer Vergleich.
„Jeder steht unter Generalverdacht, dass er Antisemit ist, wenn er
protestiert“, sagt er. [8][Was ist der Unterschied zwischen
propalästinensisch und antisemitisch?] „Es macht keinen Unterschied, ob der
Unterdrücker Jude ist oder nicht“, sagt er. Israel sei ein Staat, der
Menschenrechte breche. Die Palästinenser seien auch nicht anders als andere
Gesellschaften, es gebe auch da Rassisten. „Aber hier kommt der Großteil
des Judenhasses von Biodeutschen.“ Er wolle keinen Staat ohne Juden, aber
auch keinen jüdischen Staat.
Zur Großdemo kommt es nicht an diesem Abend. „Weißt du, wo das Problem
ist“, sagt ein Teenager zu seinem Freund: „Das Wetter ist beschissen.“
Morgen dann, sagt der andere.
20 Oct 2023
## LINKS
[1] /Pro-Palaestina-Protest-in-Neukoelln/!5966118
[2] /Interview-mit-Antisemitismus-Expertin/!5963701
[3] /Politik/Nahost/!p4620/
[4] /Deutschland-und-der-Krieg-in-Gaza/!5967545
[5] /Thunberg-unterstuetzt-Palaestinenser/!5967725
[6] /Hamas-Unterstuetzer-in-Berlin/!5962283
[7] /Proteste-in-der-arabischen-Welt/!5967455
[8] /Antisemitische-Straftaten-in-Deutschland/!5967456
## AUTOREN
Stefan Hunglinger
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