# taz.de -- Antiimperialisten gegen Antideutsche: Linke Orte unter Druck | |
> Der Krieg zwischen Israel und der Hamas lässt alte Konflikte in der | |
> linken Szene wieder aufbrechen. Ein Dialog erscheint so gut wie | |
> unmöglich. | |
Bild: Die Rote Flora im Oktober 2023, nach dem Überfall der Hamas auf Israel | |
Auch so kann man mit dem Jahrestag des Überfalls der Hamas auf Israel | |
umgehen: „Diesen Oktober jährt sich der Tag, an dem unser Volk der Welt | |
gezeigt hat, dass der Widerstand lebt und die Befreiung naht.“ So | |
mobilisiert eine Gruppe namens Ahrar, die sich als „Hamburgs | |
Palästinensische Bewegung“ bezeichnet, zu einer Demo am 5. Oktober. Ahrar | |
setzt sich für eine „Einstaatenlösung“ im Nahen Osten ein – ohne einen | |
israelischen Staat. Der Account „Flora für alle“ schreibt unter den | |
Demoaufruf: „Wir kommen.“ | |
„Flora für alle“ ist eine Kampagne, die dem seit 1989 besetzten autonomen | |
Zentrum eine antideutsche Vorherrschaft vorwirft und zum Ziel hat, die | |
Flora zu übernehmen. Aber warum? Und von wem überhaupt? Die Rote Flora | |
gehört immer denen, die sie mit Leben füllen. Aber was hat das mit dem | |
Nahostkonflikt zu tun? | |
Die Spaltung der linken Szene in auf pro Israel fokussierte antideutsche | |
und auf pro Palästina fokussierte antiimperialistische Gruppen begann | |
bundesweit Ende der 1980er Jahre und eskalierte an kaum an einem Ort so wie | |
in Hamburg. Die Auseinandersetzung hinterließ von Wandbildern an der | |
Hafenstraße über eine Schlägerei zwischen Redakteur*innen des linken | |
Radiosenders FSK bis zu einer von Antiimperialist*innen mit Gewalt | |
verhinderten Filmvorführung tiefe Gräben zwischen Linken. | |
Doch irgendwann liegt auch der letzte Grabenkampf so lange zurück, dass die | |
meisten heute Aktiven ihn unter „Opa erzählt vom Krieg“ verbuchen. Derweil | |
wurden andere Themen wichtiger und schufen Brücken zwischen den linken | |
Milieus: Queerfeminismus, Klimawandel und nicht zuletzt [1][der G20-Gipfel | |
in Hamburg sowie die Repression] traten in den Vordergrund. Die Frage „Wo | |
stehst du im Nahostkonflikt?“ wurde vom Haupt- zum Nebenwiderspruch. | |
Doch seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 und der darauffolgenden | |
vernichtenden Militäroffensive Israels in Gaza sind die Gräben wieder | |
präsent. Die Protagonist*innen des linksinternen Konflikts sind zwar | |
zum Teil ganz andere, zum Teil aber auch nicht. Letztere haben noch uralte | |
Rechnungen offen. | |
In Hamburg eskalierte die Neuauflage des Szenestreits am 14. Mai, als rund | |
50 Aktivist*innen aus dem Umfeld des Pro-Palästina-Camps an der | |
Hamburger Uni [2][symbolisch die Rote Flora besetzten]. Sie hängten | |
Transparente an den Balkon des Gebäudes, auf denen sie den Florist*innen | |
weiße Vorherrschaft und Rassismus vorwarfen, und skandierten „Free | |
Palestine“. Die Palästinaaktivist*innen drohten: „Das war erst der | |
Anfang, wir kommen wieder und werden dieses Haus übernehmen.“ | |
Die Flora, die vielen als antideutsch gilt, sich selbst aber als | |
antiautoritär-autonom versteht, hatte kurz nach dem Massaker der Hamas am | |
7. Oktober eine Girlande mit den Worten „Free the world from Hamas“ über | |
ihren Balkon gespannt. Auf ihrer Plakatwand stand: „Killing Jews is not | |
fighting for freedom. Wir sind solidarisch mit allen Jüdinnen und Juden | |
weltweit.“ Palästinaaktivist*innen übermalten die Parole. | |
Die Flora verurteilte die symbolische Übernahme später als autoritär, das | |
Übermalen der Parole offenbare zudem ein antisemitisches Weltbild. | |
„Menschen, die diese Haltung vertreten, fühlen sich in der Roten Flora zu | |
Recht nicht willkommen“, hieß es in einem Statement. Darüber hinaus lasse | |
man sich keine Diskussionen von außen aufzwingen, sondern werde weiter | |
autonom politische Auseinandersetzungen führen. „Es gibt unter den die | |
Flora nutzenden Gruppen keine einheitliche Haltung zum Nahostkonflikt“, | |
sagt ein Flora-Aktivist gegenüber der taz. Öffentliche Statements einzelner | |
Gruppen zum Thema würden kontrovers, aber auf Augenhöhe diskutiert. Die | |
Drohungen von außen würden intern als nervig, aber nicht wirklich | |
bedrohlich wahrgenommen. | |
Doch der Nahostkonflikt und der aggressive Positionierungsdruck in Teilen | |
der Szene habe durchaus zu Brüchen geführt. So sei es derzeit etwa schwer | |
vorstellbar, gemeinsam mit antiimperialistischen Gruppen auf die Straße zu | |
gehen – obwohl es angesichts von Rechtsruck und Repression dringend geboten | |
wäre, sagt der Aktivist. Zum Teil hätten sich internationalistische Gruppen | |
aus Bündnissen verabschiedet, weil sie die Flora zu nah an der Seite | |
Israels wähnten. Aus Sicht der Autonomen sei das ungerechtfertigt und | |
politisch falsch. „Es gäbe momentan so viel Wichtigeres, als sich mit | |
identitären Grabenkämpfen auseinanderzusetzen“, sagt der Flora-Nutzer. | |
Doch die auf Palästina fokussierten Aktivist*innen von Ahrar und der | |
Gruppe Thawra, die das [3][Palästina-Camp an der Uni Hamburg] | |
veranstaltete, schießen weiter mit scharfen Worten gegen das Kulturzentrum. | |
Nichts an dem Zentrum sei mehr links, kritisierte die ehemalige | |
Fridays-for-Future-Aktivistin und jetzige Thawra-Sprecherin Elisa Baş auf | |
einer Demo. Rot sei nur das Blut an den Händen der Nutzer*innen, die | |
staatstragend den Mord an der palästinensischen Zivilbevölkerung | |
unterstützten. Auf einer Hanau-Gedenkdemo im Februar war Thawra mit einem | |
„Flora, halt’s Maul“-Transparent erschienen, ebenso am 1. Mai. Die | |
Stimmungsmache ruft auch andere auf den Plan. Hinter dem | |
Instagram-Account „Flora für alle“ steckt nach taz-Recherchen ein kleiner | |
Personenkreis, der 2007 wegen Täterschutzvorwürfen aus der Flora und dem | |
linken Infoladen Schwarzmarkt rausgeflogen war. | |
Der Umgang mit dem Beschuldigten einer mutmaßlichen Vergewaltigung im Jahr | |
1997 war damals in Szenepublikationen und auf Plenen diskutiert worden. | |
Die antiimperialistisch ausgerichtete Gruppe Tierrechtsaktion Nord war in | |
den folgenden Jahren – so erzählt man es heute in der Szene – aggressiv | |
gegen das Umfeld der mutmaßlich betroffenen Frau vorgegangen. Der Konflikt, | |
zu dem auch linke Kneipen, Plattenläden und andere Treffpunkte Stellung | |
bezogen, hinterließ Wunden, die offenbar immer noch nicht verheilt sind. | |
Auf dem Schanzenfest am 7. September trat „Flora für alle“ erstmals | |
öffentlich mit einem Stand in Erscheinung und warb für die Übernahme des | |
autonomen Zentrums. Ältere Aktivist*innen erkannten unter den dort | |
Anwesenden die Protagonist*innen der Tierrechtsaktion Nord. Auf | |
Instagram hetzt „Flora für alle“ nicht nur gegen die Flora, sondern auch | |
gegen das Leipziger Conne Island und das Berliner About Blank. | |
## Berlin: rote Dreiecke, auf die Spitze gestellt | |
Berlin hat kein Zentrum, das mit einer Institution wie der Roten Flora in | |
Hamburg zu vergleichen wäre. Doch auch hier schlägt sich der Nahostkonflikt | |
in der linken Szene nieder – täglich und heftig. Ein Grund dafür ist, dass | |
in Berlin die europaweit größte Diaspora von Menschen mit | |
palästinensischem Hintergrund lebt. Geschätzt sollen es zwischen 35.000 und | |
45.000 Menschen sein. Das hat historische Gründe: Viele reisten in den | |
1970er Jahren aus dem Libanon über die DDR ein. Und: Berlin hat eine große | |
international geprägte, sich als links und queer verstehende Community, die | |
sich teils deutlich antiimperialistisch verortet. | |
Sichtbar ist der Nahostkonflikt etwa im Straßenbild: Mehr als 650 | |
Demonstrationen mit „Bezug zur Situation in Israel und Gaza“ gab es in | |
Berlin laut Innenverwaltung seit dem 7. Oktober 2023. Rund 320 davon | |
ordnete die Polizei als „propalästinensisch“ ein, 170 als „proisraelisch… | |
weitere knapp 160 seien „nicht zuzuordnen“. Die Demonstrationen finden | |
weiterhin im Prinzip wöchentlich durchaus mit größerem Zulauf statt. | |
Demonstrant*innen prangern [4][Repressionen und Polizeigewalt] an. | |
Immer wieder meldet die Polizei, dass Teilnehmer*innen dort Terror | |
verherrlichten. | |
An viele Berliner Häuserwände sind palästinensische Fahnen gesprayt oder | |
Slogans wie „Free Gaza“, teils ergänzt mit „from Hamas“, oder auch „… | |
Palestine from German bombs“. Der Slogan „Free Palestine from German guilt�… | |
(„Befreit Palästina von der deutschen Schuld“) [5][löste im vergangenen | |
Oktober noch öffentliche Empörung] aus, inzwischen ist er ein häufiges | |
Graffito. Teils haben andere diese Slogans übermalt, neu kommentiert oder | |
unkenntlich gemacht. | |
Was auch vermehrt an Häuserwänden in der Hauptstadt auftaucht: das [6][auf | |
der Spitze stehende rote Dreieck], also das Zeichen, mit dem die Hamas in | |
Videos ihre Feinde markiert. Im April sprayten Unbekannte es an die | |
[7][Fassade des Clubs About Blank] in Berlin-Friedrichshain. Die | |
Betreiber*innen ergänzten das Dreieck kurzerhand zu einem roten Herzen | |
und äußerten sich zunächst nicht dazu. An Wänden in Neukölln tauchten erst | |
die Dreiecke auf, dann ergänzte sie jemand mit einem weiteren Dreieck zum | |
Davidstern und schrieb „Fuck Zionists“ daneben. | |
Doch obwohl der Konflikt allgegenwärtig zu sein scheint: Die | |
Demonstrationen haben es bisher nicht geschafft, übergreifend zu | |
mobilisieren, sie sind keine Orte, an denen das Leid und die Anliegen der | |
Palästinenser*innen wie auch das Leid und die Anliegen der Israelis | |
verhandelt würden. Räume, in denen ein Austausch stattfinden könnte, werden | |
rar und enger. Menschen, die als Jüdinnen und Juden oder Israelis zu | |
erkennen sind und sich nicht eindeutig als „antizionistisch“ positionieren, | |
werden angefeindet und ausgeschlossen. Und auch antimuslimischer Rassismus | |
nimmt zu. | |
Konkreten Angriffen ausgesetzt ist etwa die Kneipe Bajszel in Neukölln. | |
Dort lädt man regelmäßig zu antisemitismuskritischen Veranstaltungen ein. | |
Mehrmals wurde die Fassade mit dem roten Dreieck markiert, im September | |
dann auch zusammen mit dem Schriftzug „Glory to Al Quassam“ – ein Feiern | |
der Hamas-Brigaden, die das Massaker am 7. Oktober ausgeführt hatten. | |
In derselben Nacht, in der die Polizei die Schmierereien festgestellt | |
hatte, bemerkte ein Feuerwehrmann einen brennenden Papierkorb an der | |
Fassade, den er mit einem Eimer Wasser löschte. Die Rußspuren sind | |
deutlich an der Wand und am Fensterrahmen zu sehen; das Bajszel teilt mit, | |
dass sich zu dem Zeitpunkt noch ein Mitarbeiter in der Kneipe befunden | |
habe. Der Staatsschutz ermittelt nun zur Frage, ob ein Zusammenhang | |
zwischen Brand und Farbattacke besteht. Die Betreiber selbst sprechen von | |
einem „Mordversuch“. | |
Im Juli zierten rote, auf der Spitze stehende Dreiecke den Instagram-Post, | |
mit dem der Dyke* March zu einer Soliveranstaltung in der queeren | |
Kreuzberger Szenekneipe Möbel Olfe mobilisierte. Besucher*innen | |
verteilten an dem Abend nach eigenen Angaben auf ihrem Tisch Zettel mit dem | |
Hinweis, dass dies ein sicherer Platz für Jüdinnen und Juden und Israelis | |
sein solle („Safe table for Jews and Israelis“), daneben auch | |
Regenbogenflaggen und einen Davidstern. Eine Beteiligte berichtete, wie sie | |
daraufhin eingekesselt und als „Zionistenschweine“ beschimpft worden seien. | |
Man forderte sie auf zu gehen, draußen habe „ein Mob gewartet“. Die | |
Veranstalter hatten offenbar kein Konzept, um die Szene zu befrieden oder | |
zu vermitteln, denn sie forderten die Besucher*innen des Tischs auf zu | |
gehen. Und sie [8][brachen den gesamten Soliabend vorzeitig] ab. | |
Das About Blank wandte sich [9][Ende September mit einem Statement] an die | |
Öffentlichkeit: Seit Monaten sähen sie sich Angriffen ausgesetzt, mit | |
Schmierereien, Fäkalien und Buttersäure hätten Unbekannte ihren Laden | |
physisch attackiert, außerdem in den sozialen Medien gegen sie gehetzt. Für | |
Veranstaltungen, die sich kritisch mit Antisemitismus auseinandersetzten, | |
bräuchte es erhöhte Sicherheitsbedingungen. Der Vorwurf: Der Club würde | |
sich im Israel-Palästina-Konflikt vermeintlich falsch positionieren. Das | |
About Blank lande seit Jahren auf Feindes- und Boykottlisten etwa [10][der | |
antiisraelischen Kampagne „DJs Against Apartheid“]. | |
Mitarbeiter*innen und Besucher*innen würden bedroht und | |
beschimpft, unter Druck gesetzt und angefeindet. „In der Erkenntnis, dass | |
dieser Konflikt und seine Geschichte zu komplex sind, um eindeutig und | |
plakativ Partei zu ergreifen, haben wir es stets auch unterlassen, Israel | |
einseitig zu verurteilen“, schreibt das About-Blank-Kollektiv in dem | |
Statement. Sie würden deshalb als „proisraelisch“ oder als „zionistisch�… | |
gelabelt, ihnen würde eine Nähe zur Netanjahu-Regierung unterstellt. „Diese | |
Zuschreibungen sind falsch und entbehren jeglicher Grundlage“, schreibt das | |
Kollektiv. Auch innerhalb ihrer Gruppe herrsche keine einheitliche Haltung | |
zum Konflikt vor. Sie weisen darauf hin, dass der Ort Club- und | |
subkulturelle Szenen zusammenbringen wollte. | |
Doch der Druck wachse – und sie sehen ihn konkret gegen ihr Konzept | |
gerichtet. „Vielfach scheint eine gleichzeitige Zurückweisung und | |
Bekämpfung von antisemitischen und rassistischen Positionen undenkbar zu | |
werden – obwohl gerade das Kernbestandteil linker Politik sein müsste“, | |
schreibt das Kollektiv. „Handlungsfähige Linke und zivilgesellschaftliche | |
Bündnisse“ bräuchten Auseinandersetzungen und Diskussionen – und dazu eben | |
auch die entsprechenden Orte. Das Kollektiv lädt in seinem Statement dazu | |
ein, gemeinsam „nach Wegen aus der derzeitigen Dürftigkeit“ zu suchen. | |
Denn die Unversöhnlichkeit, die sich da inzwischen verfestigt, hat bereits | |
konkrete Auswirkungen. Jüdinnen, Juden und Israelis werden vielfach direkt | |
für die Politik und den Krieg der israelischen Regierung verantwortlich | |
gemacht. Dass sie sich an bestimmten Orten und in bestimmten Situationen | |
dann bedroht oder unwohl fühlen, wird abgetan, die Ansicht scheint | |
verbreitet, dass sie das „mal aushalten“ müssten. Wohnungssuchende stoßen | |
in Berlin inzwischen häufiger auf Angebote mit dem Zusatz „No Zionists“. | |
So agiert eine angebliche Linke, die die zersetzenden Wirkungsweisen von | |
Rassismus gut verstanden hat, die es allerdings bisher nicht schafft, sich | |
auch mit den Verheerungen und Konsequenzen von Antisemitismus | |
auseinanderzusetzen. | |
## Leipzig: Kufijaverbote und fliegende Steine | |
In Leipzig ist die antideutsche Szene noch stärker als in anderen | |
Großstädten Deutschlands. Gehört im linken Milieu Berlins ein | |
antiimperialistischer Gestus irgendwie dazu, geht die Tendenz in Leipzig in | |
die andere Richtung. An den Häuserwänden im Stadtteil Connewitz prangen | |
kaum propalästinensische Schriftzüge. Kufija zu tragen gilt hier nicht als | |
chic – sondern wird eher misstrauisch beäugt. | |
Auch in Leipzig sah es lange so aus, als würde sich der alte Streit über | |
Antiimperialisti*innen und Antideutsche beruhigen. Doch nun sei er | |
wieder voll da, sagt Jule Nagel, Linke-Politikerin aus Connewitz, der taz. | |
„Seit etwa drei Jahren gibt es ein Wiedererstarken autoritärer | |
kommunistischer Gruppen, die das Thema stärker in den Fokus rücken“, sagt | |
sie. Der 7. Oktober habe das nur noch beschleunigt. | |
Wie in anderen Städten versuchen Palästinaaktivist*innen seither, | |
der Szene eine Komplizenschaft mit israelischen Kriegsverbrechern | |
anzukreiden – und Antideutsche versuchen, die hinter jeder Israelkritik | |
vermuteten antisemitischen Motive zu entlarven. Der Gegenseite | |
zugeschriebene Veranstaltungen werden gestört, ihre Hausprojekte mit | |
Parolen beschmiert. Laut dem Hausprojekt B12, das sich als | |
israelsolidarisch beschreibt, [11][tauchten dort kürzlich Briefe mit | |
Propagandamaterial auf, addressiert an Klarnamen von Bewohner:innen] – | |
was das Hausprojekt als Feindmarkierung wertet. | |
Auf der anderen Seite flogen im Oktober 2023 Steine auf die Fensterscheiben | |
des Ladenprojekts Ganze Bäckerei im migrantisch geprägten Hausprojekt La | |
Casa, wo viele antiimperialistische Gruppen Plenen abhalten. Im Inneren | |
wurde ein Behälter gefunden, [12][der vermutlich Schweinefett enthält] – | |
klar eine islamfeindliche Message. Auf Indymedia tauchte ein inzwischen | |
wieder gelöschtes Bekennerschreiben einer sich Antifa nennenden Gruppe auf. | |
Ob das Schreiben authentisch ist, lässt sich nicht sagen. | |
Völlig unrealistisch ist es aber leider wohl nicht. Es wäre nicht der erste | |
islamfeindliche Ausrutscher der Szene. Bereits 2021 wurde aus einer | |
polizeifeindlichen Demo heraus eine Moschee des Erdoğan-nahen | |
Moscheedachverband Ditib mit Steinen beworfen. Was wohl als mit Kurdistan | |
solidarische Islamismuskritik gedacht war, löste eine Debatte darüber aus, | |
wie wenig Teile der Szene offenbar für antimuslimischen Rassismus | |
sensibilisiert sind. | |
Auch Jule Nagel sagt: „Wir haben das Problem, dass sich linke | |
Aktivist:innen mit Flucht- oder Migrationshintergrund in linken Räumen | |
manchmal nicht zugehörig fühlen.“ Ihre Beobachtung: Aus dem | |
antiimperialistischen Spektrum seien es überwiegend weiße Menschen, die | |
die Debatte vergifteten – und auf der anderen Seite gebe es in Teilen der | |
antideutschen Szene ein Problem mit islamfeindlichen Tendenzen. | |
Samira Sonnenschein hat diese bereits erleben müssen. Die Aktivistin, die | |
ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist Mitglied von | |
Palestine Campus, einer Gruppe, die im Frühling die Uni Leipzig besetzt | |
hat. Sonnenschein sagt, sie habe sich lange nicht getraut, in Connewitz mit | |
Kufija herumzulaufen. „Ich hatte Angst, verprügelt zu werden“, sagt sie. Es | |
sei schon passiert, dass Leuten das Tuch auf der Straße vom Kopf gerissen | |
wurde. | |
Ihr selbst sei einmal der Einlass zu einer Szeneveranstaltung verwehrt | |
worden, bis sie die Kufija abgenommen habe. „Leute wie dich wollen wir | |
nicht haben, verpiss dich“, habe man ihr gesagt. Inzwischen trage sie die | |
Kufija offen – trotz böser Blicke und Kommentare. In Szeneorte wie das | |
Conne Island gehe sie aber nicht. „Ich fühle mich an diesen Orten einfach | |
unwohl, weil ich dort sehr stark meinen Migrationshintergrund spüre“, sagt | |
sie. | |
Zweifellos ist das Conne Island ein wichtiger Sozialisierungsort für linke | |
Menschen, die aus dem braun geprägten sächsischen Umland nach Leipzig | |
fliehen. Doch es sind eben auch solche Erfahrungen, derentwegen | |
Palästinaaktivist*innen zum Boykott des Conne Islands aufrufen. Und das | |
offenbar nicht ohne Erfolg: Das Kulturzentrum [13][vermeldete kürzlich], | |
der Boykott habe zu zahlreichen Künstler*innenabsagen geführt, sodass | |
man inzwischen „nicht nur in finanzielle Schwierigkeiten“ geraten sei. | |
Die Vorwürfe des Rassismus wehrt das Zentrum ab. Minimalkonsens sei | |
lediglich die Anerkennung des Existenzrechts Israels, ansonsten wolle man | |
Ort für Diskussionen sein. Praktisch scheitert der Meinungsaustausch aber | |
schon an der Tür, wenn Menschen Kufija tragen. Wie auch andere Szeneorte | |
verbietet das Conne Island die „Pali-Tücher“, weil das Tuch für Jüd:innen | |
mit „Ausgrenzung, Gewalt und Diskriminierung“ verbunden sei. Nur so könne | |
das Conne Island ein Safe Space für jüdische Menschen sein. | |
Samira Sonnenschein entgegnet: „Die Kufija ist ein kulturelles Symbol des | |
Widerstands gegen die israelische Besatzung – aber doch nicht gegen das | |
jüdische Volk.“ Sie verstehe nicht, warum die Gefühle zweier | |
stigmatisierter Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. | |
Im Oktober vergangenen Jahres hat der Technoclub Institut für Zukunft | |
(IfZ), der ebenfalls aus der antideutschen Szene stammt und sich als | |
Schwesterprojekt des Berliner About Blank sieht, das auch dort jahrelang | |
gültige Verbot gekippt. Die Kufija werde „auch von Menschen mit | |
antisemitischer Agenda getragen, aber Kufija tragende Menschen sind nicht | |
per se antisemitisch“, heißt es [14][in einem Statement]. Eine | |
undifferenzierte Türpolitik sei da fehl am Platz. Der Club entschuldigt | |
sich schließlich, spricht davon, „ganze Personenkreise ausgeschlossen und | |
pauschal politisch verurteilt“ zu haben. | |
Zu einem neuen Ort des Austauschs wird aber auch das IfZ nicht werden. Der | |
Club muss Ende des Jahres seine Pforten schließen, vorrangig aus | |
finanziellen Gründen, nicht wegen eines Boykotts. Sonnenschein sagt, sie | |
würde auch trotz Kufija-Erlaubnis nicht wieder anfangen, ins IfZ zu gehen. | |
„Allein dass es dieses Verbot einmal gab, heißt ja, dass es nie ein Safe | |
Space für Palästinenser:innen sein sollte“, sagt sie. Auch sie sei | |
für eine geeinte Linke gegen den Faschismus. Doch an ihrem | |
Sich-unwohl-Fühlen ändere das nichts. „Wenn diese Orte verschwinden, weil | |
auch viele andere sich dort nicht wohlfühlen – dann freue ich mich | |
trotzdem.“ | |
6 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Sieben-Jahre-nach-dem-G20-Gipfel/!6004589 | |
[2] /Nahost-Konflikt-in-der-linken-Szene/!6007672 | |
[3] /Propalaestinensische-Gruppen-in-Hamburg/!6006138 | |
[4] /Polizeigewalt-auf-Palaestina-Demos/!6029454 | |
[5] /Nach-Randale-auf-Pro-Palaestina-Demos/!5963941 | |
[6] /Pro-Palaestina-Bewegung-in-Berlin/!6012578 | |
[7] https://www.tagesspiegel.de/berlin/rotes-dreieck-soll-angriffsziel-markiere… | |
[8] /Queere-Szene-und-Nahost/!6019494 | |
[9] https://aboutblank.li/statement2024/ | |
[10] /Clubkultur-und-Nahost-Konflikt/!5797417 | |
[11] https://www.instagram.com/p/C-GM_V3s-m1/?hl=de&img_index=3 | |
[12] https://www.instagram.com/p/CyyjtdGs_gF/?img_index=1 | |
[13] https://conne-island.de/news/285.html | |
[14] https://www.instagram.com/institutfuerzukunft/p/C3aTp0EMgFx/?img_index=2 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
Uta Schleiermacher | |
Timm Kühn | |
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