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# taz.de -- Antideutsche: Linke Absicht, rechte Wirkung
> Antideutsch und links sein, das passt nicht zusammen. Wer für Humanismus
> eintritt, sollte dabei niemanden ausgrenzen.
Bild: Pro-palästinensische und pro-israelische Stimmen streiten auf einem Plak…
Plötzlich hing da dieses Plakat unweit des Görlitzer Parks in Berlin. Ein
in sich zusammengesunkener Mann vor der Mondlandschaft einer zerstörten
Stadt in Gaza, daneben stand: „Staatsräson“, und darunter: „Zu Risiken u…
Nebenwirkungen fragen Sie Palästinenser.“ Zu der Zeit, Mitte des Jahres
2024, galt es für viele Menschen noch als undenkbar, auch nur zu fragen, ob
im Gazastreifen womöglich Kriegsverbrechen geschehen.
Wenige Zeit später war jemand anderes in den Adbusting-Diskurs, bei dem
Werbung im öffentlichen Raum überklebt oder verfremdet wird, eingestiegen.
Er oder sie hatte in roten Lettern „AT HAMAS HQ“ hinzugeschrieben und
später noch das Wort „DRESDEN“ zugefügt. Das war menschenverachtend, das
Leid der Menschen in Gaza wurde abgetan nach dem Motto: Habt euch nicht so,
es trifft doch die Richtigen.
Wir müssen über [1][Antideutsche] reden, die sich als links verstehen und
dabei erbittert die israelische Kriegsführung verteidigen und pauschal
Palästina-Solidarität diffamieren. Die Strömung entstand Anfang der 90er
Jahre als Antwort auf den erstarkenden Nationalismus im vereinigten
Deutschland – daher der Name. In vielen Punkten sind Antideutsche
klassische Linke: feministisch, queer-solidarisch, kapitalismuskritisch und
gegen rechte Ideologien.
Typisch links gibt es einen Hauptwiderspruch. Im Mittelpunkt steht der
Kampf „gegen jeden Antisemitismus“. Die historische Leistung von
Antideutschen war es, auf einen lang ignorierten, spezifisch linken
Antisemitismus aufmerksam zu machen. Die antideutsche [2][Auslegung des
Begriffs Antisemitismus] ist allerdings so weitgehend, dass sie nahezu
jegliche Kritik an der israelischen Regierung einschließt.
## Hauptwiderspruch mit Nebenwirkungen
Einige lokale Antifas, Asten, Hausprojekte und Party-Kollektive sind
antideutsch. Mit der [3][Amadeu Antonio Stiftung] vertritt ein wichtiger
linker Geldgeber traditionell antideutsche Positionen. Und die antideutsche
Fraktion in der Linkspartei ist klein, aber laut. So sympathisch die Arbeit
vieler Antideutscher bisweilen sein mag – manche Positionen im
Nahost-Diskurs sind hochproblematisch, so die durch nichts zu beirrende
Verteidigung der israelischen Kriegsführung und die pauschale Abwertung
jeglicher Solidarität mit der palästinensischen Seite.
Dabei blenden Antideutsche aus, dass sich längst nicht alle linken
Jüd*innen und israelische Expats von ihnen vertreten fühlen. Viele
betrachten die Kriegsführung in Gaza schon lange nicht mehr als legitime
Antwort auf den Terrorangriff der Hamas. Der Zionismus in der antideutsch
verklärten Lesart ist für sie kein emanzipatorisches Gesellschaftskonzept,
sondern problematischer Nationalismus.
Der Journalist [4][Michael Sappir] etwa wundert sich über den „deutschen
sektiererischen Philosemitismus aus dem linken Lager … auch als antideutsch
bezeichnet“. Für den Artikel „Stickern gegen Deutschland“ auf dem
Onlinemagazin The Diasporist hat er Fotos von antideutschen Aufklebern
zusammengetragen, die eine für ihn schräge Gedankenwelt dokumentieren. Auf
den Stickern heißt es etwa „Euch wird der Mossad holen“, „Zionist
Antifascist“ „Straßenkrieg in Ramallah – Die Panzer sind die Antifa“ o…
unverhohlen rassistisch: „Coole Kids tragen keine Putzlappen“.
Für viele Jüd*innen und People of Color, so Sappir, seien Antideutsche „
‚ultradeutsche‘ Rassisten und Verfechter ihrer eigenen Form der White
Supremacy“. Sind Antideutsche als Linke zu sehen? Zum Linkssein gehören
mindestens die beiden nicht verhandelbaren Prinzipien: universeller
Humanismus und das Bekämpfen rechter und rechtsextremer Politiken und
Regierungen.
## Selektiver Humanismus
Aus ihrem Humanismus klammern Antideutsche Palästinenser*innen
schlicht aus. Zum Aushungern und Ausbomben der Zivilbevölkerung im
Gazastreifen haben sie wenig Empathisches zu sagen. Und auch nicht zur
Einschränkung von Bürgerrechten und zu Polizeigewalt bei
palästina-solidarischen Bewegungen hierzulande. Einige antideutsche
Buchläden und Hausprojekte zeigen neben Fotos israelischer Geiseln bewusst
keine Bilder palästinensischer Opfer. Das ist Entmenschlichung.
Das Leid und der Tod von Palästinenser*innen muss ganz offensichtlich
aus ihrer Sicht weder skandalisiert noch betrauert werden. Zwar sind die
meisten Antideutschen keine uneingeschränkten Fans der in Teilen
rechtsextremen Regierungskoalition unter Benjamin Netanjahu, de facto
stützen sie jedoch ihre Politik. Sie verhindern eine breite linke Kritik an
Israel und halten so der Bundesregierung in der Frage der Waffenexporte den
Rücken frei.
Auf linke Organisationen und Bewegungen, die die israelische Regierung
kritisieren, reagieren Antideutsche reflexartig mit dem Vorwurf von
Antisemitismus und Israelhass, was von konservativen Medien und
Politiker*innen nur allzu gern aufgegriffen wird.
Palästinasolidarische Menschen berichten nicht nur über Pöbeleien,
Vandalismus und Angriffe von rechts, sondern eben auch von vermeintlich
linker Seite. Es gibt eine faktische Querfront aus deutschen Konservativen,
deutschen Rechten und Antideutschen.
Die ungleichen Partner*innen eint die Überzeugung, dass sich hinter
Palästina-Solidarität stets Antisemitismus verbirgt. Viele Antideutsche
sind respektvolle, freundliche, reflektierte Menschen. Aber trotzdem:
Antideutsch und links sein passt einfach nicht zusammen. Universeller
Humanismus ist links, selektiver Humanismus hingegen nicht.
Ebenfalls nicht links ist es, der deutschen Regierung den Rücken zu
stärken, um Beihilfe zu Kriegsverbrechen zu leisten, vermutlich sogar zu
Völkermord. Die wohlwollendste Deutung lautet vielleicht: Antideutsche sind
tragisch verirrte Linke, die nicht merken, dass sie in Teilen für eine
zutiefst rechte Politik eintreten. Linke Absicht, rechte Wirkung – das ist
die Krux der antideutschen Ideologie. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen
Sie Palästinenser.
25 Sep 2025
## LINKS
[1] /Antideutsche/!t5037248
[2] /Antisemitismus-in-Deutschland/!6016479
[3] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/
[4] https://sappir.net/de/2025/08/08/stickern-gegen-deutschland/
## AUTOREN
Stefan Mey
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