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# taz.de -- Leipziger Buchmesse: Alles fürs Buch
> Endlich wieder Buchmesse in Leipzig! Aber wer sind die Menschen im
> Hintergrund, die mit viel Leidenschaft und oft niedrigen Löhnen Bücher
> machen? Wir haben einige von ihnen getroffen.
Bild: Um von der Literatur zu leben gehört neben der Neugier auf Bücher auch …
Ohne Herzblut geht es nicht im [1][Literaturbetrieb]. Doch es gibt auch
keine Garantie, dass noch so viel davon tatsächlich zum Erfolg führt.
Jenseits der naiven Erzählungen von kreativen Traumjobs mit
Selbstverwirklichungsticket, aber auch jenseits aller Untergangsgesänge von
der angeblich verschwindenden Buchbranche macht der Literaturbetrieb etwas,
was die moderne, zivilisierte Gesellschaft eigentlich minimieren wollte: Er
spielt Schicksal. Er verteilt Chancen ungerecht und willkürlich. Und wer
klug und reflektiert ist im Betrieb, der weiß das auch.
Krise ist immer. Und der Markt ist eng. Verpasste Gelegenheiten und große
Lose liegen da nah beieinander, und neben der belohnten Hartnäckigkeit
findet sich die schöne Idee, die aus zufälligen Gründen keine Beachtung
fand. Es stimmt eben nicht, dass sich kulturelles Kapital automatisch in
reales Einkommen übersetzen würde.
Und im Gegensatz zum akademischen Bereich, in dem der Mittelbau sich über
allzu enge Karrierefristen bei der Politik beschweren kann, gibt es im
Literaturbetrieb noch nicht einmal einen geeigneten Adressaten für Protest
und Empörung. (Was einen allerdings keineswegs daran hindern sollte, darauf
hinzuweisen, dass Texte aller Art, seien es Literaturbesprechungen,
Übersetzungen oder auch Verlagsgutachten, skandalös schlecht bezahlt
werden, auch in der taz.)
Was sind das also für Menschen, die unter diesen Bedingungen all ihre
Kräfte und ihre Kreativität einsetzen, um ihren Lebensunterhalt mit und für
Bücher zu verdienen? Dass es bessere, klügere, zivilisiertere oder auch nur
coolere Menschen wären als sonst wo, wie die großen Erzählungen von Kunst
und Bildung immer mal wieder suggeriert haben, würde niemand von ihnen
behaupten.
Aber es sind doch viele eigenwillige Menschen: Verlagsleute und
Übersetzer*innen, Journalistinnen und Agentinnen, Festivalchefs und
Pressereferenten. Viele Überzeugungstäter finden sich darunter, manchmal an
der Grenze zwischen Engagement und Selbstausbeutung balancierend. Die
gewaltigen Traditionen von Buchdruck und Aufklärung hinter sich und
manchmal auch auf den Schultern.
Ohne Festanstellung manchmal knietief im Dispo und kopfschüttelnd auf die
geringen Verkaufszahlen starrend. Dann aber auch wieder die Visionen und
Geschlechter- sowie Herkunftsgerechtigkeit, sprachliche Durchdringung und
historisches Bewusstsein motivierend vor sich.
Wenn jetzt nach drei coronabedingt ausgefallenen Messen die Buchbranche
endlich einmal wieder in Leipzig zusammenfindet, neue Bücher durchbringen,
Themen besetzen und sich auch ein Stück weit selbst feiern will, dann ist
offiziell viel von Autor*innen und Leser*innen die Rede. Aber – und
das sollte man einmal betonen – es kommen dort auch sonst bemerkenswerte
Menschen zusammen. Einige von ihnen porträtieren wir auf diesen Seiten (wir
haben uns dabei auf die Verlage konzentriert).
Jedenfalls, vor ein paar Jahren gab es mal die Parole, dass im
Literaturbetrieb die Originale aussterben und die Managertypen den Laden
übernehmen würden. Das ist so nicht eingetreten. Es gibt natürlich die
Managementtypen. Doch dass mit Sparplänen und Zielgruppenanalysen allein
neue Programme irgendwie fade werden, hat sich, scheint es, inzwischen
herumgesprochen. Die Literatur ist kein auf Effizienz zu trimmender
Produktionsprozess.
Krise ist immer? Mag sein. Doch man muss auch weitermachen. Eine gehörige
Portion Wagemut gehört – neben der Neugier auf Bücher – dazu. Dirk
Knipphals
## Büchermann und Bücherfrau – Das Verlegerduo
Anders sein als die anderen – das ist im Grunde etwas, das auf die bewegte
und bewegende Geschichte des März-Verlags genauso zutrifft wie auf die
beiden Menschen, die in einer Arbeitswohnung in Berlin-Schöneberg gegenüber
einer gelben Bücherwand sitzen und diesen Verlag heute betreiben.
Richard Stoiber und Barbara Kalender sind seit Juni 2021 das neue
Verleger:innen-Duo, die beiden empfangen zu Kaffee und Gebäck, sichtlich
begeistert ziehen sie frisch gedruckte März-Bändchen von Olga Ravn,
[2][Hendrik Otremba] und [3][Eva Tepest] aus dem Regal. „Wir leben für
Bücher. Wir sind wohl die Besessenen, die Berufenen oder die Verrückten“,
sagt Barbara Kalender, „also verrückt nicht im Sinne von geisteskrank,
sondern im Sinne von anders als die anderen.“
[4][Der Verlag hat vor zwei Jahren einen Relaunch mit verjüngtem und
gewagtem Programm hingelegt]. Nachdem Jörg Schröder, der langjährige
März-Verleger und Partner von Barbara Kalender, im Juni 2020 starb, traf
Kalender im Jahr darauf auf den ehemaligen Matthes-&-Seitz-Lektor Stoiber,
knapp 30 Jahre jünger als sie. Bei den beiden matcht es.
Kalender, 64, und Stoiber, 35, teilen eine ähnliche Vorstellung von
Literatur. „Der Altersunterschied interessiert uns überhaupt nicht. Uns
interessiert die Ware, der Inhalt, der Roman. Solange Richard die richtigen
Bücher liest, ist doch alles gut“, sagt Kalender. Stoiber widmet sich als
Geschäftsführer und Programmleiter quasi 24/7 dem Verlag: „Man muss sich
schon klarmachen: Der Verlag, das ist jetzt mein Leben. Wenn man
lamentiert, wie viel man arbeiten muss, dann wird das nichts. Dann bekommt
man Magengeschwüre.“
In der Verlagswohnung in einer Bauhaus-Wohnsiedlung in Schöneberg stehen
viele März-Klassiker im Regal. Für (Post-) 68er:innen gehörten Bücher wie
Günter Amendts „Sexfront“ oder Valerie Solanas’ „Manifest der Gesellsc…
zur Vernichtung der Männer“ zum diskursiven Grundbesteck, auch die Autoren
der Beat Generation (die meisten waren in der Tat Männer) erschienen in dem
1969 gegründeten Verlag.
Einige dieser Bücher legen die beiden nun neu auf. Mit dem Neustart tritt
aber auch eine neue Autor:innengeneration auf den Plan,
[5][Schriftsteller:innen wie Jenny Hval] oder eben Tepest und Otremba.
Dieses Frühjahr erscheinen neun Titel, die meisten Ersterscheinungen. Die
Themenmischung ist vielsagend: Black Metal, dunkles Begehren, queerer Sex,
Lust (und Unlust) im Allgemeinen und die kommentierten falschen
Hitler-Tagebücher finden sich in ein und demselben Programm.
Damit wollen sie an die Verlagsgeschichte anknüpfen. „Als ich den
März-Verlag vor vielen Jahren entdeckte, dachte ich: ‚Aha, so kann man also
auch einen Verlag betreiben!‘“, sagt Stoiber, „mit einem Programm, das
irgendwie alles abdeckt, von Politik über Porno bis zu experimenteller
Literatur. Dazu mit einem erkennbaren ästhetischen und politischen Kompass
und fernab des literarischen Massengeschmacks.“
Erfolgreich sei ein Verlag für ihn dann, wenn alle Beteiligten davon leben
könnten und es gelänge, die Menschen für Literatur zu gewinnen: „Ich bin
dann zufrieden, wenn wir vermeintlich schwierige, komplexe Bücher einem
größtmöglichen Publikum zuführen“, so Stoiber. Das sei eine große
Herausforderung, zumal in einer Zeit, in der einfache Weltbilder immer
attraktiver würden.
Kalender und Stoiber wirken schon jetzt wie ein eingespieltes Duo, im
intellektuellen Ping-Pong spielen sie sich die Bälle hin und her. Und sie
streiten gerne. Als Stoiber sagt, das Modell der Selbstausbeutung und
Überidentifizierung mit der Verlagsarbeit sei „im Grunde
hyperkapitalistisch“, widerspricht Kalender. Das liegt wohl auch daran,
dass für sie alles im Leben zusammengehört: „Ich trenne Arbeit, Privates
und Politisches nicht. Und den Slogan ‚Das Private ist politisch‘ kennen
wir doch wohl alle noch.“
Man kann ausufernde Diskussionen mit den beiden führen, sie decken – ein
bisschen wie das Verlagsprogramm – irgendwie alles ab. Aber wie zur Hölle
soll man aus einem fast zweistündigen Gespräch ein Kurzporträt stricken?
Zum Glück hat Kalender eine Antwort: „Ist doch ganz einfach: Richard
Stoiber, Büchermann. Barbara Kalender, Bücherfrau.“
So kann man es natürlich auch sagen. Jens Uthoff
## Lyrisch und mit Haltung – Die E-Book-Verlegerin
Was ist ein Mikrotext? Nun, zuallererst wohl [6][der Name eines Verlags].
Einer, der das E-Book ernst und nicht als Ableitung vom gedruckten Vorbild
hinnimmt. Nikola Richter, die Betreiberin und Geschäftsführerin von
mikrotext, will aber nicht von einem „Kleinverlag“ sprechen. Denn trotz des
Idealismus, den mitbringen muss, wer Bücher verlegt, spiele man so doch die
unternehmerische Leistung herunter, die unabhängige Verlage in Konkurrenz
zu großen Häusern erbringen.
„Reden wir von mikrotext lieber als kleinem Unternehmen“, sagt Richter, die
den Verlag 2013 in Berlin gründete. E-only lautete damals das Konzept.
Mittlerweile lässt Richter auch drucken, doch der Fokus auf E-Books besteht
weiterhin. Die studierte Literaturwissenschaftlerin hat das utopische
Element, das einmal im Internet steckte, nicht vergessen. Alles überall
lesen zu können hält sie weiterhin für ein großartiges Modell, sagt sie.
„Darin steckt ein großes Versprechen.“
Ein Mikrotext kann aber auch der Berührungspunkt zwischen Online- und
Buchwelt sein, wenn man ihn selbstbewusst als Gattungsbeschreibung gleich
auf die erste Buchseite druckt. Literatur habe sie schon immer im Internet
gelesen, erzählt Richter.
mikrotext, ihren Verlag, gründete sie daher vor allem als Leserin, die auf
dem Buchmarkt nicht das fand, was sie lesen wollte. Die Transferleistung –
aus dem Netz gefischt, zwischen zwei (elektronische) Buchdeckel verpflanzt
– merkt man den von ihr verlegten Texten dabei an: Kurze Essays finden sich
im Katalog, Kindheitsreflexionen, aber auch Seltsames wie „Kryptomagie.
Zwanzig kleine suesse Cryptopoems“ von Yevgeniy Breyger, das in einer
gräulichen Windows99-Ästhetik daherkommt.
Auch Dinçer Güçyeters „Unser Deutschlandmärchen“, das in mehreren
Generationen das Leben türkischer Gastarbeiter:innen erzählt und für
den diesjährigen Leipziger Buchpreis nominiert ist, reiht sich ein. Mit 216
Seiten hat es zwar Romanlänge, doch vorab veröffentlichte und später weiter
verarbeitete Facebook-Posts des Autors seien wichtiger Bestandteil der
Geschichte, erzählt Richter.
mikrotext will sich nicht nur über die Form definieren. „Sehr dezidiert mit
Haltung“ sollen die von ihr verlegten Texte sein, sagt sie. „Ich will
engagierte Literatur lesen, die auf das sich wandelnde Deutschland
reagiert; sehr lyrisch, nicht manifestartig.“ Konservative, rückwärts
gewandte Literatur interessiert sie nicht als Verlegerin. „Literatur soll
Einfluss nehmen.“
Verlegen, so sagt Richter, die vor mikrotext ein Online-Literaturmagazin
gründete und eine Berliner Lesebühne startete, habe oft etwas
Rouletteartiges. Welche Texte sich verkauften – und wenn auch nur zum
„Kaffeepreis“ von 2,99 Euro pro E-Book – lasse sich nur schwer einschätz…
„Ich arbeite viel mit Debüts“, sagt die Verlegerin. „Mit Stimmen, die auf
dem Buchmarkt vorher eigentlich kaum bekannt sind. Einen Hallraum für diese
Stimmen zu erarbeiten sehe ich als eine Aufgabe meiner Arbeit.“
Am Roulettespielen findet Richter Gefallen. Anders lässt sich kaum
erklären, warum sie 2020 ein Jahr lang den Verlag in fremde Hände legte und
sechs Gastverlegerinnen das mikrotext-Programm gestalten ließ.
Von den schließlich verlegten Texten kannte sie vorher gar nichts, sagt
Richter. „Ich musste viel loslassen, viel von anderen lernen. Mittlerweile
bildet der Verlag eine Persönlichkeit, die gar nicht mehr nur ich bin.“
Herausgekommen ist Literarisches, Reflexionen über Maskierungen – 2020
markierte immerhin das erste Pandemiejahr –, aber auch ein Kochbuch mit
Rezepten „für ein gutes Klima“. 700 Euro hat sie an Fixkosten jeden Monat.
Und wenn es gut läuft, bleiben ihr „ein paar Tausend Euro pro Monat an
Gewinn, manchmal auch weniger, das muss man dann ausgleichen“.
Nikola Richter kennt auch die andere Seite des Verlegerschreibtisches.
Theaterstücke, Artikel, Gedichte und Erzählungen hat die 46-Jährige über
die Jahre verfasst. Zuletzt war sie auch außerhalb von mikrotext als
Herausgeberin aktiv. Selbst schreiben, das stellt sie nach zehn Jahren
mikrotext fest, tut sie heute vor allem Gebrauchstexte. „Und sehr viele
E-Mails.“ Aber abends und am Wochenende, sagt sie, bleibt der Computer
zugeklappt. Julia Hubernagel
## Die Katze im Sack – Der Einmannverlag
Erzählt man vom [7][Guggolz Verlag], muss man auch vom Quizchampion
erzählen. „Die Geschichte wollen immer alle hören“, sagt Sebastian Guggol…
Namensgeber und Gründer des Einmannverlags in Berlin, und lacht. 2015, der
Verlag bestand damals seit zwei Jahren, hatte Guggolz Schulden.
Lösungsorientiert meldete er sich bei verschiedenen Quizshows an, das ZDF
lud ihn zu „Der Quizchampion“ ein, wo Guggolz gegen Prominente und
Expert:innen antrat – und gewann. 250.000 Euro. Das reichte. Ein Gehalt
zahlt sich der 1982 geborene Verlagschef jedoch weiterhin nicht aus, das
Überleben sichern Nebenjobs.
Guggolz hat ortsspezifische Interessen. Nord- und Osteuropa sind die
Einzugsgebiete seiner Bücher. Von den zwischen den Färöer und Armenien
gesprochenen Sprachen versteht er keine. „Es fing alles an, als ich
feststellte, dass es keine litauischen Klassiker auf Deutsch gibt“, erzählt
er. Heute schon: Antanas Škėma, den man laut Guggolz auch den „litauischen
Camus“ nennt, gehört seit 2017 zum Verlagsprogramm.
Ausschließlich verstorbene Schriftsteller:innen werden im
Guggolz-Verlag verlegt. Mitunter sind diese auch in ihren Heimatländern
längst vergessen. So ist manchmal Detektivarbeit gefragt. Sind die
Verfasser:innen bereits seit mehr als 70 Jahren tot, verlöschen die
Rechte etwaiger Nachfahren.
Diese gilt es stets aufzuspüren. Gerade in Osteuropa, das staatsideologisch
starke Umbrüche erlebte, sei das wegen im Exil lebender Angehöriger
mitunter schwer, sagt Guggolz. „Da schreckt man manchmal auch einen Enkel
auf, der von der Schriftsteller-Vergangenheit seines Großvaters nur dunkel
wusste.“
Doch wie stößt Guggolz überhaupt auf Texte, die nicht übersetzt sind, ohne
die jeweilige Sprache zu sprechen? „Ich arbeite sehr eng mit
Übersetzer:innen zusammen, die mir gute Vorschläge unterbreiten“, sagt
der Verleger. „Aber ja, ich kaufe oft die Katze im Sack.“ Starke
Übersetzerfiguren seien ihm am liebsten, Doppelfiguren wie Esther Kinsky,
die selbst Romane schreibt und bei Guggolz aus dem schottischen Englisch
übersetzt.
Neuübersetzungen lässt der Verleger jedoch ebenfalls anfertigen und nennt
[8][das Beispiel des Norwegers Tarjei Vesaas, der, einstmals sehr berühmt,
in Deutschland weitgehend vergessen war.] „Das hat oft auch mit
Verlagskonstellationen zu tun“, sagt Guggolz. „Vesaas ist in den 1950er
Jahren bei einem kleinen schweizerischen Verlag erschienen, der irgendwann
pleitegegangen ist.“
Ihm sei es wichtig, zeitgenössische Übersetzungen für ein stets
zeitverhaftetes Publikum anzubieten. „Dabei geht es nicht um
Modernisierungen oder einen verklärenden, historisierenden Blick. Aber die
zeitliche Lücke zwischen der Erstveröffentlichung und heute ist nicht zu
überwinden. Ich möchte, dass man einem Buch seine Entstehungszeit und die
der Übersetzerin anliest.“
Seine Aufgabe als Verleger sieht Guggolz darin, zu überlegen, welche Texte
und Themen „heute immer noch oder wieder wichtig sind“. So habe er erst,
als er einen ukrainischen Klassiker der 1920er Jahre übersetzen ließ,
begriffen, wie entscheidend dieses Jahrzehnt für die ukrainische
Kulturbildung war, markierte es doch praktisch den einzigen Zeitraum, in
dem Literatur auf Ukrainisch erscheinen konnte. „Oder Ungarn“, sagt
Guggolz, „das in den 1930er Jahre sehr hart von der Wirtschaftskrise
betroffen war.“ Andor Endre Gelléri habe ihn auch die letzte Bankenkrise
besser verstehen lassen.
Doch reizt ihn nicht der direktere Zugang auf Fragen der Zeit, durch
zeitgenössische Literatur? „Nicht in meinem Verlag“, sagt Guggolz. „Aber
dafür bin ich ja jetzt bei Fischer.“ Seit Ende letzten Jahres ist er bei
dem Frankfurter S. Fischer Verlag angestellt, kuratiert nun das
Klassikprogramm. „In Teilzeit“, betont er. Denn den eigenen Verlag betreibt
er weiterhin. Seine „unstete Persönlichkeit“ sei es jedoch, die sich eben
manchmal zu neuen Aufgaben überreden ließe. Julia Hubernagel
## Leben, lesen, arbeiten – Die Verlegerin
Wer glaubt, nach knapp 25 Jahren Arbeit in Buchverlagen würde der
Enthusiasmus für die Literatur natürlicherweise ein wenig nachlassen, hat
noch nie mit Esther Kormann gesprochen. Esther Kormann hat schon fast alle
Funktionen in Verlagen innegehabt, die man so innehaben kann: Sie war
zunächst Praktikantin und Volontärin, hat in den Bereichen Lektorat,
Pressearbeit, Veranstaltungen und Marketing gearbeitet; zunächst bei
Eichborn Berlin, seit 2009 bei Galiani.
„Natürlich ist der Zauber noch da!“, sagt sie, und blickt einen entgeistert
an, wenn man auch nur wagt dies anzuzweifeln. „Das Geniale an diesem Job
ist, dass man kaum Routinen hat und mit jedem Buch, das man betreut, von
vorne anfängt. Man geht immer wieder zurück auf die Startlinie, macht
dieses Wettrennen bis zur Veröffentlichung und den ersten Rezensionen mit.
Und freut sich, wenn die Leute die Bücher dann lesen und über sie reden.“
So in etwa definiert Kormann auch Erfolg im Literaturbetrieb: Sie will,
dass „über unsere Bücher gesprochen wird“. Kormann ist 54 Jahre alt, trä…
langes, braunes Haar und hat einen wachen, fast alterslosen
Gesichtsausdruck, dem beim Reden über Autor:innen und Geschichten
manchmal eine Art kindliche Freude entweicht. Sie hat in den
„Wohnzimmerverlag“ geladen, wie sie Galiani nennt, und sitzt vor einem
Bücherregal in den hellen Verlagsräumen in der Berliner Friedrichsstraße.
Geboren 1968 in Greifswald, kommt Kormann zu Schulzeiten nach Berlin. Ihr
Dialekt klingt noch heute klar nach Ost-Berlin, weniger nach Ostsee. „Ich
bin eben die berlinernde Lektorin“, sagt sie. Nach der Wende studiert sie
Germanistik und Geschichte an der FU Berlin, ihre Abschlussarbeit schreibt
sie über Joseph Roth. „Das war die Literatur, die ich mochte: tolle
Sprache, gute Geschichten, mit mehreren Ebenen, nah am Rätsel der
Existenz.“
Gemeinsam mit Wolfgang Hörner gründete sie den Verlag Galiani im Jahr 2009.
Er ist ein Imprint des Kölner Verlags Kiepenheuer & Witsch, benannt nach
dem italienischen Schriftsteller und Universalgelehrten Ferdinando Galiani.
Kormann hat auch bei Galiani viele verschiedene Aufgaben: „40 Prozent
Presse, 50 Prozent Lektorat, 10 Prozent Marketing“, fasst sie ihre
Tätigkeiten zusammen. Dazu ist sie stellvertretende Programmleiterin. Und,
ganz wichtig, fürs Organisieren der Partys und Buchpremieren sei sie auch
zuständig.
60-Stunden-Woche sind für sie nichts Ungewöhnliches, so richtig trennen
kann sie Leben, Lesen und Arbeiten ohnehin nicht. „Es ist ja nicht nur
Arbeit, es sind immer auch Leidenschaft und Spaß dabei.“ Ihr gehe es auch
weniger darum, mit dieser Art viel Geld zu verdienen – eh nicht realistisch
– als vielmehr „eine Lebenshaltung in die Welt hinauszutragen“. In Form v…
Geschichten, von Erzählungen, von Romanen.
Auf dem Tisch, an dem Kormann sitzt, liegen unter anderem die neuesten
Bücher von [9][Karen Duve] und Sven Regener. Sie ist seit vielen Jahren
Lektorin der beiden. Und Fan. „Es ist unterhaltsam, sich mit den Figuren
aus ihren Erzählungen zu befassen. Das ist es, was ich unter anderem sehr
mag an der Literatur: im Kopf der Figuren festzukleben.“
Seit erste Texte Regeners Ende der Neunziger bei Eichborn Berlin eintrafen,
betreut Kormann seine Werke. Bei den Romanen schicke der Musiker und Autor
die Texte immer kapitelweise. „Das ist für mich wie eine Serie zu gucken.
Ich bin gespannt, wie es weitergeht.“
Generell sei es ihre Hauptaufgabe zu Beginn eines Projekts den Stoff
sinnvoll einzugrenzen und zu schauen, ob eine Erzählung stimmig, stringent
und logisch ist. Am Stil müsse man dagegen bei arrivierten Autoren wie
Regener oder Duve kaum arbeiten.
Die Literatur und die Literaturszene waren für Esther Kormann schon immer
eine alternative Heimat. Sie stammt aus einer Patchwork-Familie, bereits in
der Kindheit seien Bücher ein Zufluchtsort gewesen. Heute fühlt sie sich
bei Veranstaltungen wie der Leipziger Buchmesse wie unter Gleichgesinnten.
„Da trifft man alle wieder. Da sind lauter Verrückte unterwegs, die für die
Sache brennen.“
Selbstverständlich ist sie stolz, eine von ihnen zu sein. Jens Uthoff
## Eine Kurierin der Literatur – Die Übersetzerin
Ob simultan oder in monatelanger Arbeit, [10][Übersetzungen] sind eine
„Annäherung des Fremden und Einheimischen, des Bekannten und Unbekannten“ …
so schrieb es Johann Wolfgang von Goethe einst. Dass Literatur hierzulande
vielfältiger ist als zu seiner Zeit, ist klar. Aber bis ein vielfältigeres
Bild deutscher Literatur auch im Ausland entstanden ist, dürfte es noch
eine Zeit dauern.
Eine, die das forciert, ist die deutsch-britische Übersetzerin Katy
Derbyshire. 2020 gründete sie das beim Verlag Voland & Quist angedockte
Imprint V&Q Books, das die literarische Kluft zwischen dem europäischen
Festland und Großbritannien überbrücken möchte. „Es gibt eigentlich kein
wirkliches Bild von ausländischer Literatur in Großbritannien“, sagt
Derbyshire.
Sie sieht ihre Aufgabe darin, dies zu ändern. Und ist damit seit Längerem
sehr erfolgreich. Ihre jüngste Übersetzung ins Englische – Clemens Meyers
Debütroman „Als wir träumten“ (S. Fischer, 2006) – hat es auf die
diesjährige Longlist des Booker Prize geschafft.
Um die acht Monate habe die Übersetzung gedauert, sagt Derbyshire. 1996 kam
sie der Liebe zu einem Mann wegen nach Berlin. Die Beziehung hielt nicht,
die Liebe zu Berlin schon. So lebt sie auch heute noch hier. Seit 2017 ist
Derbyshire deutsche Staatsbürgerin, das Wahlrecht in ihrer Heimat hatte man
ihr nach 15 Jahren in Deutschland bereits aberkannt. So durfte sie 2016
beim Brexit-Referendum nicht mit abstimmen. Die Befürchtung, durch den
Brexit weniger Übersetzungsanfragen zu bekommen, habe sich zum Glück nicht
bewahrheitet. Nur logistisch sei es seitdem komplizierter geworden.
In ihrer Anfangszeit in Berlin arbeitete Derbyshire zunächst als Kurierin
und kam viel in Berlin herum. Seit jeher aber wohnt sie in Mitte, wo sich
auch ihre beiden Lieblingskneipen befinden: das Zosch und der Schokoladen.
Ihrer Karriere als selbstständige Übersetzerin ging ein Germanistik-Studium
in London voraus, „das hier nichts wert war“. Erst ein zusätzlicher Kurs
habe ihr die Möglichkeit geboten, zunächst wissenschaftliche Übersetzungen
zu machen. In den Literaturbetrieb hineinzukommen sei dagegen schwer
gewesen. Ohne Beziehungen gehe dort nichts.
An ihre erste belletristische Übersetzung erinnert sie sich noch genau: ein
Kinder- und Jugendbuch, in dem es um sexuellen Kindesmissbrauch ging,
„Rotkäppchen muss weinen“ von Beate Teresa Hanika. Seitdem ist viel Zeit
vergangen; mittlerweile hat Derbyshire einen festen Stamm an Autor:innen,
die sie ins Englische übersetzt – darunter Inka Parei, Selim Özdoğan und
eben Clemens Meyer.
„Es ist unglaublich toll, etwas zu übersetzen, was ich selbst richtig tief
bewundere“, sagt sie. Selbst einen Roman zu schreiben, habe sie nicht vor.
Als Übersetzerin sei sie heute genug im Fokus, auch weil soziale Medien wie
Twitter und Instagram zur Sichtbarkeit derer beitrügen, die ihre Arbeit
still im Hintergrund erledigen. „Das war früher anders, besonders in UK hat
man gern so getan, als seien Bücher gar nicht erst übersetzt worden.“
Übersetzungen sind mehr als ein Handwerk, sagt Derbyshire. Übersetzte Werke
sollen sich ähnlich lesen wie das Original, aber „wenn man das mechanisch
angeht, kommt nichts Besonderes dabei raus“, sagt sie. Vielmehr gehe es
darum ein Gefühl zu vermitteln, regionale Sprachwitze und Hintergründe
durch Anpassung und manchmal auch durch ein Vorwort verständlich zu machen.
Eine mehr oder weniger neue Herausforderung für sie sei das Gendern, sagt
Derbyshire. Die englische Sprache mache es leichter, dies zu umgehen, aber
auch im Deutschen bemühe sie sich, möglichst inkludierend zu sprechen. „Es
macht Sprache größer, wenn wir mehr Menschen ansprechen. Es schenkt der
Sprache etwas.“
Auch Übersetzungen sind inkludierend: als Annäherung von Bekanntem und
Unbekanntem, als Brücke zwischen Festland und Insel. Sophia Zessnik
## Mit 'ner coolen Socke unterwegs – Die Pressesprecherin
Herzogpark, beste Münchner Gegend. Villen, Generalkonsulate,
Anwaltskanzleien. Thomas Mann hat hier gelebt und seinen Hund Bauschan
ausgeführt. Heute mittendrin: der Hanser-Verlag. Christina Knecht blickt
von ihrem Büro aus ins Grüne, in die Herzog-Albrecht-Anlage. Und das ist
nicht der einzige Grund, warum ihr der Arbeitsplatz gefällt.
„Ich habe alles, was ich will: die Bücher, die Autoren und die Welt da
draußen“, sagt die Leiterin der Hanser-Pressestelle. „Für mich ist das der
schönste Platz im Verlag.“ Nun ist Verkaufen das tägliche Geschäft einer
Pressesprecherin, und man muss nicht jeden Superlativ auf die Goldwaage
legen. Aber Knechts Begeisterung, dieses Urteil traut man sich dann doch
zu, ist echt.
20 bis 30 neue Bücher bringt der Hanser-Literaturverlag pro Halbjahr
heraus, darunter viele Bestseller, Nobel- und Pulitzerpreisträger. Orhan
Pamuk, Patrick Modiano, Herta Müller, Umberto Eco, Philip Roth, Susan
Sontag, Colson Whitehead, Barack Obama – sie alle sind oder waren
Hanser-Autoren. Mit einigen von ihnen hat Knecht eng zusammengearbeitet. An
die rechte Wand ihres Büros hat sie Fotos ihrer „Lieblinge“ gepinnt. Seit
24 Jahren ist sie bei Hanser, leitet ein sieben- bis achtköpfiges Team.
Knecht kommt aus der schwäbischen Provinz, aus Crailsheim. Bücher waren von
klein auf ihre große Leidenschaft, auch wenn sie keinem literaturaffinen
Elternhaus entstammt. Als sie eine Cousine der Mutter besuchte, die eine
Buchhandlung hatte, kam sie erstmals auf den Gedanken, aus der Leidenschaft
einen Beruf zu machen.
Es folgten eine Ausbildung zur Verlagsbuchhändlerin bei Reclam, ein Studium
der Germanistik und Literaturvermittlung in Bamberg und ein paar Jahre bei
Rowohlt in Hamburg. „Da habe ich die Pressearbeit kennengelernt und
gemerkt, das ist genau mein Ding.“
Aber dieses „Ding“, was ist das eigentlich? Was macht die Pressesprecherin
eines Verlages? Versuchen wir es mit einer Metapher: Wenn die Lektorin
einem Buch Geburtshilfe geleistet hat, so begleitet es die Pressesprecherin
bei seinen ersten Schritten dort draußen in der weiten Welt. „Der Erfolg
eines Buches braucht ein großes Konzert, idealerweise über alle Medien und
Kanäle“, sagt Knecht.
Natürlich kennt sie sie alle, die für Literatur zuständigen Redakteurinnen
und Redakteure in den Kulturressorts, weiß um ihre Vorlieben: Wer ist
Romanist? Wer hat eine Faible für amerikanische Literatur, wer steht gar
auf Lyrik? Knecht ist in engem Austausch mit den Journalisten in den
Feuilletons, den Lokalzeitungen, dem Rundfunk. „Natürlich schauen wir heute
auch genau auf alles, was im großen, weiten Web passiert, ob das jetzt die
Blogger sind oder redaktionell betreute Seiten.“
Aber enger noch als zu den Medien pflegt die 61-Jährige den Kontakt zu
ihren Autoren. In dem Moment, in dem ein Buch tatsächlich auf die Welt
komme, spreche man sich ab, was man dem Neugeborenen nun Gutes tun kann. In
welchen Medien wünscht man sich Besprechungen? Wer könnte an einem
Interview interessiert sein? Sind Buch und Autor talkshowtauglich? Wie
sieht es mit Lesereisen aus? Mit Signierstunden?
Die meisten Autoren hätten verstanden, dass es „part of the game“ sei,
Öffentlichkeitsarbeit auch selbst zu betreiben. So wie [11][Star-Autor T.C.
Boyle]. Im Mai erscheint sein neuer Roman auf Deutsch: „Blue Skies“. Im
Juni kommt er auf Lesereise. Mit ihm unterwegs: Christina Knecht. Seit 24
Jahren betreut sie den Amerikaner, weiß genau, was sie ihm zumuten kann.
Die schönsten und größten Säle hat sie schon gebucht. Minutiös ist im
Zeitplan festgehalten, wann das Taxi in Berlin vor dem Hotel steht, wo in
München das Mittagessen mit dem Verleger stattfindet oder welche Interviews
der Schriftsteller in Wien gibt. Stress für die Pressesprecherin? Ach, was:
Vorfreude! „Er ist wirklich eine coole Socke. Ich kenne niemanden, der so
entspannt, so authentisch und seinem Publikum zugewandt ist wie T.C.
Boyle.“ Dominik Baur
## Die graue Eminenz – Die Agentin
Wer ist Barbara Wenner? Wer sie kennt, wird vermutlich antworten: Eine
sympathische und kluge, analytische und humorvolle Person. Wer sie nicht
kennt und [12][ihre Website] aufruft, sieht sich einem minimalistischen
Design gegenüber. Understatement regiert die Webpräsenz der Agentur Wenner.
Das kann aber nicht verhindern, dass schnell die Neugier erwacht, wenn man
sich die Liste der von Barbara Wenner vertretenen Autorinnen und Autoren
anschaut. Es sind Romanciers darunter, Journalistinnen, Historiker und
Social-Media-Stars.
Einige der Bücher, zu deren Veröffentlichung Wenner ihren Teil geleistet
hat, haben Debatten angestoßen oder geprägt. [13][Stephan Malinowskis
Studie über die Rolle der Hohenzollern bei der Machtübernahme der Nazis]
steht auf Wenners Bücherliste, auch Teresa Bückers Plädoyer für eine
Umverteilung des gesellschaftlichen Zeitbudgets, das eben für den Deutschen
Sachbuchpreis nominiert wurde.
Wenner hat so einmal mehr ihr Ziel erreicht: dass über die Bücher der
Autoren und Autorinnen gesprochen wird, deren Interessen sie vertritt.
Letzteres ist die so knappe wie akkurate Beschreibung dessen, was Wenner
eigenem Bekunden nach tut. Angaben zur Person der Literaturagentin finden
sich auf ihrer Website ebenso wenig wie ein Foto.
Das liegt in der Natur der Sache: Literaturagenten sind graue Eminenzen.
Das lesende Publikum hat im Zweifel noch nie von ihnen gehört. Autorinnen
und Autoren aber sind zunehmend auf die Arbeit von Agenten angewiesen. Es
sei schwerer geworden für junge Schreibende, bei Verlagen durchzudringen,
sagt Wenner, als ich sie in ihrem Büro in Berlin-Mitte aufsuche. Wir nehmen
an einem Tisch Platz, auf dem einige Bücher liegen. Hinter ihr eine Wand
voller Bücher, die mehr an ein heimisches Bücherregal als an die gefälligen
Präsentationen in Verlagshäusern und auf Buchmessen erinnert.
Hier arbeitet eine Leserin, keine PR-Person. Dass sie nun selbst zum
Gegenstand der Berichterstattung werden soll, ist ihr offenkundig suspekt.
Wie wird man Literaturagentin? Literaturagent ist weder eine geschützte
Berufsbezeichnung noch ein Ausbildungsberuf. Auch studieren kann man das
nicht. Wichtig für ihre Arbeit sei das Wissen, wie der Buchmarkt
funktioniert, wie Verlage arbeiten, sagt Wenner.
Den Betrieb kennt sie, seit sie nach ihrem Studium der
Literaturwissenschaft und der Philosophie als Praktikantin bei Rowohlt zu
arbeiten begann. Wenig später war sie dort als Lektorin angestellt und am
Ende war sie Programmleiterin. Dieser Job hat viel mit Marketing und
Organisation zu tun, das Feilen an Ideen und ihre Realisation erledigen
andere. Die Arbeit an den Büchern begann ihr zu fehlen.
In einem anderen Konzernverlag zu arbeiten schloss sie aus, die familiäre
Nähe in einem Kleinverlag erschien ihr zu eng. Also wechselte sie die Seite
und begann bei der Literaturagentur Graf & Graf zu arbeiten. Nach vier
Jahren gründete sie ihre eigene Agentur und nahm im Lauf der Zeit auch
einige Autorinnen und Autoren der taz unter Vertrag.
Als Agentin hat sie wieder mit Manuskripten zu tun und mit den Menschen,
die sie schreiben. So unterschiedlich die Menschen und ihre Texte sind, so
vielfältig gestaltet sich Wenners Arbeit. Mal sei ihr schon nach dem Lesen
von drei Kapiteln klar, dass sie die Autorin nur in Ruhe weiterarbeiten
lassen müsse, sagt sie. Mal arbeite sie mit einem Autor intensiv am Text.
Mal bestehe ihre Aufgabe darin, die individuelle Stimme eines Schreibenden
gegen ihre Zurichtung auf vermeintliche Marktzwänge zu schützen.
Ihre Arbeitszeiten? Oft lange. Was ist die Voraussetzung, dass sie sich für
die Vertretung eines Buchprojekts entscheidet? Es sollte ihr Interesse
wecken. Wer als Agentin bei Verlagen und beim Publikum Aufmerksamkeit
erregen will, muss neugierig sein. Ulrich Gutmair
## Außen Kaufmann, innen kreativ – Der Messedirektor
Die vergangenen drei Jahre waren nicht leicht für Oliver Zille. Wie
angefasst er davon war, [14][die Leipziger Buchmesse dreimal
pandemiebedingt absagen zu müssen], zeigte sich etwa, als er im vergangenen
Jahr die Pop-up-Buchmesse besuchte, die als Alternative recht spontan von
kleinen und mittleren Verlagen organisiert worden war.
Oliver Zille streifte durch die Halle, besah sich die Stände, kaufte
Bücher. Melancholie, dass die große Messe wieder nicht zustande gekommen
war, umgab den 1960 geborenen Zille. Aber auch die Freude an dem Interesse
für Bücher und dem Selbstbehauptungswillen der Branche, die sich hier in
Leipzig zeigte.
Oliver Zille sagte damals, die Pop-up-Messe sei „eine kreative Antwort auf
die schwierige Situation im Moment, aber auch ein klares Statement, wie
sehr die Leipziger Buchmesse fehlt und dringend wieder gebraucht wird“.
Darin schwingt mit, was man auf die Situation der deutschen Buchbranche
insgesamt anwenden könnte. Ein trotziges Beharren auf die Dringlichkeit,
mit der sie gebraucht wird. Und ein Bekenntnis dazu, dass man kreative
Antworten finden muss. Das ist weit weg von einem managerhaften Rechnen
und Effizienzdiskurs.
Oliver Zille ist in der DDR aufgewachsen. Er lernte Buchgroß- und
Außenhandel und absolvierte ein Studium der Außenwirtschaft in Berlin.
„Buch“ und „außen“ – dass diese beiden Wörter in der DDR schillernd
miteinander verbunden waren, mag ein Klischee sein; es ist ebenso gut auch
eine historische Tatsache und für Oliver Zille lebensentscheidend.
Wie weit man bei der gesellschaftlichen Selbstreflexion gehen konnte, wie
weit man auch die herrschenden Zustände in der DDR hinterfragen konnte,
wurde von Schriftstellerinnen und Schriftstellern immer wieder neu
ausgetestet. Die Leipziger Buchmesse mit ihrer großen Tradition bis fast an
den Beginn des Buchdrucks zurück war auch ein Schaufenster, in dem
DDR-Bürger sich darüber informieren konnten, was im westlichen Ausland
gedacht und geschrieben wurde.
Die großen Westverlage konnten in Leipzig ausstellen und ließen sich
bereitwillig von den Besucher*innen ihre Messe-Exemplare klauen. In der
Berliner Zeitung erinnerte sich Zille gerade an diese Zeit zurück: „Das war
wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.“
Seit 30 Jahren leitet Oliver Zille die Leipziger Buchmesse. Der Umzug aus
der Innenstadt in die Glashalle fiel in diese Zeit. Nachdem eine
Fernseh-Literaturshow à la Oscar-Verleihung arg floppte, setzte Zille auf
den [15][Preis der Leipziger Buchmesse] als PR-Zugpferd. Die Arbeit der
literaturkritischen Jury dazu verfolgt er mit großem Interesse, aber ohne
sich inhaltlich einzumischen.
Was treibt Oliver Zille an? Wenn er einem im Restaurant gegenübersitzt,
kann er einem sehr gut vermitteln, wie wichtig gesellschaftlich offene
Debatten sind. Dass Leipzig in der DDR zu einem Zentrum der Opposition und
dann auch zu einem Hotspot der friedlichen Revolution wurde, hat für ihn
etwas mit der Leipziger Buchmesse zu tun. Und jetzt kämpft er darum, diesen
Marktplatz der Ideen und Debatten auch unter marktwirtschaftlichen
Umständen zu behaupten.
Wie sehr in der Gestalt des Kaufmanns und PR-Profis ein literaturaffines
Herz schlägt, zeigte sich auch im vergangenen Jahr, als er die Verleihung
des Leipziger Buchpreises in seinem Grußwort mit Lyrik veröffentlichte.
Russland hatte gerade die Ukraine überfallen, und Zille zitierte mit
bebender Stimme die Luhansker Dichterin Jelena Zaslavskaja: „Lange blieb
das Unheil aus. Lange Zeit …“ Existenzielle Betroffenheit war in diesem
Moment spürbar. Und zugleich trotz aller aktuellen Hilflosigkeit ein tiefes
Vertrauen in die zivilisierende Kraft der Literatur. Dirk Knipphals
25 Apr 2023
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Ulrich Gutmair
Sophia Zessnik
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