| # taz.de -- Leipziger Buchmesse: Alles fürs Buch | |
| > Endlich wieder Buchmesse in Leipzig! Aber wer sind die Menschen im | |
| > Hintergrund, die mit viel Leidenschaft und oft niedrigen Löhnen Bücher | |
| > machen? Wir haben einige von ihnen getroffen. | |
| Bild: Um von der Literatur zu leben gehört neben der Neugier auf Bücher auch … | |
| Ohne Herzblut geht es nicht im [1][Literaturbetrieb]. Doch es gibt auch | |
| keine Garantie, dass noch so viel davon tatsächlich zum Erfolg führt. | |
| Jenseits der naiven Erzählungen von kreativen Traumjobs mit | |
| Selbstverwirklichungsticket, aber auch jenseits aller Untergangsgesänge von | |
| der angeblich verschwindenden Buchbranche macht der Literaturbetrieb etwas, | |
| was die moderne, zivilisierte Gesellschaft eigentlich minimieren wollte: Er | |
| spielt Schicksal. Er verteilt Chancen ungerecht und willkürlich. Und wer | |
| klug und reflektiert ist im Betrieb, der weiß das auch. | |
| Krise ist immer. Und der Markt ist eng. Verpasste Gelegenheiten und große | |
| Lose liegen da nah beieinander, und neben der belohnten Hartnäckigkeit | |
| findet sich die schöne Idee, die aus zufälligen Gründen keine Beachtung | |
| fand. Es stimmt eben nicht, dass sich kulturelles Kapital automatisch in | |
| reales Einkommen übersetzen würde. | |
| Und im Gegensatz zum akademischen Bereich, in dem der Mittelbau sich über | |
| allzu enge Karrierefristen bei der Politik beschweren kann, gibt es im | |
| Literaturbetrieb noch nicht einmal einen geeigneten Adressaten für Protest | |
| und Empörung. (Was einen allerdings keineswegs daran hindern sollte, darauf | |
| hinzuweisen, dass Texte aller Art, seien es Literaturbesprechungen, | |
| Übersetzungen oder auch Verlagsgutachten, skandalös schlecht bezahlt | |
| werden, auch in der taz.) | |
| Was sind das also für Menschen, die unter diesen Bedingungen all ihre | |
| Kräfte und ihre Kreativität einsetzen, um ihren Lebensunterhalt mit und für | |
| Bücher zu verdienen? Dass es bessere, klügere, zivilisiertere oder auch nur | |
| coolere Menschen wären als sonst wo, wie die großen Erzählungen von Kunst | |
| und Bildung immer mal wieder suggeriert haben, würde niemand von ihnen | |
| behaupten. | |
| Aber es sind doch viele eigenwillige Menschen: Verlagsleute und | |
| Übersetzer*innen, Journalistinnen und Agentinnen, Festivalchefs und | |
| Pressereferenten. Viele Überzeugungstäter finden sich darunter, manchmal an | |
| der Grenze zwischen Engagement und Selbstausbeutung balancierend. Die | |
| gewaltigen Traditionen von Buchdruck und Aufklärung hinter sich und | |
| manchmal auch auf den Schultern. | |
| Ohne Festanstellung manchmal knietief im Dispo und kopfschüttelnd auf die | |
| geringen Verkaufszahlen starrend. Dann aber auch wieder die Visionen und | |
| Geschlechter- sowie Herkunftsgerechtigkeit, sprachliche Durchdringung und | |
| historisches Bewusstsein motivierend vor sich. | |
| Wenn jetzt nach drei coronabedingt ausgefallenen Messen die Buchbranche | |
| endlich einmal wieder in Leipzig zusammenfindet, neue Bücher durchbringen, | |
| Themen besetzen und sich auch ein Stück weit selbst feiern will, dann ist | |
| offiziell viel von Autor*innen und Leser*innen die Rede. Aber – und | |
| das sollte man einmal betonen – es kommen dort auch sonst bemerkenswerte | |
| Menschen zusammen. Einige von ihnen porträtieren wir auf diesen Seiten (wir | |
| haben uns dabei auf die Verlage konzentriert). | |
| Jedenfalls, vor ein paar Jahren gab es mal die Parole, dass im | |
| Literaturbetrieb die Originale aussterben und die Managertypen den Laden | |
| übernehmen würden. Das ist so nicht eingetreten. Es gibt natürlich die | |
| Managementtypen. Doch dass mit Sparplänen und Zielgruppenanalysen allein | |
| neue Programme irgendwie fade werden, hat sich, scheint es, inzwischen | |
| herumgesprochen. Die Literatur ist kein auf Effizienz zu trimmender | |
| Produktionsprozess. | |
| Krise ist immer? Mag sein. Doch man muss auch weitermachen. Eine gehörige | |
| Portion Wagemut gehört – neben der Neugier auf Bücher – dazu. Dirk | |
| Knipphals | |
| ## Büchermann und Bücherfrau – Das Verlegerduo | |
| Anders sein als die anderen – das ist im Grunde etwas, das auf die bewegte | |
| und bewegende Geschichte des März-Verlags genauso zutrifft wie auf die | |
| beiden Menschen, die in einer Arbeitswohnung in Berlin-Schöneberg gegenüber | |
| einer gelben Bücherwand sitzen und diesen Verlag heute betreiben. | |
| Richard Stoiber und Barbara Kalender sind seit Juni 2021 das neue | |
| Verleger:innen-Duo, die beiden empfangen zu Kaffee und Gebäck, sichtlich | |
| begeistert ziehen sie frisch gedruckte März-Bändchen von Olga Ravn, | |
| [2][Hendrik Otremba] und [3][Eva Tepest] aus dem Regal. „Wir leben für | |
| Bücher. Wir sind wohl die Besessenen, die Berufenen oder die Verrückten“, | |
| sagt Barbara Kalender, „also verrückt nicht im Sinne von geisteskrank, | |
| sondern im Sinne von anders als die anderen.“ | |
| [4][Der Verlag hat vor zwei Jahren einen Relaunch mit verjüngtem und | |
| gewagtem Programm hingelegt]. Nachdem Jörg Schröder, der langjährige | |
| März-Verleger und Partner von Barbara Kalender, im Juni 2020 starb, traf | |
| Kalender im Jahr darauf auf den ehemaligen Matthes-&-Seitz-Lektor Stoiber, | |
| knapp 30 Jahre jünger als sie. Bei den beiden matcht es. | |
| Kalender, 64, und Stoiber, 35, teilen eine ähnliche Vorstellung von | |
| Literatur. „Der Altersunterschied interessiert uns überhaupt nicht. Uns | |
| interessiert die Ware, der Inhalt, der Roman. Solange Richard die richtigen | |
| Bücher liest, ist doch alles gut“, sagt Kalender. Stoiber widmet sich als | |
| Geschäftsführer und Programmleiter quasi 24/7 dem Verlag: „Man muss sich | |
| schon klarmachen: Der Verlag, das ist jetzt mein Leben. Wenn man | |
| lamentiert, wie viel man arbeiten muss, dann wird das nichts. Dann bekommt | |
| man Magengeschwüre.“ | |
| In der Verlagswohnung in einer Bauhaus-Wohnsiedlung in Schöneberg stehen | |
| viele März-Klassiker im Regal. Für (Post-) 68er:innen gehörten Bücher wie | |
| Günter Amendts „Sexfront“ oder Valerie Solanas’ „Manifest der Gesellsc… | |
| zur Vernichtung der Männer“ zum diskursiven Grundbesteck, auch die Autoren | |
| der Beat Generation (die meisten waren in der Tat Männer) erschienen in dem | |
| 1969 gegründeten Verlag. | |
| Einige dieser Bücher legen die beiden nun neu auf. Mit dem Neustart tritt | |
| aber auch eine neue Autor:innengeneration auf den Plan, | |
| [5][Schriftsteller:innen wie Jenny Hval] oder eben Tepest und Otremba. | |
| Dieses Frühjahr erscheinen neun Titel, die meisten Ersterscheinungen. Die | |
| Themenmischung ist vielsagend: Black Metal, dunkles Begehren, queerer Sex, | |
| Lust (und Unlust) im Allgemeinen und die kommentierten falschen | |
| Hitler-Tagebücher finden sich in ein und demselben Programm. | |
| Damit wollen sie an die Verlagsgeschichte anknüpfen. „Als ich den | |
| März-Verlag vor vielen Jahren entdeckte, dachte ich: ‚Aha, so kann man also | |
| auch einen Verlag betreiben!‘“, sagt Stoiber, „mit einem Programm, das | |
| irgendwie alles abdeckt, von Politik über Porno bis zu experimenteller | |
| Literatur. Dazu mit einem erkennbaren ästhetischen und politischen Kompass | |
| und fernab des literarischen Massengeschmacks.“ | |
| Erfolgreich sei ein Verlag für ihn dann, wenn alle Beteiligten davon leben | |
| könnten und es gelänge, die Menschen für Literatur zu gewinnen: „Ich bin | |
| dann zufrieden, wenn wir vermeintlich schwierige, komplexe Bücher einem | |
| größtmöglichen Publikum zuführen“, so Stoiber. Das sei eine große | |
| Herausforderung, zumal in einer Zeit, in der einfache Weltbilder immer | |
| attraktiver würden. | |
| Kalender und Stoiber wirken schon jetzt wie ein eingespieltes Duo, im | |
| intellektuellen Ping-Pong spielen sie sich die Bälle hin und her. Und sie | |
| streiten gerne. Als Stoiber sagt, das Modell der Selbstausbeutung und | |
| Überidentifizierung mit der Verlagsarbeit sei „im Grunde | |
| hyperkapitalistisch“, widerspricht Kalender. Das liegt wohl auch daran, | |
| dass für sie alles im Leben zusammengehört: „Ich trenne Arbeit, Privates | |
| und Politisches nicht. Und den Slogan ‚Das Private ist politisch‘ kennen | |
| wir doch wohl alle noch.“ | |
| Man kann ausufernde Diskussionen mit den beiden führen, sie decken – ein | |
| bisschen wie das Verlagsprogramm – irgendwie alles ab. Aber wie zur Hölle | |
| soll man aus einem fast zweistündigen Gespräch ein Kurzporträt stricken? | |
| Zum Glück hat Kalender eine Antwort: „Ist doch ganz einfach: Richard | |
| Stoiber, Büchermann. Barbara Kalender, Bücherfrau.“ | |
| So kann man es natürlich auch sagen. Jens Uthoff | |
| ## Lyrisch und mit Haltung – Die E-Book-Verlegerin | |
| Was ist ein Mikrotext? Nun, zuallererst wohl [6][der Name eines Verlags]. | |
| Einer, der das E-Book ernst und nicht als Ableitung vom gedruckten Vorbild | |
| hinnimmt. Nikola Richter, die Betreiberin und Geschäftsführerin von | |
| mikrotext, will aber nicht von einem „Kleinverlag“ sprechen. Denn trotz des | |
| Idealismus, den mitbringen muss, wer Bücher verlegt, spiele man so doch die | |
| unternehmerische Leistung herunter, die unabhängige Verlage in Konkurrenz | |
| zu großen Häusern erbringen. | |
| „Reden wir von mikrotext lieber als kleinem Unternehmen“, sagt Richter, die | |
| den Verlag 2013 in Berlin gründete. E-only lautete damals das Konzept. | |
| Mittlerweile lässt Richter auch drucken, doch der Fokus auf E-Books besteht | |
| weiterhin. Die studierte Literaturwissenschaftlerin hat das utopische | |
| Element, das einmal im Internet steckte, nicht vergessen. Alles überall | |
| lesen zu können hält sie weiterhin für ein großartiges Modell, sagt sie. | |
| „Darin steckt ein großes Versprechen.“ | |
| Ein Mikrotext kann aber auch der Berührungspunkt zwischen Online- und | |
| Buchwelt sein, wenn man ihn selbstbewusst als Gattungsbeschreibung gleich | |
| auf die erste Buchseite druckt. Literatur habe sie schon immer im Internet | |
| gelesen, erzählt Richter. | |
| mikrotext, ihren Verlag, gründete sie daher vor allem als Leserin, die auf | |
| dem Buchmarkt nicht das fand, was sie lesen wollte. Die Transferleistung – | |
| aus dem Netz gefischt, zwischen zwei (elektronische) Buchdeckel verpflanzt | |
| – merkt man den von ihr verlegten Texten dabei an: Kurze Essays finden sich | |
| im Katalog, Kindheitsreflexionen, aber auch Seltsames wie „Kryptomagie. | |
| Zwanzig kleine suesse Cryptopoems“ von Yevgeniy Breyger, das in einer | |
| gräulichen Windows99-Ästhetik daherkommt. | |
| Auch Dinçer Güçyeters „Unser Deutschlandmärchen“, das in mehreren | |
| Generationen das Leben türkischer Gastarbeiter:innen erzählt und für | |
| den diesjährigen Leipziger Buchpreis nominiert ist, reiht sich ein. Mit 216 | |
| Seiten hat es zwar Romanlänge, doch vorab veröffentlichte und später weiter | |
| verarbeitete Facebook-Posts des Autors seien wichtiger Bestandteil der | |
| Geschichte, erzählt Richter. | |
| mikrotext will sich nicht nur über die Form definieren. „Sehr dezidiert mit | |
| Haltung“ sollen die von ihr verlegten Texte sein, sagt sie. „Ich will | |
| engagierte Literatur lesen, die auf das sich wandelnde Deutschland | |
| reagiert; sehr lyrisch, nicht manifestartig.“ Konservative, rückwärts | |
| gewandte Literatur interessiert sie nicht als Verlegerin. „Literatur soll | |
| Einfluss nehmen.“ | |
| Verlegen, so sagt Richter, die vor mikrotext ein Online-Literaturmagazin | |
| gründete und eine Berliner Lesebühne startete, habe oft etwas | |
| Rouletteartiges. Welche Texte sich verkauften – und wenn auch nur zum | |
| „Kaffeepreis“ von 2,99 Euro pro E-Book – lasse sich nur schwer einschätz… | |
| „Ich arbeite viel mit Debüts“, sagt die Verlegerin. „Mit Stimmen, die auf | |
| dem Buchmarkt vorher eigentlich kaum bekannt sind. Einen Hallraum für diese | |
| Stimmen zu erarbeiten sehe ich als eine Aufgabe meiner Arbeit.“ | |
| Am Roulettespielen findet Richter Gefallen. Anders lässt sich kaum | |
| erklären, warum sie 2020 ein Jahr lang den Verlag in fremde Hände legte und | |
| sechs Gastverlegerinnen das mikrotext-Programm gestalten ließ. | |
| Von den schließlich verlegten Texten kannte sie vorher gar nichts, sagt | |
| Richter. „Ich musste viel loslassen, viel von anderen lernen. Mittlerweile | |
| bildet der Verlag eine Persönlichkeit, die gar nicht mehr nur ich bin.“ | |
| Herausgekommen ist Literarisches, Reflexionen über Maskierungen – 2020 | |
| markierte immerhin das erste Pandemiejahr –, aber auch ein Kochbuch mit | |
| Rezepten „für ein gutes Klima“. 700 Euro hat sie an Fixkosten jeden Monat. | |
| Und wenn es gut läuft, bleiben ihr „ein paar Tausend Euro pro Monat an | |
| Gewinn, manchmal auch weniger, das muss man dann ausgleichen“. | |
| Nikola Richter kennt auch die andere Seite des Verlegerschreibtisches. | |
| Theaterstücke, Artikel, Gedichte und Erzählungen hat die 46-Jährige über | |
| die Jahre verfasst. Zuletzt war sie auch außerhalb von mikrotext als | |
| Herausgeberin aktiv. Selbst schreiben, das stellt sie nach zehn Jahren | |
| mikrotext fest, tut sie heute vor allem Gebrauchstexte. „Und sehr viele | |
| E-Mails.“ Aber abends und am Wochenende, sagt sie, bleibt der Computer | |
| zugeklappt. Julia Hubernagel | |
| ## Die Katze im Sack – Der Einmannverlag | |
| Erzählt man vom [7][Guggolz Verlag], muss man auch vom Quizchampion | |
| erzählen. „Die Geschichte wollen immer alle hören“, sagt Sebastian Guggol… | |
| Namensgeber und Gründer des Einmannverlags in Berlin, und lacht. 2015, der | |
| Verlag bestand damals seit zwei Jahren, hatte Guggolz Schulden. | |
| Lösungsorientiert meldete er sich bei verschiedenen Quizshows an, das ZDF | |
| lud ihn zu „Der Quizchampion“ ein, wo Guggolz gegen Prominente und | |
| Expert:innen antrat – und gewann. 250.000 Euro. Das reichte. Ein Gehalt | |
| zahlt sich der 1982 geborene Verlagschef jedoch weiterhin nicht aus, das | |
| Überleben sichern Nebenjobs. | |
| Guggolz hat ortsspezifische Interessen. Nord- und Osteuropa sind die | |
| Einzugsgebiete seiner Bücher. Von den zwischen den Färöer und Armenien | |
| gesprochenen Sprachen versteht er keine. „Es fing alles an, als ich | |
| feststellte, dass es keine litauischen Klassiker auf Deutsch gibt“, erzählt | |
| er. Heute schon: Antanas Škėma, den man laut Guggolz auch den „litauischen | |
| Camus“ nennt, gehört seit 2017 zum Verlagsprogramm. | |
| Ausschließlich verstorbene Schriftsteller:innen werden im | |
| Guggolz-Verlag verlegt. Mitunter sind diese auch in ihren Heimatländern | |
| längst vergessen. So ist manchmal Detektivarbeit gefragt. Sind die | |
| Verfasser:innen bereits seit mehr als 70 Jahren tot, verlöschen die | |
| Rechte etwaiger Nachfahren. | |
| Diese gilt es stets aufzuspüren. Gerade in Osteuropa, das staatsideologisch | |
| starke Umbrüche erlebte, sei das wegen im Exil lebender Angehöriger | |
| mitunter schwer, sagt Guggolz. „Da schreckt man manchmal auch einen Enkel | |
| auf, der von der Schriftsteller-Vergangenheit seines Großvaters nur dunkel | |
| wusste.“ | |
| Doch wie stößt Guggolz überhaupt auf Texte, die nicht übersetzt sind, ohne | |
| die jeweilige Sprache zu sprechen? „Ich arbeite sehr eng mit | |
| Übersetzer:innen zusammen, die mir gute Vorschläge unterbreiten“, sagt | |
| der Verleger. „Aber ja, ich kaufe oft die Katze im Sack.“ Starke | |
| Übersetzerfiguren seien ihm am liebsten, Doppelfiguren wie Esther Kinsky, | |
| die selbst Romane schreibt und bei Guggolz aus dem schottischen Englisch | |
| übersetzt. | |
| Neuübersetzungen lässt der Verleger jedoch ebenfalls anfertigen und nennt | |
| [8][das Beispiel des Norwegers Tarjei Vesaas, der, einstmals sehr berühmt, | |
| in Deutschland weitgehend vergessen war.] „Das hat oft auch mit | |
| Verlagskonstellationen zu tun“, sagt Guggolz. „Vesaas ist in den 1950er | |
| Jahren bei einem kleinen schweizerischen Verlag erschienen, der irgendwann | |
| pleitegegangen ist.“ | |
| Ihm sei es wichtig, zeitgenössische Übersetzungen für ein stets | |
| zeitverhaftetes Publikum anzubieten. „Dabei geht es nicht um | |
| Modernisierungen oder einen verklärenden, historisierenden Blick. Aber die | |
| zeitliche Lücke zwischen der Erstveröffentlichung und heute ist nicht zu | |
| überwinden. Ich möchte, dass man einem Buch seine Entstehungszeit und die | |
| der Übersetzerin anliest.“ | |
| Seine Aufgabe als Verleger sieht Guggolz darin, zu überlegen, welche Texte | |
| und Themen „heute immer noch oder wieder wichtig sind“. So habe er erst, | |
| als er einen ukrainischen Klassiker der 1920er Jahre übersetzen ließ, | |
| begriffen, wie entscheidend dieses Jahrzehnt für die ukrainische | |
| Kulturbildung war, markierte es doch praktisch den einzigen Zeitraum, in | |
| dem Literatur auf Ukrainisch erscheinen konnte. „Oder Ungarn“, sagt | |
| Guggolz, „das in den 1930er Jahre sehr hart von der Wirtschaftskrise | |
| betroffen war.“ Andor Endre Gelléri habe ihn auch die letzte Bankenkrise | |
| besser verstehen lassen. | |
| Doch reizt ihn nicht der direktere Zugang auf Fragen der Zeit, durch | |
| zeitgenössische Literatur? „Nicht in meinem Verlag“, sagt Guggolz. „Aber | |
| dafür bin ich ja jetzt bei Fischer.“ Seit Ende letzten Jahres ist er bei | |
| dem Frankfurter S. Fischer Verlag angestellt, kuratiert nun das | |
| Klassikprogramm. „In Teilzeit“, betont er. Denn den eigenen Verlag betreibt | |
| er weiterhin. Seine „unstete Persönlichkeit“ sei es jedoch, die sich eben | |
| manchmal zu neuen Aufgaben überreden ließe. Julia Hubernagel | |
| ## Leben, lesen, arbeiten – Die Verlegerin | |
| Wer glaubt, nach knapp 25 Jahren Arbeit in Buchverlagen würde der | |
| Enthusiasmus für die Literatur natürlicherweise ein wenig nachlassen, hat | |
| noch nie mit Esther Kormann gesprochen. Esther Kormann hat schon fast alle | |
| Funktionen in Verlagen innegehabt, die man so innehaben kann: Sie war | |
| zunächst Praktikantin und Volontärin, hat in den Bereichen Lektorat, | |
| Pressearbeit, Veranstaltungen und Marketing gearbeitet; zunächst bei | |
| Eichborn Berlin, seit 2009 bei Galiani. | |
| „Natürlich ist der Zauber noch da!“, sagt sie, und blickt einen entgeistert | |
| an, wenn man auch nur wagt dies anzuzweifeln. „Das Geniale an diesem Job | |
| ist, dass man kaum Routinen hat und mit jedem Buch, das man betreut, von | |
| vorne anfängt. Man geht immer wieder zurück auf die Startlinie, macht | |
| dieses Wettrennen bis zur Veröffentlichung und den ersten Rezensionen mit. | |
| Und freut sich, wenn die Leute die Bücher dann lesen und über sie reden.“ | |
| So in etwa definiert Kormann auch Erfolg im Literaturbetrieb: Sie will, | |
| dass „über unsere Bücher gesprochen wird“. Kormann ist 54 Jahre alt, trä… | |
| langes, braunes Haar und hat einen wachen, fast alterslosen | |
| Gesichtsausdruck, dem beim Reden über Autor:innen und Geschichten | |
| manchmal eine Art kindliche Freude entweicht. Sie hat in den | |
| „Wohnzimmerverlag“ geladen, wie sie Galiani nennt, und sitzt vor einem | |
| Bücherregal in den hellen Verlagsräumen in der Berliner Friedrichsstraße. | |
| Geboren 1968 in Greifswald, kommt Kormann zu Schulzeiten nach Berlin. Ihr | |
| Dialekt klingt noch heute klar nach Ost-Berlin, weniger nach Ostsee. „Ich | |
| bin eben die berlinernde Lektorin“, sagt sie. Nach der Wende studiert sie | |
| Germanistik und Geschichte an der FU Berlin, ihre Abschlussarbeit schreibt | |
| sie über Joseph Roth. „Das war die Literatur, die ich mochte: tolle | |
| Sprache, gute Geschichten, mit mehreren Ebenen, nah am Rätsel der | |
| Existenz.“ | |
| Gemeinsam mit Wolfgang Hörner gründete sie den Verlag Galiani im Jahr 2009. | |
| Er ist ein Imprint des Kölner Verlags Kiepenheuer & Witsch, benannt nach | |
| dem italienischen Schriftsteller und Universalgelehrten Ferdinando Galiani. | |
| Kormann hat auch bei Galiani viele verschiedene Aufgaben: „40 Prozent | |
| Presse, 50 Prozent Lektorat, 10 Prozent Marketing“, fasst sie ihre | |
| Tätigkeiten zusammen. Dazu ist sie stellvertretende Programmleiterin. Und, | |
| ganz wichtig, fürs Organisieren der Partys und Buchpremieren sei sie auch | |
| zuständig. | |
| 60-Stunden-Woche sind für sie nichts Ungewöhnliches, so richtig trennen | |
| kann sie Leben, Lesen und Arbeiten ohnehin nicht. „Es ist ja nicht nur | |
| Arbeit, es sind immer auch Leidenschaft und Spaß dabei.“ Ihr gehe es auch | |
| weniger darum, mit dieser Art viel Geld zu verdienen – eh nicht realistisch | |
| – als vielmehr „eine Lebenshaltung in die Welt hinauszutragen“. In Form v… | |
| Geschichten, von Erzählungen, von Romanen. | |
| Auf dem Tisch, an dem Kormann sitzt, liegen unter anderem die neuesten | |
| Bücher von [9][Karen Duve] und Sven Regener. Sie ist seit vielen Jahren | |
| Lektorin der beiden. Und Fan. „Es ist unterhaltsam, sich mit den Figuren | |
| aus ihren Erzählungen zu befassen. Das ist es, was ich unter anderem sehr | |
| mag an der Literatur: im Kopf der Figuren festzukleben.“ | |
| Seit erste Texte Regeners Ende der Neunziger bei Eichborn Berlin eintrafen, | |
| betreut Kormann seine Werke. Bei den Romanen schicke der Musiker und Autor | |
| die Texte immer kapitelweise. „Das ist für mich wie eine Serie zu gucken. | |
| Ich bin gespannt, wie es weitergeht.“ | |
| Generell sei es ihre Hauptaufgabe zu Beginn eines Projekts den Stoff | |
| sinnvoll einzugrenzen und zu schauen, ob eine Erzählung stimmig, stringent | |
| und logisch ist. Am Stil müsse man dagegen bei arrivierten Autoren wie | |
| Regener oder Duve kaum arbeiten. | |
| Die Literatur und die Literaturszene waren für Esther Kormann schon immer | |
| eine alternative Heimat. Sie stammt aus einer Patchwork-Familie, bereits in | |
| der Kindheit seien Bücher ein Zufluchtsort gewesen. Heute fühlt sie sich | |
| bei Veranstaltungen wie der Leipziger Buchmesse wie unter Gleichgesinnten. | |
| „Da trifft man alle wieder. Da sind lauter Verrückte unterwegs, die für die | |
| Sache brennen.“ | |
| Selbstverständlich ist sie stolz, eine von ihnen zu sein. Jens Uthoff | |
| ## Eine Kurierin der Literatur – Die Übersetzerin | |
| Ob simultan oder in monatelanger Arbeit, [10][Übersetzungen] sind eine | |
| „Annäherung des Fremden und Einheimischen, des Bekannten und Unbekannten“ … | |
| so schrieb es Johann Wolfgang von Goethe einst. Dass Literatur hierzulande | |
| vielfältiger ist als zu seiner Zeit, ist klar. Aber bis ein vielfältigeres | |
| Bild deutscher Literatur auch im Ausland entstanden ist, dürfte es noch | |
| eine Zeit dauern. | |
| Eine, die das forciert, ist die deutsch-britische Übersetzerin Katy | |
| Derbyshire. 2020 gründete sie das beim Verlag Voland & Quist angedockte | |
| Imprint V&Q Books, das die literarische Kluft zwischen dem europäischen | |
| Festland und Großbritannien überbrücken möchte. „Es gibt eigentlich kein | |
| wirkliches Bild von ausländischer Literatur in Großbritannien“, sagt | |
| Derbyshire. | |
| Sie sieht ihre Aufgabe darin, dies zu ändern. Und ist damit seit Längerem | |
| sehr erfolgreich. Ihre jüngste Übersetzung ins Englische – Clemens Meyers | |
| Debütroman „Als wir träumten“ (S. Fischer, 2006) – hat es auf die | |
| diesjährige Longlist des Booker Prize geschafft. | |
| Um die acht Monate habe die Übersetzung gedauert, sagt Derbyshire. 1996 kam | |
| sie der Liebe zu einem Mann wegen nach Berlin. Die Beziehung hielt nicht, | |
| die Liebe zu Berlin schon. So lebt sie auch heute noch hier. Seit 2017 ist | |
| Derbyshire deutsche Staatsbürgerin, das Wahlrecht in ihrer Heimat hatte man | |
| ihr nach 15 Jahren in Deutschland bereits aberkannt. So durfte sie 2016 | |
| beim Brexit-Referendum nicht mit abstimmen. Die Befürchtung, durch den | |
| Brexit weniger Übersetzungsanfragen zu bekommen, habe sich zum Glück nicht | |
| bewahrheitet. Nur logistisch sei es seitdem komplizierter geworden. | |
| In ihrer Anfangszeit in Berlin arbeitete Derbyshire zunächst als Kurierin | |
| und kam viel in Berlin herum. Seit jeher aber wohnt sie in Mitte, wo sich | |
| auch ihre beiden Lieblingskneipen befinden: das Zosch und der Schokoladen. | |
| Ihrer Karriere als selbstständige Übersetzerin ging ein Germanistik-Studium | |
| in London voraus, „das hier nichts wert war“. Erst ein zusätzlicher Kurs | |
| habe ihr die Möglichkeit geboten, zunächst wissenschaftliche Übersetzungen | |
| zu machen. In den Literaturbetrieb hineinzukommen sei dagegen schwer | |
| gewesen. Ohne Beziehungen gehe dort nichts. | |
| An ihre erste belletristische Übersetzung erinnert sie sich noch genau: ein | |
| Kinder- und Jugendbuch, in dem es um sexuellen Kindesmissbrauch ging, | |
| „Rotkäppchen muss weinen“ von Beate Teresa Hanika. Seitdem ist viel Zeit | |
| vergangen; mittlerweile hat Derbyshire einen festen Stamm an Autor:innen, | |
| die sie ins Englische übersetzt – darunter Inka Parei, Selim Özdoğan und | |
| eben Clemens Meyer. | |
| „Es ist unglaublich toll, etwas zu übersetzen, was ich selbst richtig tief | |
| bewundere“, sagt sie. Selbst einen Roman zu schreiben, habe sie nicht vor. | |
| Als Übersetzerin sei sie heute genug im Fokus, auch weil soziale Medien wie | |
| Twitter und Instagram zur Sichtbarkeit derer beitrügen, die ihre Arbeit | |
| still im Hintergrund erledigen. „Das war früher anders, besonders in UK hat | |
| man gern so getan, als seien Bücher gar nicht erst übersetzt worden.“ | |
| Übersetzungen sind mehr als ein Handwerk, sagt Derbyshire. Übersetzte Werke | |
| sollen sich ähnlich lesen wie das Original, aber „wenn man das mechanisch | |
| angeht, kommt nichts Besonderes dabei raus“, sagt sie. Vielmehr gehe es | |
| darum ein Gefühl zu vermitteln, regionale Sprachwitze und Hintergründe | |
| durch Anpassung und manchmal auch durch ein Vorwort verständlich zu machen. | |
| Eine mehr oder weniger neue Herausforderung für sie sei das Gendern, sagt | |
| Derbyshire. Die englische Sprache mache es leichter, dies zu umgehen, aber | |
| auch im Deutschen bemühe sie sich, möglichst inkludierend zu sprechen. „Es | |
| macht Sprache größer, wenn wir mehr Menschen ansprechen. Es schenkt der | |
| Sprache etwas.“ | |
| Auch Übersetzungen sind inkludierend: als Annäherung von Bekanntem und | |
| Unbekanntem, als Brücke zwischen Festland und Insel. Sophia Zessnik | |
| ## Mit 'ner coolen Socke unterwegs – Die Pressesprecherin | |
| Herzogpark, beste Münchner Gegend. Villen, Generalkonsulate, | |
| Anwaltskanzleien. Thomas Mann hat hier gelebt und seinen Hund Bauschan | |
| ausgeführt. Heute mittendrin: der Hanser-Verlag. Christina Knecht blickt | |
| von ihrem Büro aus ins Grüne, in die Herzog-Albrecht-Anlage. Und das ist | |
| nicht der einzige Grund, warum ihr der Arbeitsplatz gefällt. | |
| „Ich habe alles, was ich will: die Bücher, die Autoren und die Welt da | |
| draußen“, sagt die Leiterin der Hanser-Pressestelle. „Für mich ist das der | |
| schönste Platz im Verlag.“ Nun ist Verkaufen das tägliche Geschäft einer | |
| Pressesprecherin, und man muss nicht jeden Superlativ auf die Goldwaage | |
| legen. Aber Knechts Begeisterung, dieses Urteil traut man sich dann doch | |
| zu, ist echt. | |
| 20 bis 30 neue Bücher bringt der Hanser-Literaturverlag pro Halbjahr | |
| heraus, darunter viele Bestseller, Nobel- und Pulitzerpreisträger. Orhan | |
| Pamuk, Patrick Modiano, Herta Müller, Umberto Eco, Philip Roth, Susan | |
| Sontag, Colson Whitehead, Barack Obama – sie alle sind oder waren | |
| Hanser-Autoren. Mit einigen von ihnen hat Knecht eng zusammengearbeitet. An | |
| die rechte Wand ihres Büros hat sie Fotos ihrer „Lieblinge“ gepinnt. Seit | |
| 24 Jahren ist sie bei Hanser, leitet ein sieben- bis achtköpfiges Team. | |
| Knecht kommt aus der schwäbischen Provinz, aus Crailsheim. Bücher waren von | |
| klein auf ihre große Leidenschaft, auch wenn sie keinem literaturaffinen | |
| Elternhaus entstammt. Als sie eine Cousine der Mutter besuchte, die eine | |
| Buchhandlung hatte, kam sie erstmals auf den Gedanken, aus der Leidenschaft | |
| einen Beruf zu machen. | |
| Es folgten eine Ausbildung zur Verlagsbuchhändlerin bei Reclam, ein Studium | |
| der Germanistik und Literaturvermittlung in Bamberg und ein paar Jahre bei | |
| Rowohlt in Hamburg. „Da habe ich die Pressearbeit kennengelernt und | |
| gemerkt, das ist genau mein Ding.“ | |
| Aber dieses „Ding“, was ist das eigentlich? Was macht die Pressesprecherin | |
| eines Verlages? Versuchen wir es mit einer Metapher: Wenn die Lektorin | |
| einem Buch Geburtshilfe geleistet hat, so begleitet es die Pressesprecherin | |
| bei seinen ersten Schritten dort draußen in der weiten Welt. „Der Erfolg | |
| eines Buches braucht ein großes Konzert, idealerweise über alle Medien und | |
| Kanäle“, sagt Knecht. | |
| Natürlich kennt sie sie alle, die für Literatur zuständigen Redakteurinnen | |
| und Redakteure in den Kulturressorts, weiß um ihre Vorlieben: Wer ist | |
| Romanist? Wer hat eine Faible für amerikanische Literatur, wer steht gar | |
| auf Lyrik? Knecht ist in engem Austausch mit den Journalisten in den | |
| Feuilletons, den Lokalzeitungen, dem Rundfunk. „Natürlich schauen wir heute | |
| auch genau auf alles, was im großen, weiten Web passiert, ob das jetzt die | |
| Blogger sind oder redaktionell betreute Seiten.“ | |
| Aber enger noch als zu den Medien pflegt die 61-Jährige den Kontakt zu | |
| ihren Autoren. In dem Moment, in dem ein Buch tatsächlich auf die Welt | |
| komme, spreche man sich ab, was man dem Neugeborenen nun Gutes tun kann. In | |
| welchen Medien wünscht man sich Besprechungen? Wer könnte an einem | |
| Interview interessiert sein? Sind Buch und Autor talkshowtauglich? Wie | |
| sieht es mit Lesereisen aus? Mit Signierstunden? | |
| Die meisten Autoren hätten verstanden, dass es „part of the game“ sei, | |
| Öffentlichkeitsarbeit auch selbst zu betreiben. So wie [11][Star-Autor T.C. | |
| Boyle]. Im Mai erscheint sein neuer Roman auf Deutsch: „Blue Skies“. Im | |
| Juni kommt er auf Lesereise. Mit ihm unterwegs: Christina Knecht. Seit 24 | |
| Jahren betreut sie den Amerikaner, weiß genau, was sie ihm zumuten kann. | |
| Die schönsten und größten Säle hat sie schon gebucht. Minutiös ist im | |
| Zeitplan festgehalten, wann das Taxi in Berlin vor dem Hotel steht, wo in | |
| München das Mittagessen mit dem Verleger stattfindet oder welche Interviews | |
| der Schriftsteller in Wien gibt. Stress für die Pressesprecherin? Ach, was: | |
| Vorfreude! „Er ist wirklich eine coole Socke. Ich kenne niemanden, der so | |
| entspannt, so authentisch und seinem Publikum zugewandt ist wie T.C. | |
| Boyle.“ Dominik Baur | |
| ## Die graue Eminenz – Die Agentin | |
| Wer ist Barbara Wenner? Wer sie kennt, wird vermutlich antworten: Eine | |
| sympathische und kluge, analytische und humorvolle Person. Wer sie nicht | |
| kennt und [12][ihre Website] aufruft, sieht sich einem minimalistischen | |
| Design gegenüber. Understatement regiert die Webpräsenz der Agentur Wenner. | |
| Das kann aber nicht verhindern, dass schnell die Neugier erwacht, wenn man | |
| sich die Liste der von Barbara Wenner vertretenen Autorinnen und Autoren | |
| anschaut. Es sind Romanciers darunter, Journalistinnen, Historiker und | |
| Social-Media-Stars. | |
| Einige der Bücher, zu deren Veröffentlichung Wenner ihren Teil geleistet | |
| hat, haben Debatten angestoßen oder geprägt. [13][Stephan Malinowskis | |
| Studie über die Rolle der Hohenzollern bei der Machtübernahme der Nazis] | |
| steht auf Wenners Bücherliste, auch Teresa Bückers Plädoyer für eine | |
| Umverteilung des gesellschaftlichen Zeitbudgets, das eben für den Deutschen | |
| Sachbuchpreis nominiert wurde. | |
| Wenner hat so einmal mehr ihr Ziel erreicht: dass über die Bücher der | |
| Autoren und Autorinnen gesprochen wird, deren Interessen sie vertritt. | |
| Letzteres ist die so knappe wie akkurate Beschreibung dessen, was Wenner | |
| eigenem Bekunden nach tut. Angaben zur Person der Literaturagentin finden | |
| sich auf ihrer Website ebenso wenig wie ein Foto. | |
| Das liegt in der Natur der Sache: Literaturagenten sind graue Eminenzen. | |
| Das lesende Publikum hat im Zweifel noch nie von ihnen gehört. Autorinnen | |
| und Autoren aber sind zunehmend auf die Arbeit von Agenten angewiesen. Es | |
| sei schwerer geworden für junge Schreibende, bei Verlagen durchzudringen, | |
| sagt Wenner, als ich sie in ihrem Büro in Berlin-Mitte aufsuche. Wir nehmen | |
| an einem Tisch Platz, auf dem einige Bücher liegen. Hinter ihr eine Wand | |
| voller Bücher, die mehr an ein heimisches Bücherregal als an die gefälligen | |
| Präsentationen in Verlagshäusern und auf Buchmessen erinnert. | |
| Hier arbeitet eine Leserin, keine PR-Person. Dass sie nun selbst zum | |
| Gegenstand der Berichterstattung werden soll, ist ihr offenkundig suspekt. | |
| Wie wird man Literaturagentin? Literaturagent ist weder eine geschützte | |
| Berufsbezeichnung noch ein Ausbildungsberuf. Auch studieren kann man das | |
| nicht. Wichtig für ihre Arbeit sei das Wissen, wie der Buchmarkt | |
| funktioniert, wie Verlage arbeiten, sagt Wenner. | |
| Den Betrieb kennt sie, seit sie nach ihrem Studium der | |
| Literaturwissenschaft und der Philosophie als Praktikantin bei Rowohlt zu | |
| arbeiten begann. Wenig später war sie dort als Lektorin angestellt und am | |
| Ende war sie Programmleiterin. Dieser Job hat viel mit Marketing und | |
| Organisation zu tun, das Feilen an Ideen und ihre Realisation erledigen | |
| andere. Die Arbeit an den Büchern begann ihr zu fehlen. | |
| In einem anderen Konzernverlag zu arbeiten schloss sie aus, die familiäre | |
| Nähe in einem Kleinverlag erschien ihr zu eng. Also wechselte sie die Seite | |
| und begann bei der Literaturagentur Graf & Graf zu arbeiten. Nach vier | |
| Jahren gründete sie ihre eigene Agentur und nahm im Lauf der Zeit auch | |
| einige Autorinnen und Autoren der taz unter Vertrag. | |
| Als Agentin hat sie wieder mit Manuskripten zu tun und mit den Menschen, | |
| die sie schreiben. So unterschiedlich die Menschen und ihre Texte sind, so | |
| vielfältig gestaltet sich Wenners Arbeit. Mal sei ihr schon nach dem Lesen | |
| von drei Kapiteln klar, dass sie die Autorin nur in Ruhe weiterarbeiten | |
| lassen müsse, sagt sie. Mal arbeite sie mit einem Autor intensiv am Text. | |
| Mal bestehe ihre Aufgabe darin, die individuelle Stimme eines Schreibenden | |
| gegen ihre Zurichtung auf vermeintliche Marktzwänge zu schützen. | |
| Ihre Arbeitszeiten? Oft lange. Was ist die Voraussetzung, dass sie sich für | |
| die Vertretung eines Buchprojekts entscheidet? Es sollte ihr Interesse | |
| wecken. Wer als Agentin bei Verlagen und beim Publikum Aufmerksamkeit | |
| erregen will, muss neugierig sein. Ulrich Gutmair | |
| ## Außen Kaufmann, innen kreativ – Der Messedirektor | |
| Die vergangenen drei Jahre waren nicht leicht für Oliver Zille. Wie | |
| angefasst er davon war, [14][die Leipziger Buchmesse dreimal | |
| pandemiebedingt absagen zu müssen], zeigte sich etwa, als er im vergangenen | |
| Jahr die Pop-up-Buchmesse besuchte, die als Alternative recht spontan von | |
| kleinen und mittleren Verlagen organisiert worden war. | |
| Oliver Zille streifte durch die Halle, besah sich die Stände, kaufte | |
| Bücher. Melancholie, dass die große Messe wieder nicht zustande gekommen | |
| war, umgab den 1960 geborenen Zille. Aber auch die Freude an dem Interesse | |
| für Bücher und dem Selbstbehauptungswillen der Branche, die sich hier in | |
| Leipzig zeigte. | |
| Oliver Zille sagte damals, die Pop-up-Messe sei „eine kreative Antwort auf | |
| die schwierige Situation im Moment, aber auch ein klares Statement, wie | |
| sehr die Leipziger Buchmesse fehlt und dringend wieder gebraucht wird“. | |
| Darin schwingt mit, was man auf die Situation der deutschen Buchbranche | |
| insgesamt anwenden könnte. Ein trotziges Beharren auf die Dringlichkeit, | |
| mit der sie gebraucht wird. Und ein Bekenntnis dazu, dass man kreative | |
| Antworten finden muss. Das ist weit weg von einem managerhaften Rechnen | |
| und Effizienzdiskurs. | |
| Oliver Zille ist in der DDR aufgewachsen. Er lernte Buchgroß- und | |
| Außenhandel und absolvierte ein Studium der Außenwirtschaft in Berlin. | |
| „Buch“ und „außen“ – dass diese beiden Wörter in der DDR schillernd | |
| miteinander verbunden waren, mag ein Klischee sein; es ist ebenso gut auch | |
| eine historische Tatsache und für Oliver Zille lebensentscheidend. | |
| Wie weit man bei der gesellschaftlichen Selbstreflexion gehen konnte, wie | |
| weit man auch die herrschenden Zustände in der DDR hinterfragen konnte, | |
| wurde von Schriftstellerinnen und Schriftstellern immer wieder neu | |
| ausgetestet. Die Leipziger Buchmesse mit ihrer großen Tradition bis fast an | |
| den Beginn des Buchdrucks zurück war auch ein Schaufenster, in dem | |
| DDR-Bürger sich darüber informieren konnten, was im westlichen Ausland | |
| gedacht und geschrieben wurde. | |
| Die großen Westverlage konnten in Leipzig ausstellen und ließen sich | |
| bereitwillig von den Besucher*innen ihre Messe-Exemplare klauen. In der | |
| Berliner Zeitung erinnerte sich Zille gerade an diese Zeit zurück: „Das war | |
| wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.“ | |
| Seit 30 Jahren leitet Oliver Zille die Leipziger Buchmesse. Der Umzug aus | |
| der Innenstadt in die Glashalle fiel in diese Zeit. Nachdem eine | |
| Fernseh-Literaturshow à la Oscar-Verleihung arg floppte, setzte Zille auf | |
| den [15][Preis der Leipziger Buchmesse] als PR-Zugpferd. Die Arbeit der | |
| literaturkritischen Jury dazu verfolgt er mit großem Interesse, aber ohne | |
| sich inhaltlich einzumischen. | |
| Was treibt Oliver Zille an? Wenn er einem im Restaurant gegenübersitzt, | |
| kann er einem sehr gut vermitteln, wie wichtig gesellschaftlich offene | |
| Debatten sind. Dass Leipzig in der DDR zu einem Zentrum der Opposition und | |
| dann auch zu einem Hotspot der friedlichen Revolution wurde, hat für ihn | |
| etwas mit der Leipziger Buchmesse zu tun. Und jetzt kämpft er darum, diesen | |
| Marktplatz der Ideen und Debatten auch unter marktwirtschaftlichen | |
| Umständen zu behaupten. | |
| Wie sehr in der Gestalt des Kaufmanns und PR-Profis ein literaturaffines | |
| Herz schlägt, zeigte sich auch im vergangenen Jahr, als er die Verleihung | |
| des Leipziger Buchpreises in seinem Grußwort mit Lyrik veröffentlichte. | |
| Russland hatte gerade die Ukraine überfallen, und Zille zitierte mit | |
| bebender Stimme die Luhansker Dichterin Jelena Zaslavskaja: „Lange blieb | |
| das Unheil aus. Lange Zeit …“ Existenzielle Betroffenheit war in diesem | |
| Moment spürbar. Und zugleich trotz aller aktuellen Hilflosigkeit ein tiefes | |
| Vertrauen in die zivilisierende Kraft der Literatur. Dirk Knipphals | |
| 25 Apr 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Literatur/!t5008488 | |
| [2] /Saenger-Hendrik-Otremba/!5925083 | |
| [3] /Autorin-ueber-Hierarchien-und-Sex/!5915777 | |
| [4] /Neustart-des-legendaeren-Maerz-Verlags/!5822803 | |
| [5] /Album-und-Roman-von-Jenny-Hval/!5839642 | |
| [6] /Verlage-in-Deutschland/!5538347 | |
| [7] /Berliner-Einmannverlag-mit-Nische/!5628079 | |
| [8] /Klassiker-aus-Norwegen-neu-uebersetzt/!5729467 | |
| [9] /Karen-Duves-Sisi-Roman/!5885441 | |
| [10] /Literatur-und-Identitaet/!5758624 | |
| [11] /Neuer-Roman-von-TC-Boyle/!5748167 | |
| [12] https://www.agenturwenner.de/ | |
| [13] /Deutscher-Sachbuchpreis-2022/!5858451 | |
| [14] /Literaturmarkt-und-Kapitalismus/!5831148 | |
| [15] /Diversitaet-im-deutschen-Literaturbetrieb/!5791311 | |
| ## AUTOREN | |
| Dirk Knipphals | |
| Jens Uthoff | |
| Dominik Baur | |
| Julia Hubernagel | |
| Ulrich Gutmair | |
| Sophia Zessnik | |
| ## TAGS | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Literatur | |
| Buch | |
| Bücher | |
| GNS | |
| Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2025 | |
| Theater Bremen | |
| Buchmarkt | |
| Buchmarkt | |
| Kolumne Provinzhauptstadt | |
| Bildende Kunst | |
| Kolumne Alles getürkt | |
| Feminismus | |
| Michael Kretschmer | |
| IG | |
| Russische Literatur | |
| Elena Ferrante | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| „Der Keim“ im Theater Bremen: Ersoffen in Bedeutung | |
| Am Theater Bremen inszeniert Ruth Mensah den Roman „Der Keim“ von Tarjei | |
| Vesaas. Das ist schön anzuschauen – und vielleicht ein bisschen zu clever. | |
| Verlegerin über den Buchmarkt: „Wir sind schon seit 20 Jahren pleite“ | |
| In Hamburg laden kleine Buchverlage zum zweiten Mal zu einer eigenen | |
| Buchmesse. Es fehle an Sichtbarkeit, sagt die Verlegerin Nora Sdun. | |
| Podcast zum Literaturbetrieb: Ein wahrlich random Business | |
| Das deprimierendste Geschäft überhaupt scheint der Buchmarkt zu sein. | |
| Zumindest für die literarischen Akteure und alle, die noch nicht berühmt | |
| sind. | |
| Hannover will Bibliotheken schließen: Von Angry Birds und Sparplänen | |
| Wie haben Nicht-Leser bloß ihre Kindheit und Jugend überlebt? Mir ist das | |
| ein Rätsel. Ebenso, wie Hannover an falscher Stelle sparen will. | |
| Ungarischer Konzeptkünstler Endre Tót: Als Briefeschreiben geholfen hat | |
| Galerie aKonzept zeigt Endre Tót als Vertreter der Mail Art. Ein Besuch | |
| beim ungarischen Konzeptkünstler, der vor einem Jahr zurück nach Berlin | |
| kam. | |
| Neulich auf Lesereise: Kulturgenuss auf ostfriesisch | |
| Auf Lesereise in Ostfriesland durfte ich feststellen: Ein kluges Publikum | |
| habe ich – auch wenn es klein ist und erst zusammentelefoniert werden muss. | |
| Essay über Schwangerschaftsabbruch: Was nicht geteilt werden darf | |
| Bekannt geworden ist die Französin Pauline Harmange mit ihrem Essay „ich | |
| hasse männer“. Jetzt legt sie nach mit einem Buch über Abtreibung. | |
| Leipziger Buchmesse hat begonnen: Viel Lärm um die Bücher | |
| Zum Start erinnern Lyrikerin Stepanova und Kulturstaatsministerin Roth | |
| daran, dass in der Ukraine auch Kultur verteidigt wird. Ein Rundgang. | |
| Buchmesse-Spezial: Lesen, aber mit Haltung | |
| Setzen, Stellen, Liegen? Welche Position ist die beste, damit die Lektüre | |
| eines Buches zum Vergnügen wird? Wir haben den Test gemacht. | |
| Leipziger Buchpreis an Maria Stepanova: Die Stimme des anderen Russlands | |
| Nach Corona findet die Leipziger Buchmesse wieder statt. Die russische | |
| Schriftstellerin Maria Stepanova erhält den Buchpreis zur Europäischen | |
| Verständigung. | |
| Um ihr Inkognito betrogene Autorin: Liebesbrief an Elena Ferrante | |
| Sie erzählt von zwei Mädchen in einer von Männern dominierten Welt. Wie | |
| aber vermarktet man die scheue Elena Ferrante? Ein Besuch bei Suhrkamp. |