# taz.de -- Leipziger Buchmesse: Alles fürs Buch | |
> Endlich wieder Buchmesse in Leipzig! Aber wer sind die Menschen im | |
> Hintergrund, die mit viel Leidenschaft und oft niedrigen Löhnen Bücher | |
> machen? Wir haben einige von ihnen getroffen. | |
Bild: Um von der Literatur zu leben gehört neben der Neugier auf Bücher auch … | |
Ohne Herzblut geht es nicht im [1][Literaturbetrieb]. Doch es gibt auch | |
keine Garantie, dass noch so viel davon tatsächlich zum Erfolg führt. | |
Jenseits der naiven Erzählungen von kreativen Traumjobs mit | |
Selbstverwirklichungsticket, aber auch jenseits aller Untergangsgesänge von | |
der angeblich verschwindenden Buchbranche macht der Literaturbetrieb etwas, | |
was die moderne, zivilisierte Gesellschaft eigentlich minimieren wollte: Er | |
spielt Schicksal. Er verteilt Chancen ungerecht und willkürlich. Und wer | |
klug und reflektiert ist im Betrieb, der weiß das auch. | |
Krise ist immer. Und der Markt ist eng. Verpasste Gelegenheiten und große | |
Lose liegen da nah beieinander, und neben der belohnten Hartnäckigkeit | |
findet sich die schöne Idee, die aus zufälligen Gründen keine Beachtung | |
fand. Es stimmt eben nicht, dass sich kulturelles Kapital automatisch in | |
reales Einkommen übersetzen würde. | |
Und im Gegensatz zum akademischen Bereich, in dem der Mittelbau sich über | |
allzu enge Karrierefristen bei der Politik beschweren kann, gibt es im | |
Literaturbetrieb noch nicht einmal einen geeigneten Adressaten für Protest | |
und Empörung. (Was einen allerdings keineswegs daran hindern sollte, darauf | |
hinzuweisen, dass Texte aller Art, seien es Literaturbesprechungen, | |
Übersetzungen oder auch Verlagsgutachten, skandalös schlecht bezahlt | |
werden, auch in der taz.) | |
Was sind das also für Menschen, die unter diesen Bedingungen all ihre | |
Kräfte und ihre Kreativität einsetzen, um ihren Lebensunterhalt mit und für | |
Bücher zu verdienen? Dass es bessere, klügere, zivilisiertere oder auch nur | |
coolere Menschen wären als sonst wo, wie die großen Erzählungen von Kunst | |
und Bildung immer mal wieder suggeriert haben, würde niemand von ihnen | |
behaupten. | |
Aber es sind doch viele eigenwillige Menschen: Verlagsleute und | |
Übersetzer*innen, Journalistinnen und Agentinnen, Festivalchefs und | |
Pressereferenten. Viele Überzeugungstäter finden sich darunter, manchmal an | |
der Grenze zwischen Engagement und Selbstausbeutung balancierend. Die | |
gewaltigen Traditionen von Buchdruck und Aufklärung hinter sich und | |
manchmal auch auf den Schultern. | |
Ohne Festanstellung manchmal knietief im Dispo und kopfschüttelnd auf die | |
geringen Verkaufszahlen starrend. Dann aber auch wieder die Visionen und | |
Geschlechter- sowie Herkunftsgerechtigkeit, sprachliche Durchdringung und | |
historisches Bewusstsein motivierend vor sich. | |
Wenn jetzt nach drei coronabedingt ausgefallenen Messen die Buchbranche | |
endlich einmal wieder in Leipzig zusammenfindet, neue Bücher durchbringen, | |
Themen besetzen und sich auch ein Stück weit selbst feiern will, dann ist | |
offiziell viel von Autor*innen und Leser*innen die Rede. Aber – und | |
das sollte man einmal betonen – es kommen dort auch sonst bemerkenswerte | |
Menschen zusammen. Einige von ihnen porträtieren wir auf diesen Seiten (wir | |
haben uns dabei auf die Verlage konzentriert). | |
Jedenfalls, vor ein paar Jahren gab es mal die Parole, dass im | |
Literaturbetrieb die Originale aussterben und die Managertypen den Laden | |
übernehmen würden. Das ist so nicht eingetreten. Es gibt natürlich die | |
Managementtypen. Doch dass mit Sparplänen und Zielgruppenanalysen allein | |
neue Programme irgendwie fade werden, hat sich, scheint es, inzwischen | |
herumgesprochen. Die Literatur ist kein auf Effizienz zu trimmender | |
Produktionsprozess. | |
Krise ist immer? Mag sein. Doch man muss auch weitermachen. Eine gehörige | |
Portion Wagemut gehört – neben der Neugier auf Bücher – dazu. Dirk | |
Knipphals | |
## Büchermann und Bücherfrau – Das Verlegerduo | |
Anders sein als die anderen – das ist im Grunde etwas, das auf die bewegte | |
und bewegende Geschichte des März-Verlags genauso zutrifft wie auf die | |
beiden Menschen, die in einer Arbeitswohnung in Berlin-Schöneberg gegenüber | |
einer gelben Bücherwand sitzen und diesen Verlag heute betreiben. | |
Richard Stoiber und Barbara Kalender sind seit Juni 2021 das neue | |
Verleger:innen-Duo, die beiden empfangen zu Kaffee und Gebäck, sichtlich | |
begeistert ziehen sie frisch gedruckte März-Bändchen von Olga Ravn, | |
[2][Hendrik Otremba] und [3][Eva Tepest] aus dem Regal. „Wir leben für | |
Bücher. Wir sind wohl die Besessenen, die Berufenen oder die Verrückten“, | |
sagt Barbara Kalender, „also verrückt nicht im Sinne von geisteskrank, | |
sondern im Sinne von anders als die anderen.“ | |
[4][Der Verlag hat vor zwei Jahren einen Relaunch mit verjüngtem und | |
gewagtem Programm hingelegt]. Nachdem Jörg Schröder, der langjährige | |
März-Verleger und Partner von Barbara Kalender, im Juni 2020 starb, traf | |
Kalender im Jahr darauf auf den ehemaligen Matthes-&-Seitz-Lektor Stoiber, | |
knapp 30 Jahre jünger als sie. Bei den beiden matcht es. | |
Kalender, 64, und Stoiber, 35, teilen eine ähnliche Vorstellung von | |
Literatur. „Der Altersunterschied interessiert uns überhaupt nicht. Uns | |
interessiert die Ware, der Inhalt, der Roman. Solange Richard die richtigen | |
Bücher liest, ist doch alles gut“, sagt Kalender. Stoiber widmet sich als | |
Geschäftsführer und Programmleiter quasi 24/7 dem Verlag: „Man muss sich | |
schon klarmachen: Der Verlag, das ist jetzt mein Leben. Wenn man | |
lamentiert, wie viel man arbeiten muss, dann wird das nichts. Dann bekommt | |
man Magengeschwüre.“ | |
In der Verlagswohnung in einer Bauhaus-Wohnsiedlung in Schöneberg stehen | |
viele März-Klassiker im Regal. Für (Post-) 68er:innen gehörten Bücher wie | |
Günter Amendts „Sexfront“ oder Valerie Solanas’ „Manifest der Gesellsc… | |
zur Vernichtung der Männer“ zum diskursiven Grundbesteck, auch die Autoren | |
der Beat Generation (die meisten waren in der Tat Männer) erschienen in dem | |
1969 gegründeten Verlag. | |
Einige dieser Bücher legen die beiden nun neu auf. Mit dem Neustart tritt | |
aber auch eine neue Autor:innengeneration auf den Plan, | |
[5][Schriftsteller:innen wie Jenny Hval] oder eben Tepest und Otremba. | |
Dieses Frühjahr erscheinen neun Titel, die meisten Ersterscheinungen. Die | |
Themenmischung ist vielsagend: Black Metal, dunkles Begehren, queerer Sex, | |
Lust (und Unlust) im Allgemeinen und die kommentierten falschen | |
Hitler-Tagebücher finden sich in ein und demselben Programm. | |
Damit wollen sie an die Verlagsgeschichte anknüpfen. „Als ich den | |
März-Verlag vor vielen Jahren entdeckte, dachte ich: ‚Aha, so kann man also | |
auch einen Verlag betreiben!‘“, sagt Stoiber, „mit einem Programm, das | |
irgendwie alles abdeckt, von Politik über Porno bis zu experimenteller | |
Literatur. Dazu mit einem erkennbaren ästhetischen und politischen Kompass | |
und fernab des literarischen Massengeschmacks.“ | |
Erfolgreich sei ein Verlag für ihn dann, wenn alle Beteiligten davon leben | |
könnten und es gelänge, die Menschen für Literatur zu gewinnen: „Ich bin | |
dann zufrieden, wenn wir vermeintlich schwierige, komplexe Bücher einem | |
größtmöglichen Publikum zuführen“, so Stoiber. Das sei eine große | |
Herausforderung, zumal in einer Zeit, in der einfache Weltbilder immer | |
attraktiver würden. | |
Kalender und Stoiber wirken schon jetzt wie ein eingespieltes Duo, im | |
intellektuellen Ping-Pong spielen sie sich die Bälle hin und her. Und sie | |
streiten gerne. Als Stoiber sagt, das Modell der Selbstausbeutung und | |
Überidentifizierung mit der Verlagsarbeit sei „im Grunde | |
hyperkapitalistisch“, widerspricht Kalender. Das liegt wohl auch daran, | |
dass für sie alles im Leben zusammengehört: „Ich trenne Arbeit, Privates | |
und Politisches nicht. Und den Slogan ‚Das Private ist politisch‘ kennen | |
wir doch wohl alle noch.“ | |
Man kann ausufernde Diskussionen mit den beiden führen, sie decken – ein | |
bisschen wie das Verlagsprogramm – irgendwie alles ab. Aber wie zur Hölle | |
soll man aus einem fast zweistündigen Gespräch ein Kurzporträt stricken? | |
Zum Glück hat Kalender eine Antwort: „Ist doch ganz einfach: Richard | |
Stoiber, Büchermann. Barbara Kalender, Bücherfrau.“ | |
So kann man es natürlich auch sagen. Jens Uthoff | |
## Lyrisch und mit Haltung – Die E-Book-Verlegerin | |
Was ist ein Mikrotext? Nun, zuallererst wohl [6][der Name eines Verlags]. | |
Einer, der das E-Book ernst und nicht als Ableitung vom gedruckten Vorbild | |
hinnimmt. Nikola Richter, die Betreiberin und Geschäftsführerin von | |
mikrotext, will aber nicht von einem „Kleinverlag“ sprechen. Denn trotz des | |
Idealismus, den mitbringen muss, wer Bücher verlegt, spiele man so doch die | |
unternehmerische Leistung herunter, die unabhängige Verlage in Konkurrenz | |
zu großen Häusern erbringen. | |
„Reden wir von mikrotext lieber als kleinem Unternehmen“, sagt Richter, die | |
den Verlag 2013 in Berlin gründete. E-only lautete damals das Konzept. | |
Mittlerweile lässt Richter auch drucken, doch der Fokus auf E-Books besteht | |
weiterhin. Die studierte Literaturwissenschaftlerin hat das utopische | |
Element, das einmal im Internet steckte, nicht vergessen. Alles überall | |
lesen zu können hält sie weiterhin für ein großartiges Modell, sagt sie. | |
„Darin steckt ein großes Versprechen.“ | |
Ein Mikrotext kann aber auch der Berührungspunkt zwischen Online- und | |
Buchwelt sein, wenn man ihn selbstbewusst als Gattungsbeschreibung gleich | |
auf die erste Buchseite druckt. Literatur habe sie schon immer im Internet | |
gelesen, erzählt Richter. | |
mikrotext, ihren Verlag, gründete sie daher vor allem als Leserin, die auf | |
dem Buchmarkt nicht das fand, was sie lesen wollte. Die Transferleistung – | |
aus dem Netz gefischt, zwischen zwei (elektronische) Buchdeckel verpflanzt | |
– merkt man den von ihr verlegten Texten dabei an: Kurze Essays finden sich | |
im Katalog, Kindheitsreflexionen, aber auch Seltsames wie „Kryptomagie. | |
Zwanzig kleine suesse Cryptopoems“ von Yevgeniy Breyger, das in einer | |
gräulichen Windows99-Ästhetik daherkommt. | |
Auch Dinçer Güçyeters „Unser Deutschlandmärchen“, das in mehreren | |
Generationen das Leben türkischer Gastarbeiter:innen erzählt und für | |
den diesjährigen Leipziger Buchpreis nominiert ist, reiht sich ein. Mit 216 | |
Seiten hat es zwar Romanlänge, doch vorab veröffentlichte und später weiter | |
verarbeitete Facebook-Posts des Autors seien wichtiger Bestandteil der | |
Geschichte, erzählt Richter. | |
mikrotext will sich nicht nur über die Form definieren. „Sehr dezidiert mit | |
Haltung“ sollen die von ihr verlegten Texte sein, sagt sie. „Ich will | |
engagierte Literatur lesen, die auf das sich wandelnde Deutschland | |
reagiert; sehr lyrisch, nicht manifestartig.“ Konservative, rückwärts | |
gewandte Literatur interessiert sie nicht als Verlegerin. „Literatur soll | |
Einfluss nehmen.“ | |
Verlegen, so sagt Richter, die vor mikrotext ein Online-Literaturmagazin | |
gründete und eine Berliner Lesebühne startete, habe oft etwas | |
Rouletteartiges. Welche Texte sich verkauften – und wenn auch nur zum | |
„Kaffeepreis“ von 2,99 Euro pro E-Book – lasse sich nur schwer einschätz… | |
„Ich arbeite viel mit Debüts“, sagt die Verlegerin. „Mit Stimmen, die auf | |
dem Buchmarkt vorher eigentlich kaum bekannt sind. Einen Hallraum für diese | |
Stimmen zu erarbeiten sehe ich als eine Aufgabe meiner Arbeit.“ | |
Am Roulettespielen findet Richter Gefallen. Anders lässt sich kaum | |
erklären, warum sie 2020 ein Jahr lang den Verlag in fremde Hände legte und | |
sechs Gastverlegerinnen das mikrotext-Programm gestalten ließ. | |
Von den schließlich verlegten Texten kannte sie vorher gar nichts, sagt | |
Richter. „Ich musste viel loslassen, viel von anderen lernen. Mittlerweile | |
bildet der Verlag eine Persönlichkeit, die gar nicht mehr nur ich bin.“ | |
Herausgekommen ist Literarisches, Reflexionen über Maskierungen – 2020 | |
markierte immerhin das erste Pandemiejahr –, aber auch ein Kochbuch mit | |
Rezepten „für ein gutes Klima“. 700 Euro hat sie an Fixkosten jeden Monat. | |
Und wenn es gut läuft, bleiben ihr „ein paar Tausend Euro pro Monat an | |
Gewinn, manchmal auch weniger, das muss man dann ausgleichen“. | |
Nikola Richter kennt auch die andere Seite des Verlegerschreibtisches. | |
Theaterstücke, Artikel, Gedichte und Erzählungen hat die 46-Jährige über | |
die Jahre verfasst. Zuletzt war sie auch außerhalb von mikrotext als | |
Herausgeberin aktiv. Selbst schreiben, das stellt sie nach zehn Jahren | |
mikrotext fest, tut sie heute vor allem Gebrauchstexte. „Und sehr viele | |
E-Mails.“ Aber abends und am Wochenende, sagt sie, bleibt der Computer | |
zugeklappt. Julia Hubernagel | |
## Die Katze im Sack – Der Einmannverlag | |
Erzählt man vom [7][Guggolz Verlag], muss man auch vom Quizchampion | |
erzählen. „Die Geschichte wollen immer alle hören“, sagt Sebastian Guggol… | |
Namensgeber und Gründer des Einmannverlags in Berlin, und lacht. 2015, der | |
Verlag bestand damals seit zwei Jahren, hatte Guggolz Schulden. | |
Lösungsorientiert meldete er sich bei verschiedenen Quizshows an, das ZDF | |
lud ihn zu „Der Quizchampion“ ein, wo Guggolz gegen Prominente und | |
Expert:innen antrat – und gewann. 250.000 Euro. Das reichte. Ein Gehalt | |
zahlt sich der 1982 geborene Verlagschef jedoch weiterhin nicht aus, das | |
Überleben sichern Nebenjobs. | |
Guggolz hat ortsspezifische Interessen. Nord- und Osteuropa sind die | |
Einzugsgebiete seiner Bücher. Von den zwischen den Färöer und Armenien | |
gesprochenen Sprachen versteht er keine. „Es fing alles an, als ich | |
feststellte, dass es keine litauischen Klassiker auf Deutsch gibt“, erzählt | |
er. Heute schon: Antanas Škėma, den man laut Guggolz auch den „litauischen | |
Camus“ nennt, gehört seit 2017 zum Verlagsprogramm. | |
Ausschließlich verstorbene Schriftsteller:innen werden im | |
Guggolz-Verlag verlegt. Mitunter sind diese auch in ihren Heimatländern | |
längst vergessen. So ist manchmal Detektivarbeit gefragt. Sind die | |
Verfasser:innen bereits seit mehr als 70 Jahren tot, verlöschen die | |
Rechte etwaiger Nachfahren. | |
Diese gilt es stets aufzuspüren. Gerade in Osteuropa, das staatsideologisch | |
starke Umbrüche erlebte, sei das wegen im Exil lebender Angehöriger | |
mitunter schwer, sagt Guggolz. „Da schreckt man manchmal auch einen Enkel | |
auf, der von der Schriftsteller-Vergangenheit seines Großvaters nur dunkel | |
wusste.“ | |
Doch wie stößt Guggolz überhaupt auf Texte, die nicht übersetzt sind, ohne | |
die jeweilige Sprache zu sprechen? „Ich arbeite sehr eng mit | |
Übersetzer:innen zusammen, die mir gute Vorschläge unterbreiten“, sagt | |
der Verleger. „Aber ja, ich kaufe oft die Katze im Sack.“ Starke | |
Übersetzerfiguren seien ihm am liebsten, Doppelfiguren wie Esther Kinsky, | |
die selbst Romane schreibt und bei Guggolz aus dem schottischen Englisch | |
übersetzt. | |
Neuübersetzungen lässt der Verleger jedoch ebenfalls anfertigen und nennt | |
[8][das Beispiel des Norwegers Tarjei Vesaas, der, einstmals sehr berühmt, | |
in Deutschland weitgehend vergessen war.] „Das hat oft auch mit | |
Verlagskonstellationen zu tun“, sagt Guggolz. „Vesaas ist in den 1950er | |
Jahren bei einem kleinen schweizerischen Verlag erschienen, der irgendwann | |
pleitegegangen ist.“ | |
Ihm sei es wichtig, zeitgenössische Übersetzungen für ein stets | |
zeitverhaftetes Publikum anzubieten. „Dabei geht es nicht um | |
Modernisierungen oder einen verklärenden, historisierenden Blick. Aber die | |
zeitliche Lücke zwischen der Erstveröffentlichung und heute ist nicht zu | |
überwinden. Ich möchte, dass man einem Buch seine Entstehungszeit und die | |
der Übersetzerin anliest.“ | |
Seine Aufgabe als Verleger sieht Guggolz darin, zu überlegen, welche Texte | |
und Themen „heute immer noch oder wieder wichtig sind“. So habe er erst, | |
als er einen ukrainischen Klassiker der 1920er Jahre übersetzen ließ, | |
begriffen, wie entscheidend dieses Jahrzehnt für die ukrainische | |
Kulturbildung war, markierte es doch praktisch den einzigen Zeitraum, in | |
dem Literatur auf Ukrainisch erscheinen konnte. „Oder Ungarn“, sagt | |
Guggolz, „das in den 1930er Jahre sehr hart von der Wirtschaftskrise | |
betroffen war.“ Andor Endre Gelléri habe ihn auch die letzte Bankenkrise | |
besser verstehen lassen. | |
Doch reizt ihn nicht der direktere Zugang auf Fragen der Zeit, durch | |
zeitgenössische Literatur? „Nicht in meinem Verlag“, sagt Guggolz. „Aber | |
dafür bin ich ja jetzt bei Fischer.“ Seit Ende letzten Jahres ist er bei | |
dem Frankfurter S. Fischer Verlag angestellt, kuratiert nun das | |
Klassikprogramm. „In Teilzeit“, betont er. Denn den eigenen Verlag betreibt | |
er weiterhin. Seine „unstete Persönlichkeit“ sei es jedoch, die sich eben | |
manchmal zu neuen Aufgaben überreden ließe. Julia Hubernagel | |
## Leben, lesen, arbeiten – Die Verlegerin | |
Wer glaubt, nach knapp 25 Jahren Arbeit in Buchverlagen würde der | |
Enthusiasmus für die Literatur natürlicherweise ein wenig nachlassen, hat | |
noch nie mit Esther Kormann gesprochen. Esther Kormann hat schon fast alle | |
Funktionen in Verlagen innegehabt, die man so innehaben kann: Sie war | |
zunächst Praktikantin und Volontärin, hat in den Bereichen Lektorat, | |
Pressearbeit, Veranstaltungen und Marketing gearbeitet; zunächst bei | |
Eichborn Berlin, seit 2009 bei Galiani. | |
„Natürlich ist der Zauber noch da!“, sagt sie, und blickt einen entgeistert | |
an, wenn man auch nur wagt dies anzuzweifeln. „Das Geniale an diesem Job | |
ist, dass man kaum Routinen hat und mit jedem Buch, das man betreut, von | |
vorne anfängt. Man geht immer wieder zurück auf die Startlinie, macht | |
dieses Wettrennen bis zur Veröffentlichung und den ersten Rezensionen mit. | |
Und freut sich, wenn die Leute die Bücher dann lesen und über sie reden.“ | |
So in etwa definiert Kormann auch Erfolg im Literaturbetrieb: Sie will, | |
dass „über unsere Bücher gesprochen wird“. Kormann ist 54 Jahre alt, trä… | |
langes, braunes Haar und hat einen wachen, fast alterslosen | |
Gesichtsausdruck, dem beim Reden über Autor:innen und Geschichten | |
manchmal eine Art kindliche Freude entweicht. Sie hat in den | |
„Wohnzimmerverlag“ geladen, wie sie Galiani nennt, und sitzt vor einem | |
Bücherregal in den hellen Verlagsräumen in der Berliner Friedrichsstraße. | |
Geboren 1968 in Greifswald, kommt Kormann zu Schulzeiten nach Berlin. Ihr | |
Dialekt klingt noch heute klar nach Ost-Berlin, weniger nach Ostsee. „Ich | |
bin eben die berlinernde Lektorin“, sagt sie. Nach der Wende studiert sie | |
Germanistik und Geschichte an der FU Berlin, ihre Abschlussarbeit schreibt | |
sie über Joseph Roth. „Das war die Literatur, die ich mochte: tolle | |
Sprache, gute Geschichten, mit mehreren Ebenen, nah am Rätsel der | |
Existenz.“ | |
Gemeinsam mit Wolfgang Hörner gründete sie den Verlag Galiani im Jahr 2009. | |
Er ist ein Imprint des Kölner Verlags Kiepenheuer & Witsch, benannt nach | |
dem italienischen Schriftsteller und Universalgelehrten Ferdinando Galiani. | |
Kormann hat auch bei Galiani viele verschiedene Aufgaben: „40 Prozent | |
Presse, 50 Prozent Lektorat, 10 Prozent Marketing“, fasst sie ihre | |
Tätigkeiten zusammen. Dazu ist sie stellvertretende Programmleiterin. Und, | |
ganz wichtig, fürs Organisieren der Partys und Buchpremieren sei sie auch | |
zuständig. | |
60-Stunden-Woche sind für sie nichts Ungewöhnliches, so richtig trennen | |
kann sie Leben, Lesen und Arbeiten ohnehin nicht. „Es ist ja nicht nur | |
Arbeit, es sind immer auch Leidenschaft und Spaß dabei.“ Ihr gehe es auch | |
weniger darum, mit dieser Art viel Geld zu verdienen – eh nicht realistisch | |
– als vielmehr „eine Lebenshaltung in die Welt hinauszutragen“. In Form v… | |
Geschichten, von Erzählungen, von Romanen. | |
Auf dem Tisch, an dem Kormann sitzt, liegen unter anderem die neuesten | |
Bücher von [9][Karen Duve] und Sven Regener. Sie ist seit vielen Jahren | |
Lektorin der beiden. Und Fan. „Es ist unterhaltsam, sich mit den Figuren | |
aus ihren Erzählungen zu befassen. Das ist es, was ich unter anderem sehr | |
mag an der Literatur: im Kopf der Figuren festzukleben.“ | |
Seit erste Texte Regeners Ende der Neunziger bei Eichborn Berlin eintrafen, | |
betreut Kormann seine Werke. Bei den Romanen schicke der Musiker und Autor | |
die Texte immer kapitelweise. „Das ist für mich wie eine Serie zu gucken. | |
Ich bin gespannt, wie es weitergeht.“ | |
Generell sei es ihre Hauptaufgabe zu Beginn eines Projekts den Stoff | |
sinnvoll einzugrenzen und zu schauen, ob eine Erzählung stimmig, stringent | |
und logisch ist. Am Stil müsse man dagegen bei arrivierten Autoren wie | |
Regener oder Duve kaum arbeiten. | |
Die Literatur und die Literaturszene waren für Esther Kormann schon immer | |
eine alternative Heimat. Sie stammt aus einer Patchwork-Familie, bereits in | |
der Kindheit seien Bücher ein Zufluchtsort gewesen. Heute fühlt sie sich | |
bei Veranstaltungen wie der Leipziger Buchmesse wie unter Gleichgesinnten. | |
„Da trifft man alle wieder. Da sind lauter Verrückte unterwegs, die für die | |
Sache brennen.“ | |
Selbstverständlich ist sie stolz, eine von ihnen zu sein. Jens Uthoff | |
## Eine Kurierin der Literatur – Die Übersetzerin | |
Ob simultan oder in monatelanger Arbeit, [10][Übersetzungen] sind eine | |
„Annäherung des Fremden und Einheimischen, des Bekannten und Unbekannten“ … | |
so schrieb es Johann Wolfgang von Goethe einst. Dass Literatur hierzulande | |
vielfältiger ist als zu seiner Zeit, ist klar. Aber bis ein vielfältigeres | |
Bild deutscher Literatur auch im Ausland entstanden ist, dürfte es noch | |
eine Zeit dauern. | |
Eine, die das forciert, ist die deutsch-britische Übersetzerin Katy | |
Derbyshire. 2020 gründete sie das beim Verlag Voland & Quist angedockte | |
Imprint V&Q Books, das die literarische Kluft zwischen dem europäischen | |
Festland und Großbritannien überbrücken möchte. „Es gibt eigentlich kein | |
wirkliches Bild von ausländischer Literatur in Großbritannien“, sagt | |
Derbyshire. | |
Sie sieht ihre Aufgabe darin, dies zu ändern. Und ist damit seit Längerem | |
sehr erfolgreich. Ihre jüngste Übersetzung ins Englische – Clemens Meyers | |
Debütroman „Als wir träumten“ (S. Fischer, 2006) – hat es auf die | |
diesjährige Longlist des Booker Prize geschafft. | |
Um die acht Monate habe die Übersetzung gedauert, sagt Derbyshire. 1996 kam | |
sie der Liebe zu einem Mann wegen nach Berlin. Die Beziehung hielt nicht, | |
die Liebe zu Berlin schon. So lebt sie auch heute noch hier. Seit 2017 ist | |
Derbyshire deutsche Staatsbürgerin, das Wahlrecht in ihrer Heimat hatte man | |
ihr nach 15 Jahren in Deutschland bereits aberkannt. So durfte sie 2016 | |
beim Brexit-Referendum nicht mit abstimmen. Die Befürchtung, durch den | |
Brexit weniger Übersetzungsanfragen zu bekommen, habe sich zum Glück nicht | |
bewahrheitet. Nur logistisch sei es seitdem komplizierter geworden. | |
In ihrer Anfangszeit in Berlin arbeitete Derbyshire zunächst als Kurierin | |
und kam viel in Berlin herum. Seit jeher aber wohnt sie in Mitte, wo sich | |
auch ihre beiden Lieblingskneipen befinden: das Zosch und der Schokoladen. | |
Ihrer Karriere als selbstständige Übersetzerin ging ein Germanistik-Studium | |
in London voraus, „das hier nichts wert war“. Erst ein zusätzlicher Kurs | |
habe ihr die Möglichkeit geboten, zunächst wissenschaftliche Übersetzungen | |
zu machen. In den Literaturbetrieb hineinzukommen sei dagegen schwer | |
gewesen. Ohne Beziehungen gehe dort nichts. | |
An ihre erste belletristische Übersetzung erinnert sie sich noch genau: ein | |
Kinder- und Jugendbuch, in dem es um sexuellen Kindesmissbrauch ging, | |
„Rotkäppchen muss weinen“ von Beate Teresa Hanika. Seitdem ist viel Zeit | |
vergangen; mittlerweile hat Derbyshire einen festen Stamm an Autor:innen, | |
die sie ins Englische übersetzt – darunter Inka Parei, Selim Özdoğan und | |
eben Clemens Meyer. | |
„Es ist unglaublich toll, etwas zu übersetzen, was ich selbst richtig tief | |
bewundere“, sagt sie. Selbst einen Roman zu schreiben, habe sie nicht vor. | |
Als Übersetzerin sei sie heute genug im Fokus, auch weil soziale Medien wie | |
Twitter und Instagram zur Sichtbarkeit derer beitrügen, die ihre Arbeit | |
still im Hintergrund erledigen. „Das war früher anders, besonders in UK hat | |
man gern so getan, als seien Bücher gar nicht erst übersetzt worden.“ | |
Übersetzungen sind mehr als ein Handwerk, sagt Derbyshire. Übersetzte Werke | |
sollen sich ähnlich lesen wie das Original, aber „wenn man das mechanisch | |
angeht, kommt nichts Besonderes dabei raus“, sagt sie. Vielmehr gehe es | |
darum ein Gefühl zu vermitteln, regionale Sprachwitze und Hintergründe | |
durch Anpassung und manchmal auch durch ein Vorwort verständlich zu machen. | |
Eine mehr oder weniger neue Herausforderung für sie sei das Gendern, sagt | |
Derbyshire. Die englische Sprache mache es leichter, dies zu umgehen, aber | |
auch im Deutschen bemühe sie sich, möglichst inkludierend zu sprechen. „Es | |
macht Sprache größer, wenn wir mehr Menschen ansprechen. Es schenkt der | |
Sprache etwas.“ | |
Auch Übersetzungen sind inkludierend: als Annäherung von Bekanntem und | |
Unbekanntem, als Brücke zwischen Festland und Insel. Sophia Zessnik | |
## Mit 'ner coolen Socke unterwegs – Die Pressesprecherin | |
Herzogpark, beste Münchner Gegend. Villen, Generalkonsulate, | |
Anwaltskanzleien. Thomas Mann hat hier gelebt und seinen Hund Bauschan | |
ausgeführt. Heute mittendrin: der Hanser-Verlag. Christina Knecht blickt | |
von ihrem Büro aus ins Grüne, in die Herzog-Albrecht-Anlage. Und das ist | |
nicht der einzige Grund, warum ihr der Arbeitsplatz gefällt. | |
„Ich habe alles, was ich will: die Bücher, die Autoren und die Welt da | |
draußen“, sagt die Leiterin der Hanser-Pressestelle. „Für mich ist das der | |
schönste Platz im Verlag.“ Nun ist Verkaufen das tägliche Geschäft einer | |
Pressesprecherin, und man muss nicht jeden Superlativ auf die Goldwaage | |
legen. Aber Knechts Begeisterung, dieses Urteil traut man sich dann doch | |
zu, ist echt. | |
20 bis 30 neue Bücher bringt der Hanser-Literaturverlag pro Halbjahr | |
heraus, darunter viele Bestseller, Nobel- und Pulitzerpreisträger. Orhan | |
Pamuk, Patrick Modiano, Herta Müller, Umberto Eco, Philip Roth, Susan | |
Sontag, Colson Whitehead, Barack Obama – sie alle sind oder waren | |
Hanser-Autoren. Mit einigen von ihnen hat Knecht eng zusammengearbeitet. An | |
die rechte Wand ihres Büros hat sie Fotos ihrer „Lieblinge“ gepinnt. Seit | |
24 Jahren ist sie bei Hanser, leitet ein sieben- bis achtköpfiges Team. | |
Knecht kommt aus der schwäbischen Provinz, aus Crailsheim. Bücher waren von | |
klein auf ihre große Leidenschaft, auch wenn sie keinem literaturaffinen | |
Elternhaus entstammt. Als sie eine Cousine der Mutter besuchte, die eine | |
Buchhandlung hatte, kam sie erstmals auf den Gedanken, aus der Leidenschaft | |
einen Beruf zu machen. | |
Es folgten eine Ausbildung zur Verlagsbuchhändlerin bei Reclam, ein Studium | |
der Germanistik und Literaturvermittlung in Bamberg und ein paar Jahre bei | |
Rowohlt in Hamburg. „Da habe ich die Pressearbeit kennengelernt und | |
gemerkt, das ist genau mein Ding.“ | |
Aber dieses „Ding“, was ist das eigentlich? Was macht die Pressesprecherin | |
eines Verlages? Versuchen wir es mit einer Metapher: Wenn die Lektorin | |
einem Buch Geburtshilfe geleistet hat, so begleitet es die Pressesprecherin | |
bei seinen ersten Schritten dort draußen in der weiten Welt. „Der Erfolg | |
eines Buches braucht ein großes Konzert, idealerweise über alle Medien und | |
Kanäle“, sagt Knecht. | |
Natürlich kennt sie sie alle, die für Literatur zuständigen Redakteurinnen | |
und Redakteure in den Kulturressorts, weiß um ihre Vorlieben: Wer ist | |
Romanist? Wer hat eine Faible für amerikanische Literatur, wer steht gar | |
auf Lyrik? Knecht ist in engem Austausch mit den Journalisten in den | |
Feuilletons, den Lokalzeitungen, dem Rundfunk. „Natürlich schauen wir heute | |
auch genau auf alles, was im großen, weiten Web passiert, ob das jetzt die | |
Blogger sind oder redaktionell betreute Seiten.“ | |
Aber enger noch als zu den Medien pflegt die 61-Jährige den Kontakt zu | |
ihren Autoren. In dem Moment, in dem ein Buch tatsächlich auf die Welt | |
komme, spreche man sich ab, was man dem Neugeborenen nun Gutes tun kann. In | |
welchen Medien wünscht man sich Besprechungen? Wer könnte an einem | |
Interview interessiert sein? Sind Buch und Autor talkshowtauglich? Wie | |
sieht es mit Lesereisen aus? Mit Signierstunden? | |
Die meisten Autoren hätten verstanden, dass es „part of the game“ sei, | |
Öffentlichkeitsarbeit auch selbst zu betreiben. So wie [11][Star-Autor T.C. | |
Boyle]. Im Mai erscheint sein neuer Roman auf Deutsch: „Blue Skies“. Im | |
Juni kommt er auf Lesereise. Mit ihm unterwegs: Christina Knecht. Seit 24 | |
Jahren betreut sie den Amerikaner, weiß genau, was sie ihm zumuten kann. | |
Die schönsten und größten Säle hat sie schon gebucht. Minutiös ist im | |
Zeitplan festgehalten, wann das Taxi in Berlin vor dem Hotel steht, wo in | |
München das Mittagessen mit dem Verleger stattfindet oder welche Interviews | |
der Schriftsteller in Wien gibt. Stress für die Pressesprecherin? Ach, was: | |
Vorfreude! „Er ist wirklich eine coole Socke. Ich kenne niemanden, der so | |
entspannt, so authentisch und seinem Publikum zugewandt ist wie T.C. | |
Boyle.“ Dominik Baur | |
## Die graue Eminenz – Die Agentin | |
Wer ist Barbara Wenner? Wer sie kennt, wird vermutlich antworten: Eine | |
sympathische und kluge, analytische und humorvolle Person. Wer sie nicht | |
kennt und [12][ihre Website] aufruft, sieht sich einem minimalistischen | |
Design gegenüber. Understatement regiert die Webpräsenz der Agentur Wenner. | |
Das kann aber nicht verhindern, dass schnell die Neugier erwacht, wenn man | |
sich die Liste der von Barbara Wenner vertretenen Autorinnen und Autoren | |
anschaut. Es sind Romanciers darunter, Journalistinnen, Historiker und | |
Social-Media-Stars. | |
Einige der Bücher, zu deren Veröffentlichung Wenner ihren Teil geleistet | |
hat, haben Debatten angestoßen oder geprägt. [13][Stephan Malinowskis | |
Studie über die Rolle der Hohenzollern bei der Machtübernahme der Nazis] | |
steht auf Wenners Bücherliste, auch Teresa Bückers Plädoyer für eine | |
Umverteilung des gesellschaftlichen Zeitbudgets, das eben für den Deutschen | |
Sachbuchpreis nominiert wurde. | |
Wenner hat so einmal mehr ihr Ziel erreicht: dass über die Bücher der | |
Autoren und Autorinnen gesprochen wird, deren Interessen sie vertritt. | |
Letzteres ist die so knappe wie akkurate Beschreibung dessen, was Wenner | |
eigenem Bekunden nach tut. Angaben zur Person der Literaturagentin finden | |
sich auf ihrer Website ebenso wenig wie ein Foto. | |
Das liegt in der Natur der Sache: Literaturagenten sind graue Eminenzen. | |
Das lesende Publikum hat im Zweifel noch nie von ihnen gehört. Autorinnen | |
und Autoren aber sind zunehmend auf die Arbeit von Agenten angewiesen. Es | |
sei schwerer geworden für junge Schreibende, bei Verlagen durchzudringen, | |
sagt Wenner, als ich sie in ihrem Büro in Berlin-Mitte aufsuche. Wir nehmen | |
an einem Tisch Platz, auf dem einige Bücher liegen. Hinter ihr eine Wand | |
voller Bücher, die mehr an ein heimisches Bücherregal als an die gefälligen | |
Präsentationen in Verlagshäusern und auf Buchmessen erinnert. | |
Hier arbeitet eine Leserin, keine PR-Person. Dass sie nun selbst zum | |
Gegenstand der Berichterstattung werden soll, ist ihr offenkundig suspekt. | |
Wie wird man Literaturagentin? Literaturagent ist weder eine geschützte | |
Berufsbezeichnung noch ein Ausbildungsberuf. Auch studieren kann man das | |
nicht. Wichtig für ihre Arbeit sei das Wissen, wie der Buchmarkt | |
funktioniert, wie Verlage arbeiten, sagt Wenner. | |
Den Betrieb kennt sie, seit sie nach ihrem Studium der | |
Literaturwissenschaft und der Philosophie als Praktikantin bei Rowohlt zu | |
arbeiten begann. Wenig später war sie dort als Lektorin angestellt und am | |
Ende war sie Programmleiterin. Dieser Job hat viel mit Marketing und | |
Organisation zu tun, das Feilen an Ideen und ihre Realisation erledigen | |
andere. Die Arbeit an den Büchern begann ihr zu fehlen. | |
In einem anderen Konzernverlag zu arbeiten schloss sie aus, die familiäre | |
Nähe in einem Kleinverlag erschien ihr zu eng. Also wechselte sie die Seite | |
und begann bei der Literaturagentur Graf & Graf zu arbeiten. Nach vier | |
Jahren gründete sie ihre eigene Agentur und nahm im Lauf der Zeit auch | |
einige Autorinnen und Autoren der taz unter Vertrag. | |
Als Agentin hat sie wieder mit Manuskripten zu tun und mit den Menschen, | |
die sie schreiben. So unterschiedlich die Menschen und ihre Texte sind, so | |
vielfältig gestaltet sich Wenners Arbeit. Mal sei ihr schon nach dem Lesen | |
von drei Kapiteln klar, dass sie die Autorin nur in Ruhe weiterarbeiten | |
lassen müsse, sagt sie. Mal arbeite sie mit einem Autor intensiv am Text. | |
Mal bestehe ihre Aufgabe darin, die individuelle Stimme eines Schreibenden | |
gegen ihre Zurichtung auf vermeintliche Marktzwänge zu schützen. | |
Ihre Arbeitszeiten? Oft lange. Was ist die Voraussetzung, dass sie sich für | |
die Vertretung eines Buchprojekts entscheidet? Es sollte ihr Interesse | |
wecken. Wer als Agentin bei Verlagen und beim Publikum Aufmerksamkeit | |
erregen will, muss neugierig sein. Ulrich Gutmair | |
## Außen Kaufmann, innen kreativ – Der Messedirektor | |
Die vergangenen drei Jahre waren nicht leicht für Oliver Zille. Wie | |
angefasst er davon war, [14][die Leipziger Buchmesse dreimal | |
pandemiebedingt absagen zu müssen], zeigte sich etwa, als er im vergangenen | |
Jahr die Pop-up-Buchmesse besuchte, die als Alternative recht spontan von | |
kleinen und mittleren Verlagen organisiert worden war. | |
Oliver Zille streifte durch die Halle, besah sich die Stände, kaufte | |
Bücher. Melancholie, dass die große Messe wieder nicht zustande gekommen | |
war, umgab den 1960 geborenen Zille. Aber auch die Freude an dem Interesse | |
für Bücher und dem Selbstbehauptungswillen der Branche, die sich hier in | |
Leipzig zeigte. | |
Oliver Zille sagte damals, die Pop-up-Messe sei „eine kreative Antwort auf | |
die schwierige Situation im Moment, aber auch ein klares Statement, wie | |
sehr die Leipziger Buchmesse fehlt und dringend wieder gebraucht wird“. | |
Darin schwingt mit, was man auf die Situation der deutschen Buchbranche | |
insgesamt anwenden könnte. Ein trotziges Beharren auf die Dringlichkeit, | |
mit der sie gebraucht wird. Und ein Bekenntnis dazu, dass man kreative | |
Antworten finden muss. Das ist weit weg von einem managerhaften Rechnen | |
und Effizienzdiskurs. | |
Oliver Zille ist in der DDR aufgewachsen. Er lernte Buchgroß- und | |
Außenhandel und absolvierte ein Studium der Außenwirtschaft in Berlin. | |
„Buch“ und „außen“ – dass diese beiden Wörter in der DDR schillernd | |
miteinander verbunden waren, mag ein Klischee sein; es ist ebenso gut auch | |
eine historische Tatsache und für Oliver Zille lebensentscheidend. | |
Wie weit man bei der gesellschaftlichen Selbstreflexion gehen konnte, wie | |
weit man auch die herrschenden Zustände in der DDR hinterfragen konnte, | |
wurde von Schriftstellerinnen und Schriftstellern immer wieder neu | |
ausgetestet. Die Leipziger Buchmesse mit ihrer großen Tradition bis fast an | |
den Beginn des Buchdrucks zurück war auch ein Schaufenster, in dem | |
DDR-Bürger sich darüber informieren konnten, was im westlichen Ausland | |
gedacht und geschrieben wurde. | |
Die großen Westverlage konnten in Leipzig ausstellen und ließen sich | |
bereitwillig von den Besucher*innen ihre Messe-Exemplare klauen. In der | |
Berliner Zeitung erinnerte sich Zille gerade an diese Zeit zurück: „Das war | |
wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.“ | |
Seit 30 Jahren leitet Oliver Zille die Leipziger Buchmesse. Der Umzug aus | |
der Innenstadt in die Glashalle fiel in diese Zeit. Nachdem eine | |
Fernseh-Literaturshow à la Oscar-Verleihung arg floppte, setzte Zille auf | |
den [15][Preis der Leipziger Buchmesse] als PR-Zugpferd. Die Arbeit der | |
literaturkritischen Jury dazu verfolgt er mit großem Interesse, aber ohne | |
sich inhaltlich einzumischen. | |
Was treibt Oliver Zille an? Wenn er einem im Restaurant gegenübersitzt, | |
kann er einem sehr gut vermitteln, wie wichtig gesellschaftlich offene | |
Debatten sind. Dass Leipzig in der DDR zu einem Zentrum der Opposition und | |
dann auch zu einem Hotspot der friedlichen Revolution wurde, hat für ihn | |
etwas mit der Leipziger Buchmesse zu tun. Und jetzt kämpft er darum, diesen | |
Marktplatz der Ideen und Debatten auch unter marktwirtschaftlichen | |
Umständen zu behaupten. | |
Wie sehr in der Gestalt des Kaufmanns und PR-Profis ein literaturaffines | |
Herz schlägt, zeigte sich auch im vergangenen Jahr, als er die Verleihung | |
des Leipziger Buchpreises in seinem Grußwort mit Lyrik veröffentlichte. | |
Russland hatte gerade die Ukraine überfallen, und Zille zitierte mit | |
bebender Stimme die Luhansker Dichterin Jelena Zaslavskaja: „Lange blieb | |
das Unheil aus. Lange Zeit …“ Existenzielle Betroffenheit war in diesem | |
Moment spürbar. Und zugleich trotz aller aktuellen Hilflosigkeit ein tiefes | |
Vertrauen in die zivilisierende Kraft der Literatur. Dirk Knipphals | |
25 Apr 2023 | |
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