| # taz.de -- Neustart des legendären März-Verlags: Gute Literatur gehört abge… | |
| > Der März Verlag war einst wichtiger Umschlagplatz der Gegenkultur und der | |
| > hedonistischen Linken. Nun feiert er seine Wiederauferstehung. | |
| Bild: Barbara Kalender und Richard Stoiber, Verleger*innen des März Verlags | |
| Zwischen die postgelben Deckel mit roten und schwarzen Lettern, Jörg | |
| Schröders Geniestreich in Sachen CI, passte vieles. Wenn es nur anders war | |
| als der zeitgenössische Mainstream. Sein März Verlag machte ernst mit dem | |
| berühmten Dekret „Cross the Border – Close the Gap“ und bot der von Lesl… | |
| A. Fiedler postulierten antiakademischen, exaltierten, Trivialgenres ernst | |
| nehmenden neuen Literatur ein verlegerisches Zuhause. | |
| „Gute Literatur muss abgeschafft werden, das heißt, was wir immer so unter | |
| guter Literatur verstanden haben“, diktiert Schröder 1969 Rolf Dieter | |
| Brinkmann in die Feder. Seine Vorbilder sind die jungen Amerikaner. Die | |
| beiden Sampler „MÄRZ Texte 1“ und „Acid“, [1][Rolf Dieter Brinkmanns] … | |
| Ralf-Rainer Rygullas Dokumentation der US-Counterculture jener Jahre, gaben | |
| die Richtung vor. | |
| Schröder druckte hier, teilweise zum ersten Mal auf Deutsch, die Autoren | |
| der Beat- und Post-Beat-Ära – Leroi Jones, William S. Burroughs, Charles | |
| Bukowski, Joe Brainard und Frank O’Hara –, aber auch schon ihre deutschen | |
| Adepten Brinkmann und Wolf Wondratschek. | |
| März avancierte bald zum tonangebenden Verlag der hedonistischen Linken, | |
| die er mit neuem Stoff belieferte. Neben der Underground- und Popliteratur | |
| waren das immer wieder Reader, in denen die linke Alternativkultur ihr | |
| ästhetisch-politisches Selbstverständnis reflektierte – „Trivialmythen“, | |
| „DIG. Neue Bewußtseinsmodelle“ –, aber auch populäre Sachbücher wie G�… | |
| Amendts wirkungsmächtiges Aufklärungsbuch „Sexfront“. So lassen sich die | |
| emanzipatorischen Debatten der ausgehenden 60er und 70er Jahre ohne | |
| Weiteres anhand des Verlagsprogrammes nachbuchstabieren. | |
| Irgendwann waren dann genügend Positionen und Attitüden der Gegenkultur in | |
| den Mainstream eingesickert, sodass die März-Publikationen auf einmal | |
| bestsellertauglich wurden. Als Lizenzausgaben bei Zweitausendeins | |
| erreichten sie jetzt Auflagenzahlen, von denen Schröder nur geträumt hatte. | |
| In den Anfangstagen des Verlages musste die Olympia Press, die deutsche | |
| Dependance des legendären Pornoverlegers Maurice Girodias, die Literatur | |
| finanzieren. Andererseits hat auch gerade die Nähe zum Halbseidenen den | |
| März-Nimbus mitgeformt. Zumal die damit verbundenen Zensurprozesse enorme | |
| Wellen schlugen. | |
| ## Pleiten und Herz-OPs | |
| Nach einigen Pleiten und Herzoperationen musste Schröder aufgeben. Er | |
| widmete sich nun seiner Publishing-on-Demand-Reihe „Schröder erzählt“ mit | |
| Barbara Kalender als Co-Autorin. Hier und später im [2][taz blog Schröder & | |
| Kalender] strickten die beiden tüchtig mit am Legendenstatus des Verlags. | |
| Die Backlist blieb jederzeit aktivierbar als Stoff- und Ideen-Reservoir, | |
| wovon diverse Einzelausgaben, „Acid“, Bernward Vespers „Die Reise“ oder | |
| Schröders Skandalchronik „Siegfried“ und die im Ramschverlag Area | |
| aufgelegte „MÄRZ-Kassette“ zeugen. | |
| Mit [3][Jörg Schröders Tod] im letzten Jahr schien die März-Akte endgültig | |
| geschlossen. Aber Barbara Kalender hat heimlich weitergemacht und den | |
| ehemaligen Matthes‑&‑Seitz‑Lektor Richard Stoiber gewonnen. Nun geht es | |
| mit dem März Verlag in eine neue Runde. Geplant ist eine Mischkalkulation | |
| aus drei neuen und drei Backlist-Titeln pro Saison. | |
| Das [4][erste März-Programm] nach dreieinhalb Jahrzehnten, das im Frühjahr | |
| 2022 erscheint, sieht vielversprechend aus. Mit der kruden | |
| Emanzipationsschrift der Warhol-Attentäterin Valerie Solanas, „Manifest der | |
| Gesellschaft zur Vernichtung der Männer“, und den politischen Schriften des | |
| schwarzen Rassismus- und Kolonialismus-Theoretikers Frantz Fanon, „Für eine | |
| afrikanische Revolution“, sind zwei alte Titel mit von der Partie, die | |
| aktuelle Wokeness-Debatten befruchten könnten. | |
| ## Auf dem Index | |
| Und unter den Neuerscheinungen ragt die längst fällige Neuübersetzung von | |
| Kathy Ackers „Blood and Guts in Highschool“ („Bis aufs Blut. Zerfleischt … | |
| der Highschool“) heraus. Diese artifizielle, deviante Romancollage hätte | |
| prima ins klassische Programm gepasst. | |
| Stattdessen erschien die deutsche Fassung „Harte Mädchen weinen nicht. Ein | |
| New Wave-Roman“ in der Reihe „Heyne Scene“ – und landete sofort auf dem | |
| Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Den Gutachtern | |
| gelang es, auf dümmlich-polemische Weise, die ästhetische Dimension des | |
| Romans kleinzureden und damit den Kunstvorbehalt auszuhebeln. Nun macht der | |
| März Verlag dieses Standardwerk aus dem literarischen Gegenkanon endlich | |
| wieder lieferbar. | |
| 18 Dec 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Hommage-an-Rolf-Dieter-Brinkmann/!5012498 | |
| [2] https://blogs.taz.de/schroederkalender/ | |
| [3] /Nachruf-auf-Verleger-Joerg-Schroeder/!5692508 | |
| [4] http://www.maerzverlag.de | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Schäfer | |
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