# taz.de -- Ungarischer Konzeptkünstler Endre Tót: Als Briefeschreiben geholf… | |
> Galerie aKonzept zeigt Endre Tót als Vertreter der Mail Art. Ein Besuch | |
> beim ungarischen Konzeptkünstler, der vor einem Jahr zurück nach Berlin | |
> kam. | |
Bild: Die Ausstellung bei aKonzept versammelt Briefe und Bücher Endre Tóts | |
Endre Tót scheint gut in Berlin angekommen zu sein. Nach über 40 Jahren in | |
Köln musste der ungarische Konzeptkünstler wegen eines Wasserschadens seine | |
Wohnung verlassen – und er entschied sich kurzerhand, zurück in die Stadt | |
zu ziehen, die in seinem Leben und seinem Werk so eine wichtige Rolle | |
gespielt hat. | |
1979 war er im Alter von 42 Jahren als Stipendiat des Berliner | |
Künstlerprogramms des DAAD in die damals geteilte Stadt gekommen – und nach | |
Ende seines Stipendiums einfach nicht mehr in sein Heimatland | |
zurückgekehrt. In dessen Kulturbürokratie war kein Platz für einen | |
Künstler, der sich in Text- und Fotoarbeiten, in Performances und in | |
audiovisuellen Arbeiten auf ironisch-paradoxe Weise den Erwartungen entzog, | |
die man im sozialistischen Ungarn an „Kulturschaffende“ hatte. | |
Seit er vor gut einem Jahr nach Charlottenburg gezogen ist, ging es für den | |
heute 86-Jährigen in Berlin Schlag auf Schlag: Da war zunächst die | |
Ausstellung „If the Berlin Wind Blows My Flag. Kunst und | |
Internationalisierung vor dem Mauerfall“, die das Berliner Künstlerprogramm | |
des DAAD und seine internationalen Gäste während des Kalten Krieges | |
behandelte und die an drei Orten in Berlin gezeigt wurde. Nicht nur der | |
Titel der Ausstellung entstammte einer von Tóts Arbeiten; eine große | |
Wandzeichnung, andere Werke und Dokumente zu seinem Aufenthalt in Berlin | |
waren ein Mittelpunkt der Ausstellung. | |
Eine seiner Fotoarbeiten, die damals an der Mauer entstand, ist derzeit in | |
„Zerreißprobe. Kunst zwischen Politik und Gesellschaft“, der aktuellen | |
Hängung der Sammlung der Neuen Nationalgalerie, zu sehen. Und dann ist da | |
noch die Ausstellung „Ich bin sehr glücklich und du?“ in der | |
Charlottenburger Galerie aKonzept, die einen wichtigen, aber oft etwas | |
übersehenen Teil des Gesamtwerks von Endre Tót in den Mittelpunkt stellt: | |
die Rolle, die die Post in seinem Werk gespielt hat. | |
## Eine etwas verräumte Berliner Wohnung | |
„Wenn es die Post und die [1][Mail Art] nicht gegeben hätte, dann würden | |
wir nicht hier zusammen sitzen“, sagt der Künstler bei einem Gespräch in | |
seiner etwas verräumten Berliner Wohnung, die wie eine Mischung aus | |
Wohnstätte und Atelier wirkt. An den Wänden ist eine veritable | |
Retrospektive seines Lebenswerks zu sehen. | |
„Wir haben damals in einer Diktatur gelebt, und die Kunstszene wurde | |
kontrolliert. Da war die Post eine Möglichkeit, sich dieser Kontrolle zu | |
entziehen“, erinnert er sich. Wie das in der Praxis aussah, kann man in der | |
Ausstellung bei aKonzept besichtigen: Sie zeigt die gesamte Korrespondenz | |
des Künstlers mit dem Verleger Thomas Howeg in Zürich aus einer Zeit, als | |
das Briefeschreiben noch geholfen hat. Dazu gehören neben künstlerisch | |
gestalteten Briefen und Karten auch die Bücher, Editionen und Kataloge, die | |
in Westeuropa veröffentlicht wurden und Tót in der zweiten Hälfte der | |
1970er Jahre in der Avantgardeszene bekannt machte. | |
Tót saß zwar hinter dem Eisernen Vorhang fest und konnte oft nicht mal zu | |
seinen eigenen Ausstellungen im Ausland reisen, baute sich aber durch | |
selbst gestaltete Kunstpostkarten (im wahrsten Sinne des Wortes) und durch | |
Briefwechsel mit Galerien, Museen und gleichgesinnten Künstlern geschickt | |
ein Netzwerk mit Leuten (die er teilweise nie persönlich kennenlernen | |
sollte) und eine Künstlerkarriere auf, an die er anknüpfen konnte, als er | |
1979 nach Berlin kam. | |
Die Arbeiten mussten in der Regel in ein Kuvert passen, und so erreichte | |
das Publikum im Westen eine reduzierte Konzeptkunst, die mit einfachsten | |
Mitteln entstand: Papier, Schreibmaschine, Bleistift, Kreide, | |
Schwarzweißfotografien, Stempel, Aufkleber. Anders als bei anderen | |
Konzeptkünstlern reicht bei Tót manchmal ein Satz, um aus trockenem Text | |
eine emotionale Erfahrung zu machen: „I write to you, because I am here and | |
you are there.“ | |
## Die absurden Glücksmomente | |
Trotz allem postulierte Tót in seinen Arbeiten immer wieder, er sei froh: | |
„I am glad“ – zum Beispiel weil er morgens aufstehen oder abends ins Bett | |
gehen konnte. „Das muss man natürlich sehr oft umgekehrt verstehen“, sagt | |
er im Interview. „Es geht eigentlich um eine Traurigkeit über etwas.“ Die | |
absurden angeblichen Glücksmomente waren auch eine Reaktion auf eine | |
Gesellschaft, in der der Staat sehr genaue Vorstellungen davon hatte, was | |
politisch genehme Freuden waren. „Ich würde mich nicht als Oppositionellen | |
bezeichnen, aber jede meiner Arbeiten, die ich in den 70er und 80er Jahren | |
gemacht habe, hat auch eine politische Bedeutung,“ sagt Tót. | |
Als nach seiner Emigration in den Westen dieser politische Druck fehlte, | |
begann für Tót eine mehrjährige Schaffenskrise, bis er sich Mitte der | |
1980er Jahre mit großformatigen Bildern zurückmeldete. Statt sich ironisch | |
den Erwartungen des sozialistischen Staates zu verweigern, enttäuschte er | |
nun fröhlich die Erwartungen des Kunstbetriebs und produzierte Zeichnungen, | |
die nur aus wenigen Krakeln bestanden, oder Gemälden, die ein leeres | |
Rechteck zeigten – die Betrachterin kann sich anhand des Titels ja selbst | |
vorstellen, was da zu sehen sein müsste. | |
Diese Mischung aus Kooperation und Negation kennzeichnet eine inzwischen | |
über sechs Jahrzehnte andauernde Künstlerkarriere. Zu der gehören große | |
Retrospektiven im [2][Museum Ludwig] oder im Fridericianum genauso wie | |
flüchtige Performances, bei denen Tót Demonstranten mit Plakaten durch | |
Städte wie Tallin, Budapest, Hamburg oder Berlin marschieren ließ, die | |
nichts als Nullen zeigen. | |
29 Feb 2024 | |
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Tilman Baumgärtel | |
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