# taz.de -- Nachruf auf Ruth Wolf-Rehfeldt: Die Grenzen der Unendlichkeit | |
> Sie zeichnete mit der Schreibmaschine und schickte von Ostberlin Mail Art | |
> in die Welt. Mit 92 Jahren ist die Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt | |
> gestorben. | |
Bild: Ruth Wolf-Rehfeldt im DAS MINSK Kunsthaus in Potsdam 2023. Courtesy die K… | |
Um Zeichenfindung war es ihr immer gegangen, darum, in ihrer Kunst | |
Gedanken, Empfindungen und Absichten auszudrücken und diese auch zu | |
vermitteln. Jahrelang habe sie – so beschrieb es Ruth Wolf-Rehfeldt in den | |
frühen 1970er Jahren in ihrem Manuskript „Signs Fiction“ – an bildnerisc… | |
und sprachlichen Problemlösungsversuchen gearbeitet. Früchte hätten diese | |
zwar durchaus getragen, voll befriedigt habe sie jedoch nichts davon. Sie | |
musste erst beides miteinander verbinden, das Visuelle und den Text. Die | |
Künstlerin fand ihr Medium, als sie begann, grafische Bilder mit der | |
Schreibmaschine zusammenzutippen und als Mail-Art von Ostberlin aus in die | |
Welt zu verschicken. | |
Ruth Wolf-Rehfeldt wurde am 8. Februar 1932 im sächsischen Wurzen geboren | |
und zog 1950 nach Ostberlin. Dort lernte sie ihren Mann Robert Rehfeldt | |
kennen und nahm eine Arbeitsstelle im Büro der Ausstellungsabteilung der | |
Akademie der Künste an. In ihrer Freizeit war sie auch selbst künstlerisch | |
tätig, als Autodidaktin zeichnete sie, malte, fertigte Collagen an. In den | |
1960ern begann sie Gedichte zu verfassen, oft nur aus wenigen Zeilen | |
bestehende, zarte, der konkreten Poesie nahestehende Kunstwerke, | |
festgehalten mit ihrer Schreibmaschine. | |
Überhaupt sollte ihre „Erika“, ein Koffergerät aus dem VEB | |
Schreibmaschinenwerk Dresden, bald zu Wolf-Rehlfeldts wichtigstem | |
Produktionsmittel werden. Kleine minimalistische Grafiken in DIN A4, die | |
sie mit ihrer Schreibmaschine ab den 1970er Jahren erstellte, wurden ihr | |
Markenzeichen. Visuelle Kompositionen, die sich zu breitbeinigen Figuren | |
formieren, zu Schmetterlingen oder anderen Insekten, zu Wellenlinien, | |
abstrakten Formen, architektonischen Räumen, Zeichen und Mustern, | |
zusammengesetzt nur aus Buchstaben und Sonderzeichen. „Typewritings“ nannte | |
die Künstlerin diese Arbeiten. | |
Optischen Spielereien gleichen manche davon, in vielen anderen setzte sie | |
sich mit den Themen auseinander, die sie beschäftigten, mit | |
Umweltzerstörung und der Verantwortung des Menschen, mit Freiheit, mit | |
Krieg und Frieden, mit existentiellen und politischen Fragen, aber auch mit | |
Zwischenmenschlichem. | |
Verbreitung auf dem Postweg | |
Ab 1975 war Wolf-Rehfeldt Mitglied des Verbands bildender Künstler der DDR. | |
Dieser erlaubte ihr lediglich, 50 signierte Exemplare einer Grafik zu | |
drucken. Für maximale Wirksamkeit verschickte Wolf-Rehfeldt Kopien davon | |
[1][als „Mail Art“ ins Ausland]. Gemeinsam mit ihrem Mann Robert Rehlfeldt | |
war sie vor allem in den 1980ern mit Künstler*innen aus aller Welt durch | |
ein lebendiges Netzwerk verbunden. Wolf-Rehlfeldt war eine der wenigen | |
Künstlerinnen in der [2][Mail-Art-Bewegung], die mit ihrer Verbreitung | |
durch den Postdienst schwer kontrollierbar war und daher unter anderem eine | |
wichtige Rolle in subversiven Bewegungen der DDR hatte. | |
Mit der Wende und allem, was diese nach sich zog, stellte Wolf-Rehfeldt | |
ihre künstlerische Arbeit ein. Vollständig. Keinen Sinn mehr sah sie in | |
ihrem Engagement, in der Mail Art an sich. Erst recht, als später die | |
E-Mail aufkam. Sie hätte eben keinen Drang gehabt, noch irgendetwas zu | |
machen, was die Welt nicht brauche. So erklärte sie es 2018 in einem | |
Gespräch mit der Kunsthistorikerin Kathleen Reinhardt. | |
Ruhig war es lange um sie. Ruth Wolf-Rehfeldt lebte zurückgezogen in | |
Berlin-Pankow, bis der Kunstbetrieb sie im hohen Alter wiederentdeckte. | |
2012 richtete das Bremer Weserburg Museum anlässlich ihres 80. Geburtstages | |
eine Retrospektive aus. 2015 lernte die Berliner Galeristin Jennifer Chert | |
durch eine Recherche Wolf-Rehfeldts Werk kennen, zeigte dieses erstmals | |
2016 bei der Kunstmesse Art Basel. | |
2017 folgte ihre Teilnahme an der documenta 14 in Kassel, mit der ihr mit | |
85 noch einmal ein großer Sprung zum Ruhm gelang. 2021 wurde ihr der | |
Gerhard-Altenbourg-Preis verliehen, 2022 erhielt sie den Hannah-Höch-Preis | |
des Landes Berlin für ihr Lebenswerk. 2023 zeigte das [3][Potsdamer Museum | |
Das Minsk eine große Retrospektive] mit einem Titel, der untertriebener | |
kaum formuliert hätte sein können: „Nichts Neues“. | |
Wie ihre Galerie ChertLüdde am Dienstag mitteilte, ist Ruth Wolf-Rehfeldt | |
am 26. Februar im Alter von 92 Jahren gestorben. Was bleibt, sind ihre | |
Werke. Die berühren nach wie vor, wirken noch immer radikal zeitgemäß: ihre | |
mit einfachen Mitteln geschaffenen Sprach-Bilder, ihr hintergründiger Witz, | |
ihr eigenwilliger, dabei überaus virtuoser Stil, ihre engagierten und doch | |
oft hoffnungsfrohen Botschaften. | |
„Für eine kurze Zeiteinheit / Trat Helle in die Dunkelheit / Ich sah die | |
Grenzen der Unendlichkeit / Sah meine Grenzen / Fern und weit / Und fühlte | |
taumelnd / Diese Ewigkeit / Wird meine Zeit sein / Und ich kann Unendliches | |
vollbringen“, schrieb sie in einem ihrer frühen Gedichte. Nachzulesen im | |
kleinen, leider vergriffenen Band „Mühsam wachsende Strukturen“, den der | |
Verlag Lutz Wohlrab 2015 veröffentlichte. | |
29 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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