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# taz.de -- Kunst auf Postkarten: Subversives im unscheinbaren Format
> Eine Schau im Dresdener Kupferstichkabinett zeigt Postkartenkunst nach
> 1960. Sie ist Protest gegen Hochkultur und Dialog über Systemgrenzen
> hinweg.
Bild: Schön subversiv: Eine Ansichtskarte von Dieter Roth (1971/72)
Als der Konzeptkünstler Walter de Maria 1977 zur documenta 6 einen 1.000
Meter langen Messingstab im Stadtzentrum von Kassel senkrecht in den Boden
einließ, gefiel das nicht jedem. Zu aufwendig, teuer und theoretisch mutete
so manchem die Idee an, ein unsichtbares Werk unter der Erde zu schaffen,
das sein Publikum als reines Gedankenspiel ansprechen sollte.
Auch der Künstler [1][Klaus Staeck störte sich] am verkopften Projekt und
schuf vor Ort spontan ein zugänglicheres Gegenstück, den
„Postkartenkilometer“: „Ich habe ein paar Meter in die entgegengesetzte
Richtung gestapelt, denn mir ist es bis heute wichtig, dass die Botschaften
meiner Karten wahrgenommen werden und in großer Auflage Verbreitung
finden.“
Kunst durch günstige und für alle verfügbare Postkarten zu demokratisieren,
war Staecks Anliegen. Als Verleger brachte er daher Sprüche, Zeichnungen
oder [2][Fotografien von Beuys] oder Christo aufs Papier und damit unter
die Leute. Mit seinen Karten war er nicht alleine. Das Dresdener
Kupferstichkabinett präsentiert ihn aktuell als einen von gut 200
Künstler:innen, die sich des unscheinbaren Kleinformats in den letzten 60
Jahren angenommen haben – mit denkbar unterschiedlichen Resultaten.
## Protest gegen Hochkultur
Noch vor Staeck wurde im Fluxus und der Mail Art – zwei der ersten
Strömungen, die sich zeitgleich in den USA und Europa etablierten – die
Kommunikation zu einem Hauptanliegen von Künstler:innen. Postkarten boten
Raum für den gegenseitigen Austausch mit Konzepten und Projekten – und
wurden dabei selbst zum Werk erhoben. Dass aus Protest gegen bürgerliche
Hochkultur auf edle Materialien und den Fetisch des Unikats verzichtet
wurde, machte die Postkarte zum Medium der Stunde. Jeder konnte, durfte und
sollte mitmischen.
Doch während die Karten in den USA und Westeuropa als niedrigschwellige
DiY-Kunst existierten, wurde Mail Art unter autoritären Regimen wie in der
DDR und der Sowjetunion stärker politisiert. Ansichtskarten hatten
subversives Potenzial und boten trotz Zensur Anschluss an internationale
Szenen – über Länder- und Systemgrenzen hinweg.
Ausstellungen wie in der Galerie Arkade, in der 1978 über 450 Postsendungen
aus aller Welt in Ostberlin präsentiert wurden, waren daher selten und
liefen nur unter Kontrolle der Stasi. Dass vonseiten der Politik zwar
kritisch, aber dennoch interessiert geschaut wurde, zeigt der damalige
Aufkauf aller Karten durch die Staatlichen Kunstsammlungen – eine Grundlage
für die aktuelle Dresdener Schau.
## Flüchtige Peformances
Auffällig ist, dass sich die Karte nicht einer einzelnen Geisteshaltung
oder Strömung zuordnen lässt. Selbst die trockene Konzeptkunst, gegen die
sich einst Klaus Staeck mit einem Kartenturm auflehnte, griff bereitwillig
auf das Medium zurück. Karten von [3][Richard Long] oder Jan Dibbets
verdeutlichen, wie sich auch flüchtige Performances festhalten, vermitteln
und bewerben ließen.
Mit Einführung des Internets fielen diese Aufgaben erst der E-Mail und
später Social Media zu. Die Postkarte war nicht mehr zeitgemäß. Dass dieses
Urteil angesichts der inklusiven, günstigen und dialogischen Handhabung
gerade für Künstler:innen zu überdenken ist, zeigt die Dresdener
Ausstellung eindrücklich.
30 Jan 2024
## LINKS
[1] /Staeck-Plakat-Ausstellung-in-Essen/!5484817
[2] /Ausstellung-ueber-Schamanismus/!5806479
[3] /Buch-ueber-Kunst-und-Oekologie/!5981416
## AUTOREN
Robert Schlücker
## TAGS
Bildende Kunst
Ausstellung
Dresden
Körper in der Kunst
Haus der Kulturen der Welt
Nachruf
Theaterstück
Kunst
Punk
Ausstellung
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