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# taz.de -- Neodadaismus aus der DDR: Sie entleerten die Bilder
> Eine Berliner Retrospektive erinnert an die neodadaistischen Performances
> der Dresdner Auto-Perforations-Artisten in den 1980er Jahren.
Bild: Die Auto-Perforations-Artisten, „Spitze des Fleischbergs“, 1986
Auch für diese Avantgarde-Künstler aus der DDR war die Stasi der Eckermann:
Minutiös beschrieb IM „Nora Steege“, die „auftragsgemäss“ die Dresdner
Galerie Nord besucht hatte, eine Installation der Künstlergruppe
Auto-Perforations-Artisten. Selbst offensichtlich Kunststudentin, kann sie
an der Arbeit wenig Positives finden: Die Installation sei „lächerlich und
kurios“. Schlimmer noch: „Durch verschiedene Materialien und Gegenstände
werden optische und akustische Reize beim Betrachter erzielt.“ Und auch das
musste festgestellt werden: „Alle dargestellten ‚Kunstwerke‘ sind
mehrdeutig.“
Zu den Auto-Perforations-Artisten, deren Aktivitäten die Informelle
Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit da so kritisch
rezensierte, gehörten Micha Brendel, [1][Else Gabriel], Rainer Görß und Via
Lewandowsky, die sich an der Dresdner Kunstakademie in der Bühnenbildklasse
von Günther Hornig kennengelernt hatten. Sie machten in der DDR zwischen
1982 und 1991 durch eine Reihe von spektakulären Performances im
künstlerischen Untergrund auf sich aufmerksam.
Eine Ausstellung im Berliner Kunstverein Ost gibt nun einen kursorischen
Überblick über einige der wichtigsten Arbeiten der Gruppe: Eine
Installation aus Röntgenlampen macht die ideologische Dauerbestrahlung in
der DDR lächerlich. Neben SW-Fotos von Performances, die überlebensgroß an
die Wand plakatiert sind, sind Videos und Super-8-Filme zu sehen, bei denen
es zur Sache geht: Mit Farbe besudelt oder in Bondage-Kostümen wird sich
gewälzt und gespreizt, mit Ketten an Haken aufgehängt oder auf Liegen
gefesselt; Schläuche, Stricke und Kabel umschlingen Leiber oder werden in
Körperöffnungen eingeführt.
Dann kämpfen zwei auf dem Boden wie junge Hunde. Selbst
Holz-Weihnachtsbäumchen aus dem Erzgebirge sehen in den Händen der Künstler
plötzlich wie gefährliche Kleinwaffen aus. Und manchmal will man gar nicht
so genau wissen, was die symbolische Bedeutung der Gesten und Handlungen
ist, etwa wenn ein Künstler einem anderen durch ein Rohr in den
kahlgeschorenen Kopf pustet oder Else Gabriel den Mund mit Eiswürfeln
gestopft bekommt.
## Extrem ohne politische Eindeutigkeit
Mit solchen neodadaistischen Exzessen gelang es den
Auto-Perforations-Artisten, starke Bilder und extreme Eindrücke zu
schaffen, [2][ohne sich politisch so eindeutig zu positionieren], dass man
den staatlichen Einrichtungen Vorwände zum Eingreifen geliefert hätte. Auch
wenn ein Mitarbeiter der Stasi in einer Aktiennotiz empfahl, „Maßnahmen zu
ergreifen, damit die genannten Personen einer gesellschaftlich nützlichen
künstlerischen Tätigkeit (…) zugeführt werden“ – die Künstler scheine…
direkter Repression verschont geblieben zu sein. Stattdessen gab es kleine
Schikanen, zum Beispiel ein anonymer, handschriftlicher Zettel, den
Künstlerin Else Gabriel in ihrem Briefkasten fand: „Wir wissen alles! Wir
haben auch sogar Fotos.“ Drei der Künstler siedelten noch vor 1989 nach
Westdeutschland um.
Die Kunst der Auto-Perforations-Artisten passt zu der speziellen Version
der Postmoderne in der DDR und anderen realsozialistischen Staaten, in
denen die Entleerung von Begriffen und Bildern zum ästhetischen Programm
wurde. So eindeutig wie andere Persiflagen des im fortgeschrittenen Verfall
befindlichen Realsozialismus waren die Arbeiten der
Auto-Perforations-Artisten nicht: Statt um den sozialistischen Staat und
seine zunehmend absurd werdende Ikonografie wie bei Komar & Melamid in der
UdSSR oder IRWIN in Jugoslawien geht es bei den Deutschen zunächst mal
gegen sich selbst; im Mittelpunkt der Arbeit standen Sinnverlust, Ennui und
Verzweiflung über die Verhältnisse, der sich in regressiven Ekel-Exzessen
entlud.
Zu dieser Zeit lagen die wirklich schmerzhaften Aktivitäten der [3][Wiener
Aktionisten], an die man hier immer wieder erinnert wird, schon einige Zeit
zurück, und das ästhetische Spiel mit Dreck, Schmerz und Gewalt war im
Westen in der Popkultur angekommen – man denke an den britischen
Industrial-Musiker Fad Gadget, der sich 1984 für einen Auftritt in der
biederen Musik-Fernsehshow „Formel Eins“ im WDR teeren und federn ließ,
eine Aktion, die den Schock-Zeremonien der Auto-Perforations-Artisten
verblüffend ähnelt.
Wenn man in den Videos der Gruppe sieht, wie mit Feuer gespielt, sich in
SM-Outfits geräkelt und mit Farbe und Make-up eingesaut wird, sieht das
heute leider oft aus [4][wie ein Rammstein-Konzert] – was nicht nur zeigt,
dass auch die extremsten Tabubrüche irgendwann zur Unterhaltungsware
werden. Schlimmer noch – die Ikonografie von Selbstzerstörung und
Masochismus, mit der die Künstler auf die Bevormundung in der DDR
reagierten, lässt sich heute für die selbstgefällige Präsentation von
Repression, toxischer Männlichkeit und breitbeinigem Arschlochtum
einsetzen. Schon komisch.
18 Jun 2024
## LINKS
[1] /Emanzipation-vor-100-Jahren/!5605564
[2] /Ausstellungen-ueber-dissidente-DDR-Kunst/!5319560
[3] /Albertina-modern-bleibt-noch-zu/!5668522
[4] /Rammstein-Konzerte-in-Berlin/!5944959
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
## TAGS
Körper in der Kunst
Performance
DDR
Avantgarde
Kunst
Malerei
Ausstellung
30 Jahre friedliche Revolution
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