| # taz.de -- Die Berliner Galerie Stella A.: Leise rein, leise raus | |
| > Nach 25 Jahren und 112 Ausstellungen schließt die Galerie Stella A. von | |
| > Dorle Döpping und Michael Behn im Scheunenviertel. Zeit für eine Bilanz. | |
| Bild: Michael Behn und Dorle Döpping in ihrer Galerie Stella A. in Berlin Mitte | |
| „Wir sind hier leise eingezogen. Und wir gehen hier auch leise wieder | |
| raus“, sagt [1][Michael Behn] zum Abschied, als er mich aus der Galerie | |
| Stella A. hinausbegleitet, die er zusammen mit seiner Partnerin Dorle | |
| Döpping 25 Jahren geführt hat. Wenn am 20. Juli nach einem | |
| Vierteljahrhundert und 112 Ausstellungen die Galerie schließt, gibt es | |
| keine große Party, noch nicht einmal Weißwein und Häppchen. | |
| Zehn Tage bleiben danach, um das Ladenlokal zu räumen; dann zieht hier am | |
| 1. August in der Straße im Scheunenviertel, dessen Mitte noch keine | |
| gentrifizierte Touristenmeile voller Flagship-Stores, Boutiquen und Cafés | |
| ist, ein Antiquariat ein. „Wir werden langsam zu alt für diesen Job. Wir | |
| werden immer langsamer, der Kunstbetrieb immer schneller – das kann auf die | |
| Dauer nicht gut gehen“, heißt es in der Pressemitteilung, die die letzte | |
| Ausstellung bei Stella A. ankündigt. | |
| Michael Behn, inzwischen 79, machte Bekanntschaft mit einer Kunst, die | |
| „über den Bildrand hinausgeht“ wie er es nennt, als er 1964 von Hamburg | |
| nach West-Berlin zog, um dem Wehrdienst zu entgehen. Als gelernter | |
| Lithograf war er eine gesuchte Fachkraft, die zu dieser Zeit mit einem | |
| Bonus und drei Freiflügen in die alte, westdeutsche Heimat pro Jahr in die | |
| aussterbende Stadt gelockt wurden. | |
| Zu jener Zeit gab es nur wenige Galerien in der Stadt, die mit | |
| zeitgenössischer Kunst handelten. Bei einer kaufte er einen frühen Druck | |
| von Andy Warhol, bei René Block ein Staubbild und einen Filzanzug von | |
| [2][Joseph Beuys]. Sowohl der Galerist als auch der Künstler sollten den | |
| Lebensweg von Behn begleiten: Beuys als künstlerische Inspiration, Block – | |
| mit dem er zeitweise auch in einer WG lebt – als Entrée in die Welt von | |
| Fluxus und anderen künstlerischen Avantgarden, denen er sein Leben lang | |
| verbunden blieb. | |
| Vom Weihnachtsbaumverkäufer zum Galeristen | |
| Dass er irgendwann eine eigene Galerie in Berlin eröffnen würde, war dabei | |
| allerdings nicht vorherzusehen. Behn ging erst nach Mexiko, dann nach New | |
| York, wo er sein Geld als Weihnachtsbaumverkäufer und als Grafiker für das | |
| Jazz-Label ESP verdiente. Zurück in Deutschland machte er eine Ausbildung | |
| zum Erzieher, arbeitete für das Drogenaustiegsprojekt Release und entdeckte | |
| den Zen-Buddhismus für sich. | |
| Einige Werke in seiner Kunstsammlung hatten inzwischen ordentlich an Wert | |
| zugelegt: 1989, drei Jahre nach Beuys Tod, wurden Behns Filzanzug bei | |
| Christie’s versteigert. Mit den Geld, das er für die Arbeit bekam, begann | |
| er Editionen und Multiples von [3][Marcel Duchamp] zu kaufen, die zu dieser | |
| Zeit noch relativ preisgünstig zu haben waren. | |
| Diese Werke lieferten nicht nur das geistige Rüstzeug, sondern auch den | |
| direkten Anlass für die Eröffnung von Stella A.: 1989 veröffentlichte Behn | |
| eine Mappe mit Duchamps frühen kubistischen Zeichnungen, die er selbst | |
| handkoloriert hatte, und so entstand der Wunsch nach einer Galerie, in der | |
| er Arbeiten aus seiner neu gegründeten Edition „Stella Armut“ verkaufen | |
| konnte. | |
| 1999 eröffnete er zusammen mit seiner Lebensgefährtin, der | |
| Psychoanalytikerin Dorle Döpping, in der Gipsstraße nahe der Ecke zur | |
| Auguststrasse seine Galerie. Neben dieser Arbeit absolvierte er ein Studium | |
| der Philosophie und Kunstgeschichte, das er mit einer Arbeit zur | |
| Kunstrezeption abschloss. | |
| Neben Originalen, Multiples und Editionen von Fluxus-Leuten wie Beuys, | |
| George Brecht, Alison Knowles oder Robert Filliou zeigte er auch jüngere | |
| Künstler, die in einem ähnlichen Geist arbeiten: Edel Exel, [4][Thomas | |
| Kapielski] oder Katharina Kohl. Und als 2013 in Berlin zum 100. Geburtstag | |
| des gebürtigen Berliners WOLS keine der städtischen Kunstinstitutionen eine | |
| Ausstellung zum Ahnherrn des Informel im Programm hatte, zeigte er eben | |
| eine bei Stella A. | |
| Kleine Zeichnungen und Objekte | |
| Es waren selten große, laute Arbeiten, die an den Wänden in der Galerie | |
| hingen, sondern kleine Zeichnungen, Drucke, Collagen oder Objekte. In einer | |
| Glasvitrine sind bei der letzten Ausstellung lauter winzige, allerliebste | |
| Arbeiten zu sehen, die so etwas wie die ästhetische Grundausstattung der | |
| Galerie demonstrieren: ein zigarrettenschachtel-großes Holzkistchen mit | |
| einem Spiel von Takako Saito neben der Postkartenserie „120 Piccadillys“ | |
| von Dieter Roth, flache Plastikboxen für lange vom Markt verschwundenen | |
| Mini-CDs, die zu einigen Ausstellungen mit Miniaturobjekten gefüllt als | |
| Editionen angeboten wurden, neben der Holzpostkarte von Beuys. Nicht fehlen | |
| darf eine schwungvoll im Stil der 1950er Jahre gestaltete Pappschachtel der | |
| Glühbirnenmarke Stella, die zwar kein Kunstwerk ist, aber trotzdem eine | |
| absolute Augenweide. | |
| Es ist diese Art von kleiner, mobiler, billiger und zutiefst demokratischer | |
| Kunst, die in lautstarken Überblicksausstellungen wie derzeit | |
| „Zerreißprobe“ in der Neuen Nationalgalerie fehlt, obwohl sie den Begriff | |
| von Kunst im 20. Jahrhundert am stärksten erweitert und vorangebracht hat. | |
| Behn hat dafür sogar Verständnis: „Viele von diesen Arbeiten machen optisch | |
| nicht viel her.“ Gleichzeitig ist jede von ihnen ein Knotenpunkt in einem | |
| Netzwerk von weltumspannenden Ideen und temporären Gemeinschaften, von | |
| lokalen Szenen und globalen Praktiken, von einer Kunst, die Kommunikation | |
| und Interaktion ist statt Objekt und Stillstand und die ihre Betrachter | |
| aktiviert, statt ihn zu fixieren. | |
| 16 Jul 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Michael-Behn-ueber-den-Wert-der-Kunst/!5457500 | |
| [2] /100-Geburtstag-von-Joseph-Beuys/!5765964 | |
| [3] /Siebzehn-Mal-Marcel-Duchamp/!6008672 | |
| [4] /Berliner-Kunstgeschichte/!5704285 | |
| ## AUTOREN | |
| Tilman Baumgärtel | |
| ## TAGS | |
| Kunst | |
| Kunst Berlin | |
| Galerie | |
| Körper in der Kunst | |
| Kunst | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neodadaismus aus der DDR: Sie entleerten die Bilder | |
| Eine Berliner Retrospektive erinnert an die neodadaistischen Performances | |
| der Dresdner Auto-Perforations-Artisten in den 1980er Jahren. | |
| Siebzehn Mal Marcel Duchamp: Ein Scherz mit Duchamp | |
| Rudolf Herz ließ für seine Ausstellung „Marcel Duchamp. La Patte“ Pariser | |
| Straßenkünstler malen. Zu sehen ist sie im museum FLUXUS+ Potsdam. | |
| Michael Behn über den Wert der Kunst: „Kunst erneuert den Blick auf das Lebe… | |
| Der immaterielle Mehrwert von Kunst sie schwer zu messen, erzeuge aber im | |
| besten Fall mehr Lebenskunst, sagt der dem Fluxus verpflichtete Künstler | |
| und Galerist |