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# taz.de -- Siebzehn Mal Marcel Duchamp: Ein Scherz mit Duchamp
> Rudolf Herz ließ für seine Ausstellung „Marcel Duchamp. La Patte“ Paris…
> Straßenkünstler malen. Zu sehen ist sie im museum FLUXUS+ Potsdam.
Bild: Die Zeichnungen der Pariser Straßenmaler: Rudolf Herz, „Marcel Duchamp…
Siebzehn verschiedene Porträts des gleichen Mannes im dunklen Anzug mit
weißem Hemd und dem schwarzen Klecks einer kleinen Fliege ziehen sich im
Fluxusmuseum in Potsdam an den Wänden entlang. Siebzehn verschiedene
Zeichner haben den gleichen Typen als immer andere Figur porträtiert. Mal
glaubt man, einen mexikanischen Drogenboss zu sehen, mal ist es ein
aufgeweckter Abiturient, mal ein bekannter Hollywoodstar der 1930er und
40er Jahre.
Der Mann ist wirklich ein Star – doch kein bekanntes Gesicht. Als der
Münchner Künstler Rudolf Herz den Straßenmalern von Montmartre ein
Porträtfoto des Mannes gab, nach dem sie ihn für Herz zeichnen sollten,
erkannte ihn keiner. Auch als sie von Herz erfuhren, dass es sich um ein
Foto von [1][Marcel Duchamp] handelte, sagte das nur einigen was. Die
anderen wollten also wissen, wer war dieser Duchamp? Und was hatte es mit
der Fotovorlage auf sich?
Im Sommer 1912 war Duchamp verliebt in die Frau seines Kollegen Picabia, er
war mit seinem „Akt, eine Treppe herabsteigend“, ein im Salon des
Indépendants abgelehnter, aber doch [2][Pariser Kubist]. Jedenfalls für den
Dichter und Autor Guillaume Apollinaire, der den 25-Jährigen zu dieser Zeit
um ein Porträtfoto für sein Buch „Méditations Estétiques“ über die Kü…
des Kubismus bat.
Duchamp ging dafür ins Atelier von Heinrich Hoffmann, der später als
Hitlers Hoffotograf berühmt werden sollte. Der Künstler gab in dieser Zeit
ein dreimonatiges geheimnisvolles Gastspiel in München, dessen Spuren er
anschließend verwischte, obwohl er festhielt: „Mein Aufenthalt in München
war der Ort meiner völligen Befreiung“.
Kühle, indifferente Miene
Duchamps Porträt ist auffallend ausdruckslos. Seine kühle, indifferente
Miene war es auch, die Herz – dessen künstlerische Arbeit immer auch
bildgeschichtliche Forschung ist – nicht mehr losließ, nachdem er bei
seinen Recherchen zu Heinrich Hoffmann zufällig auf dieses Porträt gestoßen
war.
Zunächst machte er sich in München auf die Suche nach Duchamp und fand ihn
als Untermieter in einem kleinen Zimmer in der Barer Straße bei einem
jungen Ehepaar. Sie war Schneiderin, er ein Ingenieur, der Abteilung für
technische Zeichnungen im Oldenbourg Verlag geleitet hatte, bevor er zur
Lokomotivenfabrik Maffei wechselte.
Die Maschinen und technoiden Fantasien, die plötzlich in den Münchner
Vorarbeiten zu Duchamps Hauptwerk, dem „Großen Glas“, auftauchen, gehen
nach Herz auf diese Begegnung zurück. Das kleine Zimmer in der Barer
Straße, so Herz, „ist die Wiege der konzeptuellen Kunst“. Die
Monumentalskulptur der nachgebauten sowie um 90 Grad gekippten Wohnung und
ein illustrierter Forschungsband waren unter dem Titel „Le Mystère de
Munich“ Herz' Beitrag zum hundertjährigen Jubiläum von Duchamps
München-Aufenthalt.
Die künstlerische Handschrift
Weil nun das wiederholte Sichten, Sortieren und Neuarrangieren seines
Materials Teil der künstlerischen Praxis des Münchner Medienkünstlers und
Kunstwissenschaftlers ist, kreist seine Potsdamer Ausstellung erneut um
Duchamp, jetzt um dessen Auseinandersetzung mit der künstlerischen
Handschrift wie der Ausstellungstitel „Marcel Duchamp. La Patte“ schon
ankündigt.
„Auf Französisch gibt es einen alten Ausdruck: ‚la Patte‘, was den
Pinselstrich eines Künstlers … seine ‚Tatze‘ bezeichnet. Ich wollte
loskommen von ‚la Patte‘ und von dieser ganzen retinalen Malerei … ab 1912
beschloss ich aufzuhören, ein Maler im professionellen Sinne zu sein“,
berichtete Duchamp seinem Biografen Calvin Tompkins. Diese Absage
praktiziert Duchamp erstmals in seinem Porträtfoto, so die These von Rudolf
Herz, der das Foto als ein Selbstporträt Duchamps betrachtet. Hoffmann war
nur der Ausführende, seine Handschrift ist nicht sichtbar.
So steril schaute keiner seiner sonstigen Kunden aus, so bar jeder
seelischen Regung. Das offenkundige, mal mehr, mal weniger gelungene
Bestreben der Pariser Straßenkünstler ist es nun, diesem toten Duchamp
wieder Leben einzuhauchen. Dazu setzt natürlich jeder seine „Tatze“ ein,
seinen eigenen charakteristischen Strich. Er ist es auch, nach dem die
Touristen den Künstler auswählen, von dem sie sich porträtieren lassen
wollen.
„La Patte“ ist ihr unveränderliches Markenzeichen. Die ironische Volte
gegen Duchamp, die Rudolf Herz mit seinem Auftrag an die Straßenkünstler
vollzieht, wird von diesen – wenn auch ungewollt – wiederum ironisch
gekontert. Denn auch sie interessiert die Handschrift letztlich nicht
wirklich, weil sie als ihr Markenzeichen feststeht und sie ihr nichts mehr
weiter abgewinnen können.
16 May 2024
## LINKS
[1] /Duchamp-Ausstellung-in-Frankfurt/!5850928
[2] /Biografie-einer-Pariser-Bohemienne/!5929900
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Kunst
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