| # taz.de -- Duchamp-Ausstellung in Frankfurt: Kunst als Rätsel | |
| > Netzwerken und andere für sich arbeiten lassen: Marcel Duchamp hatte eine | |
| > gute Erfolgsformel. Das zeigt auch die große Retrospektive im MMK. | |
| Bild: Anti-Kunst mit rätselhafter Signatur:„Fountain“ von 1917 (bzw. 1964)… | |
| Was die bei Auktionen erzielten Fantasiepreise für „Spitzenwerke“ der Kunst | |
| betrifft, sieht Marcel Duchamp im Vergleich zu Picasso oder Warhol eher | |
| blass aus. Für den Kunstmarkt hat er weniger Spitzenmäßiges zu bieten. | |
| Seine paar Hauptwerke – der „Akt eine Treppe hinabsteigend“ (1912), das | |
| nach langer Arbeit unvollendet gebliebene und dabei schwer beschädigte | |
| „Große Glas“ (1915–1923), das fest vor Ort installierte, letzte Magnum O… | |
| „Étant donnés“ (1946–1966) – sind alle seit Langem unter der Obhut des | |
| Philadelphia Museum of Art. | |
| Dort sind auch die paar noch aus ihrer Entstehungszeit in den 1910er Jahren | |
| erhaltenen Readymades, die als Duchamps folgenreichste künstlerische | |
| Erfindung gelten. Eine sehenswerte Retrospektive des Frankfurter MMK zeigt | |
| davon nun vor allem die Repliken, oft mehrere Exemplare ein- und derselben | |
| Edition, die der Künstler in den 1960er Jahren in Umlauf brachte. Das | |
| verstellt ein Stück weit den Blick auf das Besondere bei Marcel Duchamp. | |
| Denn indem er die Kunst radikal von Handwerk und Geniekult trennte, erfand | |
| er sie neu. | |
| Warum nicht irgendein Ding, ein Fahrrad, einen Kunstdruck oder eine | |
| Schneeschippe „readymade“ kaufen und sie, mit oder ohne Signatur, „als | |
| Kunst“ anschauen? Weshalb eigenhändig und mühsam Werk um Werk „schaffen�… | |
| so es doch um Kunst und nicht um Mühsal geht und noch das tollste Kunstwerk | |
| vor allem eine Ware ist? Wenn, wie es Adorno später formulierte, die | |
| „Autonomie der Kunst“ nicht ohne „Verdeckung der Arbeit“ zu haben ist, | |
| warum die Arbeit dann nicht gleich andere machen lassen? | |
| Immerhin wollte Duchamp seine wichtigsten Werke in Philadelphia selbst | |
| einrichten. Praktisch kaum auszuleihen, sind sie buchstäblich „aus dem | |
| Verkehr gezogen“. Wer sie im Original sehen möchte, muss wohl dorthin | |
| reisen. Das ändert auch die große MMK-Schau mit ihren rund 700 Exponaten | |
| nicht. | |
| Zu Recht fragt man sich aber, warum ausgerechnet Duchamp einer der | |
| wichtigsten Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts sein soll. Mit Picasso | |
| und Warhol als künstlerischen Idolen erklären sich zwar | |
| Kunstmarktkonjunkturen – und damit auch, warum Malerei sowie breite Revers | |
| und Crème-Töne nie völlig „out“ sind. Doch warum die Kunst außerhalb der | |
| Auktionshäuser heute nicht mehr nach Kunst aussehen muss, warum sie gerade | |
| in Großausstellungen zumeist diskursförmig daherkommen muss, erklärt auch | |
| die Figur Duchamp nicht. Kunst ist heute offenbar, was als solche | |
| durchgeht. | |
| Die Schau zeigt einen anderen Aspekt. Duchamps geduldige Planung seiner | |
| Rezeption. Denn genau da hat der Notarsohn aus dem nordfranzösischen | |
| Blainville angesetzt: sein Werk als Rätsel inszeniert, das sich nur | |
| scheibchenweise erschließt. Dazu gehörte auch, sich als „Rrose Sélavy“ | |
| zeitweise ein feminines Alter Ego zu schaffen. Im MMK will man darin den | |
| proto-queeren Einzelkämpfer sehen, in langen Begleittexten das | |
| „Widerständige“ seines Werks feiern. | |
| Doch war Duchamp halt auch ein brillanter Netzwerker mit Hang zum | |
| Herrenwitz. Ohne sich avantgardetypisch zu einer Bande zu schlagen, | |
| [1][gefiel ihm der Flirt mit dadaistischer Anti-Kunst und revolutionärem | |
| Surrealismus]. Er verstand sich prima mit Museumsleuten, Sammlern und dem | |
| künstlerischen Nachwuchs. Das US-amerikanische Sammler-Ehepaar Arensberg | |
| sicherte schon zu Duchamps Lebzeiten den Kern seines Werks als Stiftung für | |
| Philadelphia. | |
| Manchmal nahm Duchamp selbst die Rolle des Kunsthändlers an: Es gab ja | |
| viele andere, die – wie Francis Picabia oder Constantin Brancusi – gute | |
| Kunst, wenngleich nach klassischem Verständnis, „selber“ machten. In Paris | |
| und New York kuratierte er große Surrealismus-Shows. Ephemera zu diesen | |
| vielfältigen Aktivitäten sind im MMK zu sehen: Auch Skizzen und Notizen, | |
| die Duchamp in Form bibliophiler Sammelwerke auflegte. Sie sind eine | |
| Fundgrube für Forensiker und Interpreten. Schade, dass Frankfurt dieses | |
| Werk lieber als Rätsel nach dem Rezept Duchamps reinszeniert, als seine | |
| Zutaten historisch genau zu analysieren. | |
| 12 May 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Dada-Pop-Punk-und-linker-Aktivismus/!5546615 | |
| ## AUTOREN | |
| Hans-Jürgen Hafner | |
| ## TAGS | |
| Marcel Duchamp | |
| Moderne Kunst | |
| Retrospektive | |
| Arbeit | |
| Frankfurt | |
| Fluxus | |
| Kunst | |
| Surrealismus | |
| Museum | |
| Kunst | |
| Biennale Venedig | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Fluxuskünstlerin Alison Knowles: Zum Glück darf man klauen | |
| Erfrischend überschreitet New Yorkerin Alison Knowles die Genres der Künste | |
| und ist auch sonst nah am Alltag, zeigt ihre Retrospektive in Wiesbaden. | |
| Siebzehn Mal Marcel Duchamp: Ein Scherz mit Duchamp | |
| Rudolf Herz ließ für seine Ausstellung „Marcel Duchamp. La Patte“ Pariser | |
| Straßenkünstler malen. Zu sehen ist sie im museum FLUXUS+ Potsdam. | |
| Ausstellungen zu Filmklassiker „Nosferatu“: Schatten vom Vortag | |
| „Nosferatu“ war ein Lieblingsfilm der Surrealisten. Es gibt viele | |
| Verbindungen zwischen dem Film und der Kunst, wie gleich zwei Ausstellungen | |
| zeigen. | |
| Neues Grosz-Museum in Berlin: Beschlagnahmt, verschollen, zurück | |
| Der Maler George Grosz flüchtete vor den Nazis in die USA. Das neu | |
| eröffnete Grosz-Museum in Berlin erinnert nun an seine Kunst. | |
| Autor über KI-Kunst: „Mehr als nur schnell rechnen“ | |
| Kunst, das kommt von Künstlicher Intelligenz: Hanno Rauterberg über den | |
| Traum von kreativen Maschinen. | |
| Auftakt der Kunstbiennale in Venedig: Die Welt klammern | |
| Nicht nur angesichts des Krieges wirkt die 59. Biennale in Venedig | |
| anachronistisch. Wäre da nicht das vielleicht diagnostische Gespür der | |
| Kunst. | |
| Hans-Peter Feldmann lotet die Grenze zwischen Alltag und Kunst aus: Das Mysteri… | |
| Der Konzeptkünstler Hans-Peter Feldmann zeigt in den Hamburger | |
| Deichtorhallen, wie Triviales zur Kunst wird. Nicht auf die Dinge selbst | |
| kommt es an, sondern auf den Kontext – und auf die Intention, mit der sie | |
| in diesen gestellt werden |