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# taz.de -- Hans-Peter Feldmann lotet die Grenze zwischen Alltag und Kunst aus:…
> Der Konzeptkünstler Hans-Peter Feldmann zeigt in den Hamburger
> Deichtorhallen, wie Triviales zur Kunst wird. Nicht auf die Dinge selbst
> kommt es an, sondern auf den Kontext – und auf die Intention, mit der sie
> in diesen gestellt werden
Bild: Kunst als Kunst-Reflexion: Hans-Peter Feldmann, rückwärts schreibend
HAMBURG taz | Eine an die Wand genagelte Jacke und angenagtes Brot, ein
Vorhang, der nichts verbirgt und viele kitschige Postkarten vom Eiffelturm
– kein Wunder, wenn die Hamburger Morgenpost bei der Ausstellung von
Hans-Peter Feldmann fragt: „Und das soll Kunst sein?“
Tatsächlich stellt Feldmann die Frage nach der längst unscharf gewordenen
Grenze zwischen Alltag und Kunst. Merkwürdig sterile Großfotos von Blumen
oder ein kleiner Modelleisenbahnkreis auf einem großen Orientteppich sind
ja nicht nur Zitate, sie erzählen auch, wie eine Gesellschaft die Realität
konstruiert.
Allerdings wirkt die Überdosis an Gag-Kunst von der neun Meter hohen,
quietschbunt angemalten Kopie des David von Michelangelo bis zu den
goldenen, mit Reißzwecken gespickten High Heels schon fast toxisch: Was
sonst vielleicht als eine Arbeit unter vielen anderen für Erfrischung
zwischendurch im Museum sorgt, misst sich hier in ständiger Überbietung an
Ähnlichem. Das wird wie ein Buch voller Witze mitunter etwas ermüdend. Und
bei läppischen Kommentaren wie der Übermalung von Werken der
Kunstgeschichte mit schwarzen Balken, schielenden Augen und roten
Clowns-Nasen sogar etwas pennälerhaft.
Viele derartig herbeizitierte Scherze funktionieren nur durch den
Widerspruch zum musealen Ernst ihrer Präsentation. Vielleicht ist dazu
nicht ganz unwichtig: Der 72-jährige Künstler ist aus Düsseldorf. Und dort
im karnevalesken Rheinland pflegen die Menschen ja ein beträchtlich höheres
Humorniveau als hier im Norden. Es sei nur an den Witz von Malerstar Sigmar
Polke erinnert oder das herrliche Lachen, zu dem der Großschamane Joseph
Beuys fähig war.
Zu schlüssigen Bildphilosophien findet Hans-Peter Feldmann in den
geschlossen inszenierten Räumen: Die um eine zentrale Blumenvase
gruppierten 100 Fotos von Menschen im Ein-Jahresschritt von der Geburt bis
zum 100. Geburtstag sind eine fast erhabene Vergewisserung der
Lebensspanne. In einem dunklen Raum werfen rotierende Alltagsdinge ein
Schattenspiel an die Wand, es ist wie eine Neuinszenierung der
Wahrnehmungsprozesse in Platons Höhlengleichnis. Der Archiv-Raum von 300
internationalen Zeitungstitelseiten am Tage nach 9/11 wird ein
eindrucksvoller medientheoretischer Diskurs. Und der in fünf Vitrinen
präsentierte Inhalt von abgekauften Damenhandtaschen macht ein gut
bewahrtes Mysterium des Alltags sichtbar.
Nur weniges ist in der Hamburger Ausstellung mit Titeln versehen, die
Betrachter werden unmittelbar auf die Gratwanderung zwischen originalen
Flohmarktfund, origineller Bearbeitung und neuer Botschaft geschickt und
sollen mit ihrem jeweils eigenen Kunstverständnis das Gebotene erschließen.
Doch damit nicht zu weit spekuliert wird, muss eben doch manchmal ein Titel
her: Der braune Stuhl, mit der Sitzfläche auf dem Museumssockel liegend,
ist sicherlich eine Hommage an Duchamp, heißt aber einfach „Erinnerung an
meine Zeit als Kellner“.
Kunst sei viel zu eingegrenzt, sie sei eigentlich etwas ganz Alltägliches,
meint Hans-Peter Feldmann. Das verunklärt natürlich jede Theorie. Denn das,
was da gezeigt wird, ist ja nicht an sich Kunst, sondern es wird durch den
Autor und den Kontext zur Kunst gemacht, also dem früheren Zweck entzogen
und dem künstlerischen Blick neu verfügbar gemacht. Briefmarken mit
Kunstmotiven werden edel wie Kunst selbst mit Passepartout gerahmt, dem
originalen Seestück in Öl wird dagegen alles übermalt, was nicht das
eigentlich nur schwer darstellbare Bild bloßer Wasserwellen ist. Das
Triviale wird so in seinem Scheitern gezeigt, aber auch der Kunstanspruch
trivialisiert. Der Zugang bleibt Interpretationssache: Der Künstler
spiegelt die individuellen Erwartungen der Betrachter. Die Kunst liegt
dabei nicht in den Dingen, sondern in der Vermittlung von Erkenntnissen
über ihre Wirkung.
Trotz des weitgehend populären Materials sind Kenntnisse der
Kunstgeschichte für die Ausstellung nützlich, schon um im Wiedererkennen an
der Trivialisierung der zitierten Werke Spaß zu haben. Sie sind auch
notwendig, um das Konzept dieser zu teurer und geschätzter Kunst gewordenen
Sammelei eines Künstlers zu verstehen. Allerdings bestreitet Hans-Peter
Feldmann gerne schmunzelnd, überhaupt ein Künstler zu sein – und das,
obwohl er beispielsweise den mit 100.000 Dollar dotierten Hugo-Boss-Preis
erhalten hat und in Paris, Madrid oder dem New Yorker Guggenheim
ausgestellt wurde.
Das alles ginge gar nicht ohne Referenz auf den genialen Akt, mit dem
Marcel Duchamp ein industriell gefertigtes Urinal 1917 als Kunst
ausstellte. Einfach den Kontext verschieben – und fertig. Den Alltag wenig
oder gar nicht bearbeiten und in einem anderen Rahmen betrachten. Und ihn
so kenntlich machen, in seiner Grässlichkeit oder seiner Schönheit – oder
in beidem.
Hans-Peter Feldmanns in Hamburg gezeigte Arbeiten aus den letzten Jahren
wurzeln in der Konzeptkunst der siebziger Jahre. Die war analytisch und
sehr ernsthaft. Hier nun kommt ihr weitgehend lustiges Nachspiel viel
populärer daher. Schon die vorige Ausstellung in den Deichtorhallen mit
Objekten von Anselm Reyle popularisierte. Vielleicht ist eine derartig
große Ausstellungslocation wie die nördliche Deichtorhalle überhaupt nur
mit einigermaßen populärem Stoff zu füllen. Für ein Programm mit subtileren
Argumentationen bleibt ja die Deichtorhallen-Dependance der Sammlung
Falckenberg in Hamburg-Harburg. Mal sehen, ob das dem Publikum auch
schmeckt. Hans-Peter Feldmann bleibt Optimist und sagt: „Leben und Kunst
sind einfach wie Grießbrei.“ Schön wär’s.
5 Mar 2013
## AUTOREN
Hajo Schiff
## TAGS
Marcel Duchamp
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