# taz.de -- Gespräch mit US-Künstler Henry Taylor: Wie eine Art Jazz | |
> Der Berliner Schinkel Pavillon stellt den US-Künstler Henry Taylor | |
> erstmals in Deutschland aus. Kurz vor Ende der Ausstellung haben wir mit | |
> ihm gesprochen. | |
Bild: Blick in die Ausstellung. Im Vordergrund: Henry Taylor, „Another countr… | |
taz: Herr Taylor, die mit Ihnen befreundete Malerin Jill Mulleady hat für | |
den Schinkel Pavillon unter dem Titel „You Me“ eine gemeinsame Ausstellung | |
kuratiert, in der sie sich mit der Objektivierung weiblicher und Schwarzer | |
Körper in der Kunstgeschichte auseinandersetzt. Von Ihnen ist eine | |
malerische Reaktion auf Marcel Duchamps „Nu descendent un escalier No. 2“, | |
die als Lithografie Teil der Ausstellung ist, und Gerhard Richters „Ema | |
(Akt auf einer Treppe)“ zu sehen. Wie kam es zu Ihrer Arbeit? | |
Henry Taylor: Ich habe bei meiner Version an Richter gedacht, der sich auf | |
Duchamp bezogen hat. [1][Bei Duchamp] ist es wie eine Operation, das | |
Auseinandernehmen eines Körpers. Es fasziniert mich, aber in so einem Bild | |
kann ich mich nicht bewegen. | |
Im letzten Jahr haben Sie einige Monate in Paris gelebt und gearbeitet, für | |
die Ausstellung „From Sugar To Shit“. Damit hat die Zweigstelle Ihrer | |
Galerie Hauser & Wirth eröffnet. Wie kam es zu diesem Titel? | |
Das war etwas, was meine Mutter immer sagte: „Er ging vom Zucker in die | |
Scheiße.“ Etwa als mein Bruder das College abgebrochen hat. Erinnerungen | |
sind ein großer Teil meiner Arbeit. Mein Vater sagte immer „Meet Me“, | |
„lerne mich kennen“. Das wurde der Titel meiner Abschlussausstellung bei | |
CalArts (California Institute of the Arts). Eine Woche später ist er | |
gestorben. | |
Eine Auswahl dieser Paris-Bilder ist jetzt in Berlin zu sehen. Darunter | |
eines, das Sie selbst neben dem aufgebahrten Körper Ihres Vaters zeigt. | |
Ihre Gesichter sind nicht zu erkennen. Sie haben es „Me Me“ genannt. | |
Zuerst dachte ich, es ist nur eine Skizze, aber je weiter ich es mir | |
anschaute, wurde mir klar, dass ich es nicht weiter ausbauen muss. Ich habe | |
meinen Vater nur dreimal gemalt. Das erste Mal wie jemanden, den man von | |
hinten die Straße entlanggehen sieht. Man sieht das Gesicht nicht, aber so, | |
wie er sich bewegt, weiß man, wer es ist. Ich sehe mich in ihm. | |
Sie haben ihn mit schwarzen Engelsflügeln gemalt. Aber anders als bei Ihrem | |
Bild „Michelle“, einer übergroßen Michelle Obama als Göttin Isis, sind s… | |
hier nicht ausgebreitet. | |
Es ist wie zu versuchen, einige erlösende Eigenschaften in den Menschen zu | |
finden. Man kann vielleicht nicht die ganze Zeit ein Engel sein. Ich habe | |
viel über dieses Bild nachgedacht oder wann ein Bild fertig ist. Ich weiß | |
nicht, ob es jemals richtig sein kann. | |
Sie arbeiten auch mit Assemblagen; aus Fundstücken wie Wischmops oder | |
leeren Bleicheflaschen zusammengesetzten Skulpturen, die teilweise wie | |
Porträts wirken. Etwa von Ihrer Mutter, die als Reinigungskraft arbeitete, | |
um die Familie mit acht Kindern zu unterstützen. Aber auch als Verweis auf | |
die Art von Jobs, die oft von Schwarzen in den USA ausgeübt werden. | |
Manchmal klingen bestimmte Dinge in der Erinnerung stärker nach. Wissen | |
Sie, als ich in meine Pariser Wohnung kam, waren da etwa 30 Leinwände. Ich | |
dachte, wow, was ist denn hier los? Das war wie ein ganzer Haufen | |
Baumwolle, über den man nachdenken musste. Ich dachte, ich werde in Stücke | |
gehen, wie meine Mutter, als sie in Akkordarbeit putzen ging. Das ist wie | |
eine Art Bewusstseinsstrom, eine Art Jazz. | |
Ebenfalls in Paris entstanden ist die Arbeit „got, get, gone, but don ’ t | |
you think you should give it back?“. Sie zeigt eine nackt als Brunnenfigur | |
vor dem Louvre und dem British Museum knieende Josephine Baker. Im | |
Hintergrund ist ein Sklavenschiff zu sehen. Wie ist dieses Bild entstanden? | |
Ich denke die ganze Zeit über verschiedene Künstler nach und auch über mich | |
selbst. Das war das zweite Mal, dass ich [2][Josephine Baker] gemalt habe. | |
Es hätte nicht sie sein müssen, aber manchmal haben wir keine Wahl. Sie ist | |
einfach aufgetaucht, vielleicht weil bei einem Rundgang noch einmal erwähnt | |
wurde, dass sie in Frankreich ein großer Star war, aber auch Aktivistin in | |
der Widerstandsbewegung und als erste Schwarze Frau ein Grab im Pantheon | |
bekam. | |
Die Museen zeigen voller Stolz die Objekte, die zu Kolonialzeiten aus ihren | |
Herkunftsländern gestohlen wurden. In meinem Kopf setzt sich dann aus | |
diesen Eindrücken und Gedanken ein Bild zusammen. Vielleicht erinnere ich | |
mich auch daran, als ich in der Nervenheilanstalt gearbeitet habe und an | |
die Wahnvorstellungen der Leute, und auch das wird ein Teil der Arbeit, die | |
ich mache. Ich denke gerade an so viele Dinge, an Momente mit meiner | |
Mutter, manchmal klammere ich mich einfach daran. | |
Ein weiteres Paris-Bild ist „Forest fever is nothing like, „Jungle Fever“… | |
dass sich auf Édouard Manets „Le déjeuner sur l’herbe“ bezieht. Bei Ihn… | |
sind es drei [3][junge Schwarze Männer mit HipHop-Attributen], wie | |
Goldketten, die sich in einem Park entspannen, im Hintergrund wartet eine | |
große schwarze Limousine. Sehen Sie Ihre Arbeiten auch als eine Form der | |
Reinterpretation des westlichen Kunstkanons? | |
Das war es definitiv die ganze Zeit. Aber manchmal ist es auch nur eine Art | |
Spiel. Offensichtlich brauchen wir eine Repräsentation, aber dann geht es | |
mir auch um die Liebe zur Malerei. Bei diesem Bild begann es mit einer | |
kleinen Skizze, als ich über Manet nachdachte und darüber, im Park zu | |
sitzen. Ein Park ist eine große Sache, denn in den USA haben Schwarze oft | |
keinen Zugang mehr oder werden von der Polizei schikaniert. | |
Ich habe gute Erinnerungen an die Parks, in denen ich in Oxnard | |
aufgewachsen bin. Wir haben Basketball und Fußball gespielt und wir haben | |
Musik gemacht. Jetzt bekommt ein Park eine ganz andere Bedeutung. Ich plane | |
meine Bilder nicht vorher, sie entstehen als Ideen und dann sehe ich, was | |
passiert. Das ist wie mit Musik. Du hörst etwas, erinnerst dich und trägst | |
es mit dir herum. Vielleicht entsteht daraus eine Note und die Note wird | |
zum Lied. | |
Ihre Ausstellung im Whitney Museum haben Sie „Henry Taylor: B-Side“ | |
genannt, die Seite einer Single, die üblicherweise als weniger wichtig | |
gesehen wird. Wie kamen Sie auf diesen Titel? | |
Die B-Seiten sind die, die übersehen werden. Oft sind die A-Seiten etwas | |
kommerzieller oder zugänglicher und dann gibt es die Dinge, die | |
aufrichtiger und vielleicht auch radikaler sind. Es geht auch um | |
diejenigen, die in der Gesellschaft übersehen werden, die Menschen von der | |
Straße. Ich meine, wir sollten einfach gewissenhaft mit verschiedenen | |
Dingen umgehen, aber es auch spielerisch halten. | |
Wie begegnen Sie Ihren Bildern in einer Ausstellung wie dieser? | |
Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich am liebsten versuchen würde, | |
nachträglich etwas zu reparieren. Als Thelonious Monk eine Platte aufnahm, | |
sagte vielleicht der Bassist: „Oh, Mann, ich wusste nicht, dass du das | |
aufnehmen würdest. Es wird bleiben.“ Das ist wie die „Essenz der Existenz�… | |
wie mein Vater sagte. Gleichzeitig ist es ein großer Schmerz. Ich kann | |
nicht zurückgehen und alles korrigieren. | |
17 May 2024 | |
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