# taz.de -- Albertina modern bleibt noch zu: Kuchen der Kunst | |
> Wiens neues Museum für Gegenwartskunst kann wegen Corona jetzt nicht | |
> eröffnet werden. Schade, denn das Haus kann sich sehen lassen. | |
Bild: „Der höhnische Arzt“, 1973, von Gottfried Helnwein in der Albertina … | |
„Die [1][Albertina] bleibt aktuell als Präventivmaßnahme gegen die weitere | |
Ausbreitung des Coronavirus geschlossen. Der Museumsbetrieb ist bis auf | |
Weiteres eingestellt“, heißt es auf der Homepage der größten Grafiksammlung | |
der Welt. Die feierliche Eröffnung der Albertina Modern, am 12. März, | |
wurde schon vorher abgesagt. | |
Dieses neue Museum für Gegenwartskunst ist ausgerechnet im Wiener | |
Künstlerhaus, einem 1865 eingeweihten Hauptwerk des Historismus, | |
beheimatet. Ein durchaus charmanter Widerspruch, der dem Bauunternehmer | |
[2][Hans Peter Haselsteiner] zu verdanken ist. Der Mäzen hatte für die von | |
ihm aufgekaufte Sammlung des bankrotten Kunstsammlers Karlheinz Essl aus | |
Klosterneuburg eine Heimstatt in Wien gesucht. | |
Also erwarb er über seine Privatstiftung das lange dem Verfall | |
preisgegebene Gebäude auf dem zentralen Karlsplatz und ließ es für 57 | |
Millionen Euro in dreijähriger Arbeit originalgetreu restaurieren. Dabei | |
musste die Wiederherstellung der originalen Wandbemalungen und | |
Terrazzo-Böden mit modernen Vorschriften für Barrierefreiheit und | |
Sicherheit sowie zeitgemäßer Beleuchtung und Klimatechnik unter einen Hut | |
gebracht werden. | |
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Über das imperiale Treppenhaus gelangt | |
man in die 17 modernen Ausstellungsräume, wo keine Schnörkel oder | |
Dekorationen von den Exponaten ablenken. Haselsteiners Stiftung trägt die | |
laufenden Betriebs- und Erhaltungskosten für Gebäude und den | |
Ausstellungsbetrieb des neuen Bundesmuseums. | |
## Den künstlerischen Weltuntergang heraufdräuen sehen | |
Im Obergeschoss ist weiterhin der frühere Eigentümer, der Verein | |
Künstlerhaus – Gesellschaft bildender Künstlerinnen und Künstler | |
Österreichs, beheimatet. Der Verein, der mit der Übernahme das Hauses durch | |
den Baulöwen den künstlerischen Weltuntergang heraufdräuen sah, wurde durch | |
die Einrichtung der 900 Quadratmeter großen „Factory“ befriedet, die als | |
Ausstellungsraum sowie als Aufführungsort für Performances und multimediale | |
Inszenierungen genutzt werden kann. | |
Allerdings sorgt sich der Verein weiterhin, dass der Kunstsammler | |
Haselsteiner mit seinem privaten Geschmack das Projekt zu sehr dominiert. | |
Die 2.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche im Erdgeschoss und Souterrain | |
gehören aber der Albertina Modern, die in ihrer Eröffnungsschau „The | |
Beginning. Kunst in Österreich 1945 bis 1980“ ausschließlich auf heimisches | |
Kunstschaffen nach dem Zweiten Weltkrieg fokussiert. Unter den 400 | |
Exponaten finden sich 130 aus der Sammlung Essl, die dauerhaft im | |
Künstlerhaus bleiben wird. | |
Erst in einer nächsten Ausstellung sollen die wichtigsten ausländischen | |
Werke der Epoche zu sehen sein. Sie stellen unter den mit 60.000 Werken – | |
Zeichnungen, Aquarelle, Druckgrafiken und Fotografien – in der Sammlung der | |
Albertina Modern vertretenen 5.000 Künstlerinnen und Künstlern die | |
Mehrheit. Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder begründet den | |
Eröffnungsschwerpunkt damit, dass Österreichs Gegenwartskunst in der | |
öffentlichen Wahrnehmung unterbelichtet sei. | |
Ein Thema durchzieht das Schaffen der künstlerischen Nachkriegsgeneration. | |
Schröder: „Wenn wir heute diese Ausstellung sehen, können wir als | |
Kunsthistoriker eine Zeitreise machen und verstehen, wie diese Kunst sich | |
als Aufbäumen, als Anklage gegen die Tätergeneration in Stellung bringt – | |
wesentlich früher als es die deutschen Künstler wie Anselm Kiefer, Georg | |
Baselitz oder Markus Lüpertz gemacht haben“. | |
## Aufarbeitung der NS-Vergangenheit | |
Alfred Hrdlickas Geschundene Leiber oder Bruno Gironcolis an die Gaskammern | |
von Auschwitz gemahnende Skulptur sind wie Walter Pichlers Bleiernes | |
Totenbett eindeutig in ihrer Aussage. Noch weiter in der Aufarbeitung der | |
NS-Vergangenheit gehen die Wiener Aktionisten von Otto Mühl bis Günter | |
Brus und Hermann Nitsch, dessen blutige Schüttbilder heute noch provozieren | |
können. | |
Die Künstler, so Schröder, waren einander aber teils in offener Feindschaft | |
verbunden: „Es kennzeichnet die österreichische Avantgarde, dass sie | |
einander feindlich gegenübergestanden sind. Die fantastischen Realisten wie | |
Ernst Fuchs oder Arik Brauer, die allesamt Opfer des Nationalsozialismus | |
waren, und die Abstrakten haben einander verachtet, Hrdlicka hat beide | |
verachtet. Diese Feindschaft hat viel mit der Engmaschigkeit, der | |
Kleinräumigkeit zu tun“ | |
In der Szene ist die Schaffung der Albertina Modern, die ihren den Namen | |
von der Londoner Tate Modern abgeschaut hat, nicht unumstritten. „Es ist | |
völlig absurd, wenn hier die Albertina Modern kreiert wird und wir dabei | |
völlig übersehen, dass es zwei Bundesmuseen gibt, die exakt diese Aufgabe | |
haben“, meint etwa Edelbert Köb, der ehemalige Direktor des Museums für | |
Moderne Kunst (MUMOK) in Wien. | |
Dem hält Klaus Albrecht Schröder entgegen: „Der Kuchen der zeitgenössischen | |
Kunst ist so groß, dass auch zehn Museen für Gegenwartskunst nicht auch nur | |
annähernd ein Bild dessen geben könnten, was wirklich in der Welt | |
stattfindet.“ Hoffentlich wird die Corona-bedingte Schließung der | |
Bundesmuseen bald aufgehoben, und die Öffentlichkeit kann sich dann ihr | |
eigenes Urteil bilden. | |
16 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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