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# taz.de -- Künstlerin Liliane Lijn: Zum Ästhetischen hin oszillieren
> Liliane Lijn ist Pionierin von Computerkunst und Lichtmalerei. Eine
> Ausstellung im Mumok Wien macht das Werk der 85-Jährigen wieder bekannt.
Bild: Liliane Lijn: „Liquid_Reflections_2/32“ von 1968
Langsam rollen zwei Plexiglaskugeln über eine flache, sich drehende Trommel
aus Acryl. Wie Mondstein schimmert die größere, die kleinere
durchsichtig-orange und ihre leuchtende Transparenz lässt die runden
Formen zugleich flüssig und fest erscheinen. Bis auf das hohe, schnurrende
Geräusch der Bewegung ist alles still in dem dunklen Vorführraum, und nur
der Lichtstrahl einer kleinen Lampe ist auf die Szene gerichtet.
So gleicht das Setting einem wissenschaftlichen Experiment, das zum
Ästhetischen hin oszilliert. „Liquid Reflections“ (1966–1968) heißt die…
Arbeit von Liliane Lijn, die viel erzählt vom Brückenschlag der Künstlerin
zwischen den physikalischen, ästhetischen, emotionalen und sozialen
Phänomenen der Welt.
Dann wird die Bewegungskurve der Kugeln enger: Klack. Klack-Klack. Klack.
Wie Billardkugeln stoßen sie sich voneinander ab, und das Spiel beginnt
aufs Neue. Natürlich war der Aufprall abzusehen, die Schönheit dieses
Augenblicks ist dennoch überwältigend: Was für ein Auflodern farbiger
Schatten! Das Ganze lässt sich auch als visuelle Metapher verstehen. Als
Einladung, über Zeit und Raum und Zufall nachzudenken.
## Als Parcours in Szene gesetzt
Auch die übrigen Werke von „Arise Alive“, Lijns Wiener Überblicksschau,
reflektieren ihre drei Lebensthemen – und das auch im direkten Wortsinn.
Denn die von Kuratorin Manuela Ammer geglückt als Parcours in Szene
gesetzte Ausstellung der britisch-amerikanischen Ausnahmekünstlerin
fasziniert durch die vielen Spiegelungen, die expressiven Schlagschatten
und Prismen, die in allen Farben des Regenbogens schillern, funkeln und
strahlen:
„Inner Space“, „Double Drilling“, „Cosmic Flares“, „Two Worlds“…
Beginning“, „Woman of War“, „Electric Bride“, „Lady of the Wild Thi…
„Poem Drum“, die Titel sind so prägnant und suggestiv wie die Werke selbst.
Und immer beziehen Lijns auratische Zeichnungen, kinetischen Skulpturen,
Kunststoff-Plastiken, Malereien, die überlebensgroßen Figuren aus
Industrieabfällen oder die zarten Federmasken und Klangskulpturen den Raum
mit ein und damit auch das Publikum.
Die 1939 geborene Liliane Lijn besuchte keine Akademie, doch hatte sie
immer eine starke Vision: wie Prometheus sei die Künstlerin, „der den
Göttern das Feuer stahl, um es den Menschen zu bringen“, wie sie im
Gespräch sagt. „Feuer, unser wichtigstes Werkzeug. Für mich ist die
Künstlerin eine, die Werkzeuge herstellt.“
## Brennen für die Kunst
Als Kunstschule fungierten für sie vielmehr Begegnungen mit
Künstlerkolleginnen und Schriftstellern in Athen, New York, Rom und Paris.
[1][André Breton, der französische Theoretiker des Surrealismus], ist der
bekannteste unter ihnen. Dennoch legt Lijn bis heute keinen Wert auf die
Prominenz ihrer Gesprächspartnerinnen, Hauptsache sie brennen für Kunst.
Vielleicht steht sie deshalb so souverän über den Moden: Sie arbeitet
gleichzeitig traditionell und innovativ. Sie zeichnet seit ihren Anfängen
als 19-Jährige mit Buntstiften und mit Letrafolie, malt mit Tusche, aber
auch mit Licht und Elektrizität, mit neuen Kunststoffen und Plastikstiften;
sie stellt Skulpturen mit Prismen aus Panzern her, aus Kupferdraht und
Plexiglas, rotierenden Motoren und mineralischem Glimmer.
Unermüdlich erforscht sie dabei auch die physikalischen Eigenschaften des
Materials und fügt es zu gewagten Neukombinationen. Die Bandbreite ihrer
Ausdrucksformen ist beeindruckend, was vielleicht als Erklärung dafür
dienen kann, dass ihr Werk erst jetzt, wo sie schon 85 ist, erstmals in
diesem Umfang gezeigt wird.
## Berühmt im Swinging London
Wäre sie bei der künstlerischen Sprache von „Liquid Reflections“ gebliebe…
mit der die junge Lijn im London der sechziger Jahre ihren „moment of fame“
erlebte, stünde sie vielleicht seit Jahrzehnten im Who’s who der
zeitgenössischen Kunst. Wo sie auch hingehört. Als sich jedoch damals der
Kulturbetrieb auf sie stürzte, wich ihre anfängliche Begeisterung sehr
schnell einer Leere: „Alle wollten dasselbe von mir sehen und hören“,
erklärt sie.
„Und ich kam mir vor wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat. Da machte
ich eben etwas völlig anderes.“ Ohne den Wiedererkennungswert ihrer Arbeit
ebbte der Hype um sie ab. Zwar wurden einzelne Werke in England, den USA
und Italien gezeigt, doch im deutschsprachigen Raum ist Lijns
inspirierendes Œuvre kaum bekannt.
„Arise Alive“ wird dies ändern. Die Schau wurde von Manuela Ammer gemeinsam
mit Emma Enderby entwickelt, inzwischen Leiterin des Berliner KW und bis
April vergangenen Jahres [2][Hauptkuratorin am Münchner Haus der Kunst.]
Hier startete die Ausstellung 2024, bevor sie nach Wien weiterzog.
Dass ihr erster großer Auftritt ausgerechnet in diesem, 1937 eröffneten
Nazibau stattfand, freut die Künstlerin. Denn Liliane Lijns jüdische Eltern
flohen 1939 vor der antisemitischen Bedrohung aus Europa, was dem Motto
„Arise Alive“ zusätzlich Brisanz verleiht. Entliehen ist der
Ausstellungstitel einer ihrer Poem-Sculptures.
Und „Worte“, notierte die Künstlerin als junge Frau in ihr Tagebuch, „si…
Fenster ins kollektive Gedächtnis“.
30 Jan 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Gaby Hartel
## TAGS
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