Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 20. Todestag DDR-Künstler Werner Tübke: Der Raffaelit der DDR
> Eine Leipziger Ausstellung erinnert an Maler Werner Tübke. Mit seinem
> eigenwilligen Historismus erlangte er DDR-Staatsaufträge und manch freie
> Nische.
Bild: Eigenwilliger Historismus: Werner Tübke, „Der Mensch – Maß aller Di…
Kaum ein Künstler der ehemaligen DDR erregte national wie auch
international so viel Aufsehen wie [1][Werner Tübke]. Dass der Maler die
historischen Stile der Alten Meister anwandte und sich dabei nicht vor der
Kopie scheute – das war in den 1960ern bis 1980ern außergewöhnlich bis
provokativ, übte man sich doch auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs
entweder eher in der Abstraktion oder in einem neuen Realismus.
Mit seinem gemalten Historismus konnte Werner Tübke zwischen Auftragskunst
und Zensur [2][künstlerische Spielräume] finden. Das zeigt derzeit auch das
Museum der bildenden Künste (MdbK) Leipzig in einer Tübke-Schau. Die
Kuratoren Frank Zöllner und Stefan Weppelmann werfen darin einen
kabinettartigen Blick auf Tübkes [3][„Sehnsuchtsland“ Italien.] Denn laut
Zöllner sind etwa 15 Prozent seines mehr als 400 Gemälde umfassenden Werks
„sicher von Italien direkt beeinflusst“.
Tübke studierte nicht nur die Kunst der italienischen Renaissance in
DDR-Sammlungen – Raffael in Dresden, Ghirlandaio in Ostberlin –, er
bereiste auch im Gegensatz zu den meisten DDR-Bürger*innen das Land.
Wenngleich er Mitte der 1950er zeitweise in Ungnade gefallen war, durfte er
ab 1971 nach Florenz, Mailand oder Rom, wo er Museen aufsuchte, in Galerien
ausstellte und Kollegen traf, etwa den „malenden Metaphysiker“ Giorgio de
Chirico.
Auf Tübkes Kreidelithografie von 1983 lässt sich Raffaels Colonna-Altarbild
erkennen. Tübkes Hommage an den Renaissancemaler fällt jedoch seltsam
manieristisch aus: Die Körper sind grotesk gestreckt, die Posen
übertrieben. Das Original durch die Kopie derart zu verfremden hat etwas
Subversives. Das lässt sich auch auf Tübkes Malereien in der Ausstellung
beobachten.
Eine davon zeigt einen sizilianischen Landarbeiter mit schwarzen Locken,
offenem Hemd, Goldkette und buschigem Brusthaar, der gleichsam an das
Porträt des Kaufmanns Georg Giese von Hans Holbein dem Jüngeren erinnert.
Tübke unterläuft mit dem Bild die Konventionen des Sozialistischen
Realismus: Der Porträtierte ist als Arbeiter erkennbar, ein „Held der
Arbeit“ ist er aber beileibe nicht. Vielmehr zeigt Tübke ihn schillernd
zwischen Klischee und Individuum, er witzelt über die politische
Inszenierung einer vermeintlichen Arbeiterklasse, ist aber der
porträtierten Person ernsthaft zugewandt.
Ähnlich ging der Künstler schließlich mit sich selbst um, wie die in der
Ausstellung versammelten Selbstporträts vorführen. So kann einem Tübke als
entrücktes Genie begegnen, wie sich auch [4][Raffael] auf seinem berühmten
Selbstporträt mit Kappe inszenierte, das heute in den Uffizien hängt.
Allerdings trägt Tübke einen befleckten, also mit Spuren des
Künstlerhandwerks übersäten Kittel. Er bricht mit dem Original, macht sich
ein wenig über das Künstlergenie und damit über das eigene Tun lustig.
Dieser Witz scheint seinen Nachfolger*innen, die heute unter dem Label
Leipziger Schule gut im internationalen Kunstmarkt platziert sind, zu
fehlen.
Vor 20 Jahren, am 27. Mai 2004, ist Werner Tübke gestorben. In den späten
Jahren der DDR konnte er mit seinem eigensinnigen Historismus noch zum
Staatskünstler avancieren.
27 May 2024
## LINKS
[1] /DDR-Kunst-in-Potsdam/!5463804
[2] /Erinnnerung-der-Ostkultur/!5721515
[3] /Die-Umbrueche-Roms-in-der-Renaissance/!6008418
[4] /500-Todestag-von-Raffael/!5667196
## AUTOREN
Louis Berger
## TAGS
Malerei
Reiseland Italien
Renaissance
DDR
Ausstellung
Körper in der Kunst
Kunst
Kunst
Zeichnung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neodadaismus aus der DDR: Sie entleerten die Bilder
Eine Berliner Retrospektive erinnert an die neodadaistischen Performances
der Dresdner Auto-Perforations-Artisten in den 1980er Jahren.
DDR-Kunst im internationalen Kontext: Praktisch romantisch
Eine Ausstellung im Albertinum Dresden zeigt DDR-Kunst und ihre
Verbindungen zu sozialistischen Bruderstaaten. Sie schillert in viele
Richtungen.
DDR-Kunst in Eberswalde: Das allzeit optimistische Personal
Eberswalde zeigt Walter Womacka. Der Staatskünstler soll damit nicht
rehabilitiert werden. Er dient als Gegenstück zu Agit-Pop-Künstler Hans
Ticha.
Raffael-Ausstellung in Wien: Anatomie des Imaginären
Die Expressivität beginnt in den Muskeln: Skizzen und Zeichnungen Raffaels
erlauben in der Wiener Albertina einen Blick in die Werkstatt Malers.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.