| # taz.de -- DDR-Kunst in Eberswalde: Das allzeit optimistische Personal | |
| > Eberswalde zeigt Walter Womacka. Der Staatskünstler soll damit nicht | |
| > rehabilitiert werden. Er dient als Gegenstück zu Agit-Pop-Künstler Hans | |
| > Ticha. | |
| Bild: Walter Womacka vor dem Moisaikfries am Haus des Lehrers in Berlin 2004 | |
| „Arschlöcher, Jubelmaler, Staatskünstler“. In einem legendären Interview | |
| zog 1990 [1][der Maler Georg Baselitz] über Kollegen wie [2][Bernhard | |
| Heisig] oder Wolfgang Mattheuer her. Nur jene, die das Land verlassen | |
| hatten, so befand der 1958 aus der DDR emigrierte Künstler, seien als | |
| Künstler zu bezeichnen. Seither klebt an der Kunst aus der DDR das Etikett | |
| der Nichtkunst. | |
| Natürlich ist das Verdikt, Kunst, die im Kontext einer Diktatur entstand, | |
| sei per se gar keine, schon historisch eine abwegige Vorstellung. Dann | |
| müssten auch Michelangelo und Raffael aus dem Kanon der Hochkultur verbannt | |
| werden. Schmückten sie den Vatikan doch im Auftrag des unbarmherzigen | |
| Autokraten Papst Julius aus, dem seine Zeitgenossen den Beinamen „Der | |
| Schreckliche“ gaben. So wurde nicht einmal der nicht weniger autokratische | |
| Erich Honecker tituliert. | |
| Doch wenn das Etikett vom „Staatskünstler“ stimmt, dann vielleicht doch bei | |
| einem Mann wie Walter Womacka. Spätestens seit Walter Ulbricht 1958 auf der | |
| IV. Deutschen Kunstausstellung in Dresden dessen Bild „Rast bei der Ernte“ | |
| entdeckte, stieg der 1925 im böhmischen Georgenthal geborene Künstler zu | |
| diesem Rang auf. | |
| Für das Werk erhielt Womacka den Nationalpreis III. Klasse des Staates. | |
| Später wurde es in einer Millionenauflage als Briefmarke gedruckt. Seinen | |
| Förderer Ulbricht porträtierte der Künstler 1969 in ebensolcher Manier mit | |
| übergroßen Arbeiterhänden. Damit nicht genug: Womacka wurde verantwortlich | |
| für die künstlerische Gestaltung des Berliner Zentrums. Er schuf den | |
| Brunnen der Völkerfreundschaft auf dem Berliner Alexanderplatz. | |
| ## Der Chefgestalter von Eisenhüttenstadt | |
| Als Chefgestalter der 1950 aus dem Boden gestampften sozialistischen | |
| Musterstadt, die erst den Namen Stalins trug, später dann Eisenhüttenstadt | |
| hieß, schuf er mehrere große Wandbilder, die bei einem Besuch in der Stadt | |
| nach dem Mauerfall sogar den US-Filmstar Tom Hanks begeisterten. | |
| Auch wer noch nie von diesem Mann gehört hat, hat wahrscheinlich schon | |
| einmal den kolossalen Wandfries „Unser Leben“ gesehen, der sich rund um das | |
| „Haus des Lehrers“ am Alexanderplatz zieht. Auf ihm zelebrieren Arbeiter, | |
| Techniker und Künstler den Aufbruch in die klassenlose Gesellschaft. Im | |
| ehemaligen Staatsratsgebäude am Schloßplatz laufen Besucher seinem riesigen | |
| Glasfenster mit einer sozialistischen Kleinfamilie entgegen. | |
| Als Dozent für Malerei an der Weißenseer Kunsthochschule, deren Rektor er | |
| 1968 wurde, traf Womacka Ende der 50er Jahre übrigens auf Georg Baselitz, | |
| der damals noch Georg Kern hieß. | |
| Mit seinem stilisierten, allzeit optimistischen Personal und der populären | |
| Darstellung galt Womacka als eine Art dekorativer Kitschmaler des | |
| sozialistischen Realismus. Dennoch präsentierte sich seine Kunst oft genug | |
| als faszinierendes Hybrid. Wenn er in sein Bild von Erika Steinführer, | |
| einer verdienten Wicklerin aus dem VEB Narva aus den achtziger Jahren, | |
| Zeitungsausschnitte integrierte, bediente er sich bei Techniken, die | |
| westliche Pop-Artisten wie Robert Rauschenberg in die Malerei eingeführt | |
| hatten. | |
| ## Inspiriert von Picasso, Léger und Riveras | |
| „Komplexbilder“ nannte Womacka selbst diese Adaption von Rauschenbergs | |
| „Combine Paintings“. [3][Und wie bei Willi Sitte], noch einem der von | |
| Baselitz verfemten Künstler, waren bei Womacka immer Elemente der | |
| klassischen Moderne zu entdecken: Echos der Formensprache Pablo Picassos, | |
| Fernand Légers [4][oder Diego Riveras]. 2010 starb Womacka in Berlin. | |
| Dass die Stadt Eberswalde diesen Künstler nun in einer Ausstellung zeigt, | |
| hat nichts damit zu tun, dass sie einen Staatskünstler rehabilitieren will. | |
| Vielmehr soll die Schau die konkurrierenden Strategien künstlerischer | |
| Produktion unter den Bedingungen der Unfreiheit erhellen. | |
| Eckhart Gillen, der nimmermüde Hyperspezialist der Kunst aus der DDR und | |
| Kurator der Ausstellung, hat dafür die Technik des Kontrasts gewählt. | |
| Womackas durchaus offiziösem Œuvre stellt er nämlich ein paar | |
| Schlüsselwerke des Malers Hans Ticha gegenüber. | |
| Der, wie Womacka im heutigen Tschechien, aber 1940, 15 Jahre später | |
| geborene Ticha gehörte zur Künstlerszene des Prenzlauer Bergs. Als | |
| Brotberuf wählte er die Buchgrafik. So war er nicht abhängig vom | |
| staatlichen Auftragswesen für Maler. Die Bilder, mit denen er die | |
| Diskrepanz zwischen Ideal und Realität im Arbeiter- und Bauernstaat auf den | |
| Punkt brachte, konnte er offiziell nicht zeigen. Er versteckte sie in | |
| seiner Wohnung in der Rykestraße. | |
| ## Von Agitation und Propaganda zur Pop-Art | |
| Das Gegenstück zu Womacks berühmtem Paar am Strand heißt bei ihm | |
| „Kartenspielendes Paar am Strand“ und stammt aus dem Jahr 1969. Statt der | |
| Idylle Womackas, das zukunftsfrohe Paar züchtig in Freizeitkleidung, sieht | |
| man ein weniger wohlproportioniertes Paar in Badehose und Bikini, welches | |
| gelangweilt Karten spielt. | |
| Tichas Figuren orientierten sich an der Bildsprache der Neuen Sachlichkeit, | |
| an Oskar Schlemmer und der Pop-Art. Mit seinem Bild „Der Trommler“ von 1981 | |
| treibt Ticha seine Abstraktion auf die Spitze. So wie er menschliche | |
| Gliedmaßen mit Fahne und Trommel kombiniert, löst sich das hohle Pathos des | |
| Systems in unverbundene Bruchstücke auf – aus Agitprop (Agitation und | |
| Propaganda) wird eine Art desillusionierter Agit-Pop. | |
| Im Jahr 30 der sogenannten Deutschen Einheit zeigt das Eberswalder Projekt | |
| wunderbar unspektakulär, wie sich mit dem kulturellen Erbe des | |
| untergegangenen Staates umgehen lässt, ohne es aus dem kollektiven | |
| Gedächtnis zu tilgen. Ein Schicksal, das auch Teile von Womackas Werk | |
| ereilte. 1995 wurde sein zweiteiliges Wandbild „Der Mensch gestaltet seine | |
| Welt“ im Festsaal des DDR-Außenministeriums unter den Schaufeln der | |
| Abrissbagger begraben. | |
| Weil Gillen Womacka eben nicht der „damnatio memoriae“ preisgibt oder | |
| anprangert, kann er das Erkalten der sozialistischen Utopie illustrieren, | |
| der sich der Parteigänger des „sozialistischen Humanismus“ verpflichtet | |
| fühlte. Wiewohl auch in seiner apologetischen Ästhetik Momente der | |
| Autonomie zu finden sind. | |
| Vor allem das Beispiel Hans Tichas zeigt aber, wie falsch das Baselitz’sche | |
| Donnerwort ist. Es gab im [5][DDR-(Kunst-)Kosmos] ein richtiges Leben im | |
| falschen | |
| 24 Nov 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ingo Arend | |
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