# taz.de -- Baselitz, Richter, Polke, Kiefer: Vier Meister unter einem Dach | |
> Die Ausstellung „Baselitz, Richter, Polke und Kiefer“ in den Hamburger | |
> Deichtorhallen bietet viel Angriffsfläche. Sie ist trotzdem gut. | |
Bild: Ein Link zu Baselitz' Heldenbildern: Anselm Kiefers „Heroisches Sinnbil… | |
HAMBURG taz | Im Foyer der Hamburger Deichtorhallen hängen vier | |
großformatige Fotos; ein vierflügeliger Altar, auf dem man die Meister | |
anbeten möge. Ganz links Georg Baselitz, 29-jährig mit strengem Scheitel | |
und lässiger Zigarette im Mundwinkel. Dann Gerhard Richter, grübelnd, in | |
sich gekehrt. Es folgt Sigmar Polke in einer extrem stilisierten Aufnahme, | |
herrisch, vielleicht sogar überheblich, und einzig das Bubigesicht bietet | |
einen Kontrast zur aggressiven Souveränität der Selbstinszenierung. Und | |
schließlich Anselm Richter, ein Schrat in einem gewollt zufälligen | |
Arrangement im Atelier. Vier „alte Meister“ in „jungen Jahren“, und das | |
Publikum blickt auf zu diesen Künstlerhelden. | |
Was eine unfaire Deutung ist – der Ausstellung „Baselitz – Richter – Po… | |
– Kiefer. Die jungen Jahre der alten Meister“ geht es nicht um die | |
Inszenierung von Künstlerhelden. Das funktioniert schon alleine deswegen | |
nicht, weil die vier heute zwischen 80 (Baselitz) und 73 (Kiefer) Jahre | |
alten Künstler nicht zu Helden taugen. Zwar arbeitete Baselitz ab 1965 an | |
der Werkgruppe der „Neuen Helden“, das aber waren gebrochene Figuren, die | |
mehr eine Antithese zum soldatischen Souverän darstellten und die zudem | |
kurz darauf in den „Frakturbildern“ dekonstruiert wurden. | |
Wenn die Ausstellung, die zunächst in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen | |
war und jetzt nach Hamburg wanderte, aber nicht über die | |
(Selbst-)Inszenierung der vier Künstler eine Gemeinsamkeit herstellen kann, | |
über was dann? Über künstlerische Nähe? Alle vier sind Maler, aber sonst? | |
Über thematische Verbindungen? Die liegen vor allem im Zeitbezug, in den | |
frühen Sechzigern als (im Katalog klug herausgearbeitete) Umbruchszeit, | |
zwischen Wirtschaftswunder, Nachkriegsjahren und 68er-Revolte, was | |
ebenfalls nur halboriginell ist. Kurator Götz Adriani findet die | |
Gemeinsamkeit vor allem: im internationalen Erfolg. | |
Adriani ist als Ausstellungsmacher eine Legende, an der Kunsthalle Tübingen | |
entwickelte er in den Neunzigern das Konzept der Blockbuster-Ausstellungen, | |
wie Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow anerkennend bemerkt. Und | |
tatsächlich ist Adriani jemand, der vom Erfolg begeistert ist: Die | |
(durchaus diskutable) These seiner Schau ist, dass deutsche Kunst mit | |
wenigen Ausnahmen (Dürer! Holbein! Elsheimer!) bis in die zweite Hälfte des | |
20. Jahrhunderts international unbedeutend gewesen sei; erst eine New | |
Yorker Ausstellung Kiefers 1988 und der nachfolgende Erfolg von Baselitz, | |
Richter und Polke habe den Durchbruch in die Moderne ermöglicht. | |
## Kommerzielle Türöffner | |
Die vier Künstler sind für Adriani also vor allem kommerzielle Türöffner, | |
in deren Folge dann auch weitere Künstler von Kippenberger bis Rauch | |
internationale Erfolge erzielen konnten. | |
Diese Konzentration aufs Kommerzielle erklärt (zumindest auf den ersten | |
Blick), weswegen hier eine reine Männerriege gezeigt wird. Adriani: „Es gab | |
damals einfach keine erfolgreichen Frauen!“ Dass freilich Luckow ihm hier | |
ins Wort fallen musste, um zu erwähnen, dass neben Eva Hesse auch | |
beispielsweise Hanne Darboven und Katharina Sieverding Ende der Sechziger | |
erste Schritte in der Kunstwelt unternahmen, zeigt, auf welch tönernen | |
Füßen der Grundgedanke der Ausstellung steht. | |
Ach, es wäre so einfach „Baselitz – Richter – Polke – Kiefer“ nicht … | |
finden. Allerdings übersieht man dabei: Die Ausstellung ist eben doch gut. | |
Sie ist konzentriert auf ihr Sujet, sie ist umfangreich, sie versammelt | |
Hochkarätiges, an wenigen Stellen ist sie sogar tatsächlich überraschend, | |
wo beispielsweise Richters Film „Volker Bradke“ (1966) dessen malerische | |
Verwischungstechnik in ein neues Medium überträgt. Allerdings bleibt sie | |
unzusammenhängend: Im Grunde sind es vier Einzelausstellungen unter einem | |
Dach, die große Deichtorhalle ist in mehrere gleich große Räume unterteilt, | |
die mit den jeweiligen Künstlern bespielt werden, streng voneinander | |
abgetrennt. Einzig in der Hallenmitte gibt es einen Punkt, von dem aus man | |
Werke aller Künstler sehen kann – aber weswegen sollte man? Das | |
kuratorische Konzept jedenfalls legt keine Verbindungslinien nahe. | |
Also wandert man von Künstler zu Künstler: zu Baselitz’ Frühwerk mit | |
wichtigen Hässlichkeitsstudien wie der „Großen Nacht im Eimer“ (1962/62), | |
den Heldenbildern, der Dekonstruktion des eigenen Realismuskonzepts in auf | |
den Kopf gestellten Gemälden wie „Industrielandschaft“ (1970). | |
Es folgen die Fotogemälde Gerhard Richters, deren Quellen meist | |
mustergültig recherchiert sind – „Bomber“ (1963) nach einer Vorlage aus … | |
Zeitschrift Quick, „Motorboot“ (1965) nach einer Anzeige, die Richter im | |
Stern entdeckt hatte, schließlich „Sekretärin“ (1963), das auf eine | |
Skandalgeschichte aus der Neuen Illustrierten verweist und so eine zweite | |
Ebene hinter dem Bild aufnimmt. | |
Ein wenig schade ist, dass Richters „Familienbilder“ als Auseinandersetzung | |
mit der nationalsozialistischen Geschichte weitgehend in der Ausstellung | |
fehlen: Ein Bild wie „Familie am Meer“ (1964) als Abarbeiten am eigenen | |
Nazi-Schwiegervater hätte der Präsentation eine sonst ausgesparte | |
politische Schärfe verleihen können. | |
Immerhin erhält die Ausstellung später durchaus politische Sprengkraft, mit | |
Anselm Kiefers NS-mythologischen „Heroischen Sinnbildern“ – Gemälden, die | |
die frühen Aktionen unter dem Titel „Besetzungen“ wieder aufnehmen und so | |
einen Link zu Baselitz’ Heldenbildern herstellen. Kiefer ist ansonsten | |
wenig präsent in der Ausstellung, als jüngster Teilnehmer, der im Gegensatz | |
zu den drei anderen Künstlern als gebürtiger Donaueschinger eine | |
West-Biografie hat. | |
Umfangreicher hingegen die Arbeiten von Sigmar Polke, ironischer, | |
hintergründiger politisch: „Würstchen“ (1964) ist eine böse Spitze gegen | |
die kleinen Freuden der Wohlstandgesellschaft, das Rasterbild „Freundinnen“ | |
(1965/66) grenzt an die Op-Art, im Gummibandbild „Dürer-Hase“ weist Polke | |
sogar über die Grenzen der Malerei hinaus, was in der Ausstellung ansonsten | |
ein No-Go ist. | |
Tatsächlich ist „Baselitz – Richter – Polke – Kiefer“ fast ausschlie… | |
eine unspektakulär gehängte Gemälde-Ausstellung. Weshalb Hausherr Luckow | |
dazu kommt, die Deichtorhallen als überaus geeignet für Malerei zu loben, | |
wird hier jedenfalls nicht deutlich: Eigentlich entfaltet sich der | |
spektakuläre Reiz des Gebäudes vor allem in installativen Präsentationen, | |
hier ist eben Bild an Bild gehängt. Und so überdecken ein nicht besonders | |
innovatives Ausstellungskonzept sowie eine Präsentation, die sich nicht | |
wirklich auf den Raum einlässt, die Tatsache, dass die Ausstellung als | |
solche interessanter ist, als man zunächst denken würde. | |
20 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Falk Schreiber | |
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