# taz.de -- DDR-Kunst in Potsdam: Keine Ostalgie, kein Kanon | |
> In der Ausstellung „Hinter der Maske. Künstler in der DDR“ im Potsdamer | |
> Museum Barberini sind 120 Werke aus über 40 Jahren zu besichtigen. | |
Bild: Ausschnitt aus Bernhard Heisig, Ikarus, 1975 | |
Es war nicht alles schlecht in der DDR. Zum Beispiel gab es im Palast der | |
Republik ein Postamt, das fast immer geöffnet hatte. Angesichts nicht | |
vorhandener Telefonanschlüsse und des chronisch unzuverlässigen, von der | |
Staatssicherheit überwachten Briefverkehrs waren Telegramme der sicherste | |
Weg, um Informationen zu übermitteln. Diese kamen am Folgetag (meistens) | |
auch an. | |
Suchte man also die wuchtige Betonburg mit den verspiegelten kupferfarbenen | |
Fensterscheiben auf dem einstigen Schlossplatz auf, um wieder einmal ein | |
Telegramm abzuschicken, so war man zwangsläufig mit den dort hängenden | |
Bildern konfrontiert. Man huschte aber eher an ihnen vorbei, als sie zu | |
betrachten, denn das Ziel war ja ein anderes. | |
Wem es damals ähnlich ging, der kann dieses Versäumnis jetzt nachholen. Im | |
Potsdamer Museum im Palais Barberini sind die 16 großformatigen | |
Palastbilder zu besichtigen, sie wurden zu diesem Zweck aus den | |
Archivbunkern des Deutschen Historischen Museums geholt. | |
Die drei Meter hohen und teilweise fast sieben Meter breiten Gemälde sind | |
Teil der Ausstellung „Hinter der Maske. Künstler in der DDR“, sie stellen | |
quasi deren Epilog dar. Mit diesen Auftragswerken heute konfrontiert zu | |
werden ist ein heilsamer Schock. Die Schinken offenbaren das ganze Ausmaß | |
an Korrumpierbarkeit, dem sich Künstler (alles Männer!) im | |
DDR-Spätsozialismus auszuliefern vermochten. | |
Die berüchtigte Leipziger „Viererbande“ (Willi Sitte, Werner Tübke, | |
Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer) ist in diesem Reigen vollständig | |
vertreten – wie nicht anders zu erwarten. Heisig („Ikarus“) und Tübke | |
(„Mensch – Maß aller Dinge“) bedienten sich antiker und biblischer Motive | |
und gaben damit eine bewährte Methode vor. Allegorien hatten Hochkonjunktur | |
in der ostdeutschen Staatskunst, gleichnishafte Figuren drängeln sich auf | |
fast allen Bildern. | |
Bei Sitte wird zusätzlich ein Stereotyp wirksam, das auffallend oft auch | |
bei Arbeiten anderer Kollegen zur Anwendung kam. Für „Die rote Fahne – | |
Kampf, Leid und Sieg“ quetschte er sein fleischfarbenes Leibergeknäuel in | |
ein purpurn grundiertes Quadrat: links die schweren Jahre des Kampfes und | |
Terrors symbolisierend, mit einmontierten, mahnenden Porträts von Ernst | |
Thälmann und Georgi Dimitroff. Rechts schreitet ein nackter Frauenkörper | |
als Verheißung in die blühende Zukunft. Dazwischen, im goldenen Schnitt, | |
ringt ein vielarmiger Mann mit den Problemen der Gegenwart. | |
Wie auf der politischen Landkarte jener Zeit herrscht das Böse im Westen, | |
also links, während das Glück des Kommunismus im Osten, also in der | |
Sowjetunion, dämmert. Die in der Bildmitte aufeinanderprallenden | |
gegensätzlichen Weltentwürfe stehen für das Alte und das Neue, für | |
Imperialismus und Kommunismus. An dieser Schnittstelle befand sich einst | |
die kleine DDR, dort standen die hoch dotierten Maler an ihren Staffeleien. | |
Sie waren nicht mehr jung und brauchten das Geld. | |
Weitere Künstler arbeiteten ihre schon im Titel formulierten Thesen in | |
diesem Dreiklang ab, etwa Walter Womacka mit „Wenn Kommunisten träumen …“ | |
oder Ronald Paris mit „Unser die Welt – trotz alledem“. Schwamm drüber, | |
diese Gut-Böse-Schautafeln disqualifizieren sich formal und inhaltlich von | |
selbst. Vielleicht ist es eine gerechte Strafe, dass sie heute wieder | |
ausgestellt werden. | |
Leider hatte sich seinerzeit auch der sonst eher zurückhaltend arbeitende | |
Maler und Autor Matthias Wegehaupt zu einem monumentalen Palast-Lehrbild | |
hinreißen lassen; auch er nutzte dabei die bewährte Aufteilung. „Raum für | |
Neues“ zeigt einen aus der Symmetrieachse emporwachsenden pinkfarbenen | |
Menschenturm, der wiederum von links durch die dunkelbösen Kräfte des | |
Westens bedroht wird, rechts aber um idyllische helle Wiesen mit | |
Liebespaaren, Kleinkindern und Regenbögen weiß. Traurig und ernüchternd | |
hängen heute diese realpornografischen Wimmelbilder vor uns. Sehr viel mehr | |
lässt sich über sie nicht sagen. | |
Die Palast-Galerie steht am Ende der Ausstellung. Vielleicht fällt der | |
Eindruck nicht ganz so drastisch aus, wenn man den Parcours in umgekehrter | |
Richtung durchläuft – dann hat man das Schlimmste zuerst hinter sich und | |
darf sich auf die nachfolgenden Lichtblicke freuen. | |
Denn insgesamt fällt „Hinter der Maske. Künstler in der DDR“ weitaus | |
differenzierter aus. Beginnend von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum | |
Zusammenbruch der DDR werden in neun Kapiteln 120 Arbeiten von 84 | |
Künstlerinnen und Künstlern gezeigt. Zusätzlich gibt es thematische | |
Führungen, Podiumsgespräche und Filmabende. | |
Das Museum Barberini scheint mit der Schau einen Nerv getroffen zu haben: | |
Ihr Zuspruch fällt immens positiv aus, im Gästebuch überwiegen begeisterte | |
Eintragungen. Vor allem an den Wochenenden drängt sich in den Räumen ein | |
sehr gemischtes Publikum. Es gibt einerseits Besucher, denen die Neugier | |
auf die lange unsichtbare DDR-Staatskunst anzusehen ist, auch eine gewisse | |
Genugtuung angesichts ihrer erhofften Rehabilitierung. Andererseits gibt es | |
jene mit dezidiertem Interesse an einzelnen Künstlern und Werkbiografien | |
sowie am Zusammenspiel der verschiedenen Handschriften und Haltungen. | |
Gerade im Nebeneinander, ja Durcheinander verschiedener Erwartungen an und | |
Deutungen von DDR-Kunst liegt ein Reiz der aktuellen bildnerischen | |
Bestandsaufnahme. Hasso Plattner – Mitbegründer des Software-Entwicklers | |
SAP, Wahl-Potsdamer und Stifter des Museums – nimmt gegenüber der | |
offiziellen ostdeutschen Kunst eine unbekümmerte Haltung ein. Dies hat er | |
mit seinem Mäzen-Kollegen und „Schokoladenkönig“ Peter Ludwig gemein. | |
Plattner verehrt die Werke von Mattheuer und Tübke und meint, „dass die | |
Menschen während der DDR-Zeit benachteiligt waren und nach der Wende | |
nochmals ungerecht behandelt wurden“. | |
Die von Valerie Hortolani und Michael Philipp kuratierte Ausstellung stimmt | |
jedoch keineswegs einen ostalgischen Grundton an. Es wird auch nicht | |
versucht, eine Kanonisierung vorzunehmen oder darüber Urteile zu fällen, | |
was nun aus heutiger Sicht kulturgeschichtlich bedeutsam ist und was nicht. | |
Vielmehr werden möglichst viele Positionen nebeneinander gestellt; | |
vielleicht zu viele. | |
So kann letztlich jede(r) etwas mit nach Hause nehmen. Mit den neun | |
Abteilungen (unter anderem „Malerbilder“, „Formexperimente“, | |
„Schaffensorte“, „Glaubensfragen“ oder „Störbilder“ betitelt) wird… | |
lauernden Beliebigkeit doch eine Struktur entgegengesetzt. Allerdings | |
unterlaufen die vorangestellten, allzu ausgleichenden und teilweise | |
ausgesprochen schulmeisterlich ausfallenden Raumtexte diese Akzentuierung | |
wieder. („Bildhauerei beschäftigt sich seit Jahrhunderten mit der | |
Darstellung der menschlichen Figur.“, ist da zum Beispiel zu lesen. Ach | |
so?) | |
Fast alle präsentierten Künstlerinnen und Künstler waren Absolventen von | |
staatlichen Kunsthochschulen und wurden anschließend in den Verband | |
Bildender Künstler (VBK) aufgenommen – was Ausstellungsmöglichkeiten und | |
Aufträge sicherte. Viele von ihnen hatten auch keine Probleme damit, der | |
Sozialistischen Einheitspartei (SED) beizutreten und sich der dort | |
geforderten Disziplin zu unterwerfen. Es tut im Umkehrschluss wohl, auf die | |
stillen Arbeiten der wenigen wirklichen Verweigerer zu stoßen: auf die | |
großen Einzelgänger Carlfriedrich Claus (innerhalb der Gruppe Clara Mosch), | |
auf Gerhard Altenbourg oder Hermann Glöckner. | |
Akteure der amorphen Subkultur sind vertreten, etwa Lutz Dammbeck, Robert | |
Rehfeldt, Cornelia Schleime, Kurt Buchwald, Micha Brendel, Else Gabriel, A. | |
R. Penck oder der Karl-Marx-Städter Solitär Klaus Hähner-Springmühl. Und es | |
gibt einige Entdeckungen zu machen (alles Frauen!), wie eine | |
Scherbenskulptur von Gertraud Möhwald, wie die spielerisch-komplexen | |
Typoskripte von Ruth Wolf-Rehfeldt oder das älteste ausgestellte Gemälde – | |
ein 1945 entstandenes skeptisches Selbstporträt der heute vergessenen | |
Malerin Elisabeth Voigt (1893–1977). So löst die Ausstellung „Hinter die | |
Maske“ zwar nicht wirklich ihr Versprechen ein, hinter die Oberflächen zu | |
blicken, aber sie markiert einen wichtigen Anfang. | |
8 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Claus Löser | |
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