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# taz.de -- Doku über DDR-Künstlerinnen: Bleiben oder gehen?
> Freiräume in der DDR: Die Doku „Rebellinnen“ kreist um das Leben der
> Künstlerinnen Tina Bara, Cornelia Schleime und Gabriele Stötzer.
Bild: Tina Bara, „Fenster, Spiegel, Selbst I“, 1985 (Ausschnitt)
Eine Schwarz-Weiß-Fotografie, aufgeteilt in drei Bilder: Auf jedem Bild ist
der Kopf einer Frau aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen. Die langen
braunen Haare werden mit einem Seil aus der rechten Ecke gezogen. Die Augen
sind geschlossen, das Gesicht sieht teils friedlich, teils gequält aus. Das
Seil repräsentiert die Vergangenheit, an die die Frau gebunden ist, von der
sie sich nicht befreien kann, egal, wie sie ihren Kopf dreht und wendet.
Die Fotografie ist von [1][Gabriele Stötzer, einer Künstlerin und
Oppositionellen in der DDR,] die im Film „Rebellinnen“ neben zwei weiteren
ostdeutschen Künstlerinnen, [2][Cornelia Schleime] und Tina Bara,
porträtiert wird. Die DDR war ihr Zuhause, aber eben auch die Kunst.
Letztere wurde vom Staat beschränkt.
Durch das ständige Kämpfen um ihre künstlerische Freiheit stellte sich
deshalb für alle drei irgendwann die Frage, ob sie gehen oder bleiben
sollen. Von dieser Suche nach Selbstbestimmtheit erzählt die westdeutsche
Regisseurin Pamela Meyer-Arndt. Sie setzte sich bereits zuvor in ihrem
Dokumentarfilm „Ostfotografinnen“ mit Künstlerinnen aus der DDR
auseinander.
In den 80er Jahren herrscht in der DDR ein künstlerischer Schaffensdrang,
der aber durch repressive Maßnahmen des Staats gebremst wird. Tina Bara
etwa wird die Kamera weggenommen, weil ihre Fotografien nicht der
Staatsdoktrin entsprechen, die Stasi hat Stötzer als Oppositionelle auf dem
Kieker und versucht ihr eine Straftat anzuhängen, und Schleime darf ihre
„unkonventionelle“ Kunst nicht mehr ausstellen.
## Frauen für den Frieden
„In diesem zerstörten Land wurde viel verdrängt, aber es war auch viel
Energie“, beschreibt Bara die Zeit rückblickend im Film. Man spürt diese
Energie etwa auf schwarz-weißen Fotografien der „Frauen für den Frieden“,
zu denen Bara Kontakt hatte und die sie fotografierte. Das war eine
Teilgruppierung der Friedensbewegung der DDR, die sich für Meinungsfreiheit
und gegen eine militarisierte Gesellschaft einsetzte.
Im Film sieht man Aufnahmen von einem Treffen dieser Frauen, sie sitzen
nackt in der Sommerhitze am See, die Kamera wirkt unsichtbar. Momente wie
diese gaben den Frauen Raum, sich gegenseitig auszutauschen, fernab der
Männer, die damals politische Diskussionen unter den Oppositionellen in der
DDR dominierten.
Dabei reihen sich unter die zahlreichen Schwarz-Weiß-Fotografien und
Super-8-Filmaufnahmen aktuelle Interviews, die Einblick geben in das Leben
der drei Frauen. Die Künstlerinnen besuchen auch Orte der Vergangenheit.
Ein Berliner Hinterhof, der früher noch von Einschusslöchern und leeren
Häuserschluchten geprägt war, ist jetzt ein schick renoviertes Wohnhaus mit
Garten.
Doch die künstlerischen Werke spiegeln auch die düstere Seite der DDR
wider. Vor allem bei Stötzer, die vom Staat regelrecht terrorisiert wurde,
spürt man, dass ihre Kunst ein Weg war, das Erlebte zu verarbeiten.
Stötzer, die wegen einer Unterschriftensammlung gegen die [3][Ausbürgerung
des Sängers Wolf Biermann] zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde,
erzählt in einer Szene von ihrer Erfahrung.
In ihrer Gefängniszelle hörte sie auf zu reden und zu essen. Irgendwann lag
sie kotzend, schreiend und mit Schmerzen auf dem Gefängnisboden. Plötzlich
fingen die anderen weiblichen Gefangenen an zu schreien und mit Hockern
gegen die Wände zu poltern. Dieser Moment der weiblichen Solidarität präge
sie bis heute.
## Eine Sprache für die Ungerechtigkeit
Es war die Kunst, die den Frauen ermöglichte, eine Sprache zu finden. Eine
Sprache für die Ungerechtigkeit und die Repressionen, der die
Bürger:innen in der DDR teils ausgesetzt waren. Der Kunst wird im Film
viel Raum gegeben, was einen die Suche nach künstlerischer
Auseinandersetzung nachempfinden lässt. So sieht man Bilder von Frauen, die
in Drahtseile oder mit Gipsband eingewickelt sind, die ein Gefühl des
Eingesperrtseins vermitteln sollen.
Aber auch Bilder der Systemkritik. Tina Bara wurde als Fotografin
beauftragt, Arbeiter:innen in einer Chemiefabrik zu porträtieren.
Heimlich schleicht sie auf dem Fabrikgelände herum, um Szenen der
Umweltzerstörung in dem Chemiewerk einzufangen. Entstanden sind dabei
Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die Fabrikgebäude zeigen, deren Fassade mit einer
dicken Schicht Karbidstaub bedeckt ist.
Der Film schafft eine gute Balance zwischen Leichtigkeit und Ernst,
beobachtet, statt zu verurteilen. Im Westen schließlich, wohin zwei der
Künstlerinnen emigrierten, stellte sich für sie zunächst ein Gefühl der
Verlorenheit ein, des Nicht-Dazugehörens. Schleime schildert, wie eine
West-Galeristin begeistert von ihren großen Leinwandmalereien gleich zehn
bestellen wollte, was sie nicht verstand: „Das war für mich ein
Kulturschock, als wenn man bei mir Bilder bestellen könnte.“
Auch für Bara war es ein langer Prozess, im Westen anzukommen. Ein Art
migrantischer Komplex überkam sie, sie wollte in Westberlin nicht als
Ostfrau gelabelt werden. Doch wie die Fotografie zu Beginn des Films
vermittelt: Die Vergangenheit lässt einen nie ganz los.
2 Nov 2022
## LINKS
[1] /DDR-Subkultur-in-Cottbus/!5488438
[2] /Ostkunst-nach-der-Wende/!5801070
[3] /Ausstellungen-ueber-dissidente-DDR-Kunst/!5319560
## AUTOREN
Sabina Zollner
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