# taz.de -- Ostkunst nach der Wende: Wessiwerdung in der Stasisauna | |
> Oder kann das weg? Ein Recherche- und Ausstellungsprojekt der nGbK | |
> untersucht die Situation der Kunst in der Nachwendezeit. | |
Bild: Installationsansicht von „… oder kann das weg? Fallstudien zur Nachwe… | |
„Gloria“ war der verheißungsvolle Name des Kinos, in dem Susann Huth als | |
Kind und Jugendliche ihre prägendsten Filme gesehen hat. Das „Gloria“ stand | |
in Magdeburg, wo die Fotografin 1972 geboren wurde. Nach jahrelangem | |
Leerstand ist ein Supermarkt eingezogen. Insgesamt sieben ihrer Fotografien | |
von einstigen Kinoeingängen in der ostdeutschen Landeshauptstadt eröffneten | |
zur Berlin Art Week die Ausstellung „… oder kann das weg? Fallstudien zur | |
Nachwende“ in der nGbK (neue Gesellschaft bildende Kunst). Fotografien, die | |
stellvertretend stehen für die kommerzielle Umnutzung einstiger Kulturräume | |
im Osten nach 1990. | |
Über zwei Jahre haben Bakri Bakhit, [1][Elske Rosenfeld], Wolfgang H | |
Scholz, Anna Voswinckel und Suse Weber zur „Nachwende“ gearbeitet: | |
[2][Inwieweit haben Künstler:innen nach 1990 ihre Arbeitsweise | |
fortgeführt oder den westlichen Bedingungen angepasst?] Welche Methoden und | |
Motive blieben für Ost bzw. West unverständlich? Und wie positioniert sich | |
eine jüngere Generation künstlerisch wie biografisch zur oftmals als Kind | |
erlebten DDR und ihren Folgen? | |
Viele Künstler:innen hätten plötzlich Publikum oder ökonomische | |
Grundlagen verloren und mussten sich in ein neues System einfügen, das kaum | |
Interesse an ihnen hatte, erklärt die Berliner Künstlerin und Autorin | |
Rosenfeld: „Die Erwartung ist wahnsinnig groß, dass man jetzt etwas | |
hervorholt, würdigt oder wiederherstellt.“ Das sei eine Aufgabe für viele | |
Ausstellungen wie die kunsthistorische Forschung. Ihre aktuelle Ausstellung | |
hätte nicht den Anspruch, die Kunst der Nachwende in Gänze abzubilden. | |
Vielmehr ginge es darum, Leerstellen und Brüche aufzuzeigen, Fragen zu | |
stellen und Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen. | |
Gruppeninterne Schlagworte bilden Cluster für insgesamt sieben Fallstudien, | |
die im Wochenrhythmus nacheinander präsentiert werden. Auf „Paradies | |
Leerstand“ und die Performance „Muttiland Revisited“ von Sabine Reinfeld | |
(bis 29. September) folgt „Marlboro Man“ zur Verkörperung ostdeutscher | |
Männlichkeit vor und nach 1989. | |
Eine Sauna im Stasigebäude | |
Elske Rosenfeld wird gemeinsam mit dem heute in Mexiko-Stadt und München | |
lebenden Wolfgang H Scholz arbeiten. „Stasisauna“ lautete der Titel der | |
zugehörigen Arbeitswoche. Ausgangspunkt für eine neue Videoarbeit zum | |
schwitzenden Repressionsapparat bildet eine Sauna im Keller eines | |
Stasigebäudes in Leipzig, nach der Maueröffnung die erste Schwulensauna der | |
Stadt. Fotografien dieses Zufallsfunds und eine Propagandarede von Erich | |
Mielke, bei der er einen Hustenanfall bekommt, bilden das Material. | |
Saunafliesen und eine Badewanne sind im Raum als Fototapete schon | |
angedeutet. | |
Ausgehend von eigenen Arbeiten hat Suse Weber drei bühnenartige Settings | |
gebaut, die aneinandergereiht als bewegliche Kulisse für die wechselnden | |
Präsentationen dienen. Nach und nach wird diese „Nachwende-Klappe“ mit | |
Werkreproduktionen überschrieben und schließlich zerstört. Am Ende des | |
Gangs hindert ein Absperrband am Zutritt, aber nicht vorm Hinschauen. Hier | |
im „Depot“ sind einzelne Videos schon aus der Ferne zu sehen. | |
Gerahmte Werke stehen verpackt bereit, etwa die von Margret Hoppe. Von 2003 | |
bis 2006 ist sie für die Serie „Die verschwundenen Bilder“ den Spuren von | |
Kunst aus der ehemaligen DDR nachgegangen. Ihre Fotografien zeigen die | |
Leerstellen an Wänden und Hausfassaden, die nach dem Abnehmen oder | |
Übermalen von Bildern entstanden sind. Die Titel, etwa „Gerhard Richter, | |
Lebensfreude, 1956, Deutsches Hygienemuseum Dresden“ verweisen auf das | |
einst Sichtbare, das für immer verloren oder eingelagert ist. | |
Die sich seit Jahren stellende Frage, welche in der DDR entstandene Kunst | |
es aus den Depots wieder an die Museumswände schafft, greift die Woche | |
„Depot Bilderstau“ auf, für die Hoppes Fotografien aus der Luftpolsterfolie | |
geholt werden. Dass während der Ausstellung entstehende Arbeiten wie die | |
zur Stasisauna dafür wiederum im Depot verschwinden, reproduziert die | |
Nichtsichtbarkeit im Ausstellungsraum. | |
Blick in die Archive | |
Begleitet werden alle Fallstudien von der Institutionsgeschichte der nGbK: | |
Grafisch etwas einfallslos sind an der Wand alle Ausstellungen mit | |
DDR-Bezug seit der Gründung 1969 aufgelistet. Auch hier lohnt der Blick in | |
die Archive, wie die Website der nGbK deutlich macht: Trotz der Teilung gab | |
es ein Interesse an der Zusammenarbeit mit DDR-Institutionen und der | |
Realisierung von Ausstellungen von und mit DDR-Künstler:innen. | |
In der Umbruchzeit widmeten sich drei Ausstellungen der Alltagskultur der | |
DDR. Mit „Erhalten – Zerstören – Verändern“ bewies der Verein schon 1… | |
große Sensibilität im möglichen Umgang mit Denkmälern der DDR in Ostberlin. | |
„Außerhalb von Mittendrin“ stellte 1991 westdeutsche, österreichische und | |
ostdeutsche Positionen wie Angela Hampel, Cornelia Schleime oder Gundula | |
Schulze Eldowy zusammen. Anna Voswinckel hat die Ausstellung nun gemeinsam | |
mit der damaligen Kuratorin Beatrice E. Stammer dokumentiert: Fotografien | |
zeigen Seiten des nur noch antiquarisch erhältlichen Kataloges. In einem | |
damals realisierten Interviewfilm nehmen die Künstlerinnen alle vorhandenen | |
Zweifel und eine massive Skepsis gegenüber der Wiedervereinigung und ihrem | |
eigenen Ausschluss aus einer „vereinigten“ Kultur vorweg, so Stammer. | |
In der aktuellen Ausstellung geht dieses wichtige Zeitzeugnis auf dem zu | |
kleinen Bildschirm leider unter und wird hoffentlich noch auf dem | |
begleitenden Blog [3][nachwendefallstudien.de] zugänglich gemacht, der alle | |
Fallstudien der kommenden Wochen dokumentieren will. | |
Einige Ausstellungen haben sich in den vergangenen Jahren mit der | |
Nachwendezeit befasst. Die Berliner Fallstudien sind ein weiteres Stück in | |
diesem wichtigen Diskurspuzzle. Insbesondere die letzten beiden Wochen | |
versprechen neue Impulse: „Wessiwerdung“ folgt der These, dass sich der | |
Osten auch in der Kunst möglichst lautlos dem Westen anpassen musste. Viele | |
hätten etwa in ihren Lebensläufen die Nennung der ostdeutschen Herkunft | |
verschwiegen, um nicht mit einem Stempel durchs neue alte Kunstsystem zu | |
laufen. | |
„Ossiwerdung“ untersucht zum Abschluss die aktuelle Inwertsetzung von | |
Ostbiografien. Elske Rosenfeld arbeitet seit über 15 Jahren zum Thema. Noch | |
vor vier Jahren schien es schwierig, hierfür Fördergelder zu bekommen, | |
jetzt wird sie zum Teil explizit als Ostdeutsche angefragt. „Es passiert | |
jetzt viel, es sind ein paar wirklich gute Bücher rausgekommen und wir sind | |
Teil dieses Prozesses.“ Sie ist gespannt, welche Gespräche und Konflikte | |
die in den Ausstellungsraum transferierte Konfrontation mit ihren | |
Recherchen hervorbringen wird. Es bleibt zu hoffen, dass die 90er hier | |
Vorbild sind und kuratorische Praxis, Impulse und Diskussionen der | |
kommenden Wochen für die Post-Nachwende-Generation archiviert werden. | |
6 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Angela-Davis-Ausstellung-in-Dresden/!5753608 | |
[2] /Ein-Galerist-zwischen-Ost-und-West/!5717423 | |
[3] http://nachwendefallstudien.de | |
## AUTOREN | |
Sarah Alberti | |
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